Von Christian Hamann.
Terrorismus ist ein Phänomen mit psychologischen Wurzeln und kann niemals allein mit militärischen Mitteln bekämpft werden.
Am 6. Mai wurde ein von den katarischen und ägyptischen Vermittlern herausgegebenes Papier als „von der Hamas gebilligter Waffenstillstandsvorschlag für Gaza“ vorgestellt. Es wurde schnell klar, dass es sich hierbei um ein völlig einseitiges Pro-Hamas-Pamphlet handelt, das meilenweit von dem entfernt ist, was einen fairen Waffenstillstand ausmacht. Dennoch wurde dieser inakzeptable und daher irrelevante Text von den Mainstream-Medien weltweit in einem Ton verbreitet, als wäre er eine Friedensbotschaft. Die unaufrichtige Erzeugung von Hoffnung stellt einen schweren Schlag gegen Israel dar – als Teil eines komplexen Propagandakrieges.
Mit dem unseriösen Vorschlag wird der israelischen Regierung keine Alternative zu der Strategie geboten, weiterhin militärischen Druck auf die Hamas auszuüben. Im Falle der anvisierten Invasion Rafahs würden jedoch weite Teile der falsch informierten Weltöffentlichkeit den jüdischen Staat als aggressive Macht wahrnehmen, die einen fälligen Waffenstillstand ablehnt.
Wenn das israelische Kriegskabinett die korrekten Lehren aus der Geschichte gezogen hätte, wäre es zu der tatsächlichen Lösung gekommen und hätte die tödliche Falle, die die Invasion darstellt, als solche erkannt. Die Regierungsmitglieder wären sich bewusst, dass arabische Führer stets davor geschützt worden sind, die Konsequenzen ihrer Aggressionen gegen Israel zu tragen – und daher selten dem geringsten Druck ausgesetzt waren, ernsthaft zu verhandeln.
Ein Vertrag mit einer bösen, surrealen Versicherungsgesellschaft
Diese Abschirmung gegen die Folgen ihrer fortgesetzten Gewalt begann 1948, nachdem sechs arabische Länder den neu gegründeten jüdischen Staat angegriffen und den Krieg verloren hatten. Anstatt das daraus resultierende Flüchtlingsproblem von den Aggressoren lösen zu lassen, begann die UNO mit dem Bau von etwa 50 Flüchtlingslagern für jene Araber, die ihre Heimat verloren hatten. Darüber hinaus hinderten unzählige angeblich gerechte Resolutionen Israel systematisch daran, eine stabile Situation herzustellen. So musste unter anderem der Sicherheitsgürtel im Südlibanon zum Schutz Galileas gegen Terrorrangriffe auf UN-Druck wieder geräumt werden. Jetzt wird Galilea erneut von dort aus beschossen.
Ein ausnahmsweise konstruktives Ergebnis konnte erst zustande kommen, als Israel sich 1967 nicht der (britisch initiierten) kontraproduktiven UN-Resolution 242 beugte, die eine sofortige Räumung des Sinai forderte, nachdem die Halbinsel im Sechstagekrieg besetzt worden war. Unter Gegnern darf man die Ware natürlich nicht aus der Hand geben, bevor man das Geld hat – was in diesem Fall ein verbindlicher Vertrag war. Die Standfestigkeit Israels wurde 1979 belohnt, als Ägypten einem Abkommen „Land gegen Frieden” zustimmte, das bis heute Bestand hat. Die unfaire Parteilichkeit der UN gegenüber den Arabern verstößt nicht nur gegen Grundprinzipien ihrer eigenen Charta, sie gibt auch ein psychologisch höchst destruktives Signal: „Ihr könnt Israel bedrohen, terrorisieren und angreifen, wie und so oft Ihr wollt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.“ Das ist, als würde man einen Vertrag mit einer bösen, surrealen Versicherungsgesellschaft abschließen, deren Bedingungen den Kunden von jeglicher Verantwortung für Gewalt gegen einen bestimmten Dritten befreien. Natürlich stellt das so gewährte "Recht" ein unrechtmäßiges Privileg dar und entspricht daher der Entrechtung des betreffenden Dritten.
Nachdem man erkannt hat, dass die Islamisten über eine Haftpflichtversicherung für die von ihnen ausgeübte Gewalt verfügen, muss Folgendes berücksichtigt werden: Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die palästinensischen Führer Schritt für Schritt ‘perfekt’ an dieses surreal manipulierte politische Umfeld angepasst. Die Anpassung beinhaltete eine Steigerung der empathiefreien Gesinnung, welche die meisten autokratischen Führer in der Geschichte an den Tag gelegt haben. Im Ergebnis ist die "traditionelle" Opferung von Soldaten in überflüssigen Machtkriegen "weiterentwickelt" worden. Nunmehr wird auch die Zivililbevölkerung einschließlich Frauen und Kindern zur Erreichung politischer Ziele geopfert. Wenn Hamas-Kämpfer ihre Gefechtsposten in Schulen und Krankenhäuser einrichten und sich dadurch die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung erhöht, werten ihre Anführer dies als Sieg; denn die westliche Hilfe und „moralische“ Unterstützung steigt sprunghaft an.
Jedes Appeasement führt in eine Sackgasse
Im weiteren Kontext war daher die gesamte israelische Invasion des Gazastreifens mit all ihren Opfern und Schäden aus Sicht der Islamistenführung ein Erfolg, der kalkuliert und mit dem Massaker vom 7. Oktober provoziert worden war. Die Raketenangriffe im Mai 2021 waren die Generalprobe, in der bereits die erwünschten israelischen Reaktionen ausgelöst wurden. Die Rechnung der Hamas geht umso mehr auf, als ihre Spitzenführer bequem in Katar wohnen und kein Problem damit haben, ihre Kämpfer und Unterbefehlshaber zu opfern. Das Überleben des bösen Systems wird durch die UN und einige andere (hauptsächlich westliche) Kräfte garantiert. Dieser Erfolg bildet den psychologischen Auslöser dafür, die nächste Generation extremistischer Kämpfer und Führer zu mobilisieren. Ohne wirksame Kontrolle dieses Psychomechanismus wird dieser bald stark genug sein, um das Westjordanland zu infizieren und zu einem ausgewachsenen Krieg gegen Israel zu führen.
Somit befindet sich Israel zwischen zwei selbstmörderischen Optionen – weiteren Angriffen auf die Extremisten in Rafah oder Appeasement gemäß dem oben erwähnten „von der Hamas genehmigten Waffenstillstandsvorschlag für Gaza“. Es ist historisch und psychologisch bewiesen, dass jedes Appeasement, also jedes einseitige Entgegenkommen in eine Sackgasse führt. Es kommt zu weiteren Forderungen, bis alles aufgegeben wird.
Eine nachhaltige Lösung erfordert stattdessen die Beseitigung der künstlichen Hindernisse, die von externen Kräften errichtet werden. Es ist bei weitem nicht nur die UNO, die einen nachhaltigen Frieden verhindert und das Überleben Israels bedroht; Auch eine große Anzahl angeblich wohltätiger NGOs, anderer Organisationen, Institutionen und Regierungen ist beteiligt. Die Situation wird noch komplizierter durch die Existenz unzuverlässiger Verbündeter, falscher Freunde und einer Herde unentschlossener Feiglinge, die auf den Moment warten, in dem sie sich ohne Risiko auf die Seite der siegreichen Partei stellen können.
Der oben erwähnte, weltweit veröffentlichte „von der Hamas gebilligte Waffenstillstandsvorschlag für Gaza“ ist das Produkt von „Vermittlern“ aus Ägypten und Katar. Natürlich kann niemand ernsthaft erwarten, dass Araber in diesem Konflikt als neutrale Vermittler auftreten – viel mehr als der Fuchs, der zum Hüter des Hühnerstalls gemacht wurde. Die tatsächlich relevanten Fragen lauten: „Warum hat Israel diese ungeeignete Crew als Vermittler akzeptiert?“ und: „Warum hat CIA-Direktor William Burns, der auch an den Vermittlertreffen teilnahm, die Veröffentlichung eines solch kontraproduktiven Papiers nicht verhindert?“ Wie der Herausgeber David Horovitz der Times of Israel schreibt, ist der weltweit veröffentlichte Text „mit anstachelnder Raffinesse konstruiert, um sicherzustellen, dass die Hamas den Krieg überlebt und die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen zurückerlangt“. Das legitime israelische Ziel, gegen künftige gewalttätige Angriffe abgesichert zu sein, wird nicht abgedeckt.
Ein Phänomen mit psychologischen Wurzeln
Eine Invasion von Rafah mit noch mehr Schäden und Opfern ist genau das, was die Islamisten wollen. Wird dieser psychologische Hintergrund außer Acht gelassen, verfällt die israelische Regierung in die tragische Illusion, dass sie durch die Strategie, (mehr) militärischen Druck auf die Hamas auszuüben, politische Fortschritte erzielen kann. Stattdessen würde eine groß angelegte Raffah-Invasion unweigerlich zu Folgendem führen:
- Weltweit zunehmende Propaganda gegen Israel
- Beteiligung einer unübersehbaren Zahl weiterer Parteien, möglicherweise auch der Palästinenser im Westjordanland und der Hisbollah im Libanon
- Noch mehr unkalkulierbare Aktivitäten falscher Freunde
- Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa – ein Hauptziel der Islamisten – durch Nutzung des von den USA gebauten Piers
- Weitere Zunahme antisemitischer Unruhen in den USA
- Somit wachsende Gefahr eines US-Bürgerkriegs – insbesondere angesichts der besagten unkalkulierbaren Aktivitäten falscher Freunde
Terrorismus ist ein Phänomen mit psychologischen Wurzeln und kann niemals allein mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Dies wurde durch die desaströsen Ergebnisse des Krieges gegen den Terror in Afghanistan (2001-2021) bestätigt. Im Gegenteil: Jede einzelne westliche Einmischung in muslimischen Ländern wie Somalia, Afghanistan und Irak hat gerade die Atmosphäre geschaffen, in der Terrororganisationen entstanden sind und wachsen konnten – zum Beispiel der IS, Al-Quaida und Al-Shabaab.
Der einzige Weg, dem Terrorismus erfolgreich zu begegnen, besteht darin, das Ambiente zu bekämpfen, in dem er wächst. Dies ist ein Kampf auf der Ebene der Moral, der Prinzipien und der Zuweisung von Verantwortung. Vorab muss eine einfache Frage beantwortet werden: Wer ist für das friedensverhindernde Ambiente verantwortlich, wer repräsentiert also die „surreale Versicherungsgesellschaft, deren Konditionen den Kunden von jeglicher Verantwortung für Gewalt gegen einen definierten Dritten befreien“?
Christian Hamann wurde 1949 in Berlin geboren und lebt seit einigen Jahren abwechselnd in Deutschland und Südamerika (Uruguay, Paraguay). In den Jahren 1968 bis 1973 hat er Geographie und Biologie in Hannover und Mainz studiert und danach bis zu seiner Pensionierung als Gymnasiallehrer gearbeitet. Er blogt für die Times of Israel, wo dieser Beitrag zuerst erschien.