Richard Wagner / 08.05.2010 / 13:41 / 0 / Seite ausdrucken

Der Spekulant in der Krise

Die Demokratie ist der Ort, an dem sich die Guten treffen. Sie treffen sich dort, um zu teilen, zu verteilen, und umzuverteilen. Das muss ein schöner Ort sein, denkt sich das Kind, dem man abends noch vorliest. Es ist in der Tat ein schöner Ort. Er ist fast so schön wie der Wochenend-Markt vor dem Schöneberger Rathaus.

Leider bleibt kein Ort, er mag noch so schön sein, von Unschönem verschont. Das gilt auch für die Demokratie. Sie leidet unter dem Geld, wie man in guten Zeiten meint, und sie leidet unter dem Geldmangel, wie man in schlechten Zeiten zu berichten weiß.

Nun haben wir seit einiger Zeit eine Finanzkrise. Eine Finanzkrise tritt jedes Mal auf, wenn das Geld und der Geldmangel gleichzeitig zum Problem werden. Zum Problem, das weder durch teilen, noch durch verteilen oder gar durch umverteilen gelöst werden kann. Vielleicht sogar zum Faktor, der das Teilen, das Verteilen und das Umverteilen behindert. Wären wir, so betrachtet, mit unserem Latein wirklich schon am Ende?

Der Teufel wird zwar unentwegt an die Wand gemalt, aber wer von den braven Künstlern könnte schon sagen, Mephisto habe ihm Modell gestanden! Auch die deutsche Theaterszene steht nach Informationen aus dem Feuilleton ganz im Zeichen der Krise. Hochbezahlte Regiestars gehen dem aktuellen Thema nach. Sie entdecken das Manko, aber nicht das Elend.

Ist es nicht die bequemste Finanzkrise der Welt, die wir gerade erleben? Nichts funktioniert, aber alles geht. Der Arbeitslose hat seinen Überlebenswarenkorb, von dem er behauptet, dass man mit ihm unmöglich haushalten könne. Er könne es jederzeit belegen, und es mag auch zutreffen, so lange seine Versorgungslage an den Standards der Gesellschaft gemessen wird, und nicht wie früher an der blanken Not. So hat der Arbeitslose ein Recht auf Urlaub, sobald er bereit ist, diesen Urlaub beim Amt anzumelden. Er hat keine Arbeit, aber er hat ein Recht auf Urlaub.

Die Desintegration unseres Ordnungssystems zeigt sich nicht zuletzt im Auseinanderfallen der Begriffe, in ihrer Abkoppelung. Denn was ist Urlaub ohne Arbeit? Eine Gesellschaft, die solche Fragen nicht mehr stellt, kommt auch zu keinen sinnvollen Antworten. Stattdessen schafft sie Raum für die Cleverness. Sie hat keine Antwort auf die Arbeitslosigkeit, also greift sie zur Verlegenheitslösung, zum 400-Euro- Job. Dieser wird auch nicht als Antwort auf die Arbeitslosigkeit angesehen, sondern als Mittel, um sich aus der Affäre zu ziehen. Der Unternehmer richtet, wo es geht, nur noch 400-Euro- Jobs ein, und der Arbeitslose nimmt sie an. Im Ergebnis spart das Unternehmen Steuerbeiträge und der Arbeitslose ergänzt seine Unterstützung. Am Ende ist alles subventioniert, und das Steuergeld kommt vom Mond, oder aus der Zukunft. Im Klartext nennt man so etwas Staatsverschuldung.

Die Situation ist, wie sie ist, verfahren: Die Standards sind zu hoch. Die Zahnräder des Systems greifen nicht mehr ineinander. Zumindest machen sie Geräusche, zunehmend hässlichere. Sind es nun die Zahnräder, oder die, die sie herstellen, oder die, die nicht wissen, was ein Zahnrad ist? Diese und ähnliche Fragen werden durch Erklärungen und Rechtfertigungen übertönt. Wenn die Guten vom Mond kommen, dann kommen die Bösen eben vom Mars. Im Moment sind es die Spekulanten. Griechenland komme nicht ins Lot, weil gegen Griechenlands Währung spekuliert werde. Der Euro sei gefährdet, weil auch gegen ihn spekuliert werde. So einfach sei die Problematik zu erklären.

Das Problem aber bleibt. Selbst dort, wo die Spekulanten auftauchen, tauchen sie auf, wenn die für die Spekulation nötige Voraussetzung geschaffen ist. Diese Situation ist die Krise. Sie wird nicht von den Spekulanten geschaffen, sie wird von den Spekulanten genutzt. Zur Krise geführt haben ganz andere Faktoren. Eine falsche Haushaltspolitik, die mangelnde Leistung der Gesellschaft, übertriebene Standards. Der Spekulant aber ist der nützliche Idiot.

 

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