Edgar L. Gärtner, Gastautor / 29.01.2024 / 06:25 / Foto: Imago / 39 / Seite ausdrucken

Französische Bauern machen ernst

Es geht längst nicht mehr nur um den Agrar-Diesel, sondern um den „Green Deal“ der EU. Die Regierung hat allen Grund zur Beunruhigung. Es riecht nach „Jacquerie“.

Der französische Premierminister Gabriel Attal hat sich offenbar zu früh gefreut. Nachdem er den revoltierenden Bauern am Freitag auf einem abgelegenen Hof am Fuße der Pyrenäen vor allem die Rücknahme der Agrar-Diesel-Besteuerung und zehn Sofortmaßnahmen zur Vereinfachung der immer zahlreicher und unübersichtlicher werdenden Vorschriften angekündigt hatte, hoben die dem Bauern-Dachverband FNSEA folgenden Protestler einen Großteil der Straßensperren auf.

Doch am Samstagabend kündigten die Jungbauern und die FNSEA die unbefristete Belagerung von Paris ab Montagnachmittag an. Wie weit diese Ankündigung wahrgemacht wird, war zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen noch nicht absehbar. Man sollte aber wissen, dass die korporatistische Organisation FNSEA zunächst versucht hat, die Bewegung der Bauern in eine regierungsfreundliche Richtung zu lenken. Als ihr das nicht gelang, setzte sie sich verbal an die Spitze der Bewegung. Dieser Trick ist auch bei uns in Deutschland nicht unbekannt.

Gabriel Attal und sein Landwirtschaftsminister Marc Fesneau haben jedenfalls allen Grund zur Beunruhigung, denn die französischen Bauern haben in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass sie keine Skrupel kennen, wenn ihre Lebensinteressen auf dem Spiel stehen. Dann blockieren sie mit ihren großen Traktoren und Spezialfahrzeugen nicht nur wichtige Autobahnen und Landstraßen, sondern besprühen auch Präfekturen, Rathäuser und Finanzämter mit stinkender Gülle, wenn sie diese nicht gleich in Brand stecken oder mit Müll zuschütten.

Blutige Bauernaufstände haben in Frankreich unter der Bezeichnung „Jacquerie“ eine lange Tradition. Auch Frankreich hatte Bauernführer vom Schlage Florian Geyers, die nicht zögerten, den roten Hahn auf die Dächer von Symbolen der verhassten Feudalherrschaft zu setzen. Die Feudalherren haben in der Tat meistens versucht, den sesshaften Bauern so viele Steuern und Abgaben wie möglich abzupressen. Denn im Unterschied zu den proletarischen Tagelöhnern und den nicht ganz so armen Handwerkern konnten diese nicht einfach weglaufen, wenn ihnen die Abgabenlast zu schwer wurde oder das Meinungsklima nicht behagte.

Kreative Tricks gegen den Kontrollwahn

Die Bauern brauchten schon etwas mehr an Kreativität, um sich dem unerträglich werdenden Druck entziehen zu können. Da die Kontrollmöglichkeiten der Obrigkeit im Mittelalter und der frühen Neuzeit sehr begrenzt waren, boten sich verschiedene Formen des Betruges an. Wie das die Senner in den Savoyer Alpen anstellten, bringt uns noch heute zum Schmunzeln. Sie molken ihre Kühe zunächst nur halb aus, dann melkten sie diese zum zweiten Mal, wenn der Steuereintreiber die Milchleistung registriert und die Sennerei verlassen hatte. Aus der so gewonnenen illegalen Milch machten sie einen haltbaren Rohmilchkäse, den „Reblochon“. Dieser begehrte und infolgedessen nicht ganz billige Käse wird auch heute noch zum großen Teil nicht roh verzehrt, sondern zusammen mit Zwiebeln, Bauchspeck und Kartoffeln in der Pfanne erhitzt. Daraus ersteht das urige Gericht „Tartiflette“, das bei keinem Skihüttenzauber fehlen darf.

Heute ist es längst nicht mehr so leicht, sich dem unerbittlichen Kontrollwahn der Fiskal- und Öko-Bürokratie zu entziehen. Im Rahmen des „Green Deals“ der EU bzw. des Programms „Farm2Fork“ wird das Kontrollnetz über der europäischen Landwirtschaft immer enger gezogen. Erst wurden die Bauern aufgrund der Preisgestaltung, auf die sie – im Unterschied zu ihren korporatistischen Dachverbänden – keinen Einfluss haben, von direkten und indirekten Subventionen aus Brüssel abhängig gemacht, um ihnen dann bis ins kleinste Detail vorschreiben zu können, was sie anbauen oder züchten dürfen und wie sie zu wirtschaften haben. So müssen die meisten Bauern heute viel mehr Zeit am Schreibtisch als auf ihrem Traktor verbringen, denn es gilt, unzählige Formulare auszufüllen, um zu beweisen, dass sie den zum Teil einander widersprechenden Auflagen und Normen nachkommen, oder um Ausnahmen von Regelungen zu erbitten.

Um das alles zu überprüfen, werden ihre Ländereien alle drei Tage von Erdbeobachtungs-Satelliten vom Typ „Spot“ o.ä. überflogen. Geplant ist überdies, diese Kontrollen durch lokale Überflüge von Drohnen zu ergänzen. Das Hauptresultat dieses Kontrollwahns ist der Einbruch der Produktivität: Die Landwirte müssen immer länger arbeiten für immer weniger Geld. 

Schwerpunkt der Proteste eher im Südwesten

Immer mehr Bauern gelangen so an den Punkt, wo sie entweder entmutigt aufgeben oder sich mit dem Mut der Verzweiflung entschließen, in ihrem Protest aufs Ganze zu gehen. Nicht zufällig ist die Selbstmordquote bei Landwirten, insbesondere bei Viehzüchtern, seit etlichen Jahren mit Abstand am höchsten. Der französische Star-Romancier Michel Houellebecq (selbst gelernter Agrar-Ingenieur) beschreibt in seinem Bestseller „Serotonin“ (2019) eindringlich die Stimmung bei einem selbstmörderischen Bauernaufstand in der Normandie.

Heute liegt der Schwerpunkt der Bauernproteste eher im Südwesten, weshalb Premierminister Attal sich am Freitag per Helikopter dorthin begeben hat, um den Zorn der Bauern zu besänftigen zu versuchen. Die Stimmung der Bauern war dort nicht zuletzt deshalb am Kochen, weil tags zuvor an einer von protestierenden Bauern errichteten Straßensperre eine junge Bäuerin samt ihrer Tochter von einem ungebremsten Pkw getötet worden waren. Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Insassen des Pkw um ausreisepflichtige Migranten handelte, die offensichtlich vom Zigarettenschmuggel aus dem nahe gelegenen Fürstentum Andorra lebten.

Während die Bauern Gabriel Attals Zusage, die Agrardiesel-Besteuerung zu stoppen, einhellig begrüßten, bleiben sie gegenüber den übrigen Ankündigungen des Premierministers skeptisch. Das gilt besonders für die zehn Sofortmaßnahmen zur Vereinfachung von Vorschriften. Denn die Bauern wissen, dass die Flut von Normen aus Brüssel kommt. Die nationalen Gesetze und Verordnungen setzen diese nur um.

Streit mit Brüssel vorprogrammiert

Das gilt auch für die Gesetze mit dem geheimnisvollen Namen Egalim. Das erste davon wurde 2018 erlassen, das dritte im März 2023. Es geht darin um die Preisgestaltung zwischen den Landwirten und dem Großhandel unter Berücksichtigung der Ökologie, also um die Umsetzung eines Teils des Farm2Fork-Programms der EU. Der Agrar-Dachverband FNSEA ist darin eingebunden. Dieser setzt damit nach Ansicht von Kritikern seine Rolle als korporatistische Organisation des Vichy-Regimes (Gegenstück zum deutschen Reichs-Nährstand) während der deutschen Besatzung Frankreichs fort. Deshalb wird die Rolle des Verbandes in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen von vielen zweilichtig gesehen. 

Interessant ist Attals klare Absage an die Ratifizierung des umstrittenen Mercosur-Freihandelsvertrags mit Südamerika. Das wird in Brüssel beziehungsweise Straßburg für heftigen Streit sorgen. Da selbst die Experten der EU vom Farm2Fork-Programm infolge der darin geforderten Einschränkung des Dünger- und Pestizid-Einsatzes sowie der Ausweitung stillgelegter Agrarflächen zur Steigerung der Biodiversität eine Schrumpfung der Agrarproduktion um mindestens 20 Prozent erwarten, sollen die dann fehlenden Lebensmittel durch Billig-Importe aus Südamerika ersetzt werden. Sollte die französische Regierung bei ihrer Haltung bleiben, würde das die EU-Strategie durchkreuzen.

 

Edgar L. Gärtner ist studierter Hydrobiologe und Politikwissenschaftler. Seit 1993 selbstständiger Redakteur und Berater, als solcher bis 1996 Chefredakteur eines Naturmagazins. Bis Ende 2007 Leiter des Umweltforums des Centre for the New Europe (CNE) in Brüssel. In Deutschland und in Südfrankreich ist er als Autor und Strategieberater tätig

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Sophie Straßer / 29.01.2024

Ich hoffe, dass man der Verursacherin des “green deals” , Frau von der Leyen jetzt mal Schranken aufweist. Sie überreguliert jeden Bereich des Lebens. Zitat Frai Strack-Zimmerman: Sie tätowiert sogar Ameisen ! Der Satz sagt viel aus. Dass dies auf Dauer nicht gut geht, sieht man jetzt. Und es wird noch doller kommen. Die Bauern sind erst der Anfang.

Egon Schieler / 29.01.2024

Stinkende Gülle vor das Bundeskanzleramt - das wär’s.

Dr. Joachim Lucas / 29.01.2024

Die Engländer und Franzosen haben es geschafft mal einen ihrer Könige aus eigener Kraft zu köpfen (Karl I und Ludwig XVI). Die Deutschen nicht. Das ist der historische Unterschied. Die deutsche Obrigkeit braucht also nichts zu befürchten.

Hans-Joachim Gille / 29.01.2024

Die Dächer der EU-Bürokraten zu Brüssel & Straßurg sind groß.... Da bekommt Florian Geyer einiges zu tun.

finn waidjuk / 29.01.2024

Während bei dem Wort “Frankreich” jeder an die französiche Revolution denkt, assoziiert man Deutschland eher mit der Nazi-Diktatur bzw. mit dem kommunistischen Terrorregime der ehemaligen DDR. Dass ist nicht ohne Grund so. In Frankreich weht immer noch ein revolutionärer Geist, während die deutschen Untertan gerade lautstark die dritte Diktatur auf deutschem Boden herbeibrüllen. Solange es die größte Angst der deutschen Bauern ist, dass irgendein “Rechter” bei ihren Demos mitfährt, wird es in Deutschland leider nichts.

Wilfried Cremer / 29.01.2024

Der Protest wird mittelfristig in konkrete Formen übergehen, also Sabotage an den Windkraftanlagen etc.

Paul J. Meier / 29.01.2024

Die Doppelmoral bei dieser Geschicht mit südamerikanischen Importen, ist, dass gerade dort massiv mit Pestiziden gearbeitet wird. Costa Rica ist z.B. das Land mit dem größten Pestizideinsatz! Vor allem die eigene Bevölkerung leidet dort naturgemäß darunter! Das möge verstehen wer will, die einzig logische Erklärung ist die, dass man wirklich versucht die Bauern in der EU auszurotten, um die Versorgung zentral von Machthabern zu kontrollieren und die Menschen damit abhängig zu machen! Auch weil z. Zt. der private Anbau als “extrem” umweltschädlich verkauft wird und man mit Verboten droht.

Enthor Grundbacken / 29.01.2024

Landwirtschaft ist Lebensgrundlage. Man muss sie also bedingungslos schützen. Rot-grüne Ideologie sowie EU-Regelungswahn sind ausschließlich Ballast, den niemand braucht. Man muss sie also aktiv stoppen.

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