Der Ex-Securitate-Mann, der unlängst in einer rumänischen Tageszeitung Herta Müller angriff, wird in der Regel als prägnantes Beispiel für die Präsenz von ehemaligen Geheimdienstlern in der rumänischen Wirtschaft gesehen. Zumal er skandalös nahe am Verbrechen verortet werden kann, näher und deutlicher als viele anderen. War er doch am Ende der achtziger Jahre stellvertretender Leiter der Temeswarer Regionalniederlassung des Dienstes. In dieser Funktion war er zuletzt auch an den Unterdrückungsaktivitäten gegen den Dezemberaufstand von 1989 in der Stadt maßgeblich beteiligt. Zeitweise auch an den äußerst brutal geführten Vernehmungen Rebellierender im Temeswarer Untersuchungsgefängnis. Die Betroffenen erinnern sich an ihn als einen primitiven Schläger.
Radu Tinu gehört zu den wenigen Securitate-Offizieren, die nach der Revolutionswende inhaftiert wurden. Er blieb knapp zwei Jahre in Untersuchungshaft, und wurde anschließend, wie er es gerne formuliert, freigesprochen. In Wirklichkeit wurde er mangels Beweisen von einer politisch beeinflussten Justiz, in der bis heute Personen arbeiten, die früher enge Beziehungen zur Securitate unterhielten, auch als Informanten, auf freien Fuß gesetzt. Weder Lustration noch Modernisierung der Justiz sind im EU-Land Rumänien abgeschlossen.
Nach mehreren eher dubiosen und langfristig wenig erfolgreichen Versuchen in der Wirtschaft Fuß zu fassen, wurde ein ehemaliger Securitate-Kollege aus dem rumänischen Süden zu seinem Retter. Es war Ioan Niculae, der es in den Neunzigern mit Agrargeschäften zu einem Mischkonzern beachtlicher Größenordnung gebracht hat. Dazu gehört auch das Versicherungsunternehmen Asirom.
Niculae ernannte seinen Kumpel aus den frühen gemeinsamen Berufsjahren im Donauhafen Alexandria zum Regionaldirektor des Versicherers in Temeswar. Bis hierher, wenig Erstaunliches, nicht mehr als ein weiterer Beweis für das Fortleben alter Seilschaften im heutigen Rumänien.
Gäbe es da nicht noch eine Kleinigkeit: 2007 wird Asirom verkauft, und zwar an die Vienna Insurance Group, was im wesentlichen die gute alte Wiener Städtische ist. Und damit wird es auf ganz andere Weise interessant. Während unsere westliche Öffentlichkeit die mangelhafte Aufarbeitung der Vergangenheit im Ostblock kritisiert und das Fortbestehen alter Strukturen beklagt, wirken an diesen –siehe den vorliegenden Fall Tinu - unsere eigenen westlichen Unternehmen mit. Sei es durch Blauäugigkeit, sei es durch Ignoranz. Die Vienna Insurance Group hat Unternehmen in fast allen osteuropäischen Ländern. Gibt es noch mehr Radu Tinus auf ihren Gehaltslisten?
Um es klarzustellen: Ich verlange hier kein Berufsverbot. Wenn ein Versicherungsunternehmen meint, einen Mann der kommunistischen Staatssicherheit beschäftigen zu müssen, weil der sich mit Lebensversicherungen so gut auskennt, möge es ihn beschäftigen.
Befremdlich ist nur, wenn der betreffende Ex-Securitate-Mann, der seinerzeit bekannte Regimekritiker, wie den Auslöser des Temeswarer Aufstands im Dezember 1989, den Pastor Tökes und die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller drangsalierte, und jetzt, - und das ist das Entscheidende - von seinem Versicherungsdirektorensessel aus die Menschenrechtler ein weiteres Mal mit Dreck bewirft, und das zum gleichen Zweck wie damals: Um sie zu diskreditieren. Was die Wiener Städtische bisher dazu sagt? Gar nichts.