Betrachten Sie die nachfolgenden Zeilen bitte als Aufforderung, mir zu widersprechen. Denn was Sie hier gleich lesen werden, wird Ihnen nicht gefallen und auch mir gefällt es nicht. Sogar schreiben kann ich das nur mit Widerwillen. Von Zeit zu Zeit kann es aber ganz nützlich sein, einen Schritt zurück zu treten und ein Problem, das man offensichtlich jahrelang vergeblich zu lösen versuchte, von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten. Dieser andere Standpunkt ist in diesem Fall nicht von Absichten und Zielen determiniert, sondern von Tatsachen und statistischen Überlegungen, die allesamt in der Praxis anschaubar existieren. Doch wie gesagt, gefallen wird Ihnen das nicht, und es gibt viele Menschen, die einen schönen Traum der Wirklichkeit vorziehen und sich deshalb auch weiterhin weigern werden, aufzuwachen. Meine These: Alle staatlich finanzierten Anstrengungen zur Integration werden letztlich scheitern – und alle Beteiligten ahnen es bereits.
Es kommt nicht oft vor, dass eine Erkenntnis wie aus dem Nichts einem geradezu die Füße wegreißt, doch neulich hatte ich einen solchen Moment. Für jemanden, der wie ich dem Sarkasmus zuneigt und es gewohnt ist, in eingeschlagenen Wegen nach Stock und Stein zu suchen, ist es eigentlich wichtig, an die Menschheit und deren prinzipiellen Fortschritt zu glauben und es als irgendwie ausgemacht zu betrachten, dass es trotz aller Torheiten in letzter Konsequenz immer irgendwie nach vorn geht, selbst wenn schon ein oberflächlicher Blick in die Geschichte zeigt, dass es so einfach nicht ist. Die aktuelle Erkenntnis jedoch, von der ich nur hoffen kann, dass sich in meiner Betrachtung darin ein massiver logischer Fehler eingeschlichen hat, lässt mich verzagen.
Eine verzweifelte Debatte
Der Islam und die Frage, ob er zu Deutschland gehöre, beschäftigt momentan das ganze Land. Abgeleitet daraus auch die Debatte um Kopftuch und Burka. Da ich selbst jede Art von Verschleierungszwang als patriarchales Unterdrückungsinstrument ablehne, müsste ich bei der Verbotsdebatte eigentlich klar eine gesetzliche Regelung unterstützen. Für echte Vollverschleierung lassen sich im Alltag, wo „Gesicht zeigen“ angesagt ist, auch leicht derartige Regelungen finden und durchsetzen. Ich fürchte nur, dass wir uns so sehr auf das Kopftuch als äußeres Symbol der Abgrenzung kaprizieren – was es meiner Meinung nach natürlich ist – dass wir verdrängen, dass es nur ein Symptom ist und die weitaus folgenreichere Verschleierung nicht auf dem Kopf, sondern im Inneren der Köpfe stattfindet. Enissa Amani zum Beispiel gilt als das, was man eigentlich als modern, integriert und „pro westlich“ feiern könnte. Die Tochter iranischer Dissidenten, die vor Chomenis Schergen nach Deutschland flohen, trägt weder ein Kopftuch, noch ist sie bisher durch besonderen Glaubenseifer aufgefallen. Als sie jedoch am 9. April 2018 in der Sendung „Plasberg“ jede Kritik am Islam mit einem Whataboutismus niederschrie, der aus dem Jahr 2001 zu kommen schien, rieben sich die Zuschauer verwundert die Augen. So denkt sie? So kritiklos verteidigt sie eine Religion, mit deren extremeren Erscheinungsformen sie aufgrund ihrer Lebensweise kaum in Kontakt steht, obgleich ihre Familie vor eben diesen Extremen nach Deutschland getrieben wurde? War Amani nicht eigentlich ein Musterbeispiel für gelungene Integration? Sind Oberflächlichkeiten wie westliche Kleidung, Auftritte im deutschen Fernsehen und ein abgebrochenes Jurastudium etwa kein ausreichendes Zeichen dafür, in unserer Gesellschaft „angekommen“ zu sein?
Man staunt nicht schlecht, wenn im Fernsehstudio selbst die Muslima neben Amani – die mit Kopftuch – differenziertere Antworten zu geben imstande ist als die aufgedonnerte und unverschleierte Comedy-Tante. Können wir aus solchen Einzelfällen etwas für das Großprojekt deutscher Gründlichkeit namens „Integration“ lernen? Heißt „integriert“ zu sein bereits, kein Kopftuch zu tragen, während man unreflektiert im geistigen Hinterstübchen die Prinzipien einer archaischen Stammeskultur verteidigt, wie Amani dies tut? Wie sind die Fortschritte dieses Großprojektes ohne Start und Ziel zu bewerten, und in welchem Verhältnis stehen sie zu den Anstrengungen, den Fehlschlägen und den Selbsttäuschungen?
Integration als linke Alibi-Veranstaltung
Während sich die „gesellschaftlichen Anstrengungen“ zur Integration für Liberale und Konservative letztlich als Selbsttäuschung erweisen wird, sind sie für Linke und Grüne eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn wer die Verschiedenheit in allen Aspekten als „Wert an sich“ feiert, dem sollte der Zweck einer Integration, also das Anpassen von Verhaltensweisen und Denkmustern an die Normen der Mehrheitsgesellschaft, als Wertminderung erscheinen und deshalb abzulehnen sein. Dem steht aber die Tatsache entgegen, dass sich besonders eher im linken Spektrum beheimatete Menschen in Bereichen umtun, die von der Integration als staatlich anerkannte Aufgabe profitieren. Soziologen, Sozialarbeiter, Flüchtlingshelfer, Migrationsforscher, Integrationsbeauftragte… die Liste der Berufe, der Institute und staatlich alimentierten Initiativen, von Vereinen und den Ministerien nachgeordneten Organisationen, die „Integration“ aktiv betreiben und ihre eigene Arbeit selbst mit Lob und Bedeutung überschütten, ist lang. Während also die Integration von links betrommelt und als „in progress“ dargestellt wird, bleibt sie wegen des vermuteten Eigenwertes der Inhomogenität in Wirklichkeit zählbar aus.
Der konservative Teil der Bevölkerung, der sich von der Integration eine Angleichung der Werte und Normen verspricht, täuscht sich deshalb über die Effektivität der unternommenen Anstrengungen und wird bezüglich der erreichbaren Ergebnisse ebenfalls getäuscht. Zur Verifizierung dieser meiner Vermutung müsste man für eine gewisse Zeit alle Anstrengungen (insbesondere die finanziellen) zur Integrationsförderung komplett einstellen und die dann messbaren Erfolge, die sich aus persönlichen Entscheidungen eigenverantwortlich natürlich dennoch ergeben werden, mit dem tatsächlich langfristigen Erfolg aller finanzierten Zwangsmaßnahmen vergleichen. Auch wenn ein solches Experiment leider nie stattfinden wird, vermute ich, dass der Wegfall des gesamten steuerfinanzierten Integrationsweihrauches eher zu mehr als zu weniger Integrationserfolgen führen würde.
Nachhaltiger wäre dieser Erfolg ohnehin, weil er zwar wohlwollend betrachtet werden kann, letztlich aber ausschließlich durch eigenes Handeln jedes einzelnen Migranten zustande käme. Noch wahrscheinlicher würde sich nur eines durch den Wegfall der großzügigen Finanzierungen ändern: Man würde nicht mehr so viel Geld verschwenden. Nur eigenverantwortliches Handeln kann überhaupt zu Integration führen, eine Bringschuld der aufnehmenden Gesellschaft existiert nur in den Köpfen derer, die sich selbst gern als Wasserträger der Integration betätigen und dabei staatlich alimentieren lassen.
Selbstbetrug staatlich alimentierte Integration
Drei Dinge gehen mit der Betonung der Integrationsanstrengungen einher. Erstens sind sie Teil des „Deals“ mit den Konservativen und Skeptikern, denen man immer wieder sagt, dass Menschen, egal woher sie kämen, prinzipiell gleich seien und die wenigen offensichtlichen Unterschiede durch staatlich alimentierte Angebote und staatliche Förderung mit der Zeit verschwänden. Zweitens sorgt das in Aussicht gestellte Ziel der Integration dafür, dass davon abweichendes Verhalten kritischer kommentiert wird, weil es im krassen Gegensatz zu bestehenden sozialen Normen in der Mehrheitsgesellschaft steht. Es ist schwer möglich, von gelungenen Integrationsbemühungen zu sprechen, während es gleichzeitig immer häufiger zu sexuellen Übergriffen, Messer-Attacken oder arabischen Hochzeitsfeiern auf Autobahnen kommt. Drittens sorgt der Erwartungsdruck bei den „Machern“ der Integration zur selektiven Wahrnehmung, bei der Erfolge überhöht, Misserfolge weggeschoben und die eigene Rolle heroisiert wird.
Ich erinnere hier nur stellvertretend an die Berliner Nachwuchspolitikerin der Linken, Selin Gören, die im Januar 2016 von mehreren Migranten vergewaltigt wurde und dies zunächst verschwieg. Später gab sie als Grund für die Lüge an, dass sie verhindern wollte, dass „Rechte den Vorfall instrumentalisieren“. Auf die Idee, dass der tiefere Grund für die Lüge sein könnte, dass das Eingeständnis des Scheiterns der eigenen naiven Narrative zu schmerzlich für ihr linkes Ego sein könne, kam sie nicht.
Stellt sich noch die Frage, wie sich Integration für diejenigen anfühlt, die Objekt all dieser Bemühungen sind. Eine Erfolgskontrolle wird sich kaum im subjektiven Empfinden einstellen können und ist somit unmöglich von den „Integrierten“ selbst zu beurteilen. Kommen diese Bemühungen zudem nicht aus den Menschen selbst und werden vielmehr fremdbestimmt durchlaufen, stellt sich den „Objekten der Fürsorge“ vielleicht irgendwann die Frage: Geht’s nicht auch ohne Integration? Und in der Tat ist dies möglich! Man kann sich dem Integrationsdruck ohne weiteres entziehen und auch in Deutschland längst in einer ausreichend großen Community der Herkunftskultur „abtauchen“ und dort so leben, wie man es gewohnt ist oder für richtig hält. Dieses Phänomen heißt Parallelgesellschaft und ist nicht typisch deutsch, das gibt es überall. Typisch deutsch ist allerdings, solche Tatsachen zu leugnen und an der Idee festzuhalten, durch Integration eine offensichtlich aus dem Gleichgewicht geratene Homogenität wieder herstellen zu können.
Weltweit betrachtet haben wir zwei Extreme. Auf der einen Seite sehen wir eine Gesllschaft wie in Japan, die ihre Homogenität dadurch zu erhalten sucht, indem sie jede Einwanderung verhindert. Auf der anderen Seite das Extrem USA, wo man Bildung von Parallelgesellschaften akzeptiert. Deutschland hingegen steht gleichzeitig in beiden Booten und wundert sich über die Anstrengung, die es kostet, beides zu wollen: Einwanderung und Homogenität, die man durch Integration herstellen möchte – und das kostet mehr als nur Kraft.
Eine „kritische Masse“ ist längst erreicht
Kann es eigentlich in dieser Hinsicht immer so weitergehen in Deutschland? Wenn es um Klimawandel und CO2-Ausstoß geht, liegen die Zeithorizonte gern mal im Jahr 2050 oder 2100. Bei Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerung ist jedoch „jährlich“ bereits die langfristigste politische Vokabel für Zuwanderung. Ich möchte jedoch bei meiner Betrachtung alle Zuwanderungen ausklammern, ganz gleich, ob sie legal oder illegal sind. Vielmehr gehe ich von den Zahlen aus, wie wir sie heute in den Statistiken vorfinden. Da ist zunächst die Frage nach der Wirtschaftskraft des Landes insgesamt und worauf der aktuell immer noch anhaltende Boom basiert. Nullzinspolitik, Schuldenaufkaufprogramme der EZB, galoppierende deutsche Target II-Salden… die Liste der behelfsmäßig eingezogenen Balken ist lang, die unsere gemeinsame Währung stabilisieren sollen und für sich betrachtet allesamt undemokratisch, bürgerfeindlich und gelinde gesagt dubios sind.
Wie tragfähig das System deshalb wirklich ist, kann ich nicht sagen. Doch alle Ökonomen, die ich kenne, würden nicht die Prädikate „stabil“ und „zukunftsfähig“ vergeben. Außerdem nimmt in Deutschland die Zahl der Netto-Steuerzahler von Jahr zu Jahr ab, im Moment sind es noch etwa 15 Millionen. Wenn wir uns Deutschland als Club vorstellen, der pro Mitglied laufende Kosten für Verwaltung, Justiz, Verteidigung, Infrastruktur, Politik, Bildung und Gesundheit seiner Mitglieder hat, kann man die Summe ermitteln, die jeder jährlich in Form von Club-Beiträgen (Steuern und Abgaben) zahlen müsste. Ist ihre persönliche Zahlung geringer als diese Summe, sind sie kein Nettozahler und einen Teil der eigenen Club-Gebühren müssen andere zahlen – ganz zu schweigen von denen, die direkt für den Club namens Staat arbeiten und gar nichts zu den Kosten beitragen können, weil sie Teil der Kosten sind.
Die Generation der Babyboomer geht demnächst in Rente, was einen weiteren erheblichen Einschnitt darstellen wird, und selbst die optimistischsten Prognosen gehen nicht davon aus, dass die uns bisher „Geschenkten“ diese Lücke aufgrund ihrer Qualifikation werden füllen können. In der Wettbewerbsfähigkeit ist Deutschland bereits seit Jahren auf dem Abstieg, aktuell noch auf Platz 13. Egal, welche Büchse der Pandora wir also öffnen, die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns bei Staatsausgaben stark werden einschränken müssen, ist recht hoch.
Wenn die letzte Multikulti-Begegnungsstätte geschlossen ist
Doch welche Segnungen der Umverteilung werden als erste gestrichen? Können wir auf Polizei oder Justiz verzichten oder aufhören, Straßen instandzuhalten, oder wird man sich daran erinnern, dass schon Gerd Schröder erkannt hatte, dass der Baum des Sozialstaates die größten Äpfel trägt? Dort wird man ansetzen und vielleicht zunächst Projekte auf den Prüfstand stellen, deren Kosten in krassem Missverhältnis zum Nutzen stehen: die Integration mit all ihren Nebenprojekten.
Was wird das für ein Erwachen sein, wenn durch den steigenden Kostendruck ein Integrationsprojekt nach dem anderen abgewickelt und auch die letzte steuerfinanzierte Multikulti-Begegnungsstätte geschlossen und aufgegeben wird. Die Erkenntnis, dass es ohne diese Projekte genauso gut oder schlecht läuft, wie mit ihnen, wird den bitteren Nachgeschmack verschwendeter Milliarden hinterlassen. Integration wird es dann zwar immer noch geben, aber nur in Eigeninitiative und als Holschuld. Mit dieser Erkenntnis werden auch die Parallelgesellschaften, die ja de facto bereits heute bestehen, nur noch an deren Rändern kleinere Diffusionen zulassen und ansonsten festere Formen nach innen und außen annehmen. Aus „No-go-zones“ werden dann irgendwann „No-want-to-go-zones“ und die Frage wird nicht mehr lauten, ob der Islam zu Deutschland gehört, sondern zu welchem.
Diese Entwicklung zu vermeiden war ursprünglich das Ziel aller Integrationstheorien. Und doch zeigt ein Blick in die Wirklichkeit, etwa an den Schulen, dass die Ideen einfach nicht funktionieren, weil die Zahlenverhältnisse nicht stimmen. Integration ist nämlich kein demokratischer Prozess, sondern einer der Anpassung an ein Prinzip, eine Ideologie oder Sprache, die von der Mehrheit getragen wird. Es steht zum Beispiel außer Frage, in welche Richtung eine „Integration“ erfolgt, wenn 80% der Schüler einer Schulklasse arabisch/türkische Muttersprachler sind oder wenn von acht muslimischen Mädchen sieben ein Kopftuch tragen… am Ende des Schuljahres werden es sehr viel wahrscheinlicher acht als sechs oder fünf sein.
Die praktische Antwort darauf ist eine schubweise Segregation, erst in Schulen, dann in ganzen Quartieren und Stadtvierteln. Dieser Prozess ist in vielen Städten in Deutschland in vollem Gange, denn die Menschen stimmen „mit den Füßen ab“, auch wenn das nicht immer von lautem Geklingel begleitet wird. Man schickt die eigenen Kinder auf weiter entfernte Schulen, zieht um, passt sein Bewegungsprofil in der Stadt der Sicherheitslage an. Wer es sich leisten kann, zieht in „gated communities“ oder verlässt das Land ganz. Auch diese Trends werden nicht von Schalmeien begleitet, sondern vollziehen sich abseits der medialen Wahrnehmung und damit in großer Stille. Nur an den Stellen, wo die neue Teilung Deutschlands blutig verläuft, ertönt von Zeit zu Zeit ein lauter Schrei.
Die Zukunft der Integration
War bei Plasberg die Zukunft zu sehen? War es der Ruf der „integrierten Muslime“, die, erfolgreich in ihren Berufen und auch ökonomisch leistungsfähig, dennoch bereitwillig den Humus bilden für ihre Religion, die sie vielleicht nicht aktiv leben, deren soziale Milieus sie jedoch jederzeit dem Kartoffelacker säkularer Deutscher vorziehen werden? Derzeit leben zwischen 4,8 und 6 Millionen Muslime in Deutschland, die Zahlen sind nicht sehr zuverlässig. Das ist natürlich eine extrem heterogene Gruppe, von „den Muslimen“ zu sprechen, wäre unterkomplex. Und dennoch sind die Strukturen, die sie sich mit der Zeit in Deutschland geschaffen haben, stabil, tragfähig und sichtbar, wenn man nur genau hinschaut. Dass sich solche Strukturen bilden, ist nichts Verwerfliches. Alle Menschen bauen solche Strukturen auf Gruppeneigenschaften und Gruppenzugehörigkeiten auf. Dass man aber damit Erfolg haben könnte, eine Gruppe zu „integrieren“, die sich selbst genügt und ihre Identität bewahrt, ist eine Illusion. Dass man eine gesellschaftliche Aufgabe daraus konstruiert, Menschen zu Mündeln staatlichen Handelns zu machen, und ihnen einen großen Teil der Eigenverantwortung abzunehmen, ist hingegen eine Anmaßung. Im Fall des Scheiterns der eigenen Integration werden folgerichtig die mangelhaften Angebote verantwortlich gemacht, denen man passiv ausgesetzt war. Außerdem kann man problemlos in die Milieus zurückkehren, aus denen die misslungene Integration herausführen sollte. Natürlich trifft dies nicht für alle zu, es gibt auch Beispiele für gelungene Integration, inklusive der kritischen Betrachtung historischer Vorgänge, wozu auch die expansive, kriegerische Seite des Islam gehört. Ich kenne selbst Menschen, die es geschafft haben, sich die spirituelle Seite des Islam zu bewahren und gleichzeitig den ideologischen Teil über Bord zu werfen. Deren Identität speist sich deshalb aus den Kategorien Freund, Nachbar, Kollege, Deutscher… erst dann kommt „Moslem“.
Da zeichne ich also ein Bild aus mindestens zwei „Deutschländern“, die sich irgendwann nicht mehr viel zu sagen haben werden, sich misstrauisch „belauern“ und nur an den Rändern noch kontrolliert miteinander in Kontakt treten. Dieser Zustand ist typisch für Einwanderungsgesellschaften und birgt Probleme in sich, wie wir sie an manchen Orten in den Vereinigten Staaten sehen können. Jedoch fehlt den Deutschen eine Komponente, die in Amerika dafür sorgt, dass sich all diese Parallelgesellschaften an einem Punkt immer noch treffen: man sammelt sich unter einer Flagge und pflegt einen auf Außenstehende oft kitschig und naiv wirkenden Nationalstolz. Und sollte Amerika je wieder „unter attack“ sein, würden die meisten wohl, ohne zu zögern, in dieselbe Richtung schießen.
Keine positive Identifikation in Deutschland
Im Falle Deutschlands und der Herkunftsländer mancher Einwanderer ist es schon schwieriger zu entscheiden, welchem Land im Zweifels- oder gar Ernstfall die Loyalität gelten würde. Als vor den türkischen Präsidentschaftswahlen in deutschen Städten Erdogan-Bilder hochgehoben und begeistert türkische Flaggen geschwenkt wurden, machten die Teilnehmer derartiger Demos sehr deutlich, welcher der beiden Präsidenten – Steinmeier oder Erdogan – der ihre sei. Ist das vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Integrations-Geldpumpe weiter auf Hochtouren läuft, weil man lieber nicht wissen möchte, wieviel Loyalität und Identifikation sich unterhalb des Geldes wirklich angesammelt hat? Selbst auf kartoffeldeutscher Seite gab es nie ernsthafte Anstrengungen dazu, jenseits materieller Segnungen so etwas wie ein tragfähiges Nationalbewusstsein zu entwickeln, nachdem man mit dem braunen aus ’33-’45 und dem roten aus ’49-’89 so jämmerlich versagt hatte. Stattdessen hoffte man auf die vielbesungene „europäische Identität“, die sich jedoch außerhalb der Brüsseler Bürokratie nie so richtig einstellen wollte. Die Europäer wollen zwar gern die Vorteile des friedlichen Zusammenlebens in der EU genießen, aber dennoch nicht davon lassen, Polen, Italiener oder Spanier zu sein. Oft sogar noch kleinteiliger Katalanen und Madrilenen, Tiroler und Sizilianer, Bayern und Sachsen.
Zugegeben, das ist ein düsteres Bild, und ich kann nur hoffen, dass ich mit meinem Blick in die Glaskugel gewaltig irre. Denn vor allem habe ich die Rechnung ohne jene Reformer gemacht, die den Muslimen helfen könnten, endlich einen Weg der Säkularisierung einzuschlagen. Dass es also doch anders kommt, dazu könnten Bassam Tibi, Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad beitragen. Doch gerade dessen Bücher, so erfuhren wir bei Plasberg, lesen nicht einmal jene Muslime, die ich bislang als integriert bezeichnet hätte.
Der Beitrag erschien zuerst hier auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.