Das geplante „Selbstbestimmungsgesetz" zum einmal im Jahr änderbaren Geschlechtseintrag wirft viele brisante Fragen auf. Das Eckpunktepapier der Bundesregierung mit seiner Ankündigung beantwortet aber keine einzige.
In Erfüllung einer Vereinbarung des Koalitionsvertrags haben das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – also alle außer alleinstehenden Männern mittleren Alters – und das Bundesministerium der Justiz ein Eckpunktepapier zum geplanten „Selbstbestimmungsgesetz“ vorgelegt. Dieses Papier hat es in sich, und zwar gar nicht so sehr in seiner Radikalität, sondern in seinem sich selbst zelebrierenden Unwillen, die interessanten Fragen des Vorhabens zu beantworten oder auch nur zu benennen. Man feiert sich in seiner Geschlechtergerechtigkeit und Buntheit, und wirklich jede interessante Frage wird den bedauernswerten Beteiligten und Gerichten zur Klärung überlassen, oder jedenfalls den Ausschüssen, die das Gesetz fertigstellen sollen.
Die Verrücktheit fängt schon beim Namen an: „Selbstbestimmungsgesetz.“ Eigentlich sollte ja bei einem Gesetzgeber, der sich Artikel 2 des Grundgesetzes verpflichtet fühlt, jedes Gesetz ein Selbstbestimmungsgesetz sein. Was aber wird nun spezifisch unter diesem Titel angepriesen? Ein Gesetz mit einer „einheitliche Regelung für alle transgeschlechtlichen sowie nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen[,] die ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern wollen.“ Diese Möglichkeit also, eine Änderung gewisser Eintragungen, vornehmlich des Geschlechts, in einem amtlichen Register, ist in der Vorstellungswelt der Bundesregierung der Gipfel menschlicher Autonomie und Persönlichkeitsentfaltung, der es rechtfertigt, das zugehörige Gesetz einfach nach der Selbstbestimmung zu benennen.
Sexus, Genus, Gender und Geschlechtseintrag
Nun ist es mit dem Wort „Geschlecht“ so eine Sache. Es gibt den Sexus, das biologische Geschlecht, am grundsätzlichsten definiert durch zwei Sorten Keimzellen, von denen der Erzeuger der größeren weiblich, der Erzeuger der kleineren männlich genannt wird. Will man über dieses Unterstufenwissen Biologie heute einen Vortrag halten, dann wird der wegen Gewaltandrohungen kanzelliert.
Es gibt das Genus, das grammatische Geschlecht, das eine Kongruenz zwischen Substantiven und anderen auf diese Substantive bezogenen Wörter bezeichnet. Die etwas unglückliche Bezeichnung „Geschlecht“ dafür kommt aus einer Zeit, in der dieses Wort noch häufiger in der Bedeutung „Familie“ wie etwa „von dem Hause und Geschlechte Davids“ verwendet wurde. Dieses Genus haben Wörter, nicht Personen, sodass ein und dieselbe Person „der Michael“, „die Firmenleitung“ und „das Präsidium“ sein kann, jeweils mit passender Deklination zugehöriger Adjektive. „Der Sessel“ ist nicht phallischer geformt als „die Stange“, und es gibt auch Sprachen, in denen das Genus gar keinen Bezug zum Sexus hat. Das Pronomen, das man sich heute gern auf die Visitenkarte schreibt, definiert nicht durch sein Genus die Identität der bezeichneten Person als Referenten, sondern setzt diese Identität gerade als bekannt oder jedenfalls in wenigen Wörtern nachzuliefern voraus.
Neuerdings gibt es im Deutschen auch das Gender. Ursprünglich ist das ein englischer Begriff für das Genus, der über das Französische aus diesem Wort entstand, genau übrigens wie das Genre. Dieser Begriff wurde der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von amerikanischen Akademikern der Grammatik entlehnt, wo er im Englischen der grammatischen Vereinfachung wegen kaum noch gebraucht wird, und neu als soziales Geschlecht oder Geschlechterrolle belegt, insbesondere durch Judith Butler in einem performativen Verständnis. Daraus erwuchsen Fakultäten und Lehrstühle für Gender Studies mit eher zweifelhafter intellektueller Produktivität, und so kam der Begriff ins Deutsche zurück. Die Verwendung des englischen Wortes „Gender“ anstatt der bereits im Deutschen eingeführten Form „Genus“ oder der deutschen Alternative „Geschlecht“ scheint mir dabei auch eine pseudowissenschaftlich-verschleiernde Funktion zu haben. Wer wollte schon Eltern erklären, dass der Lehrer mit ihren Kindern jetzt das „Geschlechtern“ oder das „Genussieren“ einüben wolle?
Das Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz bezieht sich nun auf eine nochmals andere Variante des Geschlechterbegriffs, die man in Zukunft durch eine Erklärung beim Standesamt ändern können soll, nämlich den „Geschlechtseintrag“ und mit ihm den Vornamen. Dieser Geschlechtseintrag unterscheidet sich von „Gender“ als geschlechtstypischer oder -untypischer Performativität dadurch, dass eine Veranlassung zu Erfassung und Speicherung der Geschlechter aller Bürger, damit zu einem Geschlechtseintrag beim Standesamt, eigentlich nur insoweit besteht, als dass aus dem eingetragenen Geschlecht Rechtsfolgen von einiger Bedeutung entstehen. Er ist damit also weder identisch mit dem Sexus noch mit dem Gender, sondern es soll eine neue Form der rechtlichen und willkürlich änderbaren Geschlechtlichkeit der Menschen geschaffen werden.
Feuerwehr
Bisher knüpfte dieser Geschlechtseintrag an den Sexus, das biologische Geschlecht, an. Wehrpflichtig beispielsweise wird man nicht durch ein besonders männliches oder weibliches Auftreten, sondern durch das biologische Geschlecht als Mann samt entsprechendem Eintrag. Eine Ausnahme bot das Transsexuellengesetz, das aber absichtlich so hohe Hürden verlangte, von Kritikern durchaus zu Recht als schikanöse Zumutungen bezeichnet, dass seine praktische Bedeutung gering blieb.
In Zuge der vom Grundgesetz geforderten, wenn auch nicht konsequent umgesetzten, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie der allgemeinen Ablehnung von Ständeunterschieden im modernen Staat wurden auch die Rechtsfolgen des Geschlechtseintrags mit der Zeit immer weniger. Man darf heute unabhängig vom Geschlecht wählen, ein Geschäft betreiben, Verträge schließen, sogar unabhängig vom Geschlecht des Partners heiraten. Auch bei der ja doch eher noch mit der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Geschlechter in Zusammenhang stehenden Feuerwehrpflicht entschied das Bundesverfassungsgericht schon 1995, dass eine Beschränkung auf Männer unzulässig sei, denn der körperlichen Leistungsfähigkeit könne „durch eine auf die individuelle Konstitution abstellende Tauglichkeitsuntersuchung Rechnung getragen werden“.
Gleichzeitig wurden allerdings einige neue rechtliche Unterscheidungen von Männern und Frauen getroffen, typischerweise mit der Begründung, nur so tatsächlich bestehende Unterschiede überwinden zu können. Das Bundesgleichstellungsgesetz beispielsweise sieht ironischerweise vor, dass nur Frauen Gleichstellungsbeauftrage werden dürfen. Brandenburg wollte eine gesetzliche Frauenquote für Wahllisten einführen, wurde aber wegen der Verfassungswidrigkeit dieses Vorhabens zurückgepfiffen. Die Förderung des Frauensports bei Leistungsanforderungen, die erheblich unter denen für Männer liegen, ist ebenfalls eine gewollte Ungleichbehandlung, und in ähnlicher Weise wurden Zugangsvoraussetzungen zu körperlich anstrengenden Berufen wie Soldat oder Polizist mit der Öffnung dieser Berufe für Frauen nach Geschlecht ausdifferenziert.
Wenn man nun aber das für all diese rechtliche Folgen entscheidende Geschlecht, den Geschlechtseintrag, nicht mehr an das biologische Geschlecht anknüpft, sondern an eine reine Erklärung vor dem Standesamt, die weder mit Fakten des biologischen Geschlechts noch mit sozialen oder performativen Geschlechterrollen übereinstimmen muss, dann stellt sich die Frage, auf welcher Basis man sowohl überkommene als auch neu eingeführte rechtliche Ungleichbehandlungen der Geschlechter weiter rechtfertigen will. Bei rechtlichen Unterschieden aufgrund eines frei durch Erklärung zu wählenden Geschlechts werden die Bürger in zwei Stände mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten eingeteilt, und einmal im Jahr soll man nach dem Eckpunktepapier den eigenen Stand wechseln dürfen. Das erscheint gleichermaßen absurd wie willkürlich und wirft offensichtliche verfassungsrechtliche und praktische Fragen auf, die wir nun in einigen Beispielen behandeln wollen.
Bundeswehr
Die vielleicht am klassischsten mit Geschlechterunterschieden verbundene Tätigkeit ist die des Soldaten. Die Männer ziehen in den Krieg, die Frauen und Kinder nicht, sondern werden höchstens passiv dessen Opfer oder erbringen zivile Unterstützungsleistungen. In Wehrpflichtarmeen tun die Männer das auch nicht unbedingt aus freiwilligem Entschluss, sondern werden zwangsverpflichtet. Die Wehrpflicht in Deutschland besteht noch immer und besteht noch immer nur für Männer, auch wenn sie ausgesetzt ist. Während bei der Feuerwehrpflicht eine allgemeine Geschlechterdiskriminierung zugunsten einer individuellen Tauglichkeitsprüfung vom Verfassungsgericht verworfen wurde, wurde das inkonsequenterweise bei der Wehrpflicht nicht getan.
Es läge nun aber eine offensichtliche und wohl weder rechtlich noch politisch haltbare Ungleichbehandlung vor, wenn sich biologische Männer durch einen einfachen Gang zum Standesamt der Wehrpflicht, sollte sie wieder aktiviert werden müssen, entziehen könnten. Es ist nicht haltbar, wenn die einen mindestens ein Jahr ihrer Karriere und ihrer Freiheit verlieren, im Ernstfall möglicherweise in brutale und verlustreiche Kämpfe geschickt werden, und andere nicht mittun müssen, aus dem einzigen Grund, dass sie eine ansonsten folgenlose Erklärung vor dem Standesamt abgegeben haben. Bei dieser Situation dürfte auch im Falle eines unpopulären Krieges der Andrang vor den Standesämtern enorm werden, und die Motivation derer, die sich noch nicht zu Frauen erklärt haben, dürfte drastisch absinken. Wie gedenken die Ministerien hinter dem Eckpunktepapier und der Gesetzgeber mit dieser Frage umzugehen? Wir wissen es nicht.
Während viele den Militärdienst zu vermeiden versuchen, hat er gleichzeitig doch auf manche Menschen eine magische Anziehung und Soldatsein ist für viele Soldaten weit mehr ein Aspekt ihrer Identität als es immer exotischere Geschlechteridentitäten für andere Menschen sind. Im Jahre 2000 hat eine Frau erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof um Zugang zu den Kampftruppen der Bundeswehr geklagt, worauf Deutschland auch tatsächlich das Grundgesetz abänderte, um Frauen den Dienst an der Waffe zu ermöglichen, allerdings im Gegensatz zu Männern freiwillig. Die Anforderungen für Frauen wurden dabei vereinfacht.
Ein Teil des Basis-Fitness-Tests der Bundeswehr, den jeder Soldat bestehen sollte, ist der Klimmhang – auf den Klimmzug verzichtet man bereits, was für eine Freiwilligenarmee schon für sich beachtlich ist. Bei diesem Klimmhang bekommen Frauen nun einen Bonus von ganzen 40 Prozent, was in der Bewertung den Unterschied zwischen „sehr gut“ und „zufriedenstellend“ macht. Wie gedenken die Ministerien Bewerber und Angehörige von Bundeswehr oder auch Polizei zu behandeln, die biologisch Männer sind, sich aber zu Frauen erklärt haben? Soll doch wieder auf das biologische Geschlecht rekurriert werden? Welche Auswirkungen hätte es auf die Kameradschaft und damit die Leistungsfähigkeit der Truppe, wenn manche Männer sich durch eine Geschlechtserklärung als Frauen verringerte Anforderungen verschaffen und durchgefallene Männer vor den Scherben ihres Traumes angrinsen würden? Das Eckpunktepapier weiß nichts dazu.
Schwergewichtsboxen der Frauen
Wie steht es um die staatliche Sportförderung? Das Eckpunktepapier entzieht sich offen der Frage des Frauensports: „Entscheidungen zur Frage der Teilnahme z.B. von transgeschlechtlichen Sportler:innen trifft der autonom organisierte Sport in eigener Zuständigkeit.“ Dieses Wegschieben der Verantwortung erledigt sich aber spätestens da, wo der Sport staatlich organisiert und finanziert ist.
Am drastischsten stellt sich diese Frage wieder bei Sportfördergruppen der Bundeswehr und der Polizeien, die einen erheblichen Teil der deutschen Olympioniken stellen. Wie gedenkt man mit einem biologischen Mann umzugehen, der in seinem Sport schon ziemlich gut ist, im Vergleich zu Frauen auch Spitzenleistungen erbringt, im Vergleich zu Männern aber nicht wirklich zur Spitze vorrücken kann? Muss der als Frau in eine Sportfördergruppe aufgenommen werden, damit einer biologischen Frau ein Platz genommen werden, nur weil er sich auf dem Standesamt zur Frau erklärt hat? Ändert sich die Antwort mit den Zugangsvoraussetzungen zu internationalen Wettkämpfen, womit irgendwelche ausländischen Sportfunktionäre indirekt über den Zugang zu Bundeswehr und Polizei entscheiden würden? In nicht ganz so drastischer Form stellt sich das gleiche Problem auch bei der Vergabe von Fördergeldern. Sollen die auch an Verbände gehen, die nach biologischem Geschlecht unterscheiden, mithin also gegen nach Selbstbestimmungsgesetz umgemeldete Frauen diskriminieren? Das Eckpunktepapier weiß nicht nur nichts dazu, es schiebt die Frage offen und bewusst weg.
Ähnliche Fragen stellen sich sogar im Sport, wo der Staat nicht direkt beteiligt ist. Das Eckpunktepapier sieht nämlich vor: „Das Gesetz wird ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot enthalten.“ Wie nun? Nehmen wir an, ein muskelbepackter Hüne meldete sich unter Vorlage eines Personalausweises mit Eintrag als Frau zum Schwergewichtsboxen der Frauen an, und allein schon die Länge seiner Arme verwehre seinen Gegnerinnen die Gewinnchance. Darf der Veranstalter in diesem Fall das biologische Geschlecht der Teilnehmerin ausforschen und offenbaren, oder fällt das unter das Verbot? Muss der Veranstalter darauf warten, dem biologischen Mann den Sieg zuzusprechen, nachdem die biologischen Frauen entweder wegen der offensichtlichen Ungerechtigkeit und Gefahr gar nicht angetreten sind oder nachdem der biologische Mann eine biologische Frau halbtot geschlagen hat? Das Eckpunktepapier weiß nichts dazu.
Frauenhaus und Frauenknast
Auch zu der wesentlich empfindlicheren Frage besonders geschützter Räume für Frauen schiebt das Eckpunktepapier die Entscheidungen offen vor sich hin:
Es wird weiterhin darauf geachtet werden, dass Schutzbereiche für vulnerable und von Gewalt betroffene Personen nicht missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Gewalttätige Personen gleich welchen Geschlechts haben z.B. wie bisher keinen Zugang zu Frauenhäusern. Zugangsrechte zu Frauenhäusern richten sich weiterhin nach dem jeweiligen Satzungszweck der privatrechtlich organisierten Vereine.
Wie will man damit umgehen, wenn biologisch männliche Straftäter vor Haftantritt in der Hoffnung auf günstigere Haftbedingungen durch einfache Erklärung vor dem Standesamt ihren Geschlechtseintrag ändern? Wie will man damit umgehen, wenn es sich um einen verurteilen Vergewaltiger handelt? Man wird ja schlecht sagen können, dass gewalttätige Personen gleich welchen Geschlechts keinen Zugang zu Haftanstalten haben dürfen. Wie sollen Frauenhäuser mit dem bußgeldbewehrten Ausforschungs- und Offenbarungsverbot umgehen? Soll wirklich eine Frau, die vor einem gewalttätigen Mann in ein Frauenhaus geflohen ist, mit einem Bußgeld bestraft werden, nur weil sie offen sagt, dass es ihr unangenehm ist, dass auch ein offensichtlicher Mann da eingezogen ist, der ihr suspekt ist? Das Eckpunktepapier weiß nichts dazu.
Von Alice Weidel zu Alice Schwarzer
Zu allen wirklich interessanten Fragen weiß das Eckpunktepapier mit seiner Ankündigung des auf dem Standesamt einmal im Jahr änderbaren Geschlechtseintrags nichts. Diese Fragen werden teils nicht angesprochen, teils offen fortgeschoben, und, sollte das Gesetz wie angekündigt kommen, den Beteiligten sowie den Gerichten vor die Füße geworfen. Die wiederum werden sich mit erheblichem Druck konfrontiert sehen, in den Medien oder gar physisch wegen angeblicher „Transfeindlichkeit“ angegangen zu werden.
Im Grunde gäbe es zwei Möglichkeiten zum Umgang mit dem Geschlecht im Recht:
Einerseits könnte man einen konsequent liberalen Ansatz dahingehend verfolgen, dass der Staat gar keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern macht und auch keine Einrichtungen finanziert, die einen solchen Unterschied machen. Das Faktum der Schwangerschaft könnte davon unberührt bleiben. Frauen könnten dann genauso wie Männer Panzergrenadier werden, müssten es auch im Falle einer wiederauflebenden Wehrpflicht, wenn sie eben so leistungsfähig sind wie zum Panzergrenadier geeignete Männer. In der Praxis wären die meisten Frauen also ausgeschlossen. Das wäre in gewisser Weise ungerecht, aber auch nicht ungerechter als der Umstand, dass ein Mann von 1,50 Metern Körpergröße und schmächtigem Bau nicht Panzergrenadier werden kann, und einer von 2,20 Metern Körpergröße, der in keinen Schützenpanzer hineinpasst, auch nicht. Analog könnte man im Sport verfahren, mit dem faktischen Ende des Frauensports, jedenfalls seiner staatlichen Förderung. Häftlinge könnte man unabhängig vom Geschlecht nach Gefährlichkeit einsortieren, vermutlich dann ausschließlich in Einzelzellen. Im Falle eines solchen konsequent liberalen Ansatzes bräuchte man auch nicht die Scharade eines willkürlich wählbaren Geschlechtseintrags in amtlichen Datenbanken, sondern man könnte sagen, dass das den Staat schlichtweg nichts angeht, genauso wenig wie bevorzugte sexuelle Praktiken, Bekleidung, Haarschnitt usw. eines Bürgers.
Andererseits und realistischer könnte man sagen, dass der kleine Unterschied eben doch biologisch determiniert ist und bisweilen große Folgen in Rechtsverhältnissen haben darf und manchmal sogar soll. In diesem Fall braucht man aber auch keine Erfassung, welchen Geschlechtseintrag eine Person dieses Jahr gerade präferiert, sondern eben eine des biologischen Geschlechts, mit der dann gewisse Schutzräume oder vereinfachte Anforderungen für Frauen verknüpft sind. Es gibt gute Gründe, im liberalen Rechtstaat mit solchen Unterscheidungen vorsichtig zu sein und sie – wo möglich – gering zu halten, aber es dürfte auf absehbare Zeit ein breiter gesellschaftlicher Konsens von Alice Weidel bis Alice Schwarzer bestehen, dass mindestens in bestimmten Bereichen der Gesellschaft solcherart Diskriminierung besser ist als der Verzicht auf sie, auch wenn sie wiederum zu Ungerechtigkeiten führt.
Es bleibt der Gesslerhut
Gleich welchen dieser Ansätze man für richtig hält, die Erfassung und Speicherung eines Geschlechtseintrags, den man einmal im Jahr ändern darf, bleibt eine nutzlose Scharade. Im Zweifel, bei allen Dingen, bei denen wirklich etwas am Geschlecht hängt, wird man entweder die Dinge so regeln müssen, dass das Geschlecht gar nicht von Bedeutung ist oder eben doch wieder auf das biologische Geschlecht rekurrieren müssen, mit praktisch wenig bedeutsamen Ausnahmen, die jedenfalls nicht an einer reinen Erklärung vor dem Standesamt hängen werden, sondern an anderen vorgefundenen oder geschaffenen und beobachtbaren, namentlich physischen, Fakten.
Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit, wie das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ der Bundesregierung nicht auf die Füße fallen kann: Es ist so blöde, dass nicht einmal Provokateure es praktisch nutzen werden, dass nicht einmal männliche Sexualstraftäter sich in den Frauenknast, nicht einmal gescheiterte männliche Sportler sich in die Förderung des Frauensports einklagen werden. So ähnlich lief es mit dem schon sprachlich und logisch absurden Geschlechtseintrag „divers“. Divers kann nur eine Gruppe sein, kein Individuum, sodass es unter der Annahme, dass Individualität und Geschlechtsidentität überhaupt sinnvolle Kategorien sind, kein „diverses“ Geschlecht ein und derselben Person geben kann. Deutschlandweit sollen weniger als 400 Personen, 0.0005 Prozent der Bevölkerung, diesen Eintrag nutzen. Geblieben ist das „m/w/d“ in Stellenanzeigen als reiner Gesslerhut, den man zur Vermeidung von Strafe grüßt.
Auf eine ähnliche Harmlosigkeit wegen Blödheit sollte sich die Bundesregierung beim „Selbstbestimmungsgesetz“ aber nicht verlassen. Für die nicht unmittelbar Beteiligten könnte die erste Schwergewichtsboxer„in“ mit stark behaarter Brust, Oberarmen wie Baumstämmen, 1,90 Metern Körpergröße und 110 Kilogramm Gewicht immerhin unterhaltsam werden. Die erste Vergewaltiger„in“ mit ähnlichem Körperbau im Frauenknast wird es für die Beamten und Insassinnen eher nicht sein.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder.