Henryk M. Broder / 30.04.2020 / 17:00 / 0 / Seite ausdrucken

Muß man denn ins Ausland reisen?

Original-Vortrag, Text und Melodie von Otto Reutter, 1929

1.
Gern ins Ausland reist der Deutsche,
er verbringt die Ferien da,
schweift zu gerne in die Ferne, --
und das Gute liegt so nah.
Kannst auch in der Heimat reisen!
Schon die Urmark ist zu preisen:
Brandenburch (soll heißen: Brandenburg) am Havelstrande,
jrünes Land auf weißem Sande.
’s herrscht ein fröhlicher Verkehr da,
dicht bewohnt ist’s Havelland -
Häuser steh’n wie Sand am Meer da,
bloß sie steh’n da mehr am Sand.

2.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Schau den Hoorz (Harz) voll Poesie.
und ganz korz, glich hingerm Horze
läht doch 's Eichsfeld dichte bi. 
Kannst auch nach Hannover fähren,
därfst den Späß, dir nicht erspären,
stehst auf staunend am Kanäle,
gehst spazier'n zum Lindentäle -
Grüßt de Däm' - die sind da spröde,
strotzen älle von Moräl -
wenn du eine küßt, sägt jede:
„Gräde heut' ist's erste Mäl"

3.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Hat nicht Sachsen seinen Reiz?
Gann dich Dräsden denn nich dresten,
Weißer Härsch und Sächs’sche Schweiz?
Und die große Seestadt Leipzig -
sucht man da geen'n Zeitvertreib sich?
Man drinkt "Gose" - man bekneipt sich,
drückt e Weib sich - an den Leib sich.
Ja, die Frau'n dort, - scheen gewachsen -
kissen sieß, ob alt, ob jung.
Jeder Jingling griegt in Sachsen
„sachsuelle" Aufglärung.

4.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Is dir nich et Rheinland fremd?
Wo man Wein trinkt, wo der Rhein blinkt,
wo die Lorelei sich kämmt?
Wo der Tünnes und der Schäl is,
wo so mänche jecke Keel [verrückter Kerl] is,
wo man singt beim Saft der Reben:
„Nur am Rhein, da möcht' ich leben!"
Muß man da ins Ausland gehen?
Die Besatzung schau' am Rhein,
kannst noch hück (noch heut') Ausländer sehen -
soviel brauch'n et jar nich sein.

5.
Muss man denn ins Ausland reisen?
`s Bade-Ländle, `s Schwäble-Reich
is doch auch scheen, des muscht auch seh'n -
da muscht hinfahr', aber gleich.
Kannscht der Schwarzwald dir betrachte,
Karlsruh' isch nit zu verachte.
Heidelberg kann auch nix schade -
kannscht in Bade-Bade bade -
Fährscht nach Friedrichshafe, wo de 
mit dem Zepp'lin steigscht in d’ Höh'
und denkscht: Wenn i auf de Bode 
seh, seh' ich der Bodesee.

6.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Wenn ich nun von Hamborg s-prech?
Wer die Hanse-S-tadt sich ansah,
ist doch auch zufrieden, nech?
Jungferns-tieg, Sankt-Pauli-Rummel,
Alster, Elbe, Hummel-Hummel --
und das ganze Schiffahrtstreiben –
ja, da gibt’s kein S-tehenbleiben - -
Bismarck schaut als Roland nieder 
und hä sächt mit frohem Maut:
„Kinners, mookt dat man so wider,
dann wärd allens wedder gaut."

7.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Frankfort is doch aach net schlecht.
Ariadne - Palmengadde,
`s Haus vom Geede (Goethe), ahid un echt.
Un vom Rothschild, dem bekannten,
trifft man aach noch viel Verwandte -
un`de Bärs (Börse), 's is net geloge -
voller wie die Synagoge - - -
Und in Thüring`n, da liecht Waimar. (Das a ist recht gedehnt auszusprechen)
Da ist`s frailich wunderbar -
Wenn in Waimar man im Mai war,
frait man sich doch 's ganze Jahr - - -
(recht langsam hinzusetzen)
wai mar mal in Waimar war.

8.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Astpreißen (Ostpreussen) ist auch kein Quark -
solche Reisen mußte preisen:
Tilsit, Eylau, Kenigsbarg -
nach Astelbien mußte laufen,
mußte e Rittergut dir kaufen,
`s gibt da grauße Landerstracken,
kannst dein Jald im Drack verstacken -
hast im Harbste daine Freide:
wenn de alles eingerafft,
dann verkaufst du dein Getreide
und - schimpfst auf die Landwirtschaft.

9.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Steht nach Bayern nicht dein Sinn?
Ja, die Leit dort ham a Freid dort,
da bist schon im Ausland drin -
Kriegst in Nürnberg große Haxerln,
zum Gebirg' kannst aufiekraxerln.
Bei der Kirchweih', da kannst raufen -
und im Hofbräuhaus kannst saufen -
Hast zum Schluß du nix zum beißen,
geht dir 's Geld zur Heimfahrt aus,
dann sag' nur, du bist aus Preißen,
da fliegst schon von selber raus.

10.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Hat Berlin denn Konkurrenz?
Mit die Landschaft mach' Bekanntschaft:
Resedenz und Intell'jenz.
Wo der Kreuzberg unter dir is, (seine geringe Höhe andeutend)
wo im Tiergarten keen Tier is,
wo de Panke ohne Strom is,
wo im Jrunewald keen Boom is. -
Passt et dir nich Untern Linden,
kannste nach dem Westen jehn -
kannst da alle Völker finden -
kannst ooch mal`n Berliner seh'n.

11.
Muß man denn ins Ausland reisen?
Ist Westfalen nicht chanz fein?
Brukst in Mäcklenborg du mäkeln?
Muß grad Hesse hässlich sein?
Fahr' a brinkel ook nach Schlesien -
bist ook da schon mal gewesien? - -
Fahr nur fort, in höchsten Weisen,
Auslandsreisen nur zu preisen -
Singst doch schließlich andre Lieder,
fern, von Sehnsucht übermannt:
„Nach der Heimat möchte` ich wieder,
nach dem teuren Vaterland!“
 



Link zum Fundstück

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 21.05.2024 / 12:00 / 29

Ab nach Kassel!

Neues aus Kassel. Eine israelische Kunsthistorikerin bekommt eine Gastprofessur und erklärt ihren Gastgebern als erstes den Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus. Es gibt tatsächlich einen,…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 26.01.2024 / 12:00 / 70

Frau Assmann denkt über 1945 hinaus

Eine „Expertin für Erinnerungskultur“ möchte die Erinnerung an die Shoa mit der an die Nakba verbinden. Den Palästinensern wäre mehr geholfen, wenn Deutschland ihnen ein…/ mehr

Henryk M. Broder / 17.01.2024 / 06:15 / 91

Der Unsinn, aus dem Antisemitismus-Beauftragte gebacken werden

Gleich nach dem Influencer, dem Eventmanager und dem Insolvenzberater ist „Antisemitismusbeauftragter“ ein Beruf mit Zukunft. Der Antisemitismus hat Hoch-konjunktur, und da braucht man ausgewiesene Experten…/ mehr

Henryk M. Broder / 02.01.2024 / 14:00 / 50

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts: Chr. Str.

Christian Streich, seit 2012 Cheftrainer des FC Freiburg, ist vor allem dafür bekannt, dass er sich gerne „einmischt“ und „Stellung bezieht“. Denn: Sich einmischen und…/ mehr

Henryk M. Broder / 25.12.2023 / 14:00 / 49

Svenja Schulze im Spendierrausch

Die Tagesschau meldet: „Während im Gazastreifen weiter die Waffen sprechen, bereist Entwicklungsministerin Schulze die Region. Bei einem Besuch in Israel und im Westjordanland will sie…/ mehr

Henryk M. Broder / 21.12.2023 / 16:00 / 6

Efraim Habermann: 19.6.1933 – 19.12.2023

Der Fotograf Efraim Habermann ist mit 90 gestorben. Ein kultivierter Herr, der noch auf Aussehen und Umgangsformen achtete, das Haus nie ohne Krawatte und Einstecktuch verließ. Statt eines…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com