Die von Herta Müller, Helmuth Frauendorfer und dem Verfasser dieser Zeilen angestoßene Debatte über die Einladung von Securitate-Spitzeln ins rumänische Kulturinstitut beschäftigt seit ein paar Tagen auch die Bukarester Medien. Das Kulturinstitut selbst betreibt dabei eine eher nichtssagende Politik der Selbstverteidigung. Sein Leiter, Horia-Roman Patapievici, redet sich zum einen mit der angeblich fehlenden gesetzlichen Handhabe heraus, zum anderen stellt er den Moralanspruch der Kritiker in Frage. „Was sollen wir, die ohne Sünde sind, mit ihnen, den Sündern, bloß tun?“ heißt es in seiner Antwort auf den Offenen Brief von Herta Müller. Damit wird die vermeintliche Schlussfolgerung einer Debatte, die nicht stattgefunden hat, zum Argument für deren weitere Vertagung.
Das aber wirft nicht zuletzt ein Licht auf den Kodex der rumänischen Intelligenzia. Um es gleich zu sagen: Das Niveau ist nicht sehr hoch. Jedenfalls nicht beim Problembewusstsein. Knapp zwanzig Jahre nach dem Sturz des Diktatorenpaars erinnert es mich unwillkürlich daran, wie dünn die Fundamente der damaligen Bukarester Opposition waren. Sie aber bildet weitgehend das heutige kulturelle Establishment.
Damals führte man die fehlende Oppositionssubstanz auf das Ausmaß von staatlicher Willkür und polizeilicher Repression zurück. Wie aber will man das marginal wirkende moralische Selbstverständnis von heute erklären?
Die Debatte machte im übrigen auch den seit längerem schwelenden Kulturkonflikt zwischen den Generationen sichtbar. Die Jüngeren kritisieren das Establishment auffallend scharf. Sie fordern Konsequenzen für die Kollaboration im Kommunismus. Die so Angegriffenen wiederum diffamieren die Angreifer als rechts und sonst etwas. Man lernt von Europa. Zumindest, wie man den Gegner mit zeitgemäßen Methoden fertig machen kann.
Eingemischt hat sich nun auch der Schriftsteller Mircea Cartarescu, dessen jüngst auf deutsch erschienener Roman „Die Wissenden“ von der deutschsprachigen Kritik viel Lob erhielt. Sein zur Versöhnlichkeit neigender Artikel zur Spitzelaffäre, aus der Bukarester Tageszeitung „Evenimentul zilei“, enthält die Summe der Missverständnisse, die die rumänische Öffentlichkeit prägen. Cartarescu spricht in höchsten Tönen von der fachlichen Meisterschaft der beiden ehemaligen Informanten. Der eine habe ein fundamentales Buch über die Utopie verfasst, der andere sei ein großer Germanist, und sogleich folgt die Behauptung, Moral und Intellektuellenleistung gingen selten zusammen. Und dann passiert etwas Erstaunliches. Cartarescu nennt als Beispiele für seine These: Heidegger, Hamsun, Ezra Pound, Celine und Drieu la Rochelle.
Das ist ein Skandal. Ich wüsste nicht, dass auch nur einer von diesen jemals Informant der Gestapo gewesen wäre. Sie haben ihre politischen Ansichten vielmehr öffentlich geäußert, für jeden sichtbar und zugänglich. Sie haben sich gewaltig geirrt, aber sie haben sich öffentlich geirrt und mussten sich dafür auch verantworten.
Wie aber kann man sie mit moralischen Lumpen wie Antohi und Corbea vergleichen, die ihre Tätigkeit als Teil und im Auftrag eines Repressionsapparats im geheimen und verborgenen ausführten? Sie haben sich bis heute nicht zu ihren Untaten bekannt. Und ihre Tätigkeit gründete ja wohl nicht auf Überzeugung sondern auf der Bereitschaft für persönliche Vorteile, wie Auslandsreisen und akademische Karrieren, anderen Menschen zu schaden. Das ist im übrigen die Essenz der IM-Tätigkeit. Es handelt sich dabei nicht um eine politische Aktivität sondern um eine kriminelle Tat.