Ulli Kulke / 29.05.2022 / 12:00 / Foto: Threedots dead / 115 / Seite ausdrucken

Freier Schuss und freie Fahrt

Die USA haben ein weltweit einzigartiges Waffenrecht, Deutschland einzigartige Autobahnen – nämlich welche ohne Tempolimit. Aufschlussreich ist ein statistischer Blick auf die Todeszahlen, die sich aus diesen Alleinstellungsmerkmalen ergeben.

Gleich zwei Amokläufe in den USA innerhalb von gut einer Woche: Einmal zehn Tote, einmal neunzehn. Alle Welt schüttelt über die USA den Kopf. Mal wieder. Wie immer, wenn ein Täter in Amerika gleich reihenweise Menschen erschossen hat. Man fragt sich unwillkürlich: Zum wievielten Mal eigentlich schon in diesem Jahr? Warum schafft man es in Amerika nicht, anders als in den anderen zivilisieren Ländern der Welt, dem freien, unkontrollierten Waffenbesitz für jedermann Einhalt zu gebieten?

Mit fast 400 Millionen ist knapp die Hälfte aller weltweit privat besessenen Waffen in der Hand von US-Bürgern, der Spitzenwert. Die Inder liegen hier mit weniger als einem Fünftel davon (71 Millionen) an zweiter Stelle, sie sind aber auch viermal so viele Menschen. Massenhafter Waffenbesitz und „Mass shooting“ – ein Alleinstellungsmerkmal der US-Amerikaner?    

Doch auch über ein anderes Land schüttelt die Welt den Kopf: über Deutschland, auch über ein weltweites Alleinstellungsmerkmal. Anders als in – ebenfalls fast allen anderen hochzivilisierten – Ländern meint man bei uns, ohne generelles Tempolimit auf den Autobahnen auszukommen. Die Nachbarn in Europa kennen das vielleicht ein wenig, wenn sie sich mal auf unseren Schnellstraßen tummeln, ziehen den Kopf ein und sind froh, wenn sie wieder die entspannte Atmosphäre auf ihren heimischen Bahnen erreicht haben. Die meisten jedenfalls. Anders ist es, wenn zum Beispiel jemand aus den USA, dem Land des freien Waffenbesitzes, der solche Hektik im Verkehr nun gar nicht gewohnt ist, im Land der „freien Fahrt für freie Bürger“ auf unsere Autobahn kommt. Der steht dann bisweilen Todesängste aus.

Natürlich gibt es auch Geschwindigkeit-Freunde, die eigens nach Deutschland kommen, um hier ihren Rausch ausleben zu können. Genauso wie es Zeitgenossen gibt, die nach Amerika fahren, um dort unbehelligt herumzuballern.

Was sagt die Statistik?

Auf deutschen Autobahnen stellte man im Jahr 2018 (neuere Daten fand ich in dieser Spezifikation nicht) bei 45 Prozent – also knapp der Hälfte – aller Unfälle auf Strecken ohne Tempolimit eine erhöhte Geschwindigkeit als Ursache fest. Hierbei starben 135 Menschen. Im selben Jahr gab es in den USA 323 Amokläufe, bei denen 387 Menschen erschossen wurden.    

Es liegt auch hierbei auf der Hand, die Anzahl der Einwohner zu berücksichtigen. In den USA sind dies viermal so viele wie in Deutschland. Was die Fläche des Landes angeht, ist der Unterschied mit dem Faktor 30 noch krasser. Bringen wir also die USA und die Bundesrepublik für das Jahr 2018 so auf einen Nenner, können wir feststellen: Auch wenn uns die Amokläufe mit Schusswaffen in Schulen, Unis, Supermärkten oder auf Straßen der USA immer wieder tagelang aufregen, zu recht, so ist die statistische Wahrscheinlichkeit, bei so einer Tat drüben umzukommen, nicht einmal so hoch wie diejenige, hüben durch Raserei auf einer deutschen Autobahnstrecke ohne Tempolimit zu sterben. Einmal ganz zu schweigen von den Faktoren Nervenbelastung oder Spriteinsparung.

Die Diskussionen laufen seit Jahrzehnten

Natürlich gehen die Opfer von Schusswaffen in den USA insgesamt in die Tausende, doch wahr nehmen wir solch tödliche Ballereien immer nur bei spektakulären Amokläufen. Und gehen nicht auch die Verkehrstoten insgesamt hierzulande auf allen Straßen (vielfach ebenso der überhöhten Geschwindigkeit geschuldet) in die Tausende? Sie dagegen werden nur in den seltensten Fällen medial wahrgenommen, überregional schon gar nicht. Seit 2018, das sei hier eingeräumt, hat die Zahl der Amokläufe in den USA deutlich zugenommen, nicht zuletzt allerdings aufgrund des Sonderfalls Corona.

Die Diskussionen über beide Alleinstellungsmerkmale hüben wie drüben (freie Fahrt für freie Bürger und freier Schuss für freie Bürger) sind jeweils viele Jahrzehnte alt. Die Waffenlobby in den USA ist da genauso erfolgreich wie die Lobby der deutschen Autoindustrie. Seit Jahrzehnten, und ohne Aussicht auf Veränderung. Höchstens vielleicht mit dem Unterschied, dass die USA ihr Merkmal in der Verfassung festgeschrieben haben. Dies ist in Deutschland beim Tempolimit – noch – nicht der Fall. Nach Lage der Dinge würde es eigentlich passen.

Dabei sind in den USA die politischen Fronten klarer. Waffenkritiker bei den Demokraten gegen Waffen-Fans bei den Republikanern. In Deutschland ist dies längst nicht so eindeutig, wie sich spätestens seit den letzten Bundestagswahlen abgezeichnet hat. Ganz offenbar haben die Gegner des Tempolimits für alle Zeiten nichts zu befürchten.

Die Grünen führen nicht einmal als Regierungspartei ein Tempolimit ein

SPD und Grüne sind die beiden mit Abstand stärksten Regierungsfraktionen im Bund. Seit Jahrzehnten steht in ihren Programmen der Punkt Tempolimit ganz oben. Dennoch schaffen sie es selbst in der jetzt so komfortablen Lage nicht, den Programmpunkt durchzusetzen. Wie immer man dazu steht, pro oder contra – ein schwaches Bild geben sie so in jedem Fall ab.

Nicht nur die FDP dürfte hier der Hemmschuh sein. Winfried Kretschmann, einziger grüner Ministerpräsident, und dies auch noch im Daimler- und Porscheland Baden-Württemberg, war wohl kaum unglücklich darüber, dass ihn kein Zugzwang aus Berlin in Verlegenheit brachte.

Um 400 Millionen Waffen geht es in den USA. Die ukrainischen Kämpfer würden sich womöglich freuen, wenn man auch nur die Hälfte davon einzöge und ihnen schickte. Auch für die 500-PS-Boliden aus Kretschmanns Bundesland gäbe es eine alternative Verwendung: Sie könnten nach Afghanistan oder Nordkorea gehen. Da könnten sie dann rasen, beide Länder kennen ebenfalls kein Tempolimit – dort wohnen und herrschen unsere Brüder im Geiste.

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Leserpost

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W. Renner / 29.05.2022

Den Vergleich, ein Freiheitsrecht gegen ein anderes aufzurechnen, halte ich verfehlt. Dafür dass sich 400 Mio. Schusswaffen in den Händen von 330 Mio. Amerikanern befinden (und dies sind nur die legalen, die illegalen sind das grössere Problem und die verhindert auch kein Gesetz), gehen die sehr verantwortungsvoll damit um. Ich halte das Recht, sein Leben und sein Eigentum im Zweifelsfall verteidigen zu dürfen für ein essentielles Freiheitsrecht, ebenso das Recht ein schnelles Auto, da wo es möglich ist, auch schnell fahren zu dürfen. Drakonische Strafen bei Missbrauch, wie die z.B. Todesstrafe, wenn man grundlos jemanden erschiesst, gehen damit natürlich einher. Und die wenigsten Verkehrstoten gibts übrigens auf der Autobahn. Bei der Gesamtzahl der Schusswaffentoten in den USA muss auch berücksichtigt werden, dass ein grosser Teil auf Bandenkriege geht, die sich gegenseitig dezimieren (gut für die Gesellschaft, wenn die das selbst erledigen) sowie Suizide, wo sich hierzulande der nächste ICE genommen und mangels Schusswaffe, fast täglich der Bahnverkehr lahmgelegt wird.

Leo Hohensee / 29.05.2022

@Walter Roth - Schwarmintelligenz gegen Ideologie

Leo Hohensee / 29.05.2022

@Richard Loewe - Hallo Herr Löwe, wozu braucht man denn 8 Gewehre? - 6 Kinder ?

Leo Hohensee / 29.05.2022

Hallo Herr Kulke, Ihr Beitrag hat mich so verärgert, dass ich sofort antworte. Ein Tempolimit mit einem Waffenverbot zu vergleichen ist krank! Wenn es auf Deutschlands Autobahnen in 2018 135 Tote wegen überhöhter Geschwindigkeit gegeben hat dann stelle ich doch mal ganz dumm die Frage: - ” wie viele der 135 Toten entfallen denn auf Unfälle in Autobahnbaustellen und haben mit Tempo 130 oder mehr nichts und absolut nichts zu tun? Wie viele also haben mit Tempo 130 und mehr überhaupt nichts zu tun? Mir geht diese einseitige Darstellung von Rasereien auf der Autobahn richtig auf den Wecker ! Ich empfinde mich selbst überhaupt nicht als Raser. Ich empfinde es aber als albern wenn mir irgendein verschnarchter Grünideologe meine 160 kmh nicht gönnt. 160 kmh ohne zu drängeln - einfach weil es läuft - und wenn ich dann überholen muss, dann wird es für diesen Vorgang kurzzeitig auch mehr - und ich fahre auch rechts rüber ! Und ich fahre “angepasst”! Raser-Idioten gibt es ! Hey, Herr Kulke, Raser, idiotische Raser wird es immer geben.

Paul Franklin / 29.05.2022

12.000 Unfälle im Haushalt mit Todesfolge pro Jahr. Und jetzt? Wir reden hier (Schusswaffen / Autobahn ohne Tempolimit) über Todesfälle im Bereich 1 pro 1 Million. Auf Englisch würde man Nothing Burger sagen, völlig irrelevant. Selbst bei Impfungen tolerieren wir 1 pro 2500 oder 1 pro 10.000 oder wie viel auch immer. Niemand erfreut sich an Amokläufen oder Autounfällen, aber die Welt ist nun mal böse und gefährlich. Den Bürgern die Waffen weg nehmen während man gleichzeitig schwere Waffen in die Ukraine liefern will. Alles Heuchelei, Doppelmoral und politische Instrumentalisierung. Maranatha!

Bernd Stolz / 29.05.2022

Im Jahr 2020 gab es in den USA mehr als 19.000 Tötungsdelikte mit Schusswaffen. Im selben Zeitraum starben in Deutschland 2719 Menschen im Straßenverkehr. Abgesehen davon, dass ein Vergleich von Straftaten mit Unfällen nicht allzu viel Sinn macht, sollte man schon die Fakten berücksichtigen, bevor man Probleme des freien Waffenbesitzes kleinredet.

sybille eden / 29.05.2022

Wenn man die Lehrkräfte endlich bewaffnet hätte, würden diese Kinder noch leben !

Marco Mahlmann / 29.05.2022

Soll der Artikel Satire sein oder ein aus Mangel an einer besseren Idee nicht umgehend verworfener Frühstückseinfall, um der Zusage zu genügen, zeitnah einen Artikel in die Achse zu stellen? +++ Sie könnten sich ernsthaft mit der Frage befassen, warum in den USA so viele Amokläufe stattfinden, in anderen Ländern mit ebenso und noch freieren Waffengesetzen aber nicht. Sie könnten die Verkehrstoten auf Strecken ohne Geschwindigkeitsbeschränkung mit denen mit einer vergleichen. Sie könnten zugeben, heute nichts zu sagen zu haben, und sich einen schönen Tag machen. Statt dessen produzieren Sie ein Ärgernis von nichtssagender Zeilenschinderei. +++ Die Achse läßt leider ziemlich nach.

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