Rainer Bonhorst / 24.07.2018 / 10:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Helmut und Mesut

Da ich in Essen aufgewachsen bin, muss ich bei Fußballspielern immer an Helmut Rahn denken. Der wurde zu Lebzeiten in seiner Stammkneipe von seinen Kumpels immer wieder aufgefordert: „Helmut, erzähl noch mal das dritte Tor!“ Oder, genauer: „Hämmut, erzähl nomma dat dritte Tor!“ Und dann erzählte der Helmut beim Bier das dritte Tor. Und nicht nur er erzählte es. Über dem „Ruhrschnellweg“, auf dem man durch Essen schleicht, sind in dichter Abfolge folgende Herbert-Zimmermann-Zitate zu lesen: „Rahn müsste schießen“. Dann: „Rahn schießt!“ Und dann: „Toooor!“ Tja, das waren noch Zeiten, damals nach dem Wunder von Bern. Da hießen die Spieler noch „Hämmut“ und die Nachnamen waren im exotischsten Fall polnisch wie Kwiatkowski, und selbst der trug dann auch noch den unexotischen Vornamen Heinrich. Der schöne Name Mesut Özil war damals noch fernste Zukunftsmusik.

Und der Fußball hatte nichts, aber auch gar nichts mit Politik zu tun. Oder etwa doch? Die Ungarn, denen wir im Jahr 1954 die Fußballkrone stibitzt haben, konnten sich in ihrer Heimat kaum noch sehen lassen. Grosics, Puskas, Hidegkuti, Koscis – als Helden nach Bern gereist, als Unpersonen heimgekehrt. Und die Walters, der „Fußballgott“ Turek, der Rahn und der Morlock – als Außenseiter angereist, als Helden heimgekehrt. Plötzlich waren „wir“ wieder wer. Der Fußball hat dem verfemten Deutschland wieder in den Sattel geholfen. Tore machten damals wohl doch schon Politik, ob sie nun geschossen oder kassiert wurden.

Unsere Fußball-Offiziellen aber halten bis heute an der Fiktion fest, dass der Fußball, der Sport überhaupt, unpolitisch sei. Deswegen setzen sie sich auch ganz ungeniert neben Wladimir Putin oder ersatzweise neben seinen sidekick Dimitrij Medwedew. Da saßen oder standen sie dann und ließen sich lächelnd abfotografieren. Als wären sie ein Herz und eine Seele mit Wladimir, dem scheindemokratisch gewählten Herrscher von Russland. Reklamebilder für einen Autokraten.

Ach ja, da war doch noch was

Moment mal. Reklamebilder für einen Autokraten? Ach ja, da war doch noch was. Natürlich, Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit Recep Erdogan, diesem Westentaschen-Putin. Die beiden haben neben Erdogan gelächelt wie Giovanni Infantino neben Wladimir. Der Infantino durfte das natürlich, ja er musste sogar, weil die völlig unpolitische Fifa die Weltmeisterschaft 2018 im Großreich des lupenreinen Demokraten platziert hatte. Und Signore Infantino ist Spitzenfunktionär. Der darf Sachen machen, die einem einfachen Nationalspieler oder zweien nicht zustehen. Nämlich politisch fragwürdige Entscheidungen treffen und politisch fragwürdige Auftritte hinlegen. Was dem Jupiter geziemt, ziemt sich nicht für den Ochsen.

Nun ja. Ich finde es saublöd, dass Özil und Gündogan das Werbe-Foto mit Erdogan gemacht haben. Aber ich frage mich: Sind sie schlimmer als Infantino und sein Vorgänger Sepp Blatter? Meiner Meinung nach wird in dieser Auseinandersetzung geheuchelt, dass die Wände wackeln. 

Ich finde sogar, dass Infantino und sein Vorbereiter Blatter als Herren der Großorganisation viel fragwürdiger dastehen als die beiden deutschen Nationalspieler mit türkischen Wurzeln. Ich fürchte, wir nehmen den beiden vor allem übel, dass sie ihre ethnischen Wurzeln nicht ganz abgestreift haben. Und das sollte man von einem Deutschen mit Migrationshintergrund nicht verlangen. Dass es bei den beiden unbedingt Erdogan sein musste, ist ungefähr so blöd wie die Tatsache, dass es 2018 unbedingt Putin sein musste. 

Rahn hätte nicht „Rassismus“ gerufen

Aber auch da muss ich wieder einschränkend sagen: Wenn wir die Augen zumachen und die Politik aus dem Fußball verbannen, dann war es eine sehr gelungene WM in Russland. Nur dass Özil und Co. als müde deutsche Krieger über den Rasen gejoggt sind und ihren Beruf schlampig ausgeübt haben. Das stört mich mehr als Mesuts politische Dusseligkeit. Hätten sie alle besser gespielt, man hätte dem Doppelbeheimateten bald sogar den Erdogan verziehen. So, wie man über die Putin-Festspiele sowieso kaum ein Wort verloren hat. Ich weiß nicht: Ich finde das alles ziemlich verwirrend. Fast sehne ich mich zurück in die gute alte Zeit.

Was hätte wohl Helmut Rahn anstelle von Mesut Özil getan? Ich vermute, er hätte Erdogan das dritte Tor erzählt. Rahn hat noch in einer Zeit gekickt, als man von Fußballern keine politische Raffinesse verlangte. Rahn hätte aber auch nicht „Rassismus“ gerufen, wenn man ihn ausgeschimpft hätte. Er wollte einfach nur rassigen Fußball spielen. Und seine WM fand in der Schweiz statt, also auf politisch völlig neutralem Boden. Da musste man sich wegen keiner photo opportunity schämen. 

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Leserpost

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Roger Healey / 24.07.2018

Özil hat seiner geschätzten Kanzlerin nachgeeifert, inclusive Fotos in lächelnder Verbundenheit, die massenhaft unter “Merkel/Erdogan” zu finden sind. In der Hauptsache hat er sich bei Erdogan voller Respekt für den Flüchtlings"deal” bedankt, der seiner Kanzlerin den Hals gerettet hat. Das wäre ja noch schöner einem Nato-Partner, mit Deutschland freundschaftlich verbunden, vor den Kopf zu stoßen… Gerüchteweise habe ich gehört, dass sich Merkel bei Özil bedankt hat. Was schert sich Merkel darum, nicht nur Merkel, ob Erdogan ein “Atokrat/Despot/Diktator/Zieg..” oder sonstwas ist. Hauptsache der Deal steht…

Jürgen Schnerr / 24.07.2018

Ach ja, vielleicht war das ein abgekartetes Spiel, zumindest terminmäßig. Özil kam und schwupp war der Busanschlag in Lübeck in den Qualitätsmedien von jetzt auf gleich keine Zeile mehr wert. Waren ja nur elende deutsche Rassisten, welche da verbrannt werden sollten. Will damit auch sagen, es geht mir echt auf den Sack, dass sich alle Welt, leider auch die Achse, so dermaßen mit einem Fußballidioten beschäftigt.

Frank Rotschedl / 24.07.2018

Beim Lesen kamen mir im Wesentlichen zwei Dinge in den Sinn: Hinsichtlich der Austragungsorte und der Kumpanei der FIFA mit Autokraten finde ich Katar als Austragungsort nochmal um ein paar Zacken fragwürdiger als Russland - vom Demokratieindex merkwürdigerweise ungefähr gleichauf mit Russland - wann waren nochmal Wahlen in Katar und wie heißt das Parlament dort? :-) - kommt noch ein leckeres Topping aus strengem Islam als Staatsreligion dazu… aber 2018 war die WM halt nunmal in Russland, also Schwamm drüber… Und zu Özil - wer in aller Welt will denn Özil seine Wurzeln nehmen? Geht es um Wurzeln? Ich frage mich, wo genau nochmal die deutschen Aspekte an Özil zu finden sind… Woran ist bzw. war nochmal seine Identifikation mit dem Land zu erkennen, dessen Pass er besitzt und das er international in “der Mannschaft” vertreten soll? Mir fällt gerade nichts ein… Weiß jemand was?

Karl-Eugen Kaiser / 24.07.2018

Nicht nur fast, sehr geehrter Herr Bohnhorst, sehne auch ich mich zurück “in die gute alte Zeit”. Nicht dass da alles besser gewesen wäre, nein, aber der Umgang miteinander war offener und ehrlicher und vor allem weniger heuchlerisch. Fakten waren noch Fakten und die Journalisten besaßen noch den Mut, nein, haben es als ihre Profession angesehen, die Regierenden zu kritisieren, Stattdessen haben wir es heute in den “Wahrheitsmedien” mit devoten Hofberichterstattern zu tun, die es als ihre wichtigste Aufgabe ansehen, sich vor den Mächtigen im Land in den Staub zu werfen und sich andererseits tagtäglich in oft peinlicher Weisen an Politikern wie Putin und Trump abzuarbeiten.  Kommt dann massiver Gegenwind, wie dieser Tage in diesem Medium zu ihren unsäglichen Auslassungen zu Donald Trump, so erschrecken Sie, ja Sie Herr Bonhorst sind gemeint, über die eigene Courage und stellen einen ganz offensichtlich ernstgemeinten Artikel später als Satire dar. So kann man´s natürlich auch machen. Der eigenen Glaubwürdigkeit ist es indes nicht dienlich.

Marcel Seiler / 24.07.2018

In diesem Artikel geht einiges durcheinander. 1. Sport muss politisch *und gleichzeitig* nichtpolitisch sein. Er kann seine politische Funktion, nämlich das Brückenschlagen über politische Gegnerschaften hinweg, nur erfüllen, wenn sich gleichzeitig die einzelnen Akteure unpolitisch verhalten. Das Unpolitische der Spieler und die Tatsache, dass der FIFA-Mensch Putin die Hand drückt, bedingen einander! 2. Özils Szene mit Putin ist nicht deshalb schlimm, weil Özil “seine Herkunft nicht verleugnet”, sondern weil er einen Diktator als “meinen Präsidenten” anredet. Vor längerem wurde eine Ruderin aus dem deutschen Team geschmissen, weil ihr Freund angeblich einer rechtsradikalen Partei angehört hätte. Özils Tat ist erheblich schlimmer.

Karla Kuhn / 24.07.2018

Das Thema sollte ENDLICH abgehakt werden, es gerät langsam zur POSSE !! Eine spanische Zeitung schreibt:  El País”: “Die Vorwürfe des Fußballers zeigen, dass die Grundlage der ethnischen und kulturellen Integration, die das Bild des Siegers von 2014 zeigen sollte, nicht wirklich solide ist. Der Aufstieg der extremen Rechten, die sich in den 90 Sitzen zeigt, die die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 gewann, scheinen die bittere Sicht des Fußballers zu stützen.” Jetzt sind diejenigen, die ihre verbriefte Meinungsfreiheit wahrnehmen die “EXTREMEN RECHTEN”  (wohlgemerkt, nicht mehr nur rechts !!), die, wie kann es anders sein NATÜRLICH BEI DER AFD sitzen. Ist diese El Pais eine kommunistische Zeitung ??  Im Prinzip interessiert mich Özil nicht aber wenn es derart ausufert, daß eine deutsche, DEMOKRATISCH GEWÄHLTE Partei in den Schmutz gezogen wird und als extrem rechts betitelt wird,  hört für mich der Spaß auf.  Die AfD ist-für mich- die einzige Partei, die den Namen Opposition verdient und wir-jedenfalls viele- müssen froh sein, daß sie im Bundestag sitzt.

Karl Schmidt / 24.07.2018

Nun, der Unterschied ist die Wirkung in Deutschland: Putin verdankt seine Macht nicht Russen, die in Deutschland leben. Erdogan hätte ohne die Auslandstürken schon eine Wahl verloren. Putin will in Russland wirken; Erdogan in Deutschland. Putin formuliert keinen Herrschaftsanspruch über Deutschland; Erdogan ruft seine Anhänger auf, in Deutsche Parteien einzutreten. Die DFB-Funktionäre wurden nicht als Vorzeigemigranten verkauft, als Vorbild für andere; Özil schon. Die DFB-Funktionäre wollten höflich sein; Özil will den türkischen Autokraten (nicht zum ersten Mal) aktiv unterstützen. Nur weil etwas (im ersten Augenblick) gleich aussieht, muss es nicht gleich (bedeutend) sein.

Tobias Meier / 24.07.2018

Der Unterschied zwischen den Auftritten der Fifa-Offiziellen und dem von Özil/Gündogan liegt in der viel unmittelbareren Vorbildfunktion der Letzteren begründet. Bei allem scheinheiligen Gehabe der Herren Infantino und Co., sicherlich verurteilungswürdig, aber sie alle sind keine unmittelbaren Idole für unseren Nachwuchs. Die Aktion der Herren Gündogan und Özil, die sich innerhalb der türkischen Community einer hohen Popularität erfreuen, war ein fatales Signal an all die kleinen Cems und Mehmets, die einen Starposterschnitt dieser Spieler aus der Bravo-Sport in ihrem Kinderzimmer hängen haben. Und gleichzeitig ein Schlag ins Gesicht all jener gut integrierten türkischstämmigen Bürger, die Erdogan kritisch gegenüber stehen, mit ihrer Kritik selbst hierzulande hinter dem Berg halten müssen, um Repressalien durch Erdogan-Anhänger vorzubeugen. Und letztendlich auch ein dicker Stinkefinger ins Gesicht aller Deutschen, die Özil als einen der unsrigen akzeptierten und ihn noch vor kurzem mit Integrationspreisen auszeichneten.

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