Walter Schmidt / 03.10.2008 / 00:22 / 0 / Seite ausdrucken

Die RAF als ewiger Mythos

Nimmt man die öffentlichen Verlautbarungen der Macher des Films “Der Baader-Meinhof-Komplex”, Stefan Aust, Uli Edel und Bernd Eichinger, beim Wort, so soll dieser Film den Mythos der RAF ein für allemal zerstören.

Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Zunächst ist dieser Film ein reiner Täterfilm. Die Opfer der RAF haben entweder überhaupt kein Gesicht, sind - verkörpert von mehr oder weniger unbekannten Darstellern - kaum erkennbar oder erscheinen, vielleicht mit Ausnahme des Bankiers Jürgen Ponto,  als bloße “Charaktermasken” des von der RAF verhaßten “Schweinesystems”.

Das von der RAF verhaßte “System” wiederum tritt dem Kinopublikum im Film zum einen in Form des BKA-Chefs Horst Herold entgegen, der sich u.a. - unter Hinweis auf die angespannte Situation im Nahen Osten nach dem Sechstagekrieg von 1967 - als “Terrorversteher” entpuppt, zum anderen in Form des Stammheimer Richters Prinzing, der als in seiner Funktion überforderter Vorsitzender dem Gespött nicht nur der RAF-Sympathisanten im Gerichtssaal, sondern auch dem der Kinozuschauer preisgegeben wird.

Doch nun zu den Tätern, um deren Verständnis es den Machern des “Baader-Meinhof-Komplexes” vornehmlich geht.

Ulrike Meinhof, der mit Abstand “politischste Kopf” der RAF, erscheint zumindest am Anfang des Films als treusorgende Mutter, als engagierte, kritische Journalistin und äußerst sensible Intellektuelle, von der an verschiedenen Stellen des Films der Eindruck entsteht, als würde sie sich von den Taten der Gruppe distanzieren oder habe bereits mit dieser gebrochen (Beispiele: Attentat auf das Springer-Haus in Hamburg; Festnahme in Hannover; Freitod in Stammheim). Eine derartige wundersame Wandlung ist jedoch in der Realität durch nichts belegt.

Gudrun Ensslin werden allein durch ihre Herkunft aus einem streng protestantischen Elternhaus sowie durch die verklärenden Äußerungen ihres Vaters idealistische Motive unterstellt, die sie in Wirklichkeit niemals hatte.

Ähnlich wie bei Ulrike Meinhof erfolgt auch bei Andreas Baader die Unterstellung, er habe sich wenigstens zum Teil von bestimmten “Aktionen” der RAF mit dem Ziel seiner Freipressung (Beispiel: Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm 1975) distanziert. Auch dies ist durch nichts belegt.

Und last but not least:

Wenn Brigitte Mohnhaupt am Ende des Films zu den mit ihr in Bagdad befindlichen RAF-Terroristen der “zweiten Generation” angesichts des von ihnen erhobenen Vorwurfs des “Justizmordes in Stammheim” den Satz spricht: “Hört auf sie so zu sehen, wie sie nicht waren!”, so liest sich das eher als eine späte Rechtfertigung ihrer eigenen vorzeitigen Haftentlassung im vergangenen Jahr, denn als glaubwürdige Distanzierung von den brutalen Verbrechen der RAF.

Wer den Film “Der Baader-Meinhof-Komplex” gesehen hat, versteht nichts von der Geschichte des Terrorismus zwischen 1967 und 1977, dafür umso mehr von der Kraft der Mythen um die RAF, die auch heute, mehr als dreißig Jahre danach, noch lebendig sind und die durch Aust, Edel und Eichinger nicht, wie behauptet, zerstört sondern, im Gegenteil, von neuem belebt werden.

Die Angehörigen der RAF waren von idealistischen Motiven geprägte Täter, die zwar das Gute, sprich eine bessere Gesellschaft, wollten, auf dem Weg dahin jedoch leider die falschen Mittel anwandten. Die Inkarnation dieser Theorie ist gewissermaßen der in der Haft an den Folgen eines selbstgewählten Hungerstreiks verstorbene Holger Meins, der auch optisch als der wiederauferstandene Jesus Christus erscheint.

Das bereits in der bewußten Wahl des Organisationsnamens RAF enthaltene Programm einer Vollendung der nach Ansicht der RAF im Jahre 1945 i.w. unvollendet gebliebenen “Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus” wird an keiner Stelle des Films hinterfragt, geschweige denn, daß die Taten der RAF als das erscheinen, was sie in der Realität waren, nämlich die Taten einer Handvoll selbsternannter Desperados, die sich in ihrer brutalen Gewaltanwendung zur Durchsetzung angeblicher politischer Ziele in zunehmendem Maße als das entpuppten, was sie in Wirklichkeit waren, nämlich “Linksfaschisten”.

Dazu paßt, daß ebenfalls an keiner Stelle des Films die später bekanntgewordene sog. “Stasi-RAF-Connection” thematisiert wird, durch die der wahre Charakter der RAF als einer von Moskau und Ostberlin gesteuerten Satellitenorganisation deutlich wird.

Am Ende des Films bleibt beim Zuschauer, der nicht über die notwendigen historischen Grundkenntnisse hinsichtlich der politischen Hintergründe des RAF-Terrorismus der 70er Jahre verfügt, ein unterschwelliges Mißtrauen gegen Staat, Polizei und Justiz des sog. “Systems” übrig, dessen Perpetuierung sich bis in die Gegenwart hineinzieht und sich heute z.B. in zumindest teilweise übersteigerten Bedenken gegen Onlinedurchsuchungen im Kampf gegen den neuen islamistischen Terrorismus äußert.

Wer diesen Film gesehen hat versteht, wie schon gesagt, wenig von der Geschichte des Terrorismus der RAF, dafür umso mehr von dem weitverbreiteten Mißtrauen gegen die Grundwerte offener Gesellschaften des freien Westens, von der Affinität linker Kreise aus vornehmlich bürgerlichem Milieu für zumeist simple, totalitäre Ideologien und Verheißungen sowie vom Mißtrauen gegenüber dem Konzept einer “wehrhaften Demokratie”, die sich gegenüber ihren Feinden von rechts und links zur Wehr zu setzen weiß.

Und er versteht, warum die Deutschen als (ehemaliges) “Volk der Täter” immer alles und vornehmlich die Motive damaliger und heutiger Täter verstehen wollen, wohingegen ihnen die Befindlichkeiten und Gefühle der Opfer, seien es die der RAF oder aber die des heutigen islamistischen Terrorismus, ziemlich gleichgültig sind.

Siehe auch:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1834711_0_2147_interview-zum-raf-film-das-ganze-ist-auch-ein-stefan-aust-komplex-.html

 

 

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