Rainer Bonhorst / 03.06.2019 / 14:00 / Foto: R.Letsch / 62 / Seite ausdrucken

Der Sockel für Angela Merkel steht

Alles ist relativ, wissen wir von einem bedeutenden Ulmer, der sich in Amerika zu voller Größe entfaltet hat. Mit Hilfe der Relativitätstheorie möchte ich in diesem Blog etwas tun, was nicht so oft vorkommt: Ich möchte eine Lanze für Angela Merkel brechen und dabei auf ihre Rede vor den Alumni der Harvard Universität zurückkommen.

Wie also ist ihre Harvard-Rede im Lichte Einsteins zu betrachten? Gehen wir von ihrer Grundstimmung aus, die die größte Strecke ihres politischen Weges bestimmt hat: Nüchternheit, Vorsicht, abwägen, aussitzen. Zwei Ausbrüche aus dieser vielleicht klugen, aber wenig mitreißenden Befindlichkeit haben wir erlebt: den spontanen Atomausstieg nach dem GAU von Fukushima und die Grenzöffnung nach dem Motto: Seid umschlungen Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt.

War der Atomausstieg ein kompletter Ausstieg aus ihrer nüchternen Kopflastigkeit, ein emotionaler Ausbruch, der von Herzen kam? Das Herz hat wohl stark mitgeklopft, aber Merkel wäre nicht Merkel, wenn der Kopf nicht mit kalkuliert hätte. Ihre politische Kurve ins Grüne hat sich zeitweise bezahlt gemacht.

Die Einladung an eine Million Migranten kam wohl noch stärker vom Gefühl und dem Wunsch, eine Pionierin guten Deutschtums zu sein. Aber kalkuliert hat sie auch hier ein bisschen, auch wenn es eine Fehlkalkulation war. Ihre Hoffnung, die Eingeladenen in großer Zahl wieder auszuladen und bei den Nachbarn unterzubringen, erfüllte sich nicht. Sie (also wir) blieb(en) auf dem Gästestrom sitzen.

Beide Fälle aber waren ein Ausbruch aus dem Merkelschen Prinzip der Vorsicht, des Abwägens und des Aussitzens. Relativ zu ihrem sonstigen Agieren waren sie spontan und allein dadurch sichtbar herzgeleitet. Angela Merkel zeigte zweimal kurz Emotion, wie durch ein Guckloch in einem riesigen Vorhang, der aus kühler politischer Kalkulation besteht.

Das Gefühl, das sie zweimal kurz zeigte, hat sie in der Welt zu einer Ikone gemacht. Merkel, die weltoffene, die gastfreundliche, und Merkel, die Frau, die dem Atom-Teufel den Garaus bereitete. Daheim, wo man sich mit den praktischen Folgen ihrer Herzenstaten herumschlagen muss, kam die Erhebung in den Ikonenstand nicht ganz so gut an. Aber das ist normal. Der Prophet kann in der Politik eine Problemfigur sein. Und er gilt im eigenen Land erst recht nichts, wenn man ihm nicht nur gequält zuhören muss, sondern wenn er sagen kann, wo es langgeht. Ich erinnere nur an Michail Gorbatschow, göttergleich bei uns in Deutschland, daheim in Russland vom Sockel gestürzt, ehe er ihn ganz erklommen hatte.

So, und nun komme ich zum Thema, also zur Harvard-Rede. Es ist die Zeit der politischen Dämmerung unserer schier ewigen Kanzlerin. Da ist eine Einladung an eine der großen Universitäten Amerikas die ideale Gelegenheit, Worte vorzutragen, die als Vermächtnis nachhallen.

Nun ist Angela Merkel, die Politphysikerin, nie eine emotionale oder gar mitreißende Rednerin gewesen. Eine Vermächtnisrede aber verlangt beides. Eben nicht nur Verstand, sondern mitreißendes Gefühl. Aber woher nehmen? Nun, alles ist, wie eingangs erwähnt, relativ. Für eine Politikerin, die jahrzehntelang – von zwei Ausbrüchen abgesehen – mit dem Gefühl äußerst sparsam umgegangen ist, schlug sie sich relativ gut. Man spürte, dass sie darin nicht geübt ist, aber umso sichtbarer wurde ihr Herz. Nicht Routine, sondern echte Mühe.

Natürlich war das sorgfältig vorbereitet. Und es war sehr schön gewollt, dass die Sentenzen, die ihr direkt vom Herzen zu kommen schienen, wie Pfeile in Richtung des amtierenden Präsidenten flogen. Und es war eine gewollte Freude, dass diese Pfeile vom Publikum mit Begeisterung aufgefangen wurden. Man befand sich schließlich im Zentrum des Ostküsten-Intellektualismus. Da gehört es zum guten Ton, auf Donald Trump draufzuhauen. Hätte Angela Merkel im mittleren Westen so gesprochen, sie wäre mit faulen Eiern beworfen worden.

Aber sie sprach, wie gesagt, was ihr – nach reiflicher Überlegung – das Herz auftrug. Vieles hatte einen kräftigen Hauch von Banalität. Doch darin unterschied sich diese Vermächtnisrede nicht von anderen Vermächtnisreden. Die schlichte Quintessenz könnte lauten: Leute, macht es nicht so wie der Donald.

Ein wirklich schlechter Rat wäre das ja auch nicht. Und ein bisschen Rache nach all den Trump-Attacken auf ihre Regierung und auf ihr Deutschland hat ihr sicher auch gut getan. Diplomatisch war das nicht. Aber es sprach die Endzeit-Kanzlerin mit Blick auf ihren Platz in der Geschichte. Und wir sollten uns nicht täuschen: Auch der Harvard-Auftritt hat, wie die geöffnete Grenze und der Abschied vom Atom, ihre internationale Reputation nochmal gefördert. Ihr Sockel steht solider denn je. 

Foto: R.Letsch

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Karl-Heinz Vonderstein / 03.06.2019

Offiziell wird in Deutschland ganz entschieden der Antisemitismus abgelehnt und verurteilt, man tut aber so als wenn es den Antisemitismus praktisch nur bei rechten Deutschen gäbe. Ich glaub, für die eher linkseingestellte Presse bzw.linkseingestellten Medien des Landes gibt es offiziell deshalb keinen Antisemitismus bei den Linken, weil sie sich ja sonst selber diesen Verdacht aussetzen würden. Unter muslimischen Migranten und muslimischen Menschen allgemein bei uns gibt es offiziell in Presse, Medien und Politik deshalb keinen Antisemitismus (wenn dann nur als Einzelfälle), weil diese ja eine Minderheit sind, die geschützt werden muss und über die man keine Pauschalverurteilungen machen darf und auch weil es ansonsten ja Wasser auf den Mühlen der AfD und Rechten wäre.  

Klaus Löffler / 03.06.2019

Ich gehe immer noch fest davon aus, daß Merkel für ihr illegales Vorgehen zum Schaden des Landes/Europas moralisch/juristisch zur Verantwortung gezogen wird. Für einen Sockel sehe ich keine geeignete Gründung. Falls Merkels Taten ungesühnt bleiben, ist dies nicht mehr mein Deutschland.

Dr. Hans Wilhelm Meier / 03.06.2019

Herr Bohnhorst, Ihr Satz “Die Einladung an eine Million Migranten kam wohl noch stärker vom Gefühl und dem Wunsch, eine Pionierin guten Deutschtums zu sein.” haut mich einfach um. Sie zeigen ein großes Talent, in einen Hohlkörper etwas (oder sogar viel) hineinzulegen. Das klappert dann aber dort nur herum. Geordnet heraus kommt etwas, wenn andere es vorgedacht und aufgeschrieben haben. Bei Ihnen klingt das dann so : “Aber sie sprach, wie gesagt, was ihr – nach reiflicher Überlegung – das Herz auftrug.”  Glauben Sie das wirklich ?

Manfred Lang / 03.06.2019

“Die Einladung an eine Million Migranten kam wohl noch stärker vom Gefühl und dem Wunsch, eine Pionierin guten Deutschtums zu sein.” Herr Bonhorst, sind sich da ganz sicher, dass Angela eine Pionierin guten Deutschtums sein wollte, als sie die Grenzen niederriss? Könnte es vielmehr ein banalerer Grund gewesen sein? 14 Tage nach der Grenzöffnung tagte das Komitee zur Nominierung Trägers des neuen Friedensnobelpreises. Obama bekam ihn für Nichts. Brandt für seinen Kniefall und die Aussöhnung mit Polen. Und wenn schon Obama für loh den Preis erhielt, wäre es ja wohl selbstverständlich, dass unsere Angela ihn für die Rettung der Million Flüchtlinge erhalten sollte. Schon um mit Brandt gleichzuziehen. Nun gab es also keinen Friedensnobelpreis, aber unlängst den Ehren-Doktor für die Wahrheit. Na, passt scho’!

Günter Springer / 03.06.2019

Es hat in der Geschichte schon viele Sockel gegeben, die für vermeindliche Größen bereits zu ihren Lebenszeiten errichtet wurden, von denen diese Größen später gestoßen wurden….... auch in diesem Fall wird es nicht anders sein! Ich frage mich immer wieder, worin der Verdienst dieser Frau liegt,  der sie auf den Sockel hebt. Im übrigen schließe ich mich dem Beitrag von Petra Wilhelmi voll und ganz an! Die Beurteilung dieser Frau, wie sie immer wieder in den Medien vorkommt, ist zutiefst westlich gefärbt, die östliche Färbung sieht dagegen wesentlich schlichter aus.

Detlef Dechant / 03.06.2019

Merkels Handeln hatte immer nur ein Ziel : links von der CDU keine Mehrheit zuzulassen und die CDU so groß zu halten, dass sie die Kanzlerschaft bestimmt. Was in den Ländern passiert, ist und war ihr schnurzegal. Nur bei der nächsten Bundestagswahl könnte das schief gehen, deshalb schon rechtzeitig vorher eine neue Vorsitzende in die Verantwortung schieben und ankündigen, nicht mehr zu kandidieren. So hofft sie, auf ihrem Sockel stehenbleiben zu können.

Ilse Polifka / 03.06.2019

Nein Herr Bonhorst, das war nichts . Nüchternhei, Vorsicht, abwägen und gar Herz zeigen. Du liebe Güte. Erkennbar ist und war immer nur eine unglaubliche und ausschließliche Machtgeilheit ohne Verantwortungsbewußtsein.

Tim Reichenbach / 03.06.2019

Sie schrieben, dass Merkels zwei Gefühlsausbrüche nicht bei den Deutschen, wohl aber im Ausland, gut ankamen. Ich fürchte, Sie sitzen in einer elitären Filterblase, lieber Herr Bonhorst. Ich hege den Verdacht, dass sie zu dieser Ansicht gekommen sind, indem sie die ausländischen Medien konsumierten, die jedoch auch im Ausland Propagandainstrumente sind, und eben keine Meinungsspiegel der Gesellschaft. Das tatsächliche Meinungsspektrum wird in den Kommentarsektionen des Internets offenbar, und dieses Meinungsspektrum unterscheidet sich deutlich von dem, was in den Medien verbreitet wird. Darum werden Kommentarsektionen geschlossen oder zensiert. Europa allgemein, und Angela Merkel im Besonderen, werden äußerst kritisch wahrgenommen. Im Bezug auf die deutschen Ergebnisse der EU-Wahl, würden Sie mit der Frage, was zur Hölle in Europa so katastrophal falsch läuft, wenn man nicht von Wahlfälschung ausgeht, ziemlich dicht am Konsens liegen. Und diese Sichtweise ist von China bis Amerika bei der Durchschnittsbevölkerung normal. Permanente Wahlfälschungen in Kombination mit irgendeiner elitären Verschwörungstheorie, die die Europäer zu Untertanen eines dystopischen Systems machen, sind noch die am wenigsten ehrenrührigen Erklärungsmöglichkeiten. Keine Wahlfälschungen und Verschwörungstheorien, sondern der demokratische Wille des Volks in die gegenwärtige Richtung, würden nicht selten die Existenzberechtigung besagten Volks in Zweifel ziehen. In China ist es mitlerweile eine im Alltag gebräuchliche Beleidigung, Leute mit europäischen Linken zu vergleichen. Anstatt als Hurensöhne, Wichser, oder Kanacken, bezeichnen Chinesen einander als “Weiße Linke”, wenn sie beleidigen wollen, und meinen damit vor allem Deutschlands Politikrichtung. Und in den USA gilt Deutschland und die EU mitlerweile als Negativbeispiel, dem man auf keinen Fall folgen möchte.

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