Georgia Meloni beginnt in Europa eine wichtige Rolle zu spielen. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben deutscher Medien.
Ja, darf das denn wahr sein? Ausgerechnet Giorgia Meloni, dieser Gottseibeiuns (diese Gottseibeiunsin?) des linken und grünen Gut-Europas, wird immer mehr eine der wichtigsten Frauen der EU? Vielleicht sogar zur Stütze unserer Ursula von der Leyen? Der Italien-Korrespondent der liberalen New York Times jedenfalls beschreibt die als Post-Faschistin verschriene italienische Premierministerin als klammheimliche Retterin des europäischen Zusammenhalts.
Ihr jüngstes diplomatisches Meisterstück war das Bezirzen des bockigen Ungarn Viktor Urban. Der gerne autoritäre Premierminister pflegt sein Außenseitertum in der EU und leidet zugleich darunter. Es herrscht weitgehende Kommunikationsstille zwischen ihm und dem moralisch feineren EU-Establishment. Wer aber kann mit ihm – sozusagen von Außenseiterin zu Außenseiter? Die rechte Giorgia. Ergebnis des politischen Flirts: Orban sperrt sich nicht länger gegen die längst überfällige Milliarden-Lieferung zur Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland. Jedenfalls nennt der New-York-Times-Korrespondent Jason Horowitz die Aufweichung des harten Orban vor allem einen Erfolg der Italienerin. Im offiziellen Brüssel wird die als etwas peinlich empfundene Post-Faschistin nicht so prominent herausgestellt.
Meloni ist ja auch als Anti-Europäerin und knallharte Euro-Gegnerin angetreten und ins Amt gekommen. Gut ein Jahr später spielt sie pragmatisch mit auf den EU-Instrumenten. Pragmatisch auch deshalb, weil sie weiß, dass Italien die Geldflüsse aus Brüssel dringend braucht. Aber als geschickte Mitspielerin hat sie direkt oder indirekt Einfluss auf das eine oder andere rechtsorientierte Sorgenkind Europas. So kriegt auch die russlandfreundliche Französin Marine Le Pen gerade ganz langsam die Kurve und geht schrittweise auf Distanz zu Putin. Dank Meloni? Sicherlich eher indirekt, also mit Bande über Budapest. Aber immerhin.
Behutsam so etwas wie eine wunderbare Frauenfreundschaft
Selbst zu Ursula von der Leyen entwickelt sich ganz behutsam so etwas wie eine wunderbare Frauenfreundschaft. Die deutsche Kommissionspräsidentin steht demnächst zur Wiederwahl an, und Giorgia Meloni wird sich ihr diesmal wohl nicht verweigern. Man scheint gemerkt zu haben, was man voneinander hat.
Ihr klassisch rechtes Hauptthema, der Kampf gegen die überbordende Einwanderung, ist nicht nur in Italien populär, sondern inzwischen zum europäischen Mainstream geworden. Die zaudernde und ohnehin wackelnde deutsche Regierung spielt bei diesem Thema in Europa zur Zeit keine ernst zu nehmende Rolle. Selbst im eher linken Skandinavien werden ja Notbremsen gezogen. Hier hat Meloni die Außenseiterrolle längst an andere abgegeben. Im Gegenteil: Als geografische Nachbarin zu Afrika ist sie quasi Vorreiterin.
Dass sie gegen den EU-Zentralismus kämpft und für mehr nationale Eigenständigkeit, ärgert die Brüsseler natürlich. Aber außerhalb von Brüssel verschafft ihr das eher Freunde. In Bayern nennt man Melonis Haltung „Subsidiarität“. Als Gegenstück zur Brüsseler „immer engeren Union“. In diesem Kampf um zwei schwer zu vereinbarende europäische Prinzipien könnte die Italienerin also sagen: „Ich bin eine Bayerin.“
Aber darf sie das? Als Schmuddelkind eine führende Rolle in Europa spielen? Als mäßigender Einfluss auf Europas rechte Ausreißer? Als Partnerin der Kommissionspräsidentin? Es sieht, folgt man dem liberalen New Yorker Korrespondenten, ganz so aus. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben wichtiger deutscher Medien.
Rainer Bonhorst arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.