Markus Somm, Gastautor / 06.11.2019 / 17:00 / Foto: pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Ein Schweizer Blick auf blühende Landschaften

Vor einer Woche wurde in Thüringen, einem ostdeutschen Bundesland, der Landtag neu bestellt – und seither wartet man auf eine Regierung, weil die Bildung einer solchen sehr schwierig geworden ist. Die Linke, die Nachfolgerin der kommunistischen SED, und die AfD, die rechten Populisten, haben dermaßen zugelegt, dass sich alle anderen Parteien außerstande sehen, ohne sie zu regieren, selbst wenn sie sich zu einer Monumental-Koalition aus CDU, SPD, FDP und Grünen zusammenschließen würden. Mit anderen Worten, die Parteien der alten, so erfolgreichen BRD sind in der ehemaligen DDR nicht mehr besonders erwünscht.

Was 1990 mit der Wiedervereinigung hätte beginnen sollen – die friedliche Übernahme der DDR durch den Westen –, scheint gescheitert zu sein. Wiederholt sich die Geschichte? Auch die Weimarer Republik zerfiel, weil radikale Außenseiter von links und rechts auf den Plan traten und als selbst ernannte Retter Deutschlands die sogenannten Altparteien für obsolet erklärten. Ausgerechnet in Thüringen beteiligten sich die Nazis zum ersten Mal an einer Regierung, das war 1930; drei Jahre später errang Hitler die Macht in ganz Deutschland. Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Müssen wir uns in Acht nehmen?

In der Regel zieht man aus der Geschichte die falschen Lehren. Von einer gewalttätigen Revolution, ob von links oder von rechts, befindet sich Deutschland sehr, sehr weit entfernt. Und dennoch hat es etwas zutiefst Deprimierendes. Vor genau 30 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer, und ich kann mich gut erinnern an die beispiellose Euphorie, die Europa erfasste: Überall glaubte man, eine neue, vor allem bessere Epoche zu erleben. Zuversicht und Wahn. Insbesondere die Politiker – darin bestärkt von uns Journalisten – vermeinten, die Gesetze der politischen Physik seien auf immer außer Kraft gesetzt worden. Man beging Fehler – wie kaum je zuvor. Einige ­dieser Fehler ­lassen sich in der ehemaligen DDR besichtigen, an einigen ­leidet dieses malträtierte Land noch heute.

Am Anfang stand der Verrat an der Demokratie. Zwar hat Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, sehr vieles richtig gemacht, als er mit Mut die Chance ergriff, die sich 1989 unerwartet ergeben hatte. Ohne Kohl, das ist anzuerkennen, hätte es vermutlich nie eine Wiedervereinigung gegeben. Wäre etwa Angela Merkel damals im Amt gesessen, hätte sie – so, wie wir sie inzwischen kennen – so lange gezaudert oder geschwiegen, bis Russland, Frankreich und Großbritannien sich in ihrem Widerstand dagegen wirksam verbündet hätten. Selbst die Amerikaner, die einzigen loyalen Freunde der deutschen Einheit, hätten wohl irgendwann entnervt die Sache aufgegeben. Leider gibt es nichts Verführerisches als den Erfolg. Weil Kohl so recht bekam, verlor er den Kontakt zum Planeten Erde. Den seit Jahrzehnten gebeutelten DDR-Bürgern versprach er "blühende Landschaften" und leitete gleichzeitig so vieles ein, was sicherstellte, dass es nie dazu kommen würde.

Folgenreiche Entscheide ohne Legitimation 

Am schädlichsten erwies sich die Währungsunion zwischen West und Ost, die Kohl zu überstürzt und vor allem zu falschen Bedingungen durchgesetzt hatte: Einsam und ohne demokratische Absprache, gegen den Rat der Bundesbank und der meisten Ökonomen, verfügte Kohl, dass eine Mark der DDR eins zu eins dem Wert der D-Mark entsprechen sollte. Was auf den ersten Blick fair erscheint, zerstörte die Wirtschaft der DDR innert kürzester Zeit. Von einem Tag auf den andern büßte sie jede Konkurrenzfähigkeit ein, weil die Löhne nun in ­D-Mark auszuzahlen waren, was einer fulminanten Kostensteigerung gleichkam. Das konnten sich die meisten Unternehmen nicht leisten. Sie gingen ein. Bis heute hat sich Ostdeutschland davon nicht erholt.

In den gleichen 90er Jahren, da Kohl oft schaltete und waltete, als gäbe es keine Demokratie mehr, gewöhnten sich Politiker auch in anderen westlichen Ländern daran, folgenreiche Entscheide ohne ausreichende demokratische Legitimation voranzutreiben. Ob die Einführung des Euro oder eine viel laxere Immigrationspolitik, ob permanente Kriege im Nahen Osten oder der Eintritt Chinas in die WTO: Hier wurde von Politikern die Welt verändert, ohne dass die Bürger allzu viel dazu zu sagen gehabt hätten. Kein Wunder, begehren sie nun auf, nicht nur in Thüringen.

Ist es nicht paradox? Genau zu jenem Zeitpunkt, da die liberale Demokratie den undemokratischen, totalitären Sozialismus besiegt hatte, ließen sich manche westliche Politiker dazu verleiten, die Demokratie abzubauen. Die ­Rache der Entmachteten erfahren wir heute.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Schweizer Tages-Anzeiger.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Christian Feider / 06.11.2019

ich weiss nicht so recht,ob man A.M wirklich eine “demokratische” Politikerin nennen sollte… es waere sicher eine Aufgabe für einen ausdauernden Journalisten,mal zusammen zu zählen,wieviele CDU Politiker diese Frau seit 1990 kalt lächelnd auf Ihrem Weg zur “Macht” abgeräumt hat und wie. ich finde das Ergebniss aus Thüringen wundervoll, denn die AFD ist keine “rechts-populistische” Kraft (merke-populus-Volkswille),sondern im grössten Teil die CDU VOR Merkel,selbst vor Kohl. Die Michel wachen langsam aus dem Koma auf,was gibt es Besseres??? lasst uns anfassen und aufräumen!

Steffen Rascher / 06.11.2019

„Angst” ist mir verloren gegangen. … immer noch Angst vor den Ossis … muss es heißen.

Heiko Engel / 06.11.2019

Das ist zu dünn. Es gibt keine Zufälle. Und in der Politik ist der Zufall eine Art Einhorn. ALLES was von den aktiven Politversagern präsentiert, durchgedrückt, uns zugemutet wird, wurde grundsätzlich von langer Hand und mit einer bestimmten Absicht, nicht Option, vorab geplant und entschieden. Und, wie bereits angemerkt, handelt es sich dabei keinesfalls um Verschwörungstheorien. Das gibt es auch garnicht. Aber es gibt Absprachen hinter den Vorhängen und Kulissen, um genau festgelegte Wege zu beschreiten und den Bürger immer und grundsätzlich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Idee und Absicht dahinter ist weit weniger boshaft und destruktiv, als sie es im ersten Augenblick erscheint. Und es spielen GAAANZ viele bei dem Spiel mit. Und profitieren davon. Und nur deshalb ist genau dieses Spiel machbar, möglich und realisierbar. Und nun wünsche ich viel Vergnügen und Freude beim SUCHEN.

A. Ostrovsky / 06.11.2019

Ich verstehe das Argument nicht, dass die Währungseinheit überstürzt und zu früh war, aber Kohl gerade rechtzeitig die Chance für die Einheit ergriffen hat, bevor Franzosen und Briten und wer weiß wer noch sich dagegen zusammenschließen konnten. Man kann sich ja in einem Land vier Sprachen vorstellen, aber wie soll das Land vereinigt werden, aber die Währung getrennt bleiben? Da fehlen mir ein paar Logik-Bausteine. Und außerdem ist der Währungstausch im Verhältnis 1:1 ein Ammenmärchen, das man sich wohl in der Schweiz erzählt. Es war m.E. begrenzt auf 2000 Mark pro Person. Bei 16 Millionen Personen (ich weiß gar nicht, ob da die Kinder mitgezählt wurden), ging es wohl um ein Gesamtvolumen von 32Milliarden D-Mark, also 16 Milliarden Euro. Das ist etwa so viel, wie heute jährlich für Asylanten ausgegeben wird und jetzt ist es ohne jeden Gegenwert. Im Gegenteil hat sich damals die bundesdeutsche Wirtschaft saniert, nachdem sie Mitte 89 bedenklich in die Stagnation geraten war. Und es würde mich sehr wundern, wenn die Schweiz keinen Nutzen gehabt hätte…

Steffen Rascher / 06.11.2019

Das hab ich vergessen: Man hat nun auch Angst ums Geklaute um Erschlichene, um das eigene Ansehen und immer noch vor den Ostdeutschen, die schon einmal alles auf eine Kappe gesetzt haben. Das macht uns so abstoßend. Grüße ins gelobte Land - Grüße nach Basel

Steffen Rascher / 06.11.2019

Hätte Kohl die Währungsunion nicht 1 : 1 durchgesetzt, wären die Menschen ins gelobte Land gegangen. Was wäre dann gewesen? Erst als die DDR Wirtschaft zusammenbrach, eben wegen der 1 : 1 Umstellung, kam es zu dem gigantischen Exodus. Manche müssen heute noch pendeln. So oder so, es wäre schiefgegangen. Der nächste Fehler war die alten Kader zu beauftragen die Ostländer auf unbestimmte Zeit weiterhin zu führen, und zwar mit dem nächsten Fehler, mit westdeutschen „Fachleuten”, die, nächster Fehler, allzu oft keine waren und die wieder ein Fehler, noch heute auf ihren Posten sitzen. „Gib der Klofrau den Schlüssel und sie wird dir ihre Macht zeigen.” Die Kader haben uns die Knute spüren lassen und sind Hand in Hand mit den neuen Mächtigen ans Werk gegangen auch zum Klauen. Es kam keine schöne Zeit und Diebstahl war plötzlich an der Tagesordnung. Die Bestohlenen hießen Ossis und heute eben Nazis. Man hat nichts begriffen und will es auch nicht. Dass es jetzt knallt, ist Folge vieler Fehler. Hochmut, Raffgier, Ignoranz, Eitelkeit, Unterwürfigkeit… um nur einige zu nennen.

Michael Stoll / 06.11.2019

Die böse AfD, diese Partei am “rechten Rand” wird von den dummen abgehängten Ossis als Rache an Helmut Kohl und der Treuhand gewählt. Dieses dumme Ammenmärchen könnt ihr langsam mal knicken. Die AfD ist mehr als Höcke und sie steht heute da, wo die CDU unter Kohl stand. Ich gehe sogar so weit, dass ich sage, sie steht da, wo die SPD mal unter Helmut Schmidt stand, nämlich bei den arbeitenden, steuerzahlenden, familien- und werteorientierten Menschen, dort wo früher die bürgerliche Mitte war. Die AfD ist im Osten inzwischen die stärkste Partei weil die Menschen eher als im Westen spüren, dass in diesem Land inzwischen einiges aus dem Ruder läuft, weil ihnen viele Lügen von früher bekannt vorkommen, vielleicht auch, weil sie zu großen Teilen immun gegenüber Agitation und Propaganda sind. Die Politiker sollten sich für die Interessen der Menschen einsetzen und nicht bevormunden und für dumm erklären. Ist das Populismus, wenn man sich für die “normalen” Menschen, das dumme “Pack”, das es am Ende bezahlen muss, einsetzt? Dann sind mir die Populisten lieber als die verlogenen weltfremden Nichtskönner, die sich so weit von der arbeitenden Bevölkerung entfernt haben, dass sie diese gar nicht mehr verstehen können, selbst wenn sie wollten.

Paul Mittelsdorf / 06.11.2019

Habe bis “die AFD, die rechten Populisten” gelesen und dann abgebrochen. Ich habe keine Lust mehr auf Artikel, die linke Kampfbegriffe übernehmen, ohne diese auch nur eine Minute lang zu hinterfragen, egal wie offensichtlich falsch sie sind.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Markus Somm, Gastautor / 03.02.2020 / 08:56 / 122

Singapur an der Themse - Morgendämmerung einer neuen Epoche

Woran manche nie geglaubt hatten, ist nun wahr geworden: Grossbritannien tritt aus der Europäischen Union aus, und es handelt sich wohl um das folgenreichste historische…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 13.01.2020 / 06:25 / 94

Trump hat alles richtig gemacht

Nachdem die Amerikaner General Qasem Soleimani, einen der höchsten Militärs des Iran, und dessen terroristische Helfershelfer in Bagdad getötet hatten, wurde da und dort bereits…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 12.03.2019 / 06:15 / 48

Die Besserwisser wissen nichts

In einer Studie hat der The Atlantic, eine berühmte, linksliberale Zeitschrift, versucht, das Ausmaß oder je nach Standpunkt: das Elend der politischen Polarisierung in den USA auszumessen. Dass dieses…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 05.11.2018 / 12:00 / 17

Bescheiden an der Macht kleben

Heute vor einer Woche hat Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, angekündigt, dass sie den Vorsitz ihrer Partei, der CDU, aufzugeben gedenke, wenige Stunden später standen drei…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 25.09.2018 / 06:20 / 59

Strafe Britannien, erziehe Resteuropa

Dass England das Land von Shakespeare ist, lässt sich vielleicht am besten erkennen, seit Großbritannien versucht, mit der EU den Brexit auszuhandeln, den Austritt aus…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 09.09.2018 / 11:00 / 42

Der letzte macht das Licht aus in der Villa Kunterbunt

Als ich ein Knabe war, in den damals endlos glücklich scheinenden 1970er-Jahren, gehörten die Pippi-Langstrumpf-Filme zu den Höhepunkten der Freizeitbeschäftigung in unserer Familie und Nachbarschaft.…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 27.08.2018 / 06:07 / 16

Die sieben Leben des Donald Trump

Ist das der Anfang vom Ende der Präsidentschaft von Donald Trump? Ohne Zweifel sieht es nicht gut aus. Seit letzte Woche sein einstiger Anwalt und Mann…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 19.08.2018 / 12:00 / 39

Zirkus der Sprachreiniger

Als ein paar Basler Fasnächtler im Jahr 1927 eine Gugge (Kapelle) mit dem Namen Negro Rhygass ins Leben riefen, ging es wohl keinem der Gründer darum, Menschen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com