Wolfram Weimer / 14.02.2014 / 13:36 / 10 / Seite ausdrucken

Euer Staat ist einfach zu groß

Die Europawahlen drohen zu einem politischen Erdbeben zu werden. Protestparteien blühen allenthalben auf. Die Bürger sind aber nicht plötzlich rechts oder neo-nationalisitisch, sie wehren sich bloß gegen den selbstgefälligen Bevormundungsstaat mit seinem Big Government

Es rumort in Europa. In fast allen Länder der EU bekommen die neuen Protestbewegungen massenhaft Zulauf, von “Ukip” in England und “Vlaams Belang” in Belgien über die “Wahren Finnen” bis zur italienischen “Lega Nord”. Ob der Front National in Frankreich, die schottischen und katalanischen Separatisten, die neuen Protestparteien in Österreich oder die “Alternative für Deutschland” bei uns – sie werden die Wahlen diesmal mitprägen.

Wie eine indignierte Kaffetante versucht die etablierte politische Klasse, die neuen Massenbewegung als dumpfe “Rechtspopulisten” und “Neo-Nationalisten” abzuqualifizieren. Doch das greift zu kurz. Und es würde nicht erklären, warum von Piraten in Deutschland bis zu Beppe Grillos “Fünf Sterne”  in Italien auch dezidiert nicht-rechte Bewegungen plötzlich erfolgreich sind. Das Unbehagen von Millionen Europäern am Zustand unserer Demokratie ist zu groß, um bloß so zu tun, dass am Tisch Europas eben ein paar häßliche, braune Brösel herumliegen.

Die Volksabstimmung in der Schweiz zeigt, dass der Protest gegen das System Europa selbst in den ältesten und reifsten Demokratien des Kontinents mehrheitsfähig ist. Es macht wenig Sinn die Schweizer für ihre vermeintliche Ausländerfeindlichkeit zu schelten – denn das sind sie in ihrer großen Mehrheit einfach nicht.

Diese Proteststimmung wird aus einer anderen Quelle gespeist. Es geht um das Prinzip Nähe und Identität. Immer mehr Bürger wehren sich gegen die politische Wandlung unserer Demokratien in vermachtete Parteienoligarchien und anonyme Riesenbürokratien des modernen Big Government. Sie vermissen Teilhabe, Autonomie, Lokalität und Kontrolle. Es bahnt sich damit ein Pendelschlag der Geschichte an, mit dem sich das Bürgertum Europas nach dem großen Zentralisierungprozeß seine Freiheiten, Autonomien und Identitäten zurück holen will.

Über Jahrzehnte hat die linke Losung Europas Demokratien und Europas Staatenbund geprägt, dass nur der möglichst große Vater Staat die Probleme seiner Bürger löst. Alles wurde vereinheitlicht, sozialisiert, europäisiert. Dieses Konzept stößt nun auf Widerstand von unten. Es verbreitet sich eine Grundstimmung, dass selbstbewußte Bürger ihre Angelegenheiten lieber selber regeln wollen, nach jeweils unterschiedlichen Maßstäben, lokal anstatt zentral bevormundet, bürokratisiert, gegängelt und übersteuert zu werden.

“Brüssel” wird dabei nur zum Synonym einer illegitimen Einmischung in die Freiheitsräume seiner Bürger. Der Grundimpuls der Protestparteien ist darum nicht neo-nationalistisch, er ist neo-subsidiär. Er wehrt sich gegen die Fremdbestimmung durch ferne und schuldentrunkene Regierungsapparate. Schon im Bundestagswahlkampf zeigte sich am Beispiel der Grünen, dass der Staat als Supernanny-Bevormunderin dramatisch unbeliebt geworden ist.

Auch in den USA prägt dieser Trend die poltische Kultur zusehends. Es begann mit der Tea-Party-Bewegung ist inzwischen formativ für Stimmungsmehrheiten: der Kampf gegen das “Big Government”. In Europa wie Amerika geht es mittlerweile offen um die Frage, wie viel Staat unsere modernen Demokratien wirklich brauchen, sich leisten können und - vor allem - ertragen. Die Überschuldung der westlichen Demokratien ist jedenfalls ein Alarmindikator für die völlige Überdehnung der Staatsfunktionen.

Schlagworte wie “Bevormundungsstaat” und “Verbotsrepublik” machen die Runde, und wenn demnächst das neue Buch von Thilo Sarrazin (“Der neue Tugendterror”) über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland herauskommt, dann wird er wieder Zigtausende von Käufern und Millionen von Sympathisanten finden, weil es mittlerweile ein Massenmepfinden ist, dass die Räume des Handelns, Redens und Denkens enger werden. Im Bürgertum keimt eine breite Kritik an einer Gesellschaft der Überreglementierung, die bis ins öffentliche Sprechen reicht.

Auch der Umverteilungspaternalismus – über Jahrzehnte eine Heilslosung der politischen Klasse - wird zusehends mißtrauisch beäugt, weil die Mehrheit längst erkennt, dass sich eine politische Sozialstaatsindustrie zur eigenen Bereicherung etabliert hat und sich damit vor allem ihre Posten selber schafft.

Dabei stecken uns staatliche Moralapostel wie Neurose-Ärzte in ihre Zwangsjacken: Du sollst weder Autos noch Fleisch mögen, Du sollst klimafreundlich grillen, politisch korrekt denken und bloß nicht nach Leistung beschäftigen, sondern nach Gender-, Inklusions- und Diversity-Vorgaben. Mit Quoten und Verboten verbarrikadieren sie das Leben, die Verbraucher- und Umweltschützer, die Gleichstellungsbeauftragten, Präventionsräte, Sozialpolitiker und Integrationsberater. Sie wissen immer alles besser und werfen mit fremden Geld um sich. Diese Big-Government-Gouvernanten löffeln uns voll mit ihrem Steuer- und Schuldenbrei, obwohl die Staatsfinanzen damit schon fast ruiniert sind.

Von aggressiven Finanzämtern bis zur staatlichen Blitzerindustrie, vom Glühbirnendekret bis zum Rauchverbot reicht die Alltagserfahrung in einem Staat, der zusehends auftritt wie ein Unteroffizier. Die Menschen haben diesen Schulden- und Gouvernantensozialismus ziemlich satt. Sie wehren sich in Wahlen – und das kommt mal regionalisitisch, mal basis-demokratisch, mal rechtskonservativ daher. Man sollte das Anliegen besser Ernst nehmen als ihre Wähler brandzumarken. Die Anti-Europa-Stimmung richtet sich in Wahrheit nicht gegen Europa sondern gegen die expansive Art, wie im Europa der fetten, selbstgefälligen Staaten regiert wird – nämlich nicht mehr bürgernah.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

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Dr. Gerd Brosowski / 15.02.2014

Den demokratisch verfassten Nanny-Staat hat Alexis de Tocqueville (1805-1859) schon heraufkommen sehen und hat ihn im einzelnen beschrieben. Das folgende Beispiel ist entnommen seinem Werk „Über die Demokratie in Amerika“, S. 343 der Reclam-Ausgabe von 1985. „Ich bin der Ansicht, die Art der Unterdrückung, die den demokratischen Völkern droht, wird mit nichts, was ihr in der Welt vorausging, zu vergleichen sein; ... die alten Begriffe Despotismus und Tyrannei passen nicht….. ... Über diesen Bürgern erhebt sich eine gewaltige Vormundschaftsgewalt, die es allein übernimmt, ihr Behagen sicherzustellen und über ihr Schicksal zu wachen. Sie ist absolut, ins einzelne gehend, pünktlich, vorausschauend und milde. Sie würde der väterlichen Gewalt gleichen, hätte sie - wie diese - die Vorbereitung der Menschen auf das Mannesalter zum Ziel; sie sucht aber, im Gegenteil, die Menschen unwiderruflich in der Kindheit festzuhalten… Auf diese Weise macht sie den Gebrauch des freien Willens immer überflüssiger und seltener, beschränkt die Willensbetätigung auf ein immer kleineres Feld und entwöhnt jeden Bürger allmählich der freien Selbstbestimmung. .. So breitet der Souverän, nachdem er jeden Einzelnen der Reihe nach in seine gewaltigen Hände genommen und nach Belieben umgestaltet hat, seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes; er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz kleiner, verwickelter, enger und einheitlicher Regeln…; er bricht den Willen nicht, sondern er schwächt, beugt und leitet ihn; er zwingt selten zum Handeln, steht vielmehr ständig dem Handeln im Wege; er zerstört nicht, er hindert die Entstehung; er tyrannisiert nicht, er belästigt, bedrängt, entkräftet, schwächt, verdummt und bringt jede Nation schließlich dahin, daß sie nur noch eine Herde furchtsamer und geschäftiger Tiere ist, deren Hirte die Regierung.“

Rainer Redeker / 15.02.2014

Dieser Kommentar spricht mir aus der Seele. Daher bin ich gespannt auf die Ergebnisse der EU-Wahl. Der BfN hat schon 2005 ein 43 Seiten PDF ins Internet gestellt mit dem Titel “Gebietsfremde Arten”. Die EU hat dieses Thema, vor Wochen, auf ihre Fahne geschrieben. Die spannende Frage ist, ob für die EU und andere, das Thema “Gebietsfremde Arten”  nicht nur für Fauna und Flora zur Diskussion steht, sondern auch für den Home sapiens?  Oder kann diese “EU” losgelöst von allen Bedenken, die Gesetzmäßigkeit der Evulation außer Kraft setzen, weil sich die Führungsspitze in den Begriff “Multikulturalismus” verliebt habt, da man glaubt,  unterschiedliche Ethien kann man tauschen wie ein Hemd.  Wer sich einmal mit diesem Schlagwort “Multikulturalismus”  näher beschäftigen will, sollte mal seinen Blick in die heutige Spannungsgebiete lenken und schauen, was da so abgeht zwischen den unterschiedlichsten Gesellschaftsstrukturen, Lebensformen und Religionen und sich die Frage stellen; ob das für uns auch so erstrebenswert ist.  Ein tiefer Einblick in die indische Gesellschaftsstrukturen wäre u.a. ein gutes Beispiel dafür, ebenso die Frage, warum hat sich Pakistan damals von Indien getrennt? Nebenbei gesprochen; “Multikulturalismus” steht hier für “parallel” und heißt “nicht gemeinsam”. Diesen kleinen Unterschied mit großen Auswirkungen sollte man nicht außer acht lassen und viele spüren das auch mittlerweile im täglichen Leben. Beispiele finden Sie in fast allen westeuropäischen Staaten mit den unterschiedlichsten Ausprägungen. Wer die Stimmung in der EU abhört, vernimmt ein deutliches Grummeln in vielen Ländern, die sich von der EU gegängelt fühlen. In diesem “Multikulturalismus” ist wenig Wachstumspotential, da viel Energie benötigt wird, für die Austarierung der unterschiedlichen Interessen und Pflege der Andersartigkeit. Es kann daher nicht zusammen wachsen, was nicht zusammen gehört. Hier haben die Schweizer Flagge gezeigt, da sie ihr Selbstbestimmungsrecht nicht auf dem Altar der EU opfern wollen.  Oder, fragen Sie mal ein Aquariumbesitzer, der sein Hobby liebt, ob er jeden Fisch in sein Bassin lassen kann. Es sei denn, Kollateralschäden sind im egal.

Christian Möhle / 15.02.2014

Sehr geehrter Herr Dr. Weimar, guter Artikel - klasse Analyse! ... bis auf den Vergleich des agierenden Staates mit einem Unteroffizier. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass gerade unsere 18 - 25 jährigen Frauen und Männer, die sich für einen Dienst in den Streitkräften entschieden haben, dies auch aus einem besonderen Verantwortungsbewusstsein gegenüber unserem Staat getan haben. Im Bewusstsein in einem friedlichen Europa leben zu “dürfen” nehmen sie ihre Rolle als verantworlicher Bürger an. ... damit unterscheiden sich die Unteroffiziere nach m.E. deutlich von den von Ihnen beschriebenen Nutznießern und Ausbeutern des Staates. Mit freundlichen Grüßen

Jürg Rückert / 14.02.2014

Die Roth hat kürzlich geäußert, dass Europa Aserbeidschan einschließen solle.  Größenwahn? Statt Großdeutschland Großbabel? Entwurzelte wie die Roth fühlen sich nur unter ihresgleichen wohl. Keine Heimat für alle.

Helfried Richter / 14.02.2014

Perfekte Analyse, Herr Weimer, vielen Dank. Genaugenommen richtet sich der Unmut bzw. die Wut der nicht mehr “korrekt” links-rot-grün-schwarz wählenden Menschen sich nicht nur gegen die von Ihnen genannten Zustände, sondern gegen alles, was vom Blockparteien-Einheitsbrei seit langem ignoriert oder als nicht vorhanden erklärt wurde und wird.

Daniel Briner / 14.02.2014

Europa schafft sich selber ab ... bin gerade auf ein 4 Jahre altes Interview gestoßen; trotz dieser Zeitspanne hat es an Aktualität nichts verloren, im Gegenteil:  Henryk M. Broder interviewt Thilo Sarrazin “Es war ein langer und lauter Furz” Was ist so schlimm daran, wenn sich Deutschland selbst abschafft? Und was antwortet Thilo Sarrazin seinen Kritikern? Henryk M. Broder hat für die taz nachgefragt. Das Interview in ganzer Länge taz online - “Henryk M. Broder interviewt Thilo Sarrazin ‘Es war ein langer und lauter Furz’ “

Ute Arndt-Hering / 14.02.2014

Danke für diese vorzügliche und zutreffende Analyse !

Waldemar Undig / 14.02.2014

Ich wähle die Partei, die den Slogan von Victoria Nuland am besten repräsentiert.

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