Wie kann es sein, dass ausgerechnet unsere Universitäten als vorgebliche Horte freien Denkens zu einem Biotop ideologisch motivierter Intoleranz und Ausgrenzung mutiert sind?“
Mit „Cave Canem“ (Vorsicht vor dem Hunde) warnten im alten Rom Hausbesitzer vor unbefugtem Zutritt. In Pompeji ist heute noch ein Fussbodenmosaik mit einem großen Hund und der Unterschrift „Cave Canem“ im „Haus des Tragödiendichters“ zu bewundern. Wer sich dennoch ungebeten Zutritt verschaffte, musste schmerzhafte Folgen einkalkulieren.
Bereits beim Lesen der ersten Seiten von Franca Bauernfeinds „Black Box/Biotop linker Ideologien“ kam mir der Gedanke an die altrömische Warnung vor dem Hunde in den Sinn. Unbedarft in der Hoffnung auf ungehinderten Wissens- und Kompetenzenerwerb sollten heute Studierwillige keine Universität mehr betreten. Dort gilt: „Cave Campus“/Vorsicht vor dem Campus“.
Hundebisse drohen nicht mehr, heute beißen Antifa, Wokisten, Sprach- und Denkpolizisten, geschützt von einer ängstlichen oder gar willfährigen Professorenschaft und einem in den woken Irrsinn transformierten Staat. Studieren heute heißt zuerst haltungsgerecht denken unter Ausschluss ideologisch unpassender universeller Forschungsansätze. Frühere Ostblockbewohner kennen das. Bei Wolfgang Leonhard in dessen „Die Revolution frißt ihre Kinder“ sind diese sehr progressiven Mechanismen unter „Kritik und Selbstkritik“ noch immer gut nachlesebar. Doch wie lange ist diese Literatur noch öffentlich lesbar? Wann kommen Bücher erneut in die „Giftschränke“ von Universitäten und Bibliotheken?
Franca Bauernfeind brachte mich bei der Lektüre ihres Buches (Verlag Langenmüller) schnell auf die Idee, mit den Stichworten Studenten/Universitäten in der deutschen Geschichte zu suchen. Da war doch was: 1817 Wartburgfest und 1832 Hambacher Fest.
1817 trafen sich auf der Wartburg vor allem Studenten und Professoren im Selbstverständnis als Avantgarde der freiheitlichen Nationalbewegung. Das Wartburgfest steht mit der Freiheits- und Nationalstaatsidee an wichtiger Stelle in unserer Geschichte. Und doch steht es auch für einen Makel der frühen Cancel Culture. „Die Festteilnehmer lehnten ab, was nicht in ihre deutschnationale Vorstellungswelt passte – und was dort keinen Platz fand, war in ihren Augen nicht wert, der Nachwelt überliefert zu werden.“ (Lebendiges Museum Online Lemo). Die Studenten verbrannten Bücher!
Studenten als Zaungäste
1832 kamen ungefähr dreißigtausend Menschen, Männer, Frauen, Handwerker, Studenten u.v.m. aus den deutschen Bundesstaaten, aus Polen, Frankreich und Großbritannien zusammen. War es das Gemisch aus viel werktätigem Volk und wenig Studenten? Das Hambacher Fest ging jedenfalls in die Geschichte würdiger als das Wartburgfest ein. Bücher wurden im Hambacher Schloß nicht verbrannt. Der Wunsch nach einem deutschen Nationalstaat in den Freiheitsfarben Schwarz-Rot-Gold gewann an diesen Tagen ohne studentische Cancel Culture an Fahrt.
„In den rund 20 gehaltenen Reden wurde dem Gedanken der nationalen Einheit neben der Forderung nach Freiheit, freier Meinungsäußerung und der Beseitigung der Fürstenherrschaft in besonderem Maße Raum gegeben. Fast alle Redner beschworen dabei den Geist republikanischer Brüderlichkeit und nachbarschaftlicher Freundschaft.“ (Lemo).
Es mag jetzt ein Stück ungerecht rüberkommen, aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, mit Studenten allein lassen sich Demokratie und Freiheit nicht auf die Beine stellen oder gar schützen. Intelligenz schützt vor Dummheit nicht.
Selbstverständlich weiß ich von den Studenten der Weißen Rose, vom Studentenpfarrer Georg-Siegfried Schmutzler in Leipzig und vielen anderen Studenten in der DDR, die in ihrer Zeit gegen Bevormundung und heute gegen Cancel Culture aufstanden bzw. heute sicher aufstehen würden. Doch war es eine Minderheit. Auch 1989 gingen Studenten mit auf die Straße, das jedoch, gemessen an des Volkes Anteil, welches Freiheit, Demokratie und Einheit wollte, als Minderheit. Die Studentenschaft der Leipziger Karl-Marx-Universität gehörte 1989/90 stärker zu den Zaungästen, eher zu den Restauratoren. Anderswo in der größten DDR der Welt war es nicht anders. Die Friedliche Revolution wurde von kritischer Jugend eher außerhalb der Universitäten getragen.
Wem gehört die Jugend?
Bauernfeinds Botschaft kam selbstverständlich nicht plötzlich und unerwartet auf mich zu. Seit Jahren beobachte ich die linken Gleichschaltungstendenzen im universitären Universum. Auch gibt es im familiären und befreundeten Bereich genügend Erfahrungen mit dem ideologisierten Griff des Totalitarismus nach der Macht über das Denken des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses.
Die Universitäten und Studenten werden seitens des demokratisch verfassten Staates im Stich und ungeschützt gelassen. Immerhin sind „auf dem Campus … die Führungskräfte von morgen. Das sind die angehenden Lehrer, die ihren Schülern später einmal eine politisch ‚korrekte‘ Gendersprache beibringen werden“ (S. 28). Der Staat scheinbar Hand in Hand mit seinen linken Feinden.
1989 jedenfalls war die mehrheitliche Botschaft gegen den Totalitarismus, sei er von Links oder von rechts kommend, gerichtet. Nie wieder, nie wieder Faschismus/realer Sozialismus, nie wieder Nationalsozialismus/Kommunismus!“ Heute muss die Forderung lauten: „Auch keinen grünen Kommunismus!“
„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ schrieb Der Stürmer 1935. Wenige Jahre später gehörte diese Weisheit zum Standardrepertoire der FDJ. „Die Zukunft gehört dem Sozialismus“ war dabei ein Zwilling dieser Weisheit. Wer das anders sah, der war rechts, Faschist, Revisionist, des Sozialdemokratismus verdächtig, bürgerlich degeneriert. Gehörte auf den Müll der Geschichte oder wenigstens in die Umerziehung in die sozialistische Produktion. Auf den Campus jedenfalls nicht. Denn dort regierte die Antifa in ihrer staatlichen Form. Heute treibt die Antifa das Spiel als Subunternehmer des alles gleichmachenden Anti-rechts-Staates.
Impotenz statt Kreativität
Franca Bauernfeind studierte im beschaulichen Erfurt zu Zeiten des linken Ministerpräsidenten Ramelow. Ihre Erfahrungen könnten allein auf diese Regierungszeit gemünzt sein. Tun sie aber nicht. So wichtig ist Herr Ramelow, der inzwischen Minderheitsministerpräsident ist, nun auch nicht. Bauernfeinds Erfurt steht für die deutsche Universitätslandschaft in Gänze. Passt du nicht dazu, bekommst du überall (siehe Kassel: „Professor skandierte Antifa-Schlachtruf im Hörsaal“ Bild 24.04.2024) dieselben Probleme und dieselben Schablonen in Lehrkörper und Studentenschaft. Impotenz statt freier Kreativität. So zieht man Staaten unter Niveau.
Höckes Thüringer CDU-Gegenkandidat Voigt unterscheidet sich an dem Punkt, wie die geneigte Leserschaft inzwischen weiß, nicht von den Gewalthabern der Cancel Culture. Social-Media-Lizenzen sollen, ginge es nach ihm, temporär vergeben werden. Regierungsamtliche Gefährdereinschätzungen sollen die Grundlage bieten, Internetnutzer aus der Kommunikation zu nehmen. Die Regierungen legen danach fest, wer sich öffentlich äußern darf. Voigt bewegt sich in seiner faktenarmen Not auf Meinungs-Unfreiheits-Wegen. Tor für Höcke, sehr geehrter Herr Professor Dr. Voigt.
Doch, es gibt auch Lichtblicke in der totalitär anmutenden Einödnis. Franca Bauernfeind bezieht sich auf das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit:
„Wir sind ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich für ein freiheitliches Wissenschaftsklima einsetzen. Darunter verstehen wir eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur und ein institutionelles Umfeld, in dem niemand aus Furcht vor sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen und Debattenbeiträge meidet.“ (Website des Netzwerkes).
Bauernfeind: „Von einem auf den anderen Tag, so fühlte es sich … an, waren wir als liberale und konservative, christdemokratische Studenten nicht mehr allein mit unserer Einschätzung über die seit Jahren zunehmende Einschränkung des Meinungskorridors“. (S. 177).
Freie Wahlen sind möglich
Noch leben wir in einer zugebenermaßen schwer unter Druck stehenden Demokratie. Das soll auch so bleiben! Deshalb bedarf es des Einsatzes vieler Kritiker der totalitären Anmaßung. Wer sich nicht einbringt, lässt andere machen. Die Autorin begann in Erfurt schnell ihren eigenen Weg zu gehen und erreichte mehr als Achtungserfolge.
Im Abschnitt „Plötzlich im StuRa“ schildert sie ihren ersten großen persönlichen Erfolg. Sie ging aus den Wahlen zum Studentenrat mit großem Abstand als Sieger hervor. Das, obwohl die totalitär agierenden Netzwerke den Wahlkampf beherrschten, die Abläufe beeinflussten. Das studentische Volk, welches zum Studieren nach Erfurt ging, zeigte, was es vom Agieren der Antifa hielt: Nichts!
Daraus folgt der Schluss, solange in dieser Republik freie Wahlen möglich und durchsetzbar sind, genauso lange bestehen die Chancen, der totalitären Anmaßung entgegenzustehen. Auch wenn es schwierig ist. Franca Bauernfeind wurde in geheimer freier Wahl gewählt. Doch als Vorsitzende fand sie sich in der Minderheit ihres Vorstandes wieder. Hätten sich mehr liberale, konservative Studenten wie Franca Bauernfeind eingemischt und kandiert, die totalitäre Anmaßung hätte wohl eine herbe Niederlage erlitten.
Franca Bauernfeind: „Black Box Uni – Biotope linker Ideologien“, 264 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, Klappenbroschur, ISBN: 978-3-7844-3697-5, bestellbar hier.
Gunter Weißgerber war Gründungsmitglied der Leipziger SDP. Für die SDP/SPD sprach er regelmäßige als Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90. Gunter Weißgerber war von 1990 bis 2009 Bundestagsabgeordneter und in dieser Zeit 15 Jahre Vorsitzender der sächsischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion (1990 bis 2005). Den Deutschen Bundestag verließ er 2009 aus freier Entscheidung. 2019 trat er aus der SPD aus. Die Gründe dafür erläutert er hier. Er sieht sich, wie schon mal bis 1989, wieder als „Sozialdemokrat ohne Parteibuch”. Weißgerber ist studierter Ingenieur für Tiefbohr-Technologie. Er ist derzeit Unternehmensberater und Publizist.
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