Alexander Wendt / 30.07.2014 / 12:00 / 6 / Seite ausdrucken

Die kleinen Niewieders

Zusammen mit einigen hundert Leuten stand ich in der Münchner Innenstadt bei der Kundgebung gegen Antisemitismus. Es gab viele Reden unterschiedlicher Güte, und ein Satz kam in verschiedenen Varianten mit Abstand am häufigsten vor: Nie wieder.

Mir geht es möglicherweise anders als etlichen Offiziellen auf der Tribüne. Mir würden schon ein paar kleine, dafür aber inhaltlich klar bestimmte Niewieders reichen.

Nie wieder sollte beispielsweise Jürgen Todenhöfer als Nahostexperte in ein Fernsehstudio geladen werden, um seinen Privatirrsinn vor Millionen auszubreiten.

Nie wieder soll die Polizei, wie in Frankfurt geschehen, ihre Lautsprecher leihen, damit Antisemiten ihre Parolen besser brüllen können.

Nie wieder sollte es passieren, daß in Hamburg ein Mann bei einer Mahnwache für die drei entführten und getöteten israelischen Jugendlichen krankenhausreif geschlagen wird - und kein Printmedium in Deutschland außer der “Jüdischen Allgemeinen” nimmt Notiz davon.

Und nie wieder sollte ein Journalist einen Linksparteipolitiker interviewen, ohne ihn zu fragen: “Wie geht es den Antisemiten in Ihrer Partei?”

Das wäre sofort und ohne große Mühe machbar und würde noch nicht einmal die vielzitierte Zivilcourage fordern. Drei dieser vier Punkte richten sich an den meinungsbildenden Teil der Gesellschaft, an jene also, die ihre Kommentare gern mit “wir müssen” beginnen. Also: Claus Kleber, Heribert Prantl und alle anderen Gewaltspiralisten, reden wir mal nicht über den Islamisten in Moabit. Reden wir über euch.

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Leserpost

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Frank Moeller / 31.07.2014

“Nie wieder” sollte die Unwahrheit verbreitet werden. In Frankfurt hat die Polizei nicht ihr Megaphon verliehen, DAMIT antisemitische Parolen gerufen werden. Denn das Wort “damit” bedeutet eindeutig eine Absicht. In Frankfurt hat die Polizei deeskalieren wollen und deswegen ihr Megaphon verliehen, welches dann antisemitisch benutzt wurde. Da steckt eben keine Absicht dahinter. Das kleine Wort “damit” soll hier doch der Polizei Antisemitismus unterstellen!

Axel Wahlder / 30.07.2014

“Nie wieder” im Munde der Buerokratie bedeutet “nie wieder durch Nazis”. Dass Judenhass ein nicht exklusiv national-sozialistisches Phaenomen ist, verdraengen die zahlreichen Rufer. Ausserdem stoert einen gebrauch des Wortes “Antisemitismus” im Bezug auf Araber. Die Araber sind ja selbst Semiten und das wuerde Selbsthass suggerieren. Was wir erleben ist Judenfeindlichkeit und sie ist nicht zu relativieren.

Klaus Kalweit / 30.07.2014

Regel Nr. 1 “Nie wieder” ist eine billige Floskel von Leuten, die eine panische Angst haben, es könnte ein Staubkörnchen kommen auf ihre makellos reine, weiße Weste. Das bedeutet grundsätzlich immer, daß die gleichen Leute gar nicht daran denken, selbst etwas zu tun. Regel Nr. 2 “Wir müssen” hat die Bedeutung: Das wird niemals, bestimmt garantiert niemals geschehen. Immer wenn es gesagt wird, kann man das Thema beerdigen.

Claus Brandstetter / 30.07.2014

Kluge Worte, die müssten viel lauter gesagt werden! Respekt!

Karl-Heinz Vogt / 30.07.2014

Besser kann man es nicht formulieren!

Stefan Krikowski / 30.07.2014

Ihr kleines NIE WIEDER wird schon heute Abend bei Anne Will durchbrochen. Da darf Jürgen Todenhöfer seine Leidensmiene aufsetzen und über das Elend im Gazastreifen schwadronieren. Einfach widerlich und unerträglich dieser Typ!

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