Rainer Bonhorst / 16.04.2022 / 12:00 / Foto: President.gov.ua / 42 / Seite ausdrucken

Eine wunderbare Freundschaft und eine wundersame Feindschaft

Der Ukraine-Krieg sorgt – wie seinerzeit in „Rick's Café“ in Casablanca – für eine wunderbare Freundschaft und – ganz ohne Rick – für eine wundersame Feindschaft. Die wunderbare Freundschaft ist zwischen Boris Johnson und Wolodymyr Selenskyj erblüht. Die wundersame Nichtfreundschaft hat sich zwischen Kiew und Berlin aufgetan. 

Johnsons Innenministerin Priti Patel hält sich und ihrem Land zwar die ukrainischen Flüchtlinge vom Leib, dafür schickt der Premierminister seinem ukrainischen Freund all die schweren Waffen, die dieser sich wünscht. Deutschland macht es genau umgekehrt. Wir heißen – anders als die herzlose Britin – die ukrainischen Flüchtlinge willkommen, speisen ihren Präsidenten aber mit militärischen Petitessen ab. 

So gemein ist das Leben. Da breiten wir Deutschen in schönster Willkommenskultur die Arme aus, herzen die Flüchtlinge und stehen doch als egoistische Hilfsverweigerer da. Dagegen macht Englands Priti Patel, selber eine Immigranten-Tochter, jeden Versuch der flüchtenden Ukrainer, den Weg auf die Insel zu finden, zu einem Hindernislauf. Derweil wird ihr Chef in der Ukraine als Retter in der Not gefeiert.

Da scheint irgendetwas schiefzulaufen. Die Schieflage ist in Berlin leicht auszumachen. Sie zeigt sich sogar auf ebenfalls wunderbare Weise in der Koalition. Während die von Hause aus pazifistischen Grünen den Kanzler bedrängen, endlich die militärische Hilfe zu liefern, die Selenskyj braucht, sitzt Olaf Scholz als trotziger Tunix hinter seinem Schreibtisch. Robert Habeck und Annalena Baerbock profilieren sich in der Krise, Olaf Scholz wird zum Mann ohne Eigenschaften, und seine Partei, die eigentlich führende in dem Dreier-Bund, wird zur unsichtbaren Dritten. 

Genetisch verfestigte Abneigung gegen Amerika

Warum eigentlich? Scholz wäre doch gerne eine Art Flutkrisen-Helmut-Schmidt. Er hat zum Beginn des Krieges sogar von einer Zeitenwende gesprochen. Aber nun hockt er da und schiebt die Zeitenwende vor sich her. Was er tut beziehungsweise nicht tut, geschieht aus Sorge um unser schönes Russengas, von dem wir uns in einer Jahrzehnte währenden großen Russland-Koalition abhängig gemacht haben. Man kann also sagen: Die Sorge um Deutschlands warme Stuben drückt den Kanzler nieder auf seinen Sessel.

Aber dann ist da auch noch etwas anderes: die alte Liebe vieler Sozialdemokraten zu unseren russischen Nachbarn. Und eine alte Liebe stirbt nicht so schnell. Zumal es nicht nur eine Herzensliebe ist, sondern auch eine zutiefst politische Liebe. Wandel durch Annäherung heißt das von Willy Brandt entwickelte Prinzip, das sich auch Angela Merkel zu eigen gemacht hat. Indirekt unterstützt wurde und wird die Russlandliebe vieler Sozialdemokraten durch eine genetisch verfestigte Abneigung gegen den anderen Giganten, das kapitalistische Amerika.

Der Wandel durch Umarmung hatte seine Zeit und seine Erfolge. Er hat vielen Menschen in Ost und West das Zusammenleben erleichtert. Aber man sollte immer ein bisschen vorsichtig sein, wenn man einen Bären zu umarmen versucht. Man sollte immer nach einem Fluchtweg Ausschau halten, auch wenn der Bär lieb ist. Ob es schließlich die herzliche Umarmung war, die zum Kollaps der Sowjetunion führte, oder der sauteure Rüstungswettlauf, ist eine Frage der Religion. Ich neige zur Ökumene und sage: Es war ein bisschen von beidem.

Was aber tun, wenn der umarmte Bär unruhig wird und Anzeichen von Hunger zeigt? Weiter Honig um den Bart schmieren? Oder versuchen, sich aus der unangenehm werden Umarmung zu befreien? Vor allem in der SPD gibt es genügend Leute, die an der Umarmung festhalten, auch wenn sie nach und nach einen sado-masochistischen Charakter annimmt. Und die alte, inzwischen schmerzhafte Russland-Liebe bewirkt, dass man mit allen Tricks versucht, den Ukrainern so wenig wie möglich zu helfen, damit man den Moskauer Ex(?)-Freund so wenig wie möglich verärgert. 

Stramm, aber auf dem Zahnfleisch 

Erschwerend kommt hinzu, dass man einer nackten Verteidigungsministerin nicht in die Taschen greifen kann. Und die Bundeswehr steht nun mal ziemlich entblößt da. Stramm, aber auf dem Zahnfleisch. 

So weit, so blöd. Und dann geschieht Folgendes: Die ukrainischen Kriegspolitiker drehen in ihrer Nervosität ein bisschen durch, vergreifen sich im Ton gegenüber dem deutschen Führungspersonal und laden sogar unseren Bundespräsidenten aus. Der wäre gerne auch mal in die Ukraine gekommen, nachdem die halbe Welt schon da war. Aber den Frank-Walter Steinmeier wollen sie nicht, weil der Olaf Scholz nicht kommt. So kindisch kann Politik sein. Und plötzlich haben wir sie, die wunderbare Unfreundschaft auf höchster deutsch-ukrainischer Ebene.

Eine alte politische Regel lautet: Wenn einer kindisch ist, wird der nächste es auch. So wird der Spieß nun umgedreht: Wer unseren Bundespräsidenten beleidigt, der kriegt unseren Kanzler erst recht nicht. Wie sagte man früher bei der SPD? Ätschibätschi. Ein zweiter Kriegsschauplatz mit allen Zügen einer Farce ist entstanden. Und Selenskyj hat mit dem Bodycheck in Richtung Steinmeier dem Bundeskanzler die perfekte Ausrede geliefert, um die Finger von der heißen Kartoffel namens Ukraine zu lassen.

Derweil helfen deutsche Normalbürger geflüchteten ukrainischen Normalbürgern zu überleben. Unter den deutschen Helfern, die sich um die Ukrainer kümmern, befinden sich auch etliche mit russischem Migrationshintergrund. Normalbürger handeln nun mal gerne normal und nicht im erhöhten Erregungszustand, der zuweilen die Politik plagt. Die Russlanddeutschen können besonders gut helfen, weil sie fast die gleiche Sprache wie die Ukrainer sprechen. Also eine vernünftige Sache. 

Dass jetzt mancher Russlanddeutsche von deutschen Ureinwohnern beschimpft und mit Eiern beworfen wird, liegt daran, dass nicht jeder Normalbürger die hellste Kerze am Weihnachtsbaum ist, wenn dieses Bild zur Osterzeit gestattet ist. Dass wiederum manche Russlanddeutsche weiter für Putin und seinen Krieg schwärmen, liegt ebenfalls daran, dass auch in ihren Kreisen manche Kerze nur dünn schimmert.

Nach diesem Ausflug in die Welt des normalen Menschenverstandes wird es Zeit, wieder zur Politik und zu unserem deutsch-englischen Ausgangspunkt zurückzukehren. Hier lautet das Fazit: kluges (schlaues?) England, konfuses Deutschland. Das einwanderungsfeindliche Brexit-Land wird geliebt, unser Willkommenskultur-Land wird verachtet. Tja: Wer dem Kunden gibt, was er wünscht, gewinnt ihn. Wer ihn vertröstet, verliert ihn. So wurde Boris Johnson für die Ukraine zum Superman und Olaf Scholz zum Hobbit. 

Foto: President.gov.ua CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Franz Klar / 16.04.2022

Nicht nur die Sozen lieben innig Großrußland . Es ist eine bekennende Kreuzundquerfront aus AfD , Linkspartei und irrlichternden Publizisten und deren Vasallen auf den Kommentarfriedhöfen . Wenn Karl Eduard und Ivan Rebroff das noch erlebn tätn ... Die Minderluminante Internationale wäre geboren ...

T. Brecht / 16.04.2022

Die deutsche grünrote Witzbuden-Regierung ist wirklich total Irre ich komme aus dem staunen nicht mehr raus jetzt machen die grünen schon dem “Lord of War” (guter Film !) konkurenz. Bei der Regierungstruppe weht der Wind jetzt aus allen Richtungen was interessiert das gelaber von gestern. Wenn ich den Herrn BK Scholz so sehe muss ich immer an Gartenzwerge denken ist nun auch nich so weit weg vom Hobbit.

RMPetersen / 16.04.2022

Das ist doch eine gute Arbeiteilung: Briten schicken Waffen, Deutsche betreuen Menschen. Auch wenn es den Bellizisten hier bei de Achse nicht gefällt: Das finde ich ok. Wenn dann das BMI kritisch bei der Intentifizierung der “Flüchtlinge” vorgehen und die dubiosen Fälle an der Einreise hindern würde, könnte ich diese Regierung loben.

Ralf Pöhling / 16.04.2022

Zitat:“Johnsons Innenministerin Priti Patel hält sich und ihrem Land zwar die ukrainischen Flüchtlinge vom Leib, dafür schickt der Premierminister seinem ukrainischen Freund all die schweren Waffen, die dieser sich wünscht. Deutschland macht es genau umgekehrt. Wir heißen – anders als die herzlose Britin – die ukrainischen Flüchtlinge willkommen, speisen ihren Präsidenten aber mit militärischen Petitessen ab.” Wir haben eine andere Ausgangslage und damit eine andere Interessenlage. Die Briten sind selbst gut gerüstet und die Konservativ-Liberalen haben die Mehrheiten. Wir sind schlecht gerüstet und uns fehlen die Mehrheiten. Wir müssen dabei nur aufpassen, dass das gemeine Volk sich von dem verwirrenden Chaos nicht anstecken lässt und der Konflikt auf unser eigenes Territorium getragen wird. Hier bei uns muss alles schön ruhig bleiben. Dann wird alles gut.

Frank Box / 16.04.2022

“Während die von Hause aus pazifistischen Grünen den Kanzler bedrängen, endlich die militärische Hilfe zu liefern, die Selenskyj braucht, sitzt Olaf Scholz als trotziger Tunix hinter seinem Schreibtisch.” - Vielen Dank Herr Bonhorst! Die Figur des “Tunix” hat in den Asterix-Comics bisher gefehlt. Und ein passendes Gesicht wurde den Zeichnern auch noch geliefert. Sie haben diesen Olaf ( “Du Scholz!” ) unsterblich gemacht!

Ralf.Michael / 16.04.2022

Annäherung ? Ich habe Willy Brand schon immer für einen ganz grossen Lügner gehalten ! Die anderen Sozen aus seinem Umfeld übrigens auch. Alles Agenten der KOMINTERN, was denn sonst ! Hat sich bis Heute nichts geändert, Leider ! Hier braucht es Dringend eine Kampangne wie seinerzeit in den USA…eine Hexenjagt auf alle Kommunisten, besonders die mit dem Grünen Tarnanstrich “

Dr. med. Jesko Matthes / 16.04.2022

Das Aufnehmen von Flüchtlingen beendet keinen Krieg. Es nimmt Dampf vom Kessel, damit aus dem heißen ein kalter Krieg wird, dem man durch Reformen und friedliche Koexistenz nebst Wandel durch Annäherung, Kauf von russischem Stahl und Öl, Austausch von Spionen im Morgengrauen, Freikauf von politischen Gefangenen und ein paar schöne Abkommen zur Friedenssicherung begegnen kann. Okay, das versteht außer uns Deutschen und ein paar Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale keiner, aber Olaf und seine SPD werden’s schon richten, denn die hat uns ja auch die Einheit gebracht, irgendwo zwischen Salzgitter und Schwante, oder hab ich da jetzt was falsch verstanden?

Dirk Baumann / 16.04.2022

Aus den Briten kann man mehr rausholen, wenn man freundlich zu ihnen ist und ihre Stellung anerkennt. Aus den Deutschen holt man mehr raus mit Mißachtung und dem Ausnutzen unseres Schuldkults und dem Deutschlandhaß unserer Eliten.

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