Vera Lengsfeld / 13.05.2009 / 07:25 / 0 / Seite ausdrucken

Die Knochenjäger von Bukarest

Das Institut für die Ermittlung kommunistischer Verbrechen befindet sich in einem Haus, das vom eleganten Leben im vorkommunistischen Bukarest zeugt. Die Besucher werden in einem holzgetäfelten Vorraum, der vom einer schönen Treppe und einem zwei Stockwerke hohem Jugendstilfenster beherrscht wird, von jungen Frauen mit gepflegten, asymmetrischen Frisuren und luftigen Kleidern in Empfang genommen. Es handelt sich aber nicht um Modedesign-Studentinnen, sondern um Ermittlerinnen. Sie sind mit der Aufdeckung kommunistischer Verbrechen beschäftigt.
Das Institut wurde von der rumänischen Regierung am 21. Dezember 2005 eingerichtet, auf Initiative des Premierministers Calin Popescu Taricenau. Die Idee dazu kam von Marius Oprea, der als Archäologie- Student von der Securitate verhaftet und gefoltert wurde. Bald nach dem Zusammenbruch des Ceausescu-Regimes musste Oprea feststellen, dass die Kommunisten der zweiten Reihe und Securitate- Offiziere ihre Stellungen halten, oder noch ausbauen konnten, trotz ihrer Verstrickungen im alten Regime. Sie vertrauten darauf, dass ihr persönlicher Anteil an den Verbrechen nicht aufgedeckt werden würde. Also tun Oprea und seine jungen Mitarbeiter genau das. Sie fahnden nach den Verbrechern.
Oprea sollte noch gar nicht wieder da sein, als wir sein Institut besuchen. Aber dann steht er doch in der Tür, ein untersetzter Mann in den Vierzigern, der gerade „aus den Bergen“ kommt, wo er das Grab von drei heimlich erschossenen Securitate- Opfern gefunden und geöffnet hat. Die Männer waren offenbar lebend in die Grube geworfen worden und haben sich im Sterben umarmt. Oprea, der sich heute zeitgeschichtlicher Archäologe nennt. hat die Skelette untersucht, fotografiert und die Staatsanwaltschaft informiert. Letztere will allerdings nicht tätig werden. Die Morde geschahen 1948 und sind nach rumänischen Recht verjährt Nach Abschluss der Untersuchungen werden die Skelette christlich bestattet.
Meist werden solche Gräber nach Hinweisen aus der Bevölkerung geöffnet. In den meisten Fällen werden Oprea und seine Mitarbeiter fündig. Nur einmal stießen sie nicht auf die Knochen von Erwachsenen, sondern die von neun Kindern aus einem nahe gelegenem Kinderheim. Einer Mitarbeiterin , erzählt uns der Chef, schossen die Tränen in die Augen, als sie feststellte, dass der skelettierte Fuß, den sie gerade mit dem Pinsel säuberte, noch Reste eines Babyschuhchens trug.
In den meisten Fällen können Opfer und Täter identifiziert werden.  Die Familien werden benachrichtigt.Oft ist erst dann die jahrelange Ungewissheit über das Schicksal der Angehörigen beendet. In Rumänien zählen auch Abtreibungstote zu den Opfern des Regimes. In den siebziger Jahren wurde die Abtreibung verboten und unter hohe Strafen gestellt. Wenn eine Frau mit unzulänglichen Mitteln selber abtrieb und zum medizinischen Notfall wurde, musste erst der Staatsanwalt gerufen werden. Der entschied, ob die Frau behandelt werden durfte, oder nicht. Wenn sie behandelt wurde, kam sie anschließend in Haft. In den Notzeiten des Ceausescu-Regimes, waren viele Frauen nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen. Deshalb die hohe Zahl von Kindern im staatlichen Heimen, deren Zustände nach dem Sturz des Diktators in Europa Schockwellen auslösten. Übrigens rekrutierte die Securitate in diesen Kinderheimen gern ihren Nachwuchs. das war dem herrschenden Paar von Rumänien gut bekannt. Deshalb entfuhr es Frau Elena, als ihr vor der Erschießung von Securitate- Soldaten die Hände gebunden wurden: „Das dürft Ihr nicht, Ihr seid doch meine Kinder“.

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