Roger Letsch / 18.07.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 85 / Seite ausdrucken

Ende eines Festivals: Wie man in Hannover Gold zu Stroh spinnt

Mach’s gut, altes „Masala“ Festival, dein Publikum wird dich vermissen. Hannover wird dich vermissen. Die Künstler werden dich vermissen. Doch die Veranstalter waren nicht mehr glücklich mit dir. Nach 27 Jahren ist nun Schluss, denn die Zuschauer waren zu wenig divers, zu wohlhabend und zu weiß.

Lange ging ich davon aus, dass der woke Zeitgeist sich nur an solchen Dingen vergreift, die sich mit den Parolen von Gleichheit, Weltrettung und Genderfluidität nicht vertragen. Also mit solch profanen Sachen wie einer gesicherten Stromversorgung, industrieller Wertschöpfung im Inland oder dem allgemeinen Empfinden von Sicherheit. Doch da lag ich wohl falsch, denn zumindest in Hannover sind selbst solche Projekte von der Abrissbirne bedroht, die seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil dessen gehören, was man früher wohl unter dem Begriff „Gelegenheit zu Austausch und Völkerverständigung“ gefeiert hat.

Kurz: Das Masala-Festival hat es in diesem Jahr zum letzten Mal gegeben. Masala, das war wie das gleichnamige Gewürz eine exotische Mischung, in diesem Zusammenhang der Kulturen, denn die Gründer des Festivals, Gerd Kespohl und Christoph Sure, brachten seit 1995 Künstler aus aller Herrn Länder auf die Bühnen Hannovers. Ob Reggae, Folk, lateinamerikanische Klänge, Lieder aus Afrika oder Musik, die heute nicht mehr Zigeunermusik heißen darf – alles war vertreten und fand ein zahlreiches und dankbares Publikum.

Mit Eifer waren Kespohl und Sure immer mit dabei, organisierten und sagten die Künstler an. Die beiden legten ihre ganze Begeisterung in das Projekt, welches ein durch und durch linkes war, auch wenn das nie explizit gesagt wurde. Es stammt aus einer Zeit, als das „exotische“ noch etwas Gutes war und man den ungenießbaren Tee aus dem Weltladen noch mit einem „ist doch für die gute Sache“ runterschluckte. Die Hannoveraner freuten sich über das Treiben, kamen sie doch (gegen Eintritt, versteht sich) in den Genuss von Musik, die sie sonst nicht oft zu hören bekamen. Den Künstlern die Gagen, den Menschen die Musik, der Stadt ein festes Ereignis im Veranstaltungskalender.

Doch dann verabschiedeten sich Kespohl und Sure in den Ruhestand und in diesem Jahr fand (nach zwei Jahren Corona-Zwangspause) das letzte Masala-Festival statt. Um eines gleich vorwegzunehmen: Nicht Corona hat die Veranstaltung gekillt, das übernahm der durchgeknallt-woke Zeitgeist in Gestalt der neuen Organisatorinnen.

Statt Masala: „Lieber etwas Eigenes und Neues machen“

Die HAZ titelt „Lieber etwas Eigenes und Neues machen“ und ergänzt „Das Masala-Festival ist Geschichte – auch, weil das verjüngte Team im Pavillon andere Vorstellungen hat. Ein Gespräch über alte Zöpfe und neue Perspektiven des Kulturzentrums.“ Susanne Müller-Jantsch und Anna Rießen heißen die neuen Organisatorinnen und, Sie ahnen es schon, liebe Leser: Im Genderunterricht haben beide gut aufgepasst.

HAZ: „Es war das 25. und letzte Masala-Festival. Warum ist es zu Ende?“

Anna Rießen: „Da kam viel zusammen. Wir sprechen seit Jahren darüber, ob wir alle noch glücklich mit dem Festival sind. Mit dem Weggang von Christoph Sure und Gerd Kespohl haben wir gemerkt, dass es für ein solch großes Projekt Menschen braucht, die mit voller Leidenschaft dahinterstehen – und dass wir als junges Team, das das Festival nicht konzipiert hat, diese Leidenschaft nicht in diesem Maße aufbringen. Wir wollten das Festival ehrenvoll verabschieden, aber lieber etwas Eigenes und Neues machen.“

Susanne Müller-Jantsch: „Gerd und Christoph hatten damals eine offene Welt vor sich und haben Masala neu erfunden. Die Chance, was Neues zu erfinden, sollen jetzt auch die Jüngeren haben.“

Der neuen Generation fehlt es also an Leidenschaft für Etabliertes. So geht es heute nicht nur Autobauern, sondern auch Veranstaltern.

HAZ: „Hatte die aktuelle Diskussion um kulturelle Aneignung etwas damit zu tun?“

Rießen: „Wir sind der Meinung, dass das Genre Weltmusik in dieser Form nicht mehr existent ist. Die Künstlerinnen und Künstler hier zu veranstalten, ist meiner Meinung nach noch nicht unbedingt problematisch. Eher die Art und Weise, wie man drüber spricht und welche Leute kommen. Unser Publikum ist in erster Linie eher weiß und finanziell gut ausgestattet.“

Die Katze ist aus dem Sack, wie man so sagt, und zeigt nun ihre Krallen. Das finanziell gut ausgestattete Publikum war das Problem in Hannover. Müller-Jantsch, die wohl begriffen hat, welche Entgleisung da gerade zu hören war, relativiert die Aussagen zuächst:

„Dieses Stammpublikum ist eine sehr wichtige Zielgruppe für uns und ein treues Masala-Publikum.“

Nur um dann doch noch in die woke Richtung abzubiegen:

„Dennoch ist wichtig, auch ein diverses Publikum anzusprechen.“

Nicht divers genug, diese Hannoveraner! Der Vorwurf der Unterstützung der „kultuellen Aneignung“ an die Gründer kam ja bereits zur Sprache und weil die nicht ohne ihr ideologisches Fundament, den allgegenwärtigen Rassismus, auskommt, legt Rießen nach:

„Wir müssen in unserer Arbeit sensibel sein und beispielsweise darauf achten, dass Konzerte keinen exotisierenden Faktor haben. Das kann schnell passieren, wenn ein ausschließlich weißes Publikum einem schwarzen Künstler oder einer schwarzen Künstlerin auf der Bühne zuschaut.“

Die Spucke bleibt einem weg bei solchen Äußerungen. Schwarze Künstler vor weißem Publikum? Geht gar nicht! Das ist Apartheid in ihrer reinsten Form. Die vermisste „Diversität“ entpuppt sich als erträumte Rassentrennung. Nicht diversifizieren, sondern dividieren ist das neue Motto! In jedem kompromisslosen Verfechter der Diversität steckt offenbar ein Rassist, der an die frische Luft will.

Das scheint auch der HAZ etwas zu rassistisch zu sein, denn man bittet um Einordnung: „Aber das war doch mal der Zweck: einem hannoverschen Publikum, das bunt sein kann, aber nicht muss, Konzerte aus anderen Kulturen zu bescheren, die sie sonst nicht erleben können. Das hat der Pavillon erst ermöglicht.“

Müller-Jantsch, ganz Ausbüglerin für ihre jüngere Kollegin: „Das war der erste Schritt, unbekannte Musikkulturen zu präsentieren. Der zweite Schritt war dann der kulturelle Austausch, das Kennenlernen kultureller Techniken. Durch Masala ist vieles mit initiiert worden, beispielsweise im Zentrum für Weltmusik in Hildesheim.“

Doch was nützt es, vergangene Erfolge zu betonen, wenn sie heute nichts mehr gelten, weil die Veranstalter der Meinung sind, nun „den nächsten Schritt“ tun zu müssen. Auch lässt sich Anna Rießen so leicht nicht die Butter vom Weißbrot nehmen:

„Der Kontext ist das Problem. Die Menschen hier im Haus brauchen ein Projekt, für das sie brennen. Es ist schwierig, wenn man etwas von zwei Menschen, die aus einer ganz anderen Generation kommen, einfach übernimmt.“

Hier dürfen wir den Gestaltungswillen der Generation Klebekind in all seiner Pracht bewundern. Alles muss zerschlagen werden, nichts hat Bestand, nichts ist es wert, bewahrt zu werden, an nichts Ererbtem erprobt sich die Kraft, vielleicht weil sie instinktiv merkt, dass die Stiefel zu groß sind und deshalb achtlos weggeworfen werden. Hineinwachsen? Kein Interesse! Alles muss ausgerissen, weggeräumt, überwunden werden. Mao wäre stolz!

Jetzt kommt die Verzweiflung bei der HAZ hoch. „Der Pavillon ist mal für das Miteinander, das Verbinden der Kulturen angetreten.“

Rießen: „Das ist auch immer noch so, aber wir sind ein reflektierendes Team. Wir wissen, dass wir beide auch jetzt hier als Vertreterinnen einer weißen Mittelschicht sitzen. Wenn ich einen Text über eine Wassoulou-Musikerin aus Mali schreiben soll, habe ich keine Ahnung, welcher Spirit hinter dieser Musik steckt. Wir stoßen da schnell an unsere Grenzen, das ist sehr sensibel.“

Mit dieser Einstellung hätte das reflektierte Team aus der weißen Mittelschicht auch eine Kolonie in der Region Wassoulou leiten können. Mit wenig Ahnung, viel Spirit und der übergroßen Gewissheit der eigenen Überlegenheit.

Man ahnt die Träne, die im Auge des HAZ-Fragers steht: „Verstehen Sie es nicht als Ihren Job, vor allem durch möglichst viel Werbung die Möglichkeiten zu schaffen, dass die Menschen in die Konzerte gehen und sich ihr eigenes Bild machen können?“

Doch Aufseherin Rießen hat kein Erbarmen mit dem Besucher ihrer Plantage: „Ich weiß nicht, was vorher mein Job gewesen wäre. Ich verstehe meinen Job nicht so. Natürlich sollen die Menschen kommen, aber ich sehe es als meine Aufgabe, Texte so zu formulieren, dass sich nicht wieder nur das klassisch weiße Publikum angesprochen fühlt. Der Anspruch des Hauses ist es nicht, dass die Konzerte nur voll sind. Uns ist es wichtig, ein möglichst breites Publikum anzusprechen.“

Wie aber will Rießen „ein breiteres Publikum“ und nicht nur das „klassisch weiße“ ansprechen, wenn sie bekennt, keine Ahnung von fremden Kulturen zu haben und offenbar auch ihre Aufgabe nicht darin sieht, dieses Defizit zu beseitigen? 25 Mal war das Festival gut besucht, die Konzerte voll und plötzlich kommt eine Organisatorin, für die Besucherzahlen keine Rolle spielen, weil es die „falschen“ Besucher waren. Nicht volle Hallen will Rießen haben, sondern einfach ihr Ding machen.

HAZ: „Haben Sie es zuletzt nicht mehr geschafft, diese Leute gezielt anzusprechen?“

Müller-Jantsch: „Wir erreichen sie, und wir erreichen sie immer besser, weil wir selber immer diverser aufgestellt sind. Darauf achten wir bei der Stellenbesetzung. Und wenn wir Räume direkt an die Communities vermieten, dann wird es auch voll.“

Die „Communities“ sollen also unter sich bleiben. Schön getrennt nach Hautfarbe, kulturellem Background und Geschmack. Es lebe die Parallelgesellschaft, die sich natürlich immer diverser aufstellt! Und dann hat Rießen noch einen Gedanken beizutragen, mit dem ich die Zitate beenden möchte. Denn was wir da gleich lesen dürfen, ist eindeutig das finale furioso:

„Auf dem Weltmarkt (einer Art Jahrmarkt, der immer zum Abschluss des „Masala“ stattfand, Anmerkung. d. A.) beispielsweise haben wir ein ganz anderes Publikum als in den Konzerten. Man kann einfach hingehen und muss nichts bezahlen. Ticketpreise und das Betreten vermeintlich hochkultureller Einrichtungen können eine Hemmschwelle für Menschen mit Migrationserbe sein.“

Das Betreten von „hochkulturellen Einrichtungen“ als Hemmschwelle für Menschen mit Migrationserbe. Schöner und verächtlicher kann sich der Rassismus der gesenkten Erwartungen nun wirklich nicht zur Geltung bringen!

Und sonst so?

Jetzt, da die Wassoulou- und Gipsymusiker aus dem Weg sind, kann man so richtig divers werden! Etwa eine Veranstaltungsreihe mit britischen Fusion-Jazz auflegen oder das Multitude-Festival für feministische und intersektionale Solidarität durchführen. Das wird sicher so toll wie ein weiteres Festival im Mai 2023 für postkoloniale und migrantische Perspektiven. Solange alles nur hübsch geordnet in Schachteln stattfindet, wie auch die „Blaue Zone“, die sich an „Menschen ab 55“ richtet. Dort kann man sich im Sommercamp über gutes Leben im Alter austauschen. Was die Alten halt zu interessiert hat, wenn man sie aus der Sicht woker Diversity-Expertinnen betrachtet. So sieht es aus, wenn der woke Zeitgeist in Hannover Gold vorfindet und es zu Stroh spinnt.

Mach’s gut, altes „Masala“ Festival, dein Publikum wird dich vermissen. Hannover wird dich vermissen. Die Künstler werden dich vermissen. Doch die Veranstalter waren nicht mehr glücklich mit dir. Nach 27 Jahren ist nun Schluss, denn die Zuschauer waren zu wenig divers, zu wohlhabend und zu weiß.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt

Foto: Pixabay

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Leserpost

netiquette:

Ilse Polifka / 18.07.2022

Es ist immer wieder bemerkenswert, wie gerade Frauen als knallharte dumme Zerstörer agieren. Vielleicht wäre für die Damen ein Jodelkurs das richtige, dann hätten sie was Eigenes ( s. Loriot ).

Heiko Stadler / 18.07.2022

Viel Geschwurbel um ein kleines Problem: Das Publikum ist nicht breit genug. Liebe Frauen, nehmt euch die grüne Ricarda zum Vorbild und haut rein, was geht!

Philip Weintraub / 18.07.2022

Unglaublich - Rassismus in seiner schlimmsten Art. Damit gibt es dann gar keinen Austausch mehr, jeder bleibt da, wo er ist, niemand kann bzw. darf den anderen verstehen. Ein düsteres Zeitalter bricht an ...

Jürgen Fischer / 18.07.2022

Tja, sie haben ihren Faust zwar nicht gelesen, die beiden „Damen“, aber intuitiv verstanden bzw. verinnerlicht haben sie ihn doch: »Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär’s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element.« Nichts Neues unter der Sonne ...

Sebastian Weber / 18.07.2022

Ok, verstanden. Dürfen dann künftig “poeple of colour”-Musiker dann keinen Beethoven oder Mozart mehr spielen? Das ist doch auch eindeutig “kulturelle Aneignung”, oder nicht?

S.Wietzke / 18.07.2022

Na und? Die Hannoveraner nehmen es hin. So wichtig kann ihnen das also alles gar nicht gewesen sein. Folglich ist die Aussage das “Hannover” da irgendwas vermisst völliger Unfug.

Reinhard Schilde / 18.07.2022

Ahh, dem Feindbild, der weißen, wohlhabenden Kartoffel, wird abgesprochen, schwarz-braunen Künstlern auf der Bühne zuzuschauen. Ist wahrscheinlich auch wieder eine Form der kulturellen Aneignung. Mehr Rassismus geht ja wohl kaum. Ich vermute, die “hochkulturelle Einrichtung” sowie diese beiden Dummschwätzer*innen werden aus den Steuergeldern der weißen und finanziell gut ausgestatteten Bevölkerung am Leben gehalten.

M. Haumann / 18.07.2022

Wenn ich einen Text über eine Wassoulou-Musikerin aus Mali schreiben soll und keine Ahnung habe, welcher “Spirit” hinter dieser Musik steckt, stosse ich also schnell an meine Grenzen. Was könnte ich tun, um meine offenbar sehr beschränkten Möglichkeiten, fremde Kulturen wahrzunehmen, zu erweitern? Mit der Musikerin und ihrem Umfeld sprechen, ihnen zuhören, mich einlesen? Oder ist eine Kontaktaufnahme schon kulturelle Aneignung?  Das alles ist so irre und so spalterisch. Die machen wirklich alles kaputt.

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