Rainer Bonhorst / 08.07.2021 / 14:30 / Foto: Pixabay / 49 / Seite ausdrucken

Endspiel: Schwalbe gegen Schwalbe 

Da das Leben ein Fußballspiel ist, seien auch der Achse gelegentlich ein paar Zeilen aus der Welt der Kicker zugemutet. Der aktuelle Anlass ist das Finale der Europameisterschaft am Sonntag. Es findet zwischen zwei Mannschaften statt, die sich durch die Kunst des effektvollen Niedersinkens, in Fachkreisen Schwalbe genannt, ausgezeichnet haben. Also, demnächst im Wembley-Theater: Englische Schwalbe gegen italienische Schwalbe. Swallow gegen rondine. Oder, da die beiden Schwalbenkünstler in ihrer Heimatsprache unser schönes Wort nicht benutzen, muss man wohl sagen: Dive gegen simulazione di fallo. Also Taucher gegen Foul-Simulanten.

Man kann die Schwalbenkunst unter drei Aspekten betrachten: Erstens unter ästhetischen Aspekten, zweitens mit Blick auf ihre Effektivität und drittens nach ihrem Unterhaltungswert.

Die mit Abstand effektivste Schwalbe legte der Engländer Raheem Sterling hin. Er erwirkte mit seiner Bodeneinlage den Elfmeter, der England gegen Dänemark zum Sieg und ins Endspiel führte. Unter ästhetisch-künstlerischen Gesichtspunkten stelle beziehungsweise lege ich seine Schwalbe auf die gleiche Ebene wie die des Italieners Ciro Immobile. Die Schwalbe des Immobile, ebenfalls im Strafraum, war allerdings wenig effektiv, weil der Schiedsrichter auf das Schauspiel nicht hereinfiel. Italien gewann gegen Belgien auch ohne Schwalbeneinwirkung. Allerdings hatte Immobiles simulazione den höheren Unterhaltungswert, da der scheinbar brutalstmöglich zu Boden Gestreckte das Glück einer sofortigen Wunderheilung erfuhr und binnen Sekunden wieder wie ein kerngesunder Springinsfeld durch die Arena flitzte.

Mit anderen Worten: Die italienische Gaunerei war lustiger, die englische war zielführend. Soll man daraus Rückschlüsse auf den jeweiligen Volkscharakter ziehen? Das wäre unfair. 

Kein Beispiel hochgradiger englischer Ehrlichkeit

Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich der englische Spieler-Star von einst, Alan Shearer, überaus abfällig über den italienischen Kollegen äußerte und Immobiles Fallsucht als „peinlich und erbärmlich“ tadelte. Da kam dann doch etwas Volkscharakterliches zum Vorschein. Denn der gemeine Engländer hält sich für eine deutlich ehrlichere Haut als es nach seiner Einschätzung der leichtlebige Südländer ist. Dass es sich dabei um eine Selbsttäuschung handeln könnte, beweist nicht nur Englands Weg ins Endspiel. Auch historisch-politisch lässt sich da einiges anführen, zum Beispiel Napoleon und andere Franzosen, die einst die politischen Methoden der englischen Konkurrenz mit dem Begriff „perfides Albion“ verewigten. Auch die mangelnde Brexit-Vertragstreue des amtierenden Premierministers Boris Johnson kann nicht als Beispiel hochgradiger englischer Ehrlichkeit gelten.

Aber wer ist schon hochgradig ehrlich? Die Fallsucht auf dem Fußballplatz ist völkerübergreifend. Sie ist ein Phänomen des Profi-Sports, bei dem es ja nicht nur um Siegerehren sondern um jede Menge Geld geht. Spätestens hier haben wir die Parallele zum Leben jenseits des Fußballplatzes. Zu viel Geld verdirbt den Charakter. Es kann sogar schamlos machen.

Nehmen wir nur die Beigleiterscheinungen der Fallsucht professioneller Kicker. Was man normalerweise im Lärm der Fan-Kulisse kaum wahrnehmen kann, konnte man bei Spielen ohne Publikum deutlich hören: In der allgemeinen Stille schreckten auf einmal die herzerweichenden Schmerzensschreie der Spieler auf, die nach einem leichten Kontakt mit dem Gegner theatralisch zu Boden gehen. Die Schreie sollen den Schiedsrichter zusätzlich zum optischen Tauchvorgang akustisch davon überzeugen, dass dem Darniederliegenden Furchtbares widerfahren ist. Da winden sich dann gestandene, massiv durchtrainierte Männer wie arme Würmer am Boden und beenden ihre Vorführung erst, wenn der Schiedsrichter nicht mitspielt. Es geht nun mal um Millionen. Da schämt man sich als Mann nicht einmal, die Memme zu spielen. Der Zweck heiligt die beschämenden Mittel.

Unehrlich währt bekanntlich am längsten, wo Gewinnen alles und Dabeisein allein nichts wert ist. Zugegeben: Das Leben mag, anders als eingangs behauptet, vielleicht doch kein Fußballspiel sein. Aber der Fußball spiegelt das Leben. Er und es sind schön und aufregend, aber gespickt mit Hässlichkeiten. 

Foto: Pixabay

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Sepp Kneip / 08.07.2021

Die Schwalben sind so alt wie der Fußball. Wenn es auch sonst kaum noch Schwalben gibt, werden uns die Fußballschwalben erhalten bleiben. Mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich. Je nach Schauspielkunst oder Schiedsrichter. Sie gehören zum Schauspiel Fußball dazu. Was nicht dazu gehört ist eine andere Fallsucht. Das Auf-die-Knie-fallen der Kicker, um dem Götzen und Kult BLM zu frönen. Das hat mit Fußball nichts, aber rein gar nichts zu tun. Genau so wenig wie der Regenbogenkult einer Minderheit, die mittlerweile die Mehrheit gängelt. Und da sich hier die Elf um Neuer besonders hervorgetan hat, statt guten Fußball zu spielen, ist ihr frühes Ausscheiden zu begrüßen. Dann lieber ab und zu ne Schwalbe. Hier hat wenigstens noch der Schiedsrichter noch ein Wörtchen mitzureden, wenn er die Schwalbe denn erkennt.

Knapp,Heinerich / 08.07.2021

Tolle Schwalbologie…bin schon auf die Fortsetzungen…Fliege machen…ins Gras beißen…LaPaloma pfeifen…,gespannt !

Klaus Harjes / 08.07.2021

Na ja, da kämpfen zwei Teams bis zur letzten Patrone mit den erlaubten und sich zugestandenen unerlaubten Mitteln! Unsere frisierten Tatoos haben hingegen einen Christopher-Street-Day mit halbseidenen fußballerischen Einlagen aufs Grün gestoffelt, no time for loosers! Ich bin da mehr fürs Eishockey, nichts für solche Luschen! Wenn da jemand länger als 5 Sekunden auf der Eisfläche liegt, ist es grundsätzlich nicht falsch,  112 zu kontaktieren. Ehrensache!

Frank Holdergrün / 08.07.2021

Nach dem Brexit Europameister, das wäre doch ein schönes Zeichen für die Briten. Ich gönne es ihnen von Herzen. Aber die Italiener als echte Nationalmannschaft könnte der bunten Empire-Auswahl ein Strich durch die Rechnung machen. Zwei so hungrige Teams werden um ihr Leben rennen und bei Bedarf fallen, aufstehen und draufhauen. Wer hätte gedacht, dass die Vielfalt des Sports irgendwann in die Monokultur des Fußballs abfällt, ein Alptraum schlimmer noch als Politik.

T. Schneegaß / 08.07.2021

@Hartmut Laun: “Da gelten dann auch keine Hygieneregeln zu Corona.” Warum auch? Diese “Regeln” wurden nicht aus Liebe zu den Menschen und der Sorge um ihre Gesundheit erfunden. Deren Ignorieren ist das einzig Vernünftige an diesem Spielort der EM, wie schon vorher in Kopenhagen und Budapest. Die UEFA hat vorab auch hier, wie so oft in anderen Fällen, versagt und Spiele auch an solche Standorte wie Södolf-Land vergeben.

Claudius Pappe / 08.07.2021

Ciro Immobile hat es in Dortmund nicht geschafft, da keiner seiner Mitspieler mit ihm zum Essen ging. Seine Traumvilla ( zur Miete ) hatte es in sich. Ich gönne den Italienern trotz ( Kniefall ) den Sieg, denn vor Jahren sind sie bei einer WM von den Schiedsrichtern verpfiffen worden. Warum spielen bei Italien keine Migranten (außer den Fußball-Brasilianern) mit ?

T. Schneegaß / 08.07.2021

Als großer Anhänger des Sportes, vor allem der Mannschaftssportarten, wird mein Konsum des “modernen” Fußballsportes immer weniger. Das vom Autor beschriebene zunehmende Schauspieler- und Weicheiertum spiegelt gerade bei diesem massenwirksamen Sport den Zustand dieser dekadenten Gesellschaft wider, man beobachte nur mal den um sich greifenden Narzismus. Gestyltes Haar (oder was “Mann” dafür hält), das auch nach mehreren Schwalben noch sitzt, lächerliche Tänzchen, Wackeln mit den Hüften und infantile Gesten passen zum Genderismus und lassen fragen: m/w/d? Man weiß nicht mehr, welches Hormon welchen dieser Bubis*innen steuert. Dazu kommt die zunehmende politische Demonstration linksgrüner Ideologien, nicht nur auf dem Rasen, sondern auch aus den Reporterkabinen. Wer erklärt den weißen Hinknieenden eigentlich mal, dass IHR Leben NICHT zählt? Im Moment lobe ich mir da noch Eishockey oder Handball als Relikte ehrlichen Sports. Wären auch dort solche Art “Männer” unterwegs, wäre nach wenigen Spielminuten das vorhandene Spielerreservoir aufgebraucht.

Johann Santi / 08.07.2021

Sie haben die Holländer vergessen bzw. den gestrigen Schiedsrichter, der vollkommen versagt hat. Wozu hat der denn einen Video-Assistenten? Seit dessen Einführung lässt der Schiedsrichter strittige Spielsituationen erst einmal laufen – wie es ja in den übrigen Spielen der EM zu sehen war –, und wenn sich dann der Video-Assistent meldet und etwas moniert, kann der Schiedsrichter die Situation selbst noch einmal am Bildschirm überprüfen und gegebenenfalls z.B. Elfmeter oder Abseits pfeifen. Wieso darf so jemand ein Halbfinale einer EM pfeifen?

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