Richard Wagner / 26.07.2008 / 09:07 / 0 / Seite ausdrucken

Der Spitzel und seine Verteidiger

Die von Herta Müller, Helmuth Frauendorfer und dem Verfasser dieser Zeilen angestoßene Debatte über die Einladung von Securitate-Spitzeln ins rumänische Kulturinstitut beschäftigt seit ein paar Tagen auch die Bukarester Medien. Das Kulturinstitut selbst betreibt dabei eine eher nichtssagende Politik der Selbstverteidigung. Sein Leiter, Horia-Roman Patapievici, redet sich zum einen mit der angeblich fehlenden gesetzlichen Handhabe heraus, zum anderen stellt er den Moralanspruch der Kritiker in Frage. „Was sollen wir, die ohne Sünde sind, mit ihnen, den Sündern, bloß tun?“ heißt es in seiner Antwort auf den Offenen Brief von Herta Müller. Damit wird die vermeintliche Schlussfolgerung einer Debatte, die nicht stattgefunden hat, zum Argument für deren weitere Vertagung.

Das aber wirft nicht zuletzt ein Licht auf den Kodex der rumänischen Intelligenzia. Um es gleich zu sagen: Das Niveau ist nicht sehr hoch. Jedenfalls nicht beim Problembewusstsein. Knapp zwanzig Jahre nach dem Sturz des Diktatorenpaars erinnert es mich unwillkürlich daran, wie dünn die Fundamente der damaligen Bukarester Opposition waren. Sie aber bildet weitgehend das heutige kulturelle Establishment.

Damals führte man die fehlende Oppositionssubstanz auf das Ausmaß von staatlicher Willkür und polizeilicher Repression zurück. Wie aber will man das marginal wirkende moralische Selbstverständnis von heute erklären?

Die Debatte machte im übrigen auch den seit längerem schwelenden Kulturkonflikt zwischen den Generationen sichtbar. Die Jüngeren kritisieren das Establishment auffallend scharf. Sie fordern Konsequenzen für die Kollaboration im Kommunismus. Die so Angegriffenen wiederum diffamieren die Angreifer als rechts und sonst etwas. Man lernt von Europa. Zumindest, wie man den Gegner mit zeitgemäßen Methoden fertig machen kann.

Eingemischt hat sich nun auch der Schriftsteller Mircea Cartarescu, dessen jüngst auf deutsch erschienener Roman „Die Wissenden“ von der deutschsprachigen Kritik viel Lob erhielt. Sein zur Versöhnlichkeit neigender Artikel zur Spitzelaffäre, aus der Bukarester Tageszeitung „Evenimentul zilei“, enthält die Summe der Missverständnisse, die die rumänische Öffentlichkeit prägen. Cartarescu spricht in höchsten Tönen von der fachlichen Meisterschaft der beiden ehemaligen Informanten. Der eine habe ein fundamentales Buch über die Utopie verfasst, der andere sei ein großer Germanist, und sogleich folgt die Behauptung, Moral und Intellektuellenleistung gingen selten zusammen. Und dann passiert etwas Erstaunliches. Cartarescu nennt als Beispiele für seine These: Heidegger, Hamsun, Ezra Pound, Celine und Drieu la Rochelle.

Das ist ein Skandal. Ich wüsste nicht, dass auch nur einer von diesen jemals Informant der Gestapo gewesen wäre. Sie haben ihre politischen Ansichten vielmehr öffentlich geäußert, für jeden sichtbar und zugänglich. Sie haben sich gewaltig geirrt, aber sie haben sich öffentlich geirrt und mussten sich dafür auch verantworten.

Wie aber kann man sie mit moralischen Lumpen wie Antohi und Corbea vergleichen, die ihre Tätigkeit als Teil und im Auftrag eines Repressionsapparats im geheimen und verborgenen ausführten? Sie haben sich bis heute nicht zu ihren Untaten bekannt. Und ihre Tätigkeit gründete ja wohl nicht auf Überzeugung sondern auf der Bereitschaft für persönliche Vorteile, wie Auslandsreisen und akademische Karrieren, anderen Menschen zu schaden. Das ist im übrigen die Essenz der IM-Tätigkeit. Es handelt sich dabei nicht um eine politische Aktivität sondern um eine kriminelle Tat.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Richard Wagner / 19.07.2016 / 09:13 / 6

Aus dem Zeitalter der Dummheit

Dass wir im Zeitalter der Dummheit leben, wird uns beinahe täglich vor Augen geführt. So, wenn wir glauben, einen feinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus…/ mehr

Richard Wagner / 09.03.2016 / 20:00 / 1

Femme Fatal und Landtagswahl

Noch nie war die Politik in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so weichenverstellt. Es ist das späte Ergebnis des langen Aufstiegs und noch…/ mehr

Richard Wagner / 19.11.2014 / 10:51 / 0

Krieg um die Fifth Avenue?

“Für das Individuum mit seinen Wünschen nach Unversehrtheit und Glück ist der Krieg immer sinnlos.  Aber während er das individuelle Leben zerstört, kann er das…/ mehr

Richard Wagner / 12.09.2014 / 11:33 / 4

Von allen guten Geistern

Früher, als die Kirche noch für die öffentliche Moral zuständig war, und damit auch für die Identifikation des Bösen, war im Gegenzug auch die Zuständigkeit…/ mehr

Richard Wagner / 09.09.2014 / 11:45 / 6

Der Narr und die Barbarei

Wer am Morgen Radio hört, ist selber schuld, und wer am Morgen in Berlin Radio hört, muss den Verstand verloren haben. Wie ich, heute. Kaum…/ mehr

Richard Wagner / 24.07.2014 / 08:06 / 3

Die rechten Migranten formieren sich

Wenn Palästinenser in deutschen Städten demonstrieren, geht es immer öfter nicht nur gegen den Staat und die Staatsidee Israels, sondern gegen jüdisches Leben in Deutschland.…/ mehr

Richard Wagner / 28.01.2013 / 20:48 / 0

Der Zweite Weltkrieg gewinnt die Präsidenten-Wahl in Tschechien

Wer Ostmitteleuropa und dessen kulturhistorisch gewachsene Idiosynkrasien kennt, brauchte sich über den Ausgang der Präsidenten-Stichwahl vom Wochenende in Tschechien keine Illusionen zu machen. Den Sieg…/ mehr

Richard Wagner / 30.05.2012 / 12:25 / 0

Die Israel-Predigt

An dem neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck wird in der Regel sein dem Diplomatenjargon konträres Pathos gelobt. So, wenn er in Israel dem dortigen Staatsoberhaupt und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com