Um den stets hervorragenden Analysen hier bei Achgut irgendwelche Taten folgen zu lassen, müssen die noch Regierenden von ihrer Verantwortung entbunden werden und stattdessen Menschen mit Verantwortung und Sachverstand, aber auch Mut zu unpopulären Entscheidungen in die Regierung gewählt werden. Die Chancen auf einen solchen Wachwechsel standen jedoch nie so schlecht, weil es bei uns keine ernsthafte, erfolgversprechende Opposition mehr gibt. Das System der “checks and balances” ist de facto außer Kraft gesetzt!
Nur langsam sickern durch die Betroffenheits-Berichterstattung die interessanten weil strategischen Fragen durch. Merkwürdig einheitlich und journalistisch dürftig wirkt der mediale Dauerbeschuss, der, von der Politik befeuert, nur zwischen Schwarz und Weiß zu unterscheiden vermag. Vielleicht ist dies so, weil die Politik das Versäumnis einer vorausschauenden Planung nicht eingestehen will. Und vielleicht ist wiederum dies so, weil wir nun mal eine Kanzlerin haben, die zu allen - warum eigentlich? - plötzlich auftretenden Themen vorab niemals eine Meinung hat, sondern eine solche erst als eigene äußert - weil wohl auch erst dann entwickelt - wenn völlig klar ist, welche Meinung zunächst einmal unproblematisch und vor allem mehrheitsfähig ist Das mag wahltaktisch klug sein, hat aber nichts mit meinem Verständnis von der Rolle politischer Parteien in einer Demokratie zu tun. Ich meine mich an Zeiten erinnern zu können, in denen Parteien eine Haltung zu einem Thema hatten, diese ausformulierten, öffentlich diskutierten und sich dann zur Wahl stellten. Diese Reihenfolge fand ich nicht nur sinnvoll, sondern statthaft. Heute stellt sich mir das anders dar: Eine Partei stellt sich hinter einer Person zur Wahl. Die Person und nicht die Partei, geschweige denn ihr Programm, wird gewählt. Spätestens ab diesem Moment spielt das vor der Wahl verkündete Programm sowieso keine Rolle mehr. Von jetzt ab geht es nach der tagesaktuellen Meinung der “Mitte” der “Bevölkerung”. Muss ich an dieser Stelle an Beispiele wie die Maut, die Kernenergie und die Wehrpflicht erinnern? Statt ausgereifter Konzepte, was arbeitsaufwändig wäre, werden Allgemeinplätze bemüht. Konzepte bedürfen des Inhalts, Allgemeinplätze entbehren diesen. Und genau deshalb führen sie in die Sackgasse einer aufgeregten Gesinnungsdebatte, die keinen Schritt weiterbringt. Nur ein Beispiel: Seit Wochen wird über den ungarischen Grenzzaun berichtet. Tenor: Zaun ist immer schlecht (Abgrenzung, Ausgrenzung, sogar der Vergleich zum Todesstreifen der innerdeutschen Grenze wurde bemüht), Orban sowieso bedenklich. Und jetzt geht dieser bedenkliche Orban her, und lässt die Migranten einfach in Züge nach München klettern. Tenor: Frechheit! Seit die Berichterstattung über den ungarischen Grenzzaun angerollt ist, warte ich vergebens darauf, dass mal irgendjemand die ungarische Haltung (bitte unkommentiert) aufbereitet, damit ich die Hintergründe verstehen kann. Das erwarte ich von einer qualitativen Berichterstattung: Nachfragen, was das soll, was sie sich dabei gedacht haben, wie sie sich das zukünftig vorstellen. Nur an einer Stelle habe ich vernommen, dass der Zaun Türen (!) enthält (übrigens ein recht markanter Unterschied zu jedwedem mir bekannten Todesstreifen) und dass die ungarische Regierung hier beabsichtigt, die Migranten geordnet einzulassen, um sie an Ort und Stelle registrieren zu können. Aha? Kann das sein? Wenn es so wäre, wäre dies nicht ein sehr verantwortungsvolles Verhalten der ungarischen Regierung? Und wäre dies nicht der Punkt, wo journalistisches Nachforschen weiterführen würde? Und noch viel wichtiger: Wenn schon die Politik offenbar nur noch peinlich reaktiv Worthülsen in Reihe geschaltet in die Republik bläst, wäre es dann nicht die Aufgabe von Journalisten, dies zu entlarven und die verantwortlichen Politiker bloßzustellen? Das würde ich mir sehr wünschen, denn von Frau Merkel erwarte ich nicht, dass sie meine “Mutti” ist, sondern als Kanzlerin verantwortungsvoll agiert. Und wenn sie das nicht tut, dann muss man ihr das sagen und sowieso einen politischen Diskurs einfordern (dürfen).
Vielen Dank für den differenzierten Blick auf dieses inzwischen fast völlig undiskutierbare Thema! Denn elementare Fragen der Politik und der Ausrichtung unserer Republik (Energie, Europa, Einwanderung) werden inzwischen nur noch als alternativlos bezeichnet und hektisch durchgepeitscht, koste was wolle. Eine Diskussion ist weder im Bundestag noch in den Medien erwünscht, die im vorauseilendem Gehorsam die politischen sprachregelungen übernimmt. Also müssen wichtige politische Diskussionen außerparlamentarisch geführt werden - dieser Blog ist ein Baustein dafür!
Der eigentliche Skandal ist doch, dass sich Bundes- wie Landespolitiker quer durch alle Parteien 2 Monate in den Sommerurlaub verdrückt haben. Da wird von Verantwortung, Menschenwürde etc. schwadroniert aber Urlaub muss sein. Jeder Arbeitnehmer und Selbstständiger cancelt oder verschiebt seinen Urlaub wegen unwichtigerer Dinge. Während dessen konnten die Städte und Gemeinden zusehen wie sie der Lage Herr werden. Drehen einige Insassen der überbelegten Unterkünfte dann durch, sind unsere Politiker-Gutmenschen (frisch gestärkt aus dem Urlaub zurück) ganz erschreckt und versprechen schnellstmögliche Abhilfe. Dass die dann mindestens zwei Monate zu spät kommt interessiert nicht. Glücklicherweise finden sich dann aber immer, neben allgegenwertigen unbeachteten linken Chaoten, ein paar rechte Idioten die gerade AUCH auf Grund der politischen Schweigsamkeit mehr oder weniger Randale machen. So kann man politisch und medial aufgebauscht trefflich vom Thema und eigenem Versagen ablenken und die Mainstreammedien greifen es dankend auf. Eigentlich hätte allen voran Frau Merkel den Rechten ihren Dank im Namen aller Bundes- und Landespolitiker aussprechen können. Besser konnte man zwei Monate Untätigkeit nicht kaschieren.
“...dass der Pluralismus der politischen Parteien und aller Meinungsäußerungen gerade jetzt geschätzt und geschützt wird.” Es gibt in diesem Land keinen Pluralismus der politischen Parteien, nicht wirklich. Ansonsten wunderbar ehrliche Artikel in letzter Zeit. Ich kann mich noch an die TV-Übertragung der Demonstration am 4.11.89 erinnern. Auch heute trifft der damals gefallene Satz wieder zu bzw. wird wieder zutreffen: “Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen. Nach all den Jahren der Stagnation. Der geistigen, wirtschaftlichen, politischen. Den Jahren von Dumpfheit und Mief. Von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür. Von amtlicher Blindheit und Taubheit.”
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