Rainer Bonhorst / 12.05.2020 / 11:00 / 36 / Seite ausdrucken

Europa jetzt als Juristen-Krimi

Wie wird der jüngste Europa-Krimi enden? Wird Karlsruhe als kleines gallisches Dorf gegen Frankfurt, Brüssel und Luxemburg bestehen oder untergehen? Kann Ursula von der Leyen, gerade der deutschen Politik entronnen, als EU-Kommissionspräsidentin von Brüssel aus ihre alte Heimat in die Knie zwingen? Wird Angela Merkel, die internationale Corona-Heldin, in den Kampf zweier juristischer Giganten einschreiten und dabei eine neue Heldenrolle finden?

Das sind die Fragen, die sich stellen, seit das Bundesverfassungsgericht die Geldschleuder-Politik der Europäischen Zentralbank für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Das wäre nicht weiter dramatisch, wenn der Europäische Gerichtshof die Geldverteilung der in Frankfurt residierenden EZB nicht längst ausdrücklich gebilligt hätte. Und damit haben wir den Salat: Der Europäische Gerichtshof ist in Luxemburg zuständig für ganz Europa und hat also in allen Mitgliedstaaten das Sagen. Aber das deutsche Gericht in Karlsruhe, das sich gegen den EuGH gestellt hat, ist ein Verfassungsgericht. Es hütet etwas, was die Europäische Union gar nicht hat, nämlich eine Verfassung. Die hätte die EU zwar beinahe bekommen, aber dank Frankreich und den Niederlanden ist nichts daraus geworden. Als Ersatz dient der Vertrag von Lissabon, eine Beinahe-Verfassung. 

Wer ist also wichtiger: Die europäischen Richter, die darüber wachen, dass die Verträge eingehalten werden, die die EU-Staaten miteinander vereinbart haben? Oder die Hüter unseres Grundgesetzes, also eine der tragenden Säulen unserer Demokratie? Nichts Genaues weiß man nicht. Denkbar ist, dass es sich hier um den klassischen Fall handelt, dass zwei Juristen drei Meinungen haben.

So rollen also in gemächlicher Juristen-Geschwindigkeit, aber zielstrebig zwei rechtliche Großmaschinerien aufeinander zu. Ein Zusammenstoß, wenn er nicht vermieden wird, brächte das ganze Gebilde namens EU ins Wanken. Die steht als politisches Unikat sowieso auf etwas wackeligen Beinen. Sie ist mehr als ein lockerer Staatenbund, aber deutlich weniger als ein Bundesstaat. Ein politischer Zwitter also. Müsste sie mal, würde sie wohl auf das Häuschen mit der Aufschrift „Divers“ gehen. 

Verschärfte europäische Treue

Manches wäre einfacher, wenn es die EU zu einem echten Bundesstaat gebracht hätte, wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder auch die Bundesrepublik. Aber einfacher muss nicht besser sein. Ein allzu straffer Bundesstaat hätte wahrscheinlich früher oder später zu Revolutionen und zum Einsturz geführt, weil nicht komplett zusammenwachsen kann, was nicht kompllett zusammengehört. Gerade weil dieses Gebäudes ein bisschen wackelt und Luft hat, ist es seit über einem halben Jahrhundert lebensfähig. 

Wie sehr es aber wanken kann, hat der Brexit gezeigt, als eine wichtige, wenn auch nicht tragende Säule des Gebäudes sich einfach davonmachte. In der Folge haben sich die Zurückgebliebenen verschärfte europäische Treue geschworen, damit nicht noch mehr ins Schleudern gerät. Und nun dies. Aus einer ganz anderen, nicht vorhergesehenen, juristischen Richtung erschüttert ein neues Beben das komplizierte Bauwerk.

Kann es wirklich sein, dass ein Europäisches Gericht sich über eine nationale Verfassung samt ihrer unveräußerlichen Grundrechte erhebt? Oder genauer: Muss sich unser deutsches Grundgesetz, so wie es vom Verfassungsgericht interpretiert wird, den Luxemburgern beugen? Wo ist die Instanz, die in diesem Konflikt das prekäre Gleichgewicht zwischen der Brüsseler Zentrale und den Mitgliedstaaten neu austariert? Ein Über-Verfassungsgericht gibt es nicht. Und wo kein Richter, da sind die Politiker an der Reihe. Ursula von der Leyen hat ihren früheren Berliner Kollegen bereits ein Verfahren angedroht, für den Fall, dass sie der Entscheidung der Karlsruher folgen sollten. 

Demokratiepolitisch ein hoher Preis

Wie wird unsere Kanzlerin diese neue Krise managen? In der Ruhe dürfte auch diesmal ihre Kraft liegen. Aber die Richtung kann man erahnen. Denn die deutschen Verfassungsrichter haben ein schweres politisches Handicap. Es heißt Polen, Ungarn und Co. In einigen Ostländern bastelt man gerade an politischen und juristischen Konstruktionen, die dem Demokratie-Verständnis der klassischen EU-Mitglieder widersprechen und vom Europäischen Gerichtshof getadelt und bestraft werden. Eine Entscheidung, die diesen strafenden Gerichtshof schwächen würde, wäre Wasser auf die Mühlen des Ostens und ein Ärgernis für die westlichen Demokraten. Schon jetzt schallt aus Polen Jubel herüber. Die Berliner Antwort dürfte sein, dass man sich auf die Seite der Europa-Richter stellt.

Den Preis würde dann unser Grundgesetz bezahlen. Es würde um eine Klasse zurückgesetzt. Oder auch nur als Sitzenbleiber endgültig bestätigt. Und das wäre nicht nur demokratiepolitisch ein hoher Preis. Da es bei diesem Streit ja in der Sache um unser Geld geht, würde es auch richtig ans Portemonnaie gehen. Denn ein politisches Kopfnicken in Richtung des Europäischen Gerichtshofs würde bedeuten, dass die Europäische Zentralbank weiter wie bisher mit unseren Billionen spielen kann.

Aber wie kann sich die Berliner Politik überhaupt auf die Seite der Brüsseler, Luxemburger und Frankfurter schlagen? Indem sie das Verfassungsgericht einfach ignoriert? Das wäre der bequemste Weg. Ganz im Merkel-Stil. Aber könnte das Verfassungsgericht, wie es ja öfter geschieht, in einem solchen Fall der Berliner Politik der Nichtbeachtung nicht mit einem Zwangs-Termin begegnen? Dann hätten wir einen Zwei-Fronten-Konflikt, einen deutschen und einen europäischen. Und eine Komödie mit dem Titel: Die Katze, die sich in den Schwanz beißt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Matthias Fischer / 12.05.2020

Für alle aktuellen Bundeskanzlerinnen und sonstigen Regierungsvertreter, die es nicht hören wollen: In Deutschland steht die aktuelle Verfassung, das Grundgesetz, über europäischem Recht! Wenn also europäische Rechtsetzung dem Grundgesetz widerspricht, ist diese unwirksam und nicht etwa das Grundgesetz! Widerspricht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dem Grundgesetz, kann diese keine Anwendung finden - das Grundgesetz hat immer Vorrang! Die Ankündigung Frau v. d. Leyens, immerhin langjährige deutsche Bundesministerin, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wäre der Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands außer Kraft zu setzen. - Diese ebenso einfachen wie selbstverständlichen Regeln der verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands und vermutlich auch aller anderen EU-Mitgliedsländer sind, seit Frau Merkel regiert, in Vergessenheit geraten - gerade Frau Merkel hat sich immer wieder, und besonders eklatant 2015, über das Gesetz und damit über das Grundgesetz gestellt. Wenn das Grundgesetz europäischem Recht angepasst werden soll, bedarf es hierfür einer 2/3-Mehrheit im Bundestag. Grundgesetzänderungen können jedoch nicht im Wege internationaler Verträge herbeigeführt werden, auf denen die europäische Union ausschließlich beruht. Und noch etwas: Urteile deutscher Gerichte sind für alle Beteiligten verbindlich. Sie haben nicht, wie jetzt Politik und Medien uns zu erzählen versuchen, nur “empfehlenden” Charakter. - Mir wird immer wieder Angst und Bange, dass dieses kleine Einmaleins des deutschen Staatsrechts deutschen Politikern fremd oder gleichgültig ist.  - M.a.W.: wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht beachtet wird, gilt der alte APO-RAF-68er-Spruch: “wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!” Das gilt dann für jeden Deutschen! Auch dieser Spruch ist inzwischen in Vergessenheit geraten, weil mittlerweile der politische Arm der RAF selbst regiert, der sich natürlich nicht in Frage stellt.

Dr. Ralph Buitoni / 12.05.2020

Nein, da erdreisten sich Polen, Ungarn und Co. doch tatsächlich, sich dem über den Umweg Brüssel kommenden neuen Zugriff der Alt/Neu-Sozialisten entziehen zu wollen, indem sie ihre Verfassungen totalitarismus-fest machen wollen. Schließlich haben diese Länder lange Erfahrung darin, wie eine durchgeknallte Nomenklatura mit juristischen Tricks und der Mithilfe einer sozial-kulturell korrupten Justiz Freiheit und Selbstbestimmung aushebelt. Nur im dekadenten West-Europa (und dem gesamten “Westen”) hat das klassische Kommentariat von Gestern und Vorgestern wieder einmal nix mitbekommen und verstanden. Ist eben wie beim Brexit. Urlaubserfahrungen in anderen Ländern schaffen eben allein kein kosmopolitisches Bewusstsein. Es leben die Völker Europas!

Frank Mertes / 12.05.2020

Das Grundgesetz interessiert die Regierenden in Deutschland einen feuchten Kehricht. Das haben wir in den letzten Jahren zur Genüge erlebt. Umso lauten brüllen diejenigen, die die Demokratie mit Füßen treten, die Demokratie sei in Gefahr und nur sie könnten sie im Kampf gegen Rääächts retten.

P. F. Hilker / 12.05.2020

Bei Kreditinstituten und an der Börse spricht man von Glattstellung, wenn eine offene Bestandsposition mit einem Marktrisiko behaftet ist. Und genauso wird es kommen. Das BVerfG wird glatt gestellt.

Frank Meusel / 12.05.2020

Merkel (zur Thüringen-Wahl) zum Bundesverfassungsgerichtsurteil „Das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden“. Angela Merkel meldet sich aus Südafrika zu den Vorgängen in (Thüringen) Karlsruhe. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Wenige Stunden nach der Intervention der Kanzlerin gab Karlsruhe dem öffentlichen Druck nach. Die Fraktion der CDU/CSU kündigten unisono an, dass die Auflösung (des thüring. Landtags) des Verfassungsgerichtes beantragt werden solle. “Die Auflösung sei unumgänglich”.

Jürgen Fischer / 12.05.2020

Im Zweifelsfall bezüglich EU-Entscheidungen wird Rauten-Angela zu Kanonenschlag-Uschi halten. Egal ob deutsches Grundgesetz oder der Vertrag von Lissabon, und nehmen wir ruhig die Maastrichter Verträge dazu: es wird alles gerade so interpretiert, wie es den politisch Verantwortlichen in der jeweiligen Situation in den Kram passt. Pacta sunt servanda, echt jetzt? Aber beim aktuellen Zustand der EU ist das eh schon egal.

Sabine Schönfelder / 12.05.2020

Schon die Wahl zur EU-Kommissions-Präsidentalen (gegendert) war ein Paradeschnittchen undemokratischen Eingreifens seitens unserer Königin der sozialistischen europäischen Transformation und ein Vorgeschmäckˋle für später folgende Thüringer Verhältnisse. Ausgerechnet das deutsche Verfassungsgericht stellt Merkel ein Bein-chen, aber mit Harbarth hat die Abgemerkelste noch einen Trumpf in der Hinterhand. Abwarten und Tee trinken, zusammen mit den Damen Lagarde und Leyen, in gleichlautender Spielschar, das ist Ceausescaˋs   Plan B. Lieber Herr Bonhorst, als ziemlich widersprüchlich empfinde ich Ihr Verständnis von Demokratie. Eine undemokratische EU ist Ihnen lieber, als eine Stärkung angeblich „undemokratischer“ Länder wie „Polen, Ungarn und Co“? Was ist denn das Demokratieverständnis der klassischen EU-Länder??? England ist KEIN „Ostland“ und hat offensichtlich auch ein anderes „Verständnis“. Wie demokratisch Frankreich (hahaha), Italien und Spanien inklusive Deutschland in der Coronakrise agieren, sucht ihresgleichen. Schweden als Alternative wird bereits von den „Demokraten“ unserer Presse niedergebügelt! Ihre „EU-Demokraten“, werter Autor, werden die Sache richten. Sie werden keine Ruhe geben, bis die Karre endgültig im Dreck festsitzt. Sie wissen schon, alternativlos nennt sich so etwas. Jeder EU-Befürworter hat sich vor diese Karre spannen lassen und sollte sich anschließend nicht beklagen.

Sirius Bellt / 12.05.2020

@Gottfried Meier. Nein, für mit Menschen Migrationshintergrund gilt das Grundgesetz von der ersten bis zur letzten Zeile. Es kann also gar nicht zur Folklore werden.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 25.04.2024 / 14:00 / 6

Scholz und Sunak – ein spätes Traumpaar

Sie passen gerade gut zueinander: Ihre Länder stecken im Krisen-Modus und sie sind letztlich nur noch Regierungschefs auf Abruf. Er kam spät nach Berlin, aber…/ mehr

Rainer Bonhorst / 17.04.2024 / 10:00 / 31

​​​​​​​Die Bayer(n)-Revolution

Rekordmeister Bayern muss den Meistertitel an Bayer abgeben. Ein Menetekel für die Politik? Wie wird es weitergehen? San mir net mehr mir? Ist rheinisch das…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.03.2024 / 17:00 / 9

Die Kate-Krise oder viel Lärm um nichts?

Ein Familienfoto der Royals ist schon kurz nach Erscheinen als ungelenke Bildmanipulation entlarvt worden. Medialer Wirbel dank Photoshop! Ist Englands königliche Familie eine Fälscherbande? Wenn ja, dann keine…/ mehr

Rainer Bonhorst / 08.03.2024 / 12:00 / 19

Bye bye Nikki, hello Oldies

In den USA duellieren sich Biden und Trump um den Einzug ins Weiße Haus. In diesem Alter würde man in Deutschland weniger auf Karriere als…/ mehr

Rainer Bonhorst / 22.02.2024 / 14:00 / 26

Kamala gegen Nikki – ein Traum

Statt der beiden betagten Kontrahenten Joe Biden und Donald Trump wünsche ich mir eine ganz andere Konstellation im Kampf um das Amt des US-Präsidenten. Man…/ mehr

Rainer Bonhorst / 13.02.2024 / 12:00 / 39

Gendern im Fußball? Fans zeigen rote Karte!

Wie woke soll der Fußball sein? Oder genauer: Wie viele Geschlechter soll der Fußball kennen? Es wird Zeit, mal wieder auf den Fußballplatz zu gehen.…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.02.2024 / 12:00 / 35

Giorgia Meloni als Mamma Europa?

Georgia Meloni beginnt in Europa eine wichtige Rolle zu spielen. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben deutscher Medien.    Ja, darf…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / 33

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com