Sigmar Gabriel ist ja bekanntlich seit kurzem Außenminister. Und als solcher ist er natürlich in diesen Zeiten sehr gefragt. Vor allem das Verhältnis mit der Türkei beschäftigt ihn sehr, so wie seine europäischen Amtskollegen auch. Und Genosse Gabriel, wiewohl erst neu im Amt, weiß auch so manches besser als der eine oder andere Kollege, der schon etwas länger Außenminister ist.
Da ist beispielsweise Sebastian Kurz, der junge Außenamtschef aus Wien, der sich in Gabriels Augen nicht staatsmännisch genug verhält, was er ihm – ganz diplomatisch natürlich – jetzt auch via "Spiegel"-Interview mitgeteilt hat. Dieser Kurz hat doch tatsächlich verlangt, die EU-Staaten sollten einheitlich Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern unterbinden und klar sagen, dass ihre Länder keine Austragungsorte für türkische Innenpolitik sind. In Deutschland hingegen – von türkischen Regierungsmitgliedern in Ankara derzeit gern mal als „faschistisch“ beschimpft – möchte die Bundesregierung nicht jedem türkischen Minister den Auftritt vor Türken in Deutschland verweigern und lässt für das türkische Verfassungsreferendum sogar extra Wahllokale in deutschen Großstädten einrichten.
Abkanzeln des Nachbarn
„Wir haben der Türkei erlaubt, dass türkische Staatsangehörige auf unserem Hoheitsgebiet über das Verfassungsreferendum abstimmen dürfen, aber wir haben sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass wir jederzeit alle notwendigen Maßnahmen ergreifen können und ergreifen werden, wenn sich Ankara nicht an die deutsche Rechtsordnung hält“, sagt Gabriel. Letzteres heißt, so erklärt er auf Nachfrage, dass Verstöße gegen den Strafgesetzbuchparagrafen 90a, der die Verunglimpfung der verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands unter Strafe stellt, Konsequenzen haben werden. Es ist zwar eine pure Selbstverständlichkeit, dass ein Verstoß gegen das Strafgesetzbuch geahndet wird, aber es klingt doch wenigstens ein bisschen entschlossen, ohne dass man gleich eine so brutal klare Position bezieht, wie der Kollege Kurz aus Wien. Den darf man dafür als deutscher Außenminister auch mal abkanzeln, wenn man schon bei Erdogan immer so viel Rücksicht nehmen muss:
„Vielleicht möchte mein österreichischer Kollege mit der Türkei nichts anderes machen als der türkische Präsident mit Europa: nämlich das schwierige Thema der Beziehungen Europas mit der Türkei instrumentalisieren, um daraus innenpolitisch Kapital zu schlagen. Das ist eine sehr kurzsichtige Politik. So etwas dürfen Generalsekretäre von Parteien vielleicht gerade noch tun, Staatsmänner nicht.“
Frankreich hat auch einen starken Präsidenten
Ein schwieriges Thema zu instrumentalisieren ist demnach etwas, das für den Staatsmann Gabriel nicht in Frage kommt. Wir verkneifen uns an dieser Stelle ältere Zitate von ihm. Das waren schließlich noch Worte des SPD-Vorsitzenden Gabriel. Den Staatsmann Gabriel erleben wir ja erst jetzt.
Beispielsweise, wenn er klarstellt, dass all jene, die in den von Erdogan angestrebten Verfassungsänderungen eine Art Ermächtigungsgesetz für den autokratischen Herrscher sehen, deutlich übertreiben:
„Dass die Türkei mit dem Referendum ihre Demokratie beerdigt, sagt bei aller leider allzu berechtigten Kritik nicht mal die Venedig-Kommission des Europarats. Präsidialsysteme, in denen das Staatsoberhaupt Minister feuern oder per Dekret Gesetze durchboxen kann, gibt es auch anderswo, zum Beispiel in Frankreich. Das heißt nicht, dass ich die Verfassungsänderungen für ungefährlich halte.“
Wenn das keine staatsmännische Äußerung ist. Der Staatsmann Gabriel weiß natürlich auch, dass viele Deutsche gar nicht davon begeistert sind, dass ihr Land zum Austragungsort türkischer Konflikte wird, dass immer mehr hier lebende Türken ihrem Führer Erdogan folgen und mit der deutschen Gesellschaft nur das zu tun haben wollen, was zur Inanspruchnahme staatlicher Leistungen unerlässlich ist. Aber Gabriel weiß auch, was dagegen zu tun ist:
„Wir dürfen nicht zulassen, dass der türkische Wahlkampf uns entfremdet. Gerade jetzt brauchen wir eher eine Umarmung der Türkinnen und Türken in Deutschland. Wir müssen ihnen sagen: Wir sind euch dankbar dafür, dass ihr unser Land mit aufgebaut habt.“
Nur zeitgeschichtliche Krümelkacker würden jetzt einwenden, dass der Wiederaufbau des Landes schon gelungen war und die Bundesrepublik prosperierte, als der erste angeworbene türkische Gastarbeiter eintraf. Doch heutzutage ist ein großzügigerer Umgang mit Fakten angeraten, wenn er denn dem Guten dient.
Alle Zitate aus: DER SPIEGEL Nr. 12/ 2017, vom 18. März 2017, Seite 24-25
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