Vince Ebert / 20.09.2009 / 19:33 / 0 / Seite ausdrucken

Deutsche Energiepolitik: Vom Winde verweht

Mein Onkel Heinz, ein alter 68ger, ist extrem umweltbewusst. „Wir müssen einfach bescheidener werden“ sagt er. „Schließlich sind wir auf diesen Planeten nur zu Gast!“ Deswegen heizt er seine 180 Quadratmeter große Altbauwohnung mit Ökostrom. Also Strom, der ganz natürlich erzeugt wird. Zum Beispiel von einem Windrad. Das schreddert zwar öfters mal einen Storch, aber davon kriegt Heinz nichts mit, wenn der Strom aus der Steckdose kommt. Höchstens, wenn die Birne mal kurz flackert.
Bei genauerer Betrachtung sind erneuerbare Energien gar nicht so „öko“, wie sich das Heinz gerne wünscht. Für Wasserkraftwerke werden Stauseen errichtet, die riesige Ökosysteme zerstören. Und die Produktion von Biodiesel nimmt den Getreidebauern schlicht und einfach die Flächen weg. Wenn also mein Onkel das nächste Mal seinen großen Geländewagen im Einklang mit der Natur voll tankt, bekommt der Begriff „Essen auf Rädern“ eine vollkommen neue Bedeutung.
Früher haben Kaiser und Könige den Staatshaushalt ruiniert, in dem sie größenwahnsinnige Schlossanlagen und Parks mit Flamingos errichten ließen. Heute ruiniert man den Staatshaushalt, in dem man riesige Solaranlagen und Parks mit Windrädern baut. Denn die Erzeugerpreise dieser Energieformen überschreiten die der konventionellen um das fünf- bis 20-fache. Salopp gesagt sind Wind- und Solaranlagen die Lehman-Brothers der Zukunft. Überbewertet, ineffizient und auf Pump finanziert.
Da natürlich kein Bürger bereit ist, für einen solchen Unfug Geld zu bezahlen, hat sich die Regierung das Erneuerbare-Energie-Gesetz ausgedacht: Betreiber von regenerativen Energien werden subventioniert, indem sie für ihren unrentablen Strom mehr Geld bekommen, als seine Erzeugung gekostet hat. Außerdem sollen so der Sonne mehr Anreize geboten werden, sich in Deutschland anzusiedeln.
Ein geniale Idee, die phantastische Möglichkeiten eröffnet. Stellen sie sich zwei Pfeiler von 60 Meter Höhe vor. An einem befindet sich ein Ventilator, der von einem Kohlekraftwerk angetrieben wird. An dem anderen befinden sich die Rotorblätter eines Windkraftrades, das Strom produziert, indem es von dem Ventilator angetrieben wird. Da der Windstrom dreimal so teuer verkauft werden kann, wie der Kohlestrom kostet, ist dieses Projekt ökonomisch sinnvoll. Es amortisiert sich innerhalb von 10 Jahren und wirft dann einen kräftigen Profit ab. Quasi ein Perpetuum Mobile der Ökonomie.
Unser Wohlstand beruht darauf, dass seit Jahrhunderten ineffiziente Technologien durch effizientere ausgemerzt wurden. Nun geht man zum ersten Mal her und sagt: Ineffizientere Energien schaffen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Wann verschrotten wir beim Straßenbau endlich diese blöden Bagger und ersetzen sie durch Schaufeln?
„Aber wie sollen wir sonst unseren Energiebedarf decken?“ fragt Onkel Heinz. „Zum Beispiel durch Kernenergie“ antworte ich. Doch damit kann Heinz überhaupt nichts anfangen. „Atome sind Teufelszeug!“ schreit er. Schon Ende der 80ger hat er sich bei den ersten Castortransporten demonstrativ an sein Fahrrad gekettet. Und das hat richtig bescheuert ausgesehen. Drei Wochen lang lief er damals mit seinem klapprigen Hollandrädchen durch Frankfurt.
Mittlerweile sind ihm sogar die üblichen Anti-Atomkraft-Demos zu heikel: „Greenpeace hat nämlich herausgefunden, dass das Risiko bei einer Sitzblockade an Hämorriden zu erkranken in der Nähe eines Kernkraftwerks doppelt so hoch ist.“
Bei jeder Kernspaltung wird ein Uran- oder Plutoniumatom in kleinere Atome zerlegt. Die dabei erzeugten Bruchstücke haben eine etwas geringere Gesamtmasse als das Ursprungsatom. Genau dieser Masseunterschied wird nach Einsteins berühmter Formel E=mc2 in Energie freigesetzt. Physikalisch betrachtet ist Masse also keine Substanz, sondern eine Form von reiner Energie. Und die ist gewaltig. Laut E=mc2 besitzt jeder Mensch die potenzielle Energie von 30 großen Wasserstoffbomben. Stellen Sie sich nur mal vor, diese Information gerät in die falschen Hände. Alleine mit dem Oberschenkel von Ottfried Fischer könnte man die gesamte USA in die Luft sprengen.
Keine Frage, die Atomspaltung hat zwei japanische Großstädte zerstört und weitere betrübliche Phänomene ausgelöst wie zum Beispiel ungepflegte Kernkraftgegner und eine Menge schlecht gemachter Katastrophenfilme.
Doch ist die friedliche Nutzung der Kernenergie wirklich so inakzeptabel? Warum gilt ein Atomkraftwerk als weit risikoreicher und gesundheitsschädlicher als irgend ein anderes großes Ding, das Strom erzeugt? Im Laufe der letzten 100 Jahre kamen zig Tausende von Bergleuten durch Grubenunglücke oder Staublungen ums Leben. Würde Bin Laden mit einem Flugzeug die Edertalsperre durchbrechen, würde die dadurch erzeugte Flutwelle die gesamte Region auslöschen. Doch darauf lässt sich mein Onkel grundsätzlich nicht ein und schreit mit piepsrotem Kopf: „Dieser künstlich erzeugte Mist bringt uns noch alle in Grab…“ Natürliche Strahlung ist ihm offenbar schnuppe. Im Süden Deutschlands ist die natürliche radioaktive Strahlenbelastung doppelt so hoch wie in Hamburg. Kein Mensch regt sich darüber auf. Würde dieselbe Belastung jedoch bei der Produktion von Kuckucksuhren erzeugt werden, hätte Onkel Heinz längst ein Bürgerinitiative gegründet, um den gesamten Schwarzwald zu evakuieren.
Obwohl in keinem einzigen Kernkraftwerk westlicher Bauart je ein Mensch infolge von Radioaktivität ernsthaft geschädigt wurde (geschweige denn ums Leben kam), ist Heinz der Meinung, die Risiken von Atomstrom sind nicht akzeptabel und verweist auf die vielen Störfälle. „Zum Beispiel neulich die Schnellabschaltung aufgrund des Trafobrands im AKW Krümmel.“ Was Heinz allerdings nicht wusste: Auf der achtstufigen internationalen Sicherheitsskala wurde der Vorfall in die Kategorie „Null“ eingestuft. Woher auch? Keine einzige seriöse Tageszeitung hielt es damals für nötig den Leser zu informieren, dass ein Trafo nichts, aber auch gar nichts mit dem nuklearen Teil der Anlage zu tun hat.
Statt dessen überschlugen sich Journalisten, die den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik für ein grammatikalisches Konstrukt und Becquerel für einen französischen Landwein halten, mit Horrorgeschichten. Gerade so, als ob wir kurz vor einem zweiten Hiroschima stünden. Warum über physikalische Fakten informieren, wenn die eigene Fantasie doch viel gruseliger ist?
Es ist beschämend und skandalös, dass in Deutschland wissenschaftliche Laien fast keine Möglichkeit haben, sich in den Medien qualifiziert und objektiv über dieses so wichtige Thema zu informieren. Wie sollen sich Bürger eine fundierte Meinung bilden, wenn jeder Wasserrohrbruch in der Vorstandstoilette von Vattenfall als Beinahe-GAU hochgespielt wird? Wobei wir natürlich alle nicht wissen, wie giftig die großen Geschäfte der Kernkraftbosse wirklich sind.
Obwohl wir weltweit die höchsten Sicherheitsstandards und das beste Know-How in der Kerntechnik haben, verramschen wir aus rein ideologischen Gründen diese Technologie, stellen statt dessen Windmühlen und Sonnenkollektoren auf und nennen dieses weltfremde Rumgeeiere auch noch Fortschritt. 
Mittlerweile ist Deutschland die einzige Industrienation, die vehement am Atomausstieg festhält. Das erinnert ein wenig an Heinz’ letzte Kamikazeaktion. Stark alkoholisiert fuhr er falsch auf die A3 und hielt alle Entgegenkommenden für „völlig bekloppt“
Schon Albert Einstein wusste: Es ist schwieriger ein Vorurteil zu zertrümmern, als ein Atom.

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