Gunter Weißgerber / 28.01.2017 / 06:25 / Foto: Eduardo Manchon / 11 / Seite ausdrucken

Großprojekte: Wie Polit-Egoisten das Land blockieren

Deutschland fesselt sich in Verharrung. 

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich über Jahrzehnte in selbst angelegte Fallstricke verwickelt, so dass bald überhaupt nichts mehr gehen wird. Schon die politischen Spielchen, die alle spielen, haben oft Tollhauscharakter. Je nach Funktion in den Parlamenten wechseln Förderung und Ablehnung bestimmter Bau-Vorhaben oder Infrastrukturprojekte. Gesetzt wird dabei immer auf die Demenz des Wahlvolkes, auf den Verlust des kollektiven und individuellen Langzeitgedächtnisses.

 Der neue Berliner Flughafen BER ist das heißeste, aktuellste und beileibe nicht das einzige Beispiel.

Selbst die Nazis spielten das Spiel schon erfolgreich. Bis 1933 waren sie gegen die Autobahnen, nach 1933 haben sie die fertigen Planungen schnell rausgeholt und losgebaut. 
Gegen die Reichsautobahn Nr. 1 des Oberbürgermeisters Adenauer, einem Infrastrukur- und Arbeitsbeschaffungsprojekt, liefen die Rechtsradikalen in Köln 1932 erfolglos Sturm. Nach der Machtergreifung 1933 stellten sie die Schnellverbindung zügig fertig und gerierten sich als „Erfinder“ der Autobahn (ein Fake News-Klassiker). Damit die Nachwelt das Märchen auch glaubte, ließ Hitler die erste (Adenauer-) Autobahn nachträglich zur Fernstraße herabstufen. 



Nun aber zum BER. Wie kann Politik im grünen, postindustriellen Zeitalter überhaupt auf den wirren Gedanken kommen, Investitionen zu tätigen, die mit Sicherheit über mehrere Legislaturperioden verschiedener Parlamente „laufen“? Jede Opposition hakt rein, jeder Wahlkampf führt zu Versprechen, die den Ablauf und das Projekt tangieren. Jedes neu zusammengesetzte Parlament bastelt und schraubt an den Gesetzen herum. Nach wenigen Jahren stehen so manche Festlegungen und Konstruktionen plötzlich im Widerspruch zur neuen Gesetzes- und Vorschriftenlage.

Nach der Einweihung  will keiner mehr dagegen gewesen sein

Gerade Brandenburg genießt diesbezüglich unter Europas Bauherren einen Horror-Ruf. 
Wechselnde Koalitionen oder der Wechsel von Regierungsverantwortung zu Opposition führen oft zu frappierenden Positionswechseln gegenüber Bauvorhaben. Nur Masochisten tun es sich an, solche Projekte für die öffentliche Hand zu realisieren. Als Einstimmung für Unentwegte mag die Lektüre des Untersuchungsausschusses des Berliner Abgeordnetenhaus zu diesem Thema dienen.

Der Tag der Eröffnung des Airports der Superlative wird trotzdem irgendwann kommen. Danach wird ein anderer Demenzprozeß sichtbar werden: Keiner wird mehr dagegen gewesen sein. Das erlebten die Leipziger nach der Inbetriebnahme des umgebauten Hauptbahnhofes 1997, gegen den vorher 30.000 Unterschriften gesammelt worden waren. Heute finden Sie keinen dieser Gegner mehr.



So wird es auch mit Stuttgart 21 werden. Die Stuttgarter, die sich als gute Wutbürger (im Gegensatz zu den bösen Pegida-Wutbürgern) deutschlandweit bekannt machten, werden in einige Jahren ihre neue grüne Oase inmitten der Stadt und den Blick von den Talhängen darauf genießen. Der Kampf um 

Stuttgart 21 war ein Stellvertreterkrieg gegen die Landesregierung. 
Sehr teuer und sehr wirkungslos. Denn es hat nicht einmal geklappt: Die CDU-Regierung in Stuttgart wurde erst durch ein Seebeben vor Japan hinweggefegt. Das abgesoffene Kernkraftwerk Fukushima und die Energiewende der Bundeskanzlerin erledigten den Job.

Mir fällt auch das zehn Jahre währende Affentheater um die Dresdner Waldschlösschenbrücke  ein. Angeblich ging es um Naturschutzbelange, in Wahrheit wurde brutal und rücksichtslos um das Amt des Oberbürgermeisters gekämpft. Die Volksfront wollte SudelRotGrün in Sachsen den Weg ebnen. Es misslang. Inzwischen gibt es Pegida – ein Wutbürgerkind der Volksfront sozusagen.



Die Leidensgeschichte des Transrapid ist ein weiteres Beispiel. 
Auf den politischen Fahrweg gesetzt hat den Transrapid die sozialliberale Koalition in den Siebzigerjahren. Weiterführen musste und wollte ihn die christlich-liberale Koalition nach 1982. Für den FDP-Anteil in dieser Regierung war das leicht,  für die SPD schwer. Dafür-sein ging nicht mehr, Dagegen-sein sah nicht gut aus. 1998 hatten sich die Zeiten und Mehrheiten wieder geändert. Von 1998 an regierte Rot-Grün. Man fand sich plötzlich als Befürworter eines innerdeutschen Transrapids wieder, allen voran ging Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der grüne Partner machte nur widerwillig und zum Schein mit. 



Ein Zukunftsminister wendet Richtung Vergangenheit

Dann kam das erwartete Aha-Erlebnis. 
Jürgen Rüttgers, seines Zeichens CDU-Zukunftsminister unter Helmut Kohl und erst eifriger Verfechter des Transrapid (der die SPD-Opposition wegen ihrer zögerlichen Transrapidhaltung gern vorführte) machte eine Kehrtwende. Inzwischen machte Peer Steinbrück als SPD Ministerpräsident in NRW sich für den Transrapid stark und Jürgen Rütgers war Oppositionsführer. Also opponierte der einstige Transrapid-Propagandist Rüttgers als Oppositionsführer samt seiner NRW-CDU gegen das Projekt. Was schert mich mein Geschwätz von gestern. Aus seiner Partei und von deren Landräten, Bürgermeistern und Kommunalfraktionen kamen plötzlich die Protestbriefe, die Jahre vorher nahezu inhaltsgleich aus dem SPD-Spektrum verschickt wurden. Die ökologisch falschen Argumente gegen den Transrapid blieben gleich, nur das Protest-Personal hatte gewechselt.

Die Grünen schossen in der Burleske, wie immer, wenn es um Kleinigkeiten wie die Weltrettung geht, den Vogel ab. Appropos Vögel: Sie werden nicht vom Transrapid aber inzwischen zu Tausenden von grünen Windrädern zuverlässig geschreddert. Für die gute Sache müssen halt ein paar Opfer gebracht werden.

Solange der Transrapid nicht spruchreif war, solange moserten die Grünen in den Achtzigerjahren gegen ein modernes ICE-Netz für die Bundesrepublik. Mit der Deutschen Einheit stand der Transrapid plötzlich auf der Tagesordnung – wie die Einheit unerwartet und seitens der Grünen gleichfalls nicht erwünscht, 


Der Aufbau Ost, die Angleichung der Lebensverhältnisse in West und Ost, waren und sind ohne eine moderne Infrastruktur nicht denkbar. Zur Diskussion stand kurz die Möglichkeit, statt eines ICE-Netzes zwischen den Metropolen in Deutschland, ein Transrapidnetz zu bauen. Ökologisch sinnvoll mit 400 Stundenkilometern zwischen München, Frankfurt, Köln, Hamburg, Berlin, Dresden und München reisen – das wäre eine tolle Sache für den Innovationsstandort Deutschland gewesen. Sogar bis Wien und Budapest wurde gedacht.

Wir werden unbedarfter, dafür religiöser



Im Herbst 2004 legte ich auf der Dresdner Fachtagung „Transrapid“. Meine Überlegungen zum Thema dar:  „Der Transrapid – Synonym für ein blockiertes Land“ (siehe hier).

 Die Grünen vergassen angesichts der realen Aussichten auf ein Transrapid-System schlagartig alle Vorbehalte gegen den ICE: „Guter ICE gegen bösen Transrapid“ hieß dann der Schwank, der bis zum Meuchelmord am Transrapid durch den SPD-Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee im Jahre 2008 aufgeführt wurde.

Soweit zum BER, S21, Waldschlösschenbrücke und Transrapid. Wie geht es weiter? Ich neige zu Pessimismus vor dem Hintergrund des seit den Siebzigerjahren stetig sinkenden Verständnisses für naturwissenschaftliche Grundlagen im Bildungsbereich der Bundesrepublik. Der gewachsene Anteil grüner Parlamentarier in Deutschland verhält sich proportional zur steigenden Geringschätzung der Naturwissenschaften. Wir werden unbedarfter, dafür religiöser (Katrin Göring Eckhardt).



Die US-Amerikaner machen sich seit Jahren im Bereich Energie unabhängig. Wir merkeln‘s an den ungrün niedrigen Spritpreisen. Fracking heißt das Zauberwort dahinter, es gehörte sogar schon zu meinem Bohrstudium in der verblichenen DDR. 
Dass das mal ein Feindbild von modernen Maschinenstürmern in der freien Welt würde, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Dass die moderne Bundesrepublik alles daran setzen würde, ihren Vorsprung willentlich und wissentlich auf Kosten der eigenen Bevölkerung zu verspielen, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Atomausstieg als schwarzgrünes Antanzen für 2017

Nichts scheint unmöglich in einer Demokratie, auch der mehrheitlich angestrebte Rutsch in die Vormoderne nicht.

 Frau Merkel ist von Beruf Physikerin und betätigt sich metaphysisch. Es gab ein Seebeben – und dies war Grund genug, die kurz vorher beschlossene Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken nicht nur zurückzunehmen, sondern die gesamte Sparte zu enormen allgemeinen Kosten supergaumäßig zu erledigen – der spezifischen Spitzenforschung damit ebenfalls den Todesstoß versetzend. 

Der Kanzlerin ging es aber gar nicht um unsere strahlenfreie Zukunft. Es ging ganz profan um schwarzgrünes Antanzen für 2017. Merkels Brautgeld für die Grünen sind die Kosten und Belastungen der sogenannten Energiewende. Wir alle sind Teil des Brautgeldes, ob wir die Grünen nun heiraten wollen oder nicht. 



Bei dieser Gelegenheit ein Tipp an die SPD-Wahlkampfplaner: Hört endlich mit der Wählerumverteilung von der Sozialdemokratie zu den Grünen auf. Des Einen Zahltag ist des Anderen Auszahltag. Warten die SPD-Wähler bang auf die Jahresrechnung der Energiefirmen, jauchzen die grünen Dandies den Dividenden ihrer Windrad- und Solar-Investments entgegen – übrigens eine soziale Frage mit ganz neuem Oben und Unten. Da wird etwas zusammenkoalitioniert, was im Leben nicht zusammenpaßt, Stichwort Theorie und Praxis (Oder realsozialistisch für die Ostalkgiker unter uns Marx und Murks).

Aktuell war das ganze grün gefärbte Energiewende-Antanzen der Angela Merkel sinnlos. Das Wahlvolk weiß nicht, wer sich unter dem grünen Mantel der schwarzen Kanzlerin verbirgt. Selbst das Gesicht ist nicht als CDU-Gesicht zu erkennen, obwohl der grüne Mantel keine Burka ist.

 Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist eine zu Hysterie und Angst neigende Population. Die einen haben Angst vor Überfremdung. Das sind die Bösen. Die anderen haben Angst vor den Erfolgen ihrer eigenen Zivilisation. Das sind die Guten. Und die leben seit Jahrzehnten gut vom Angstmachen.

Vielleicht sollten die Deutschen beschließen: Gebaut wird nur noch, was binnen Jahresfrist fertig wird und niemandem wehtut. Oder wenn es schon wehtut, dann nur den Bösen (siehe oben, Windrad). Noch besser wäre die Unfehlbarkeitsentscheidung: Nur noch reparieren! Die Berliner S-Bahn lässt grüßen. Sollen uns doch die Anderen überholen. Überholen und Verbrauchen sind beide böse! Wir sind gut!

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Wilfried Cremer / 28.01.2017

Diese permanente Großprojektsabotage ist nicht nur das Ergebnis von politischen Machtspielchen, sondern im Grunde das Hauptsymtom einer pathologischen Wachstumsverteufelung, also eigentlich einer allgemeinen Lebensverachtung und letztlich sogar einer Art Selbstverdammung. Woher dieser Nihilismus stammt, darüber möge der geneigte Leser sich selbst seine Gedanken machen.

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