Peter Grimm / 09.11.2019 / 06:14 / Foto: Bundesarchiv / 75 / Seite ausdrucken

Eine Grenzöffnungs-Zeitreise

Die Grenzen öffnen und Millionen Menschen strömen ins Land. Viele kommen, um zu bleiben. Und wie reagieren insbesondere die weltoffenen Parteien? So wie wir es kennen, mit Willkommenskultur und unbedingter Aufnahmebereitschaft, koste es, was es wolle? Oder können die besonders weltoffenen Bundesbürger auch ganz anders auftreten?

Kann man sich vorstellen, dass SPD-Abgeordnete der Bundesregierung "Heuchelei und Pharisäertum" vorwerfen, weil die "Politik der offenen Arme", die das Kanzleramt verfolge, die Zuwanderer anlockt? In den Stadtverwaltungen der Großstädte wachse nämlich die Angst vor jedem neuen Flüchtling, wie der Spiegel berichtet, weil die Neuankömmlinge auf einen Wohnungsmarkt drängen, der so strapaziert ist wie kaum je zuvor. Stuttgarts Oberbürgermeister spricht sogar vom "nationalen Notstand" und fürchtet für die Zuzügler allzu viele "bisher jungfräuliche Grünflächen" als Bauland hergeben zu müssen. Ein grüner Obdachlosen-Experte aus Berlin fürchtet, dass für die einheimischen Obdachlosen durch den massiven Zuzug die Chancen auf ein eigenes Dach über dem Kopf "auf Null gesunken" seien. Die taz schreibt abfällig vom "Willkommensgeschrei" der Bundesregierung, während evangelische und die katholische Kirche erklären, die Probleme im Herkunftsland seien durch eine Völkerwanderung nicht zu lösen. Und das Diakonische Werk habe auf die wohnungspolitischen Konsequenzen eines anhaltenden Zuzugs hingewiesen: "Wir steuern auf eine Katastrophe zu."

Viele Bürgermeister würden sich fragen, warum sie Bauland ausschließlich für die Fremden bereitstellen sollten und nicht für Einheimische in Wohnungsnot, heißt es im Spiegel weiter. Der Vorsitzende des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen habe gewarnt, dass eine Politik, die mit Fördergeldern eine "einseitige Begünstigung" der Zuwanderer betreibe, einen "Nährboden für Radikale" schaffe.

"Symptome der Überfüllung"

Einige Wochen später klingt es im Spiegel nicht weniger dramatisch:

„Das gelobte Land zeigt mittlerweile Symptome der Überfüllung. Nach Öffnung der Grenzen droht ein nationaler Notstand, made in Germany.“

Der Oberbürgermeister von Hannover, so schreibt das Nachrichtenmagazin aus Hamburg, „fleht eine ‚geordnete Einwanderung‘ herbei. Auch er sieht den ‚sozialen Frieden‘ bedroht; bei Kontakten mit seinen Bürgern hört der Kommunalpolitiker böse Alarmzeichen: "Unwohlsein, Neid, Aggressionen und Antipathie gegenüber diesen Menschen." "Noch 1 Million Flüchtlinge? Das hält Deutschland nicht aus", wird die Hamburger Morgenpost zitiert.

Solche Töne waren in der Bundesrepublik zu hören und hatten ihren selbstverständlichen Platz in allen Medien, ohne als „Hass und Hetze“ etikettiert zu werden. Keiner, der über die Ängste sprach, dass ein weiterer Massen-Zustrom von Menschen das Gemeinwesen und den Sozialstaat überfordern könnte, musste fürchten, einer anrüchigen Gesinnung verdächtigt zu werden. Auch karrierehinderlich waren diese Diskussionsbeiträge nicht. Das war vor 30 Jahren und die Zuwanderer, vor denen viele Politiker, die Gewerkschaften und die Kirchen warnten, waren die DDR-Bewohner die im Herbst 1989 vor und vor allem nach Maueröffnung in die Bundesrepublik strömten.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

beat schaller / 09.11.2019

Und heute weiss man davon gar nichts mehr. Nein, sogar wenn es so offensichtlich auf dem Teller liegt. Verantwortlich ist ein System, welches von Machtintrigenen, inkompetenten,  quasi anonymen grossen Parteien, geführt wird.  Zusammen mit unzähligen, von genau diesen installierten und finanzierten NGO’s, von einer völlig impotenten Journaille , hat sich ein weiter wuchernder Filz installieren können, der trotz allen Verwerfungen, trotz aller aufgeschobenen Probleme und offensichtlichen Resultate weiter wuchern kann. Das inkl. deren Selbstbedienung wird dann vielleicht zurückgedreht, wenn keine Steuern mehr fliessen und wenn genug enteignet ist. Vielleicht gibt es aber vorher sogar im ersten Schritt die grosse Explosion. Die Welt wird nicht untergehen aber, sie wird wie immer einen selbstreinigenden Weg finden. Mindestens das scheint sicher zu sein. b.schaller

Rolf Mainz / 09.11.2019

Ihr “Unwohlsein” über die anhaltende Zuwanderungswelle aus der Dritten Welt äussern die besagten politischen Würdenträger meist lieber hinter vorgehaltener Hand - sie wissen schliesslich, warum. Und selbst wenn eine ansatzweise kritische Bemerkung an die Öffentlichkeit dringt, dann soll jene insbesondere dazu dienen, zusätzliche Mittel für betreffende Städte und Gemeinden zu lockern, bevor das Thema allzu hoch gekocht werden könnte. Danach wird der Geldhahn von “oben nach unten” selektiv geöffnet - und weiter geht’s, bis zum nächsten Mal. Wirklich kritische Stimmen wird man weder in CDU/CSU und SPD (opportunistisch bedingt) nicht finden, bei den Grünen ohnehin nicht (ideologischer Gleichschaltung geschuldet). Und das wissen die Profiteure der dauerhaften Zuwanderung und setzen darauf - offenbar erfolgreich.

Franck Royale / 09.11.2019

Der SPIEGEL-Artikel ist der Kracher, vielen Dank für diesen Fund im Archiv. Es kamen halt die Falschen: gut ausgebildete, deutsch sprechende Fachkräfte welche den Sozialismus für gescheitert erklärten. Die „weltoffenen Bundesbürger„ haben sich daher nicht viel anders verhalten als heute: paternalistisch, anti-demokratisch, alles ablehnend was irgendwie deutsch ist, positiv rassistisch, Sozialismus-affin.

Barbara U. Bäcker / 09.11.2019

Es ist ja wirklich komisch, dass man radikal ist, wenn man nicht verstehen kann, warum de Zugezogenen bei allem bevorzugt werden. Gestern habe ich von Herrn Kretschmer und der “Inländer-Diskriminierung” gehört. Wenn ich diskriminiert werden will, kann ich auch ins Ausland gehen, dann zahle ich vielleicht weniger. Wir leben wirklich im Wunderland, wo sich die dubiosesten Szenen vor unseren Augen abspielen. Irgendwie scheinen die Politiker nicht verstanden zu haben, dass sie Mauer nicht mehr besteht und Mann/Frau sich tatsächlich gegen dieses Land entscheiden kann.

Albert Pflüger / 09.11.2019

Lieber Herr Grimm, auch wenn Sie es nicht beabsichtigt haben, der Artikel ist fatal. Sie haben ihn als Aufruf zur Verteidigung der Meinungsfreiheit gemeint, aber er wirkt wie ein trojanisches Pferd, greift er doch bewußt viele Argumente auf, die heute gegen unkontrollierte Zuwanderung aus aller Welt vorgebracht werden, und dann führt er sie ad absurdum, da ja niemand heute behaupten würde, die Wiedervereinigung sei ein Fehler und die verursachten Probleme unlösbar gewesen. Schließlich wurden sie letztlich im großen Ganzen bewältigt, wenn auch nicht zu jedermanns Zufriedenheit. Wer das auf die heutige Situation eins zu eins übertragen wollte, ich glaube, da sind wir uns einig, beginge einen fatalen Fehler. Es kommen nicht Landsleute. Die im Artikel konstruierte Analogie entspricht nicht der heutigen Realität. Sie spielt unbeabsichtigt den Falschen in die Karten.

Thorsten Schmidt / 09.11.2019

„ ... die Zuwanderer ... waren die DDR-Bewohner die im Herbst 1989 vor und vor allem nach Maueröffnung in die Bundesrepublik strömten.“ Wenn Sie statt von „DDR-Bewohnern“ von „Deutschen aus der DDR“ gesprochen hätten, wäre die ganze abseitige Widerlichkeit des damaligen links(extremen) Geschreibsels noch deutlicher geworden. Zumal die damaligen linken Deutschlandhasser überhaupt keine Argumentationsgrundlage hatten: Art. 11 GG „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ Dieses Grundrecht schützt die Möglichkeit des Wechsels des Wohn- und Aufenthaltsortes sowie die Einreise in das Bundesgebiet in Bezug auf deutsche Staatsangehörige. Und diejenigen, die hier als „DDR-Bewohner“ tituliert werden, waren nunmal nach dem Recht der Bundesrepublik deutsche Staatsangehörige. Und hatten somit jedes Recht hier zu sein und sich frei zu bewegen. Punkt und aus.

Werner Arning / 09.11.2019

Damals ging es ja auch um eine „Zuwanderung“ von Deutschen. In Anbetracht des (west-)deutschen Selbsthasses ist es nicht verwunderlich, dass man für deutsche Flüchtlinge keine Sympathien hegt. Da kommt ja nur Langweiliges. Gar nicht Buntes. Schon längst Bekanntes. Womöglich Rechtes. Was Antilinkes. Die freuten sich doch tatsächlich darüber, den Sozialismus abstreifen zu dürfen. Anstatt diesen reformieren zu wollen. Ihn besser zu machen. Außerdem sind sie knallweiß. So wie wir. Ätzend. Wir lieben es bunt. Kommt uns nicht mit deutschen Flüchtlingen. Da ahnen wir Wohnungsnot und Wasser auf die Mühlen von Radikalen. Und Vernichtung von grünen Wiesen. Deutsche, nein danke.

Paul Udo Hanus / 09.11.2019

Vor 30 Jahren gab es in Deutschland auch noch so etwas wie eine intakte Medienlandschaft, die das politische Geschehen kritisch begleitete und kommentierte.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Peter Grimm / 23.04.2024 / 06:05 / 94

Anleitung zum vorbeugenden Machtentzug

Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie…/ mehr

Peter Grimm / 12.04.2024 / 06:15 / 136

Kein Drama beim Höcke-Duell

Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt mit seinem AfD-Pendant Björn Höcke in ein TV-Duell ging, sorgte für Aufsehen und Protest. Heraus kam eine ganz normale Fernsehsendung,…/ mehr

Peter Grimm / 11.04.2024 / 12:45 / 50

Die Rundfahrt eines Polizeibekannten

Der Irrwitz deutscher Asylpolitik zeigt sich zuweilen auch in absurden Geschichten aus dem Polizeibericht. Bei zu vielen Asylbewerbern drückt sich das Verhältnis zur Gesellschaft im…/ mehr

Peter Grimm / 09.04.2024 / 06:15 / 140

Droht eine Landesregierungs-Entmachtung nach AfD-Sieg?

Fünf Jahre nach dem „Rückgängigmachen“ einer Ministerpräsidentenwahl überlegen Juristen jetzt, wie man missliebige Landesregierungen mittels „Bundeszwang“ entmachten und zeitweise durch einen Staatskommissar ersetzen könnte. Sie…/ mehr

Peter Grimm / 03.04.2024 / 13:00 / 33

Wer darf Feindsender verbieten?

Wenn Israel das Gleiche tut wie EU und deutsche Bundesregierung zwei Jahre zuvor, dann ist selbige Bundesregierung plötzlich besorgt. Bei Doppelstandards ist Deutschland immer noch…/ mehr

Peter Grimm / 30.03.2024 / 09:00 / 75

Durchsicht: Die populärste Kommunistin?

Sahra Wagenknecht verteidigte als Kommunistin die DDR und begeistert heute selbst Konservative. Klaus-Rüdiger Mai beschreibt, wie die Frau zu verstehen ist. / mehr

Peter Grimm / 24.03.2024 / 12:00 / 77

Fürchtet Putin Angriffe aus verdrängten Kriegen?

143 Todesopfer hat der Anschlag auf ein Konzert in der Moskauer Region gefordert. Der Islamische Staat hat sich dazu bekannt, doch der Kreml hätte gern andere…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com