Von Ansgar Neuhof.
Nur eines ist im Leben so sicher wie der Tod: die Steuer. Und für nichts interessiert sich der Staat mehr als für das Geld seiner Bürger. Unzählige Steuerarten gibt es, mittels derer die Bürger geschröpft werden. Alles selbstverständlich im Namen der Gerechtigkeit. Eine dieser Steuerarten ist die Erbschaftsteuer, die über ihren Namen hinaus nicht nur für Erbfälle gilt, sondern auch für Schenkungen. Gelegentlich wehren sich Bürger gegen einzelne Steuervorschriften und ziehen bis vor das Bundesverfassungsgericht. Und manchmal erhalten die Bürger dort sogar Recht. So entschied das Bundesverfassungsgericht am 17.12.2014, daß das Erbschaftsteuergesetz in Teilen verfassungswidrig sei und der Gesetzgeber bis zum 30.06.2016 ein neues Erbschaftsteuergesetz schaffen müsse. Das war gestern. Eigentlich.
Die Juristen unter den Lesern werden - zu Recht - anmerken, daß die Regelungen des Erbschaftsteuergesetz nicht für verfassungswidrig, sondern „nur“ für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sind. Diese Kategorie der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz hat sich das Bundesverfassungsgericht selbst geschaffen (im Gesetz ist dies nämlich nicht vorgesehen), um verfassungswidrige Gesetze nicht für sofort ungültig erklären zu müssen, sondern eine Fortgeltung für eine Übergangsfrist zu ermöglichen. Davon macht das Bundesverfassungsgericht üblicherweise im Interesse des Fiskus rege Gebrauch, wenn es um Steuergesetze geht. Das Pikante daran: geht es um verfassungswidrige Gesetze zugunsten des Bürgers, dann ordnet das Bundesverfassungsgericht keine Übergangsregelung an, sondern erklärt sie sofort für ungültig (siehe kürzlich beim Betreuungsgeld). Solche Doppelmoral ist man sonst eher bei Politikern gewöhnt, allerdings befinden sich unter den Bundesverfassungsrichter ja auch Ex-Politiker.
Ab 01.07.2016 beruhigt sterben? Von wegen.
Entgegen der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber bis zum 30.06.2016 kein neues Erbschaftssteuergesetz beschlossen. Also sollte man meinen, daß man ab heute am 01.07.2016 beruhigt sterben könne, ohne daß die Erben Steuern zahlen müssen. Zwar wird dies auch von etlichen Steuerrechtlern vertreten, doch weit gefehlt. Das Bundesverfassungsgericht höchstselbst ließ verlautbaren, daß das Erbschafsteuergesetz über den 30.06.2016 hinaus weiter bis zu einer Neuregelung anzuwenden sei; denn das Gericht habe dem Gesetzgeber zwar eine Frist bis zum 30.06.2016 gesetzt, aber für den Fall des ungenutzten Verstreichens des Frist nicht angeordnet, daß das Gesetz ungültig sei. Mit anderen Worten: Daß ein Gesetz verfassungswidrig ist und ob der Gesetzgeber innerhalb der gesetzten Frist ein neues Gesetz beschließt oder nicht, ist unerheblich, das Gesetz gilt trotzdem weiter. So tricksen also die Verfassungsrichter die Steuerbürger elegant aus.
Und hatte der Gesetzgeber schon bisher ziemliche Narrenfreiheit beim Erlaß von Steuergesetzen, schlimmstenfalls erhielt er vom Bundesverfassungsgericht eine Frist zur Neuregelung, so muß der Gesetzgeber jetzt noch nicht einmal mehr solche Fristen beachten. So geht Rechtsstaat eben: Säumige Politiker erhalten üppige Diäten, säumige Steuerbürger werden mit Verzögerungsgeldern, Verspätungszuschlägen und Säumniszuschlägen sanktioniert.
Ansgar Neuhof (46) ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in Berlin