Peter Grimm / 10.10.2019 / 12:00 / Foto: Achgut.com / 71 / Seite ausdrucken

Ein Weckruf aus Halle?

Diesmal war es also ein rechtsextremistischer Antisemit, der eigentlich ein Blutbad in der Synagoge von Halle anrichten wollte, an der Tür scheiterte und stattdessen im Döner-Imbiss und auf offener Straße zwei Menschen erschoss. Nach allem, was man am Donnerstagmorgen weiß, war der junge Mann ein Einzeltäter. Stundenlang ging die Polizei von mehreren Tätern aus, die Stadt war im Ausnahmezustand.

Wie nach jeder solchen Bluttat ist das allgemeine Entsetzen groß. Dass dann allerorten die Frage gestellt wird, wie das nur passieren konnte und ob das nicht jemand hätte verhindern können beziehungsweise müssen, gehört wohl in die Reihe der natürlichen Reflexe, wie das Bedürfnis von Verantwortungsträgern, mit irgendwelchen schnellen Beschlüssen Entschlossenheit und Handlungsbereitschaft zu demonstrieren. 

Nun ist es bei jeder extremistischen Mordtat richtig und wichtig, den ideologischen Hintergrund des Täters auszuleuchten und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen.  Aber viele, die – offen oder uneingestanden – einen Lieblingsfeind unter den Gewalt-Extremismen haben, neigen unbewusst oft auch zur Unterschätzung der Gefahr, die von dessen „Konkurrenten“ ausgeht. So haben viele wahrscheinlich zunächst nicht angenommen, dass es sich bei dem antisemitischen Mörder von Halle um einen Rechtsextremisten handele. Da sollte man den 9. Oktober 2019 in Halle zum Anlass nehmen, die eigene Sensibilität zu schärfen, um rechtsextreme Gefahrenherde nicht zu übersehen.

Das sollten aber auch jene tun, die glauben, sie hätten das nicht nötig, weil der „Kampf gegen rechts“ ja schon lange zu ihrem Kerngeschäft gehört. Sie müssen nun zwar keine Mittelkürzungen für ihre geförderten Programme und Projekte mehr befürchten, nur wäre jetzt vielleicht die Frage angebracht, ob sie nicht eigentlich die falschen Rechten ins Visier nehmen, wenn es darum geht, Anschläge, wie den in Halle, möglichst zu vermeiden.

Einen gewaltbereiten Neonazi hindert man nicht an der Radikalisierung mit dem Boykott von Bio-Hirse, weil der Mühlen-Betreiber bei der AfD ist. Einen Antisemiten beeinflusst man auch nicht damit, dass man Rechte wie Rechtsliberale oder Rechtskonservative zu Rechtsextremisten erklärt, um diese dann zu „bekämpfen“. Wenn der „Kampf gegen rechts“ zu großen Teilen auf den falschen Plätzen und gegen die falschen Gegner ausgetragen wird, dann befördert er eher den Umstand, dass die wirklich gewalttätigen Neonazis das Radar öffentlicher Wahrnehmung unterfliegen und ihre Existenz von Nicht-Spezialisten erst nach solchen Bluttaten erkannt wird.

Antisemitismus jeder Couleur berücksichtigen

Eine weitere gern geforderte Konsequenz solcher Taten, wie der gestrigen, ist ein entschlosseneres Vorgehen gegen Antisemitismus. Das ist ohne Zweifel richtig. Nur sollte auch das ohne eigene ideologische Scheuklappen geschehen und Antisemitismus jeder Couleur berücksichtigen. Nicht, um rechten Antisemitismus zu verharmlosen, weil er – in entsprechende Relationen gesetzt – vielleicht weniger schlimm wirken könnte. Sondern vielmehr, weil sich die Antisemiten jeder Art – allen sonstigen ideologischen Gegensätzen zum Trotz – nicht selten gegenseitig beflügeln. Auch Rechtsextreme, die von Angriffen auf Synagogen träumen, haben beispielsweise zur Kenntnis genommen, wie nachsichtig der Staat mit Mohamad A. umgegangen ist, nachdem der mit gezücktem Messer in die Neue Synagoge in Berlin wollte. 

Und genau da wäre der nächste Punkt: Unter Verweis auf Halle wird in den nächsten Tagen sicher noch oft gefordert, im Kampf gegen gewaltbereite Neonazis und ihre Radikalisierung noch das eine oder andere Gesetz zu verschärfen. Doch wer soll darin noch eine zielführende Maßnahme erkennen, wenn es doch an immer mehr Stellen an den Kapazitäten zur Rechtsdurchsetzung mangelt? Welche Defizite, welchen Investitionsbedarf es hier gibt, ist ja bekannt. Wer von den politischen Verantwortungsträgern also wirklich handeln und nicht nur Handlungsbereitschaft darstellen will, muss eigentlich nicht lange nach Betätigungsfeldern suchen. 

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elke popken / 10.10.2019

@ Gertrude Wenz Liebe Frau Wenz, sie täuschen sich nicht, Wasser auf die Mühlen derer, heuchelei ohne Ende. Boris Palmer offener Brief an die afd ist eine frechheit! Seehofer ist kein Kommentar mehr wert Und kleberklaus bekommt vor (schaden)-Freude ( ich schreibe das ganz bewusst) fast schnappatmung. Endlich, endlich halten sie es in Händen: die Afd gehört vom Staatsschutz verboten, das Netz muss kontrolliert werden und andersdenkende Bürger werden offiziell zu nazis erklaert! Sie müssen aktiv und konsequent bekämpft werden. Diesen Machtmissbrauch, manipulation, eigene fehlentscheidungen und totales versagen Umzukehren in eine alternativlose moralinsaure gutmenschendiktatur ist das perfide an sich. Jetzt bin ich auch mal kleber-klaus: man stelle sich nur mal vor, erdogan schickt uns die naechsten Drei-vier Millionen antisemitischen steinzeitmoslems vor die Tür, mal sehen wie lange der soziale Friede in diesem Land dann noch vorherrscht. Bleiben wir uns gewogen, mit freundlichen gruessen!

H. Hoffmeister / 10.10.2019

Herr Grimm, Aufgrund der Häufigkeitsverteilung von antisemitischen Anschlägen in der jüngeren Vergangenheit bin ich zunächst auch davon ausgegangen, dass es wieder eine von Islamisten begangene Tat war. Dass ein kranker biodeutscher Einzelgänger noch immer antisemitischen Fantasien anhängt und noch dazu zu solch einer grausamen Tat fähig ist, hätte ich fast 75 Jahre nach dem Ende des “Dritten Reiches” nicht mehr erwartet. Hatte gehofft, dass diese fürchterliche Ideologie keine wirklichen Anhänger in unserer jüngeren Bevölkerung hat. Habe mich getäuscht.

Ralf Pöhling / 10.10.2019

Es wird von den Etablierten fortwährend mit dem Finger auf die AFD gezeigt, wenn es um antisemitische Straftaten geht. Mit welchem Recht? Die AFD ist derzeit die einzige Partei, die einen jüdischen Flügel hat und fortwährend für die Juden und Israel Partei ergreift. Die AFD ist die einzige Partei, die potentielle Mitglieder mit radikalem Background jeglicher Couleur im Vorfeld auszusortieren versucht. Keine andere Partei tut vergleichbares. Keine. Alle anderen Parteien reden nur und lassen kein Taten folgen. Was dabei herauskommt, haben wir gestern gesehen. Und die Wochen davor. Nichts passiert. Nur hohles Gewäsch, um sich selbst im Amt zu halten. Wer die Hitze nicht ertragen kann, sollte aus der Küche fernbleiben.

Gerhard Küster / 10.10.2019

Wer mit Helmkamera seine mörderischen Taten filmt, hat wohl mehr mit einem geltungsgeilen Amokläufer als mit einem politischen Attentäter gemein. Es ging um das Töten (was sich schon daraus ergibt, dass er zwei völlig unbeteiligte Pasasanten getötet hat), weniger um Politik. Judenhass war evtl. nur ein willkommener Vorwand, diese entsetzliche Besessenheit auszuleben. Wie auch immer, diese wahnsinnige Tat hat jedem Versuch, die linke Politik des Mainstreams ein wenig zurückzudrehen, einen enormen Schaden zugefügt. Erstaunlicherweise hat Matthias Döpfner als SPRINGER-Vorstandsvorsitzender auf WELT Online einen Artikel dazu geschrieben, den ich im Mainstream nicht erwartet hätte. Respekt dafür…

Gabriele Schulze / 10.10.2019

Bemerkenswert: Mathias Döpfners Meinungsartikel auf welt online, gepostet um 20:20Uhr.

Ilona G. Grimm / 10.10.2019

@E.Albert: Diese verrückten Ideen sind mir auch durch den Kopf gegangen, ich habe sie auch schon mündlich geäußert und bin auf stutziges Schweigen gestoßen. Mhhm. Es ist schlimm, dass man auch als vollkommen rationaler Mensch solche Szenarien in unserem Land für realistisch hält.

Thomas Baier / 10.10.2019

Dieser nicht zu entschuldigende Anschlag wird sicher von links instrumentalisiert für den Kampf gegen die Demokratie. Davon ist auszugehen. Weshalb muss man stundenlang nachdenklichste Begründungen suchen für den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und einer öffentlichen Menschenschlachtung mit Samuraischwert, wohingegen von links völlig reflexartig jeder Zusammenhang zwischen konservativ und rechts-extrem in Sekundenschnelle hergestellt werden darf mit den dazugehörigen Forderungen nach Sanktionen gegen Konservative? Zweierlei Mass, behaupte ich. Sowie fehlende Etikettierungen, ausgenommen die Etikettierung für “rechts”.

Ferenc v. Szita - Dámosy / 10.10.2019

...à propos ‘rechte und rechte’ -es ist schon bemerkenswert: hätte Björn Höcke zu diesem Blutbad geschwiegen, wäre dies gemäß Leitmedien ‘bezeichnend teilnahmslos’ gewesen -doch jetzt, wo auch er es aufs schärfste verurteilt hat (sic!), so gefällt DAS den politcorrecten Meinungsmanagern auch nicht: dann heißt es ‘geschmacklos heuchlerisch’. Die wissen offenbar wirklich nicht mehr, wohin mit ihrem Giftgeifer ...drôle de monde…!

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