Günter Ederer / 13.11.2014 / 08:56 / 9 / Seite ausdrucken

Die „Linke“ und die Normalität: Thüringer Wende (1)

Die emotionalen Erinnerungen an die tränenreichen Tage beim Fall der Mauer vor 25 Jahre sind vorbei. Die Normalität des politischen Alltags verdrängt die Gefühlswelt des Ausnahmezustands. Und mitten im „grünen Herz“ Deutschlands, wie sich Thüringen gerne bezeichnet, wächst zusammen, was in einer normalen Demokratie auch Normalität sein sollte: Demokratische Parteien verhandeln nach einem Wahlergebnis über eine Koalition. So jedenfalls wollen das drei Parteien, die „Linken“, die SPD und die „Grünen“  verstanden wissen, wenn sie jetzt über eine Regierungsbildung mit einem Ministerpräsidenten der „Linken“ verhandeln.

Sollte die Koalition gelingen, dann löst ein in Westdeutschland sozialisierter Berufsgewerkschafter, der jahrelang SPD-Parteimitglied war, eine von Ostdeutschland geprägte frühere FDJ-Funktionärin ab, die in der Ost-CDU im Regime mitschwamm, um Theologie studieren zu dürfen. Beide sind bekennende evangelische Christen. Beide haben die Diktatur der SED nicht aktiv unterstützt, haben keine Stasi-Akte. Bodo Ramelow statt Christine Lieberknecht, ist das nicht 25 Jahre nach dem Mauerfall ein Beweis dafür, dass die Wiedervereinigung geglückt ist? Die Strategen der SPD und der Grünen wollen das so sehen und es gleichzeitig dem Rest der Republik auch so unterjubeln. Doch ihre Machtgeilheit fügt der trostlosen deutschen Geschichte der letzten 100 Jahre ein weiteres Kapitel unbewältigter Vergangenheit zu. Zwei mörderische Diktaturen haben soviel Menschen hinterlassen, die sich schuldig gemacht haben, die Mitbürger den widerlichen Schergen und Mitläufern übergeben haben, auf denen die Macht der Mörder beruht, dass es schier unmöglich scheint, da noch zwischen Gut und Böse und allen Grautönen dazwischen unterscheiden zu können.

Je länger das Naziregime vorbei ist, umso mehr wird deutlich, wie kläglich die Nachfolgestaaten in Ost und West bei der Aufarbeitung versagt haben. Im Westen konnten sich nicht zuletzt mit Hilfe der Justiz selbst Massenmörder davonstehlen, im Osten ging die Unterdrückung durch die Nazis übergangslos in eine Unterdrückung durch den Sowjetimperialismus weiter. Wobei die Opfer des Faschismus selbst nach ihrem Tod noch einmal missbraucht wurden, weil ihr Tod herhalten musste als Begründung für die Unterdrückung durch den SED- Staat und seine sowjetischen Beherrscher. Das monströse Bauwerk der Mauer, verklärten sie zum antifaschistischen Schutzwall.

Nein, ich habe heute kein Mitleid, wenn selbst 90jährige aufgespürt werden, die sich als Nazi-Mörder bis heute verstecken konnten, und es packt mich immer noch die Wut, wenn ein biederer CDU-Ministerpräsident namens Filbinger bis zum Schluss Todesurteile fällte, weil sie dem gerade geltenden Recht entsprachen. In meinem Berufsleben habe ich in einigen Staaten gearbeitet, in denen die Diktatur von einer Demokratie abgelöst wurde (z.B. Griechenland 1974, Spanien 1976, Iran 1978, Südkorea 1987) und in all diesen Staaten habe ich die Wendehälse erlebt, die Feigen und die ewigen Fettaugen, die immer oben schwimmen. Überleben und seinen Vorteil nutzen ist offensichtlich in der Menschheit ausgeprägter, als sich als Märtyrer für die Freiheit zu opfern. Konrad Adenauers resignierender und pragmatischer Kommentar über die Mitläufer auch in seiner Umgebung, soll sinngemäß gelautet haben: „Das ist das Volk, ich habe kein anderes.“

Zurück zur thüringischen Normalität: Die SPD und die Grünen stimmen mit einer Linken-Fraktion, in der die Anpassung an eine Diktatur zumindest nicht die Ausnahme war. Ihre Zusammensetzung entspricht in etwa dem Mitläufertum und den Überzeugungstätern, die sich in der westdeutschen Nachkriegszeit in so rechten Sammlungsparteien wie der DP (Deutsche Partei), dem BHE (dem Bund Heimatloser und Entrechteter und der SRP (Sozialistische Reichspartei) gefunden hatten, bevor sie dann je nach dunkel- oder hellbrauner Vergangenheit in die CDU oder FDP übertraten. Die Mehrheit der „Linken“ in Thüringen haben seit dem Ende der DDR nur den Namen ihrer Partei gewechselt, nicht aber ihre Überzeugung. Sie waren in der SED, dann in der PDS und jetzt in der gesamtdeutschen Linkspartei. Sie dienten ihrem Staat in der Kreisleitung, als Grenz- oder NVA-Offiziere. Sie haben ihre leninistisch-marxistischen Studien an den Universitäten absolviert und sind bis heute davon überzeugt, dass der Staat das Recht und die Pflicht hat, Wirtschaft und Gesellschaft zu lenken. So avanciert z.B. ein Thüringer Landtagsabgeordneter ehemaliger NVA-Offizier als Diplomphilosoph zum Landesgeschäftsführer des Vdk.

Mit Ina Leukefeld und Frank Kuschel sitzen zwei SED-Repräsentanten im Erfurter Parlament, die mehr waren, als nur Mitläufer. Sie haben Mitbürger an die Staatsmacht gemeldet, die das Land verlassen wollten, sie haben aufgefordert und unaufgefordert ihre Kollegen bespitzelt, verraten, in deren Leben eingegriffen, sind mitverantwortlich, dass diese verhaftet wurden, weil sie Rechte für sich in Anspruch nehmen wollten, die jedem Menschen zustehen – es sei denn er lebt in einem Unrechtsstaat.  Beiden wurde 2006 von einem Landtagsgremium die Parlamentswürdigkeit aberkannt. Das thüringische Verfassungsgericht hat diese Einstufung von Ina Leukefeld zurückgenommen. Sie habe für die Kriminalpolizei sowieso gearbeitet. Da sind ihr halt auch Unterlagen der Ausreisewilligen untergekommen, die sie dann pflichtgemäß „behandelt“ hat.

Ina Leukefeld hat das Direktmandat in Suhl mit 39,4% gewonnen. Ist sie damit auch demokratisch rehabilitiert? Suhl war Bezirkshauptstadt. Der Spitzname in der DDR: Der Chili-Bezirk: Tiefrot, klein aber sehr scharf. Die vielen ehemaligen Funktionäre des kleinen Bezirks in der hässlichen Industriestadt bestimmen so immer noch, wer sie im Parlament vertritt. Für die „Linken“ stellt Leukefeld kein Problem da, genauso wenig, wie Frank Kuschel, der sich bis heute nicht bei seinen vielen Opfern entschuldigt hat. Sie ist sogar stellvertretende Parteivorsitzende. Bodo Ramelow, der Westimport wollte sie sogar in die Verhandlungskommission mit der SPD und den Grünen berufen.

Ramelow geht in die Kirche. Eines der herausragenden Merkmale des Christentum ist die Vergebung – auch den Nichtchristen des Kommunismus, die das Christentum bekämpften. Vergeben wir also den Stasi-Zuträgern. Aber müssen sie dann ins Parlament drängen – wieder Ärgernis geben, allein durch ihre Anwesenheit.  Demut ist auch eine Tugend. Die wäre für die Täter im DDR-Unterdrückungsstaat durchaus ein Merkmal für Einsicht in ihre belastete Vergangenheit.

Der Staat, der 1990 aus Ost und West entstand, hat darauf verzichtet die SED als „kriminelle Vereinigung“ einzustufen, sie als Partei zu verbieten und ihre aktiven Mitglieder vom politischen Gestaltungsprozess auszuschließen. Nur keine Gräben aufreissen, Versöhnen statt spalten,  durchaus überlegungswert.  Aber müssen die Täter in der ersten Reihe sitzen, wenn es darum geht, ihren verotteten Staat aufzuarbeiten. In einer „hart aber fair“ – Sendung zeigte Moderator Plassberg ein Bild, auf dem der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck freundschaftlich mit beiden Händen einen älteren Herrn begrüsst. Das war Heinz Vietze, der es immerhin zum 1. Sekretär des Bezirks Potsdam geschafft hatte. Der spitzelte zwar nicht für die Stasi, sondern die Stasi arbeitete für ihn. Vietze war ein Karrierist in diesem Unrechtssaat, was die SEDPDS nicht daran hinderte ihn ins brandenburgische Parlament zu entsenden, wo er als parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion wieder politischen Einfluss nehmen konnte. Vietze hatte auch Platzecks Familie bespitzeln lassen, erklärte Plassberg die Szene.

Platzeck schilderte, dass er jahrelang gebraucht hatte, um mit diesem Mann ein Wort zu wechseln. Er hat ihm dann verziehen. Das zeigt, dass Matthias Platzeck ein gütiger Mensch ist., ein guter Christ. Aber trotzdem rehabilitiert eine solche Geste den Repräsentanten einer Diktatur. Vietzes Anspruch in der ersten Reihe des brandenburger Parlaments zu sitzen zeigt doch, dass er für Machtpositionen bereit ist, mal seine Mitmenschen, mal sich selbst zu verleugnen. Und die „Linke“ bietet diesen Typen die Bühne. Es geht beim Umgang mit der DDR nicht um Rache, um Siegermentalität, aber die Täter sollten, wenn sie wirklich begreifen, was sie angerichtet haben, nicht in die erste Reihe eines Staates drängen, der mühsam versucht, ihre Verbrechen und Untaten zu überwinden.

All diese Beispiele zeigen: Das ist unser Volk, wir haben kein anderes.

Fortsetzung in 2 Tagen.
Thüringer Wende – auf dünnem demokratischen Eis

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Roland Scheicher / 13.11.2014

“Staaten in denen die Diktatur von einer Demokratie abgelöst wurde (z.B. Griechenland 1974, Spanien 1976, Iran 1978, Südkorea 1987)” Wie, bitte, ist der Iran in diese Liste reingerutscht?

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