Burkhard Müller-Ullrich / 05.02.2009 / 18:26 / 0 / Seite ausdrucken

Die Märklin- und die Mehdorn-Welt

Das mystische Objekt der Begierde war 22,6 cm lang, hatte rot-weiß wechselndes Dreilicht-Spitzensignal und konnte locker zehn Wagen ziehen. Noch im tiefsten Kinderschlaf fuhr eine kleine Lok im Kreis herum. Das war nicht irgendein Spielzeug, das war etwas, das zum Kernbereich der Kindheit zählte, das ferngesteuerte Zusammenwirken von Elektrik, Mechanik und Ästhetik, das Wunder der selbsttätigen Bewegung sowie der magische Schauer vor dem Phänomen der Duplizität. Die Magie der Marke Märklin besteht nämlich darin, daß sie eine Parallelwelt schafft. Dort spiegelt sich alles im Kleinen wider, und zwar so detailgenau, das man gar nicht sicher weiß, was Abbild und was Original ist. Sind vielleicht die echten Züge des Herrn Mehdorn nur stark vergrößerte Kopien der Märklinschen Miniaturen? Präzision und Perfektion gehören jedenfalls dazu, auch deshalb ist Märklin ein Stück deutscher Seele.

Die Verkleinerung ist aber auch eine Herrschaftsphantasie; man kann sich vorstellen, wie ein Mehdorn in der H0-Welt das Befehlen übte, bis er endlich die Gewalt über Millionen Weichen und Wagons errang, über Lokomotiven und Signale, von den Mitarbeitern ganz zu schweigen, die er in ihren Fallerhäuschen links und rechts der Gleise unter Datenkontrolle haben möchte. Mehdorn hat es geschafft, mit seinem Allmachtstraum gar nicht erwachsen zu werden; dagegen müssen andere Manager das Kindliche in sich erst wieder mühsam trainieren und schaffen sich dafür Märklin-Modellbahnen an.

So halten sich zwei Welten in der Waage: sie ahmen einander nach und sie ermöglichen einander, die eine hilft der anderen zu existieren, die andere hilft, die eine zu ertragen. Die Riesen- und die Zwergendimension stehen gleichnishaft für Daseinsformen, die einander durchdringen und in denen wir alle immer sind. Es gibt das Bahnhafte an Märklin, das jedermann so fasziniert, und es gibt oft etwas Märklinhaftes an der Bahn, das amüsiert und irritiert, Vorfälle in Bahnhöfen und Zügen von grotesker Spielzeugartigkeit, an denen Mehdorns Mißmanagement natürlich seinen Anteil hat.

Bei solch metaphysischer Verschwisterung der beiden Welten ist nun aber klar, daß sie, wenn schon, dann zusammen in die Krise stürzen. Märklin geht pleite und Mehdorn wird gegangen; das zeichnet sich zumindest ab. Oder kommt unsere Spielzeugregierung mit ihren Spielzeugmilliarden der Katastrophe zuvor und wendet sie ab? Märklin muß verstaatlicht werden und die Bahn privatisiert: auch so halten sich zwei Welten in der Waage.

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