Bertha Stein, Gastautorin / 19.03.2020 / 06:00 / Foto: Pixabay / 117 / Seite ausdrucken

Die Weltfremdheit der Coronaromantiker

Seit Corona unser Leben bestimmt, ist die Welt ein wenig besser geworden. Anstelle all der rücksichtslosen Eigennützigkeit und der spalterischen Meinungsauseinandersetzungen dominieren Besinnung und Solidarität unser zwischenmenschliches Miteinander. Der Radiosender WDR 5 betitelte sein Interview im Morgenecho vom 14. März dieses Jahres „Corona: ‚Zeit der Menschlichkeit und Solidarität‘“, und die weibliche Version Richard David Prechts, Svenja Flaßpöhler schwärmte bei Maybrit Illner „Wir haben endlich mal wieder einen gemeinsamen Feind, ein Virus".

Doch Spaß beiseite. Wäre die Situation zu Zeiten von Corona nicht so ernst, könnte man ein solches Pathos nonchalant als humoristische Einlage oder als romantischen Kitsch abtun; wobei erstere Möglichkeit aufgrund der Grundstruktur der deutschen Mentalität ausfallen muss. Doch die Technik des Romantisierens, oder, wie Novalis dieses sich Hinaufstimmen als „Gemüterregungskunst“ bezeichnete, ist alles andere als zielführend.

Wo tagtäglich mehr und mehr Menschen durch das Virus infiziert werden und dadurch sterben, stimmt das Jauchzen der Coronaromantiker choral auf spielerische Spekulationslust. Um mit Friedrich Schiller zu gehen: „Der Phantast verläßt die Natur aus bloßer Willkür, um den Eigensinn der Begierden und den Launen der Einbildungskraft desto ungebundener nachgeben zu können“. Nun schlägt die Stunde der Phantasterei. Das Coronavirus bietet eine Plattform für all die Schwärmer und Träumer, Romantiker und Idealisten, Weltretter und Menschenretter der Welt.

Wie es für Leute dieses Menschentypus nicht unüblich ist, dominiert das Wort über die Handlung. Um jedoch besonders in Krisenzeiten überleben zu können, bedarf es nicht des Pathos oder einer idealisierten Rhetorik. Vielmehr zählt die konkrete, entschlossene Tat. Doch was kann man von denjenigen erwarten, die politisch korrekt und gendergerecht sprechen, aber unpolitisch korrekt und genderungerecht handeln? Von denjenigen, die meinen, es sei ein Erfolg, wenn ein Migrant mit Universitätsabschluss unfreiwillig einen Kiosk leitet? Oder von denjenigen, die ihren Mitarbeiterinnenstab als kostengünstigen Frauenharem betrachten?

Diejenigen, die zu spät kommen, haben Pech

Mit Sicherheit kann man sagen: Der Mund sagt das eine, die Hand tut das andere. Die leeren Regale in den Supermärkten sprechen hier Bände. Klopapier, Mehl, Salz. Alles ausverkauft. Diejenigen, die zu spät kommen, haben Pech. Ob nun von Solidarität oder Zusammenhalt schwadroniert wird, interessiert den enttäuschten Käufer nicht. Die Ware fehlt, und das spürt er. Auf der Stelle, sofort, direkt.

Aber nicht alle bewegen sich in ihrem Elfenbeinturm des romantischen Wortes. Desöfteren tun sich Bürger zusammen und starten Bürgerinitiativen und Solidargemeinschaften. So wie in Hamburg. Um sich in dieser Zeit gegenseitig zu helfen, organisieren die Bürger Einkaufshilfen, Kinder- oder Haustierbetreuungen. Geholfen wird, wo Hilfe gebraucht wird. Das ist gelebte, in die Tat umgesetzte Solidarität.

Politik und Medien könnten sich hiervon eine Scheibe abschneiden. Verkäufer, Krankenpfleger, Ärzte, Postboten und viele andere halten den täglichen Betrieb am Laufen. Indem sie weiterhin an der Kasse sitzen, sich um die Kranken kümmern und die Post nach Hause bringen, riskieren sie ihr Leben. Für die Gesellschaft, für jeden einzelnen von uns. Das sind die Helden unserer Zeit.

Irgendeine Forderung, dass diese Helden für ihren Einsatz belohnt und höher entlohnt werden sollen? Irgendeine Anstrengung, diesen Helden ein finanzielles Coronapaket zukommen zu lassen? Fehlanzeige. Aber gerade diese entschlossene Geste der Dankbarkeit und Anerkennung spricht von Solidarität und Zusammenhalt. Taten sagen mehr als Worte. Sie machen die Welt zu einem besseren Ort.

Romantik hin oder her. Was wir in diesen Zeiten brauchen, ist mehr Pragmatismus. Will heißen: Was können wir als Gesellschaft und jeder einzelne von uns machen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen? Wie können wir uns gegenseitig helfen? Wie können wir es schaffen, dass nicht allzu viele ihr Leben durch das Virus verlieren? Das sind Fragen, die es im Moment zu beantworten und in die Tat umzusetzen gilt.

Der Lobgesang auf das Gemeinschaftsgefühl ist zwar schön und gut. Doch es bleibt ein fader Beigeschmack, wenn vergessen wird, dass im direkten Umfeld Leute am Virus sterben. Und dass mehrere Berufsgruppen tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um das gesellschaftliche Leben am Laufen zu halten. Das zu übersehen und finanziell nicht zu belohnen, ist nicht nur romantisch, sondern auch ignorant und unmenschlich.

„Wir haben endlich mal wieder einen gemeinsamen Feind, ein Virus" klingt vor diesem Hintergrund geradezu verhöhnend und menschenverachtend. Bleibt zu hoffen, dass unsere Hofphilosophin es nicht so meinte.

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Karsten Dörre / 19.03.2020

Ich darf meiner über 85-jährige Mutter nicht helfen bzw. nicht besuchen. Aber zusammengerottete Bürgertrupps dürfen deren Krankheiten meiner Mutter per Einkauf übertragen.

G. Schilling / 19.03.2020

@F. Johnson: Mehrere Hunderttausend Erntehelfer aus weiter östlichen Regionen stünden auch noch zur Verfügung. Diese könnten sich auch Mal ein wenig nützlich machen für ihre “Gastgeber”.

Ruth Rudolph / 19.03.2020

@A. Ostrowsky Ich könnte Sie küssen, aber das ist ja jetzt verboten. Vielen Dank, Sie sprechen mir aus der Seele.

Alois Fuchs / 19.03.2020

@Archi W. Bechlenberg: Schön gesagt,  danke!

Bernd Nehmeyer / 19.03.2020

In der NZZ las ich kürzlich dass die schweizer Beamten / Politiker / öffentlich Angestellten usw. wohl auch einen Beitrag werden leisten müssen um die wirtschaftlichen Schäden gerechter zu verteilen. Allerdings war da die Rede von 2-3% des Netto Gehalts. Lächerlich wenn man bedenkt dass der Arbeiter /Angestellte welcher Kurzarbeitergeld erhält erstmal auf ca. 30% seines Einkommens verzichten muss ... von den Kleinst- und Kleinunternehmer welche den Schritt in die ICH AG gewagt haben will ich mal garnicht reden ... Bin gespannt in welcher Form sich unsere Parasiten am wirtschaftlichen Schaden beteiligen.

Wolfgang Richter / 19.03.2020

@ Frances Johnson—Auch direkt nach dem Krieg galt das Prinzip “Arbeit ohne Entgelt”  fort. Altvordere, die als Folge von Kriegsschäden und Vertreibung einquartiert waren, z. B. im Raum Düren, mußten beim Bauern für Unterkunft und Verpflegung werkeln. Da war die Nahrung für den Nachwuchs nicht unbedingt inbegriffen. die mußte extra “besorgt” werden. Und 8-Stunden-Tag / 5 - (4-) Tage-Woche war auch nicht. Der Sonnenstand gab die Arbeitszeit vor. Aber erzähl das mal einem der heutigen wohlstandsverwöhnten Anspruchsteller, auch denen, die mittels “Zauberwort” im Lande sind und sich an den in den Allterwertesten eingeblasenen Zucker gewöhnt haben, wobei man denen noch nicht mal einen vorwurf machen kann, wenn sie dankbar nehmen, was ihnen geboten wird,. Der Depp steht auf der anderen Seite des Tresens und heißt Michel alt. Micheline.

A. Ostrovsky / 19.03.2020

@Archi W. Bechlenberg / 19.03.2020 Ich erspare uns beiden hier die weitere Erörterung, wer der Dümmere ist, möchte aber dringend darauf hinweisen, dass ich gehört habe, die Nazis würden von Rothschild finanziert, wenigstens die in der Antarktis und Flugscheiben sind ein US-Geheimpatent. Jetzt haben wir ja beide genügend Zeit für Recherchen, seitdem wir nicht mehr auf den Golfplatz dürfen. Wie ist es bei Ihnen mit der Lieferkette für Kuba-Zigarren? Bei uns stockt es etwas. Mir tun die vielen deutschen Freiberufler und Arbeitnehmer leid. Und die Vermieter erst, wenn alle keine Miete mehr bezahlen können. Hoffentlich stellt sich dann, wenn alle pleite sind und die Kassiererin entlassen wird, nachdem sie das letzte Waschmittel verkauft hat, hoffentlich stellt sich dann nicht heraus, dass solche Außenseiter Recht hatten wie der Wolfgang Wodarg. Dann knallt es hier mächtig im Karton, weil Schwachmaten keine Gnade kennen und es gibt ja so viele. Wenn hier erstmal alles kaputt ist, kann auch kein HartzIV mehr ausgezahlt werden, kein Wohngeld und keine Unterstützung für Zugewanderte. Da zeigt sich dann, wer der Schwächste ist.

herbert binder / 19.03.2020

Wir können über dieses Thema stundenlang flaßpöhlern…und kommen doch auf keinen grünen Precht - oder wird doch eher umgekehrt ein Paar Schuhe draus, nämlich mit Precht auf die Flaßosofin? Aber so läuft der Hase, und Sie, liebe Frau Stein, liefern dazu das passende Stichwort: sobald sich nur einige Gemüter regen, gerät sehr schnell, fast epedemieartig, Gemüt um Gemüt in einen Erregungszustand. So schlicht und doch so wahr(nsinnig).

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