Vera Lengsfeld / 28.02.2012 / 12:39 / 0 / Seite ausdrucken

Der reuelose Spitzel

Das Kino Babylon in Berlin ist so etwas wie ein Geheimtipp für Freunde guter, selten gespielter Filme. Es ist auch eines der wenigen Kinos, die Filme über die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur zeigen.
Vergangenen Montag hatten die Robert- Havemann- Gesellschaft und die Stasiunterlagenbehörde zu einer besonderen Veranstaltung eingeladen. Gezeigt wurde der Film “Der Vaterlandsverräter“ von Annakathrin Hendel, eine Porträtstudie des DDR-Schriftstellers Paul Gratzik, der über 20 Jahre für die Staatsicherheit spionierte.

Gratizik war in der Szene bekannt als „Arbeiterschriftsteller“, ein Mann, der sich von ganz unten nach oben geschrieben hat. Einige seiner Stücke waren Kassenschlager. Seine Liaison mit der fast 30Jahre älteren Schauspielerin Steffie Spira, die ihn finanziell unterstützte und Zugang zur Theaterszene verschaffte, unterstrich seinen Exotenstatus. Berichtet hat Gratzik über alle: Kollegen, Freunde, Förderer, Geliebte. Wie irreführend der Titel des Filmes ist, wurde klar, als der ehemalige Führungsoffizier des Schriftstellers stolz berichtete, dass sein IM die richtige Entscheidung getroffen hätte, als er sich für das Vaterland und gegen seine Nächsten entschieden habe.

„Der reuelose Spitzel“ hätte das Werk also heißen müssen, bei dessen Betrachtung ich mich gefragt habe, wie man einen so wunderbaren Film mit eindrücklichen Bildern über so ein unwürdiges Subjekt machen kann.
Gleich in der Eingangssequenz poltert Gratzik: „Ich hatte gute Gründe, meine Arbeit zu machen… Ich hab viel zu wenig Leute angeschissen…Ich habe kein Gewissen, ich habe keine Moral…“Das meint der Mann ernst und hält es für einen Vorzug. Denn :“Wir haben euch Kapitalisten viel zu wenig ans Bein gepisst…Hätte ich bloß nicht bei der Stasi in’ Sack gehaun..“ Das Einzige , was er bereut, ist also, 1981 bei der Stasi aufgehört zu haben. Er hatte sich damals selber enttarnt und stand fortan unter Beobachtung.

Porträtiert wir ein unsympathischer alter Mann, der offen zugibt, dass es ihm immer nur um sich selbst ging und der nie jemanden geliebt hat. Worauf seine ihm nachgesagte Anziehungskraft auf Menschen beruhte, der auch die Regisseurin erlegen ist, war im Film nicht festzustellen. Seine Berichte an die Stasi waren in einem so schlechten Deutsch, dass eine seiner Geliebten annahm, es müsse eine Person geschrieben haben, die Gratzik lediglich ähnlich sähe, vielleicht sein Bruder. Die Opernsängerin Renate Biskup ist der Lichtblick in diesem bedrückenden Spitzeldrama, in dem es sich nur darum dreht, den alten Mann in ein günstiges Licht zu rücken. Keine leichte Aufgabe bei einem, der sogar mit den Kindern, die er in die Welt gesetzt hat, lieber nichts zu tun haben will. Zwei hat er nur anlässlich dieses Filmes getroffen, von der dritten Tochter weiß er nicht mal mehr den Namen.

Unfreiwillig satirische Züge bekommt das Ganze, als Gratzik schildert, dass er ein Treffen des von ihm geförderten Junglyrikers Sascha Anderson mit der Lektorin des Westberliner Rotbuchverlages ins Freibad Pankow verlegt hat, weil man dort nicht abgehört werden könnte. Der Dichter und die Lektorin verabreden, während sie Bahn um Bahn schwimmen, die Veröffentlichung seiner Gedichte im Westen. Anschließend erhält die Stasi prompt über das Treffen Berichte, auch von Sascha Anderson.

Der Abend, gedacht als Beitrag zur Versöhnung zwischen Tätern und Verfolgten, musste schief gehen. Die zahlreichen Besucher, die gekommen waren, in der Hoffnung, einen Stasispitzel, der seine Taten bereut hat, zu erleben, wurden bitter enttäuscht.

Nach dem Zwischenruf einer ehemaligen politischen Gefangenen, dass sie nicht hier wäre, um einen weiteren Täter, der sich und die DDR verteidigt, auf dem Podium zu erleben, war die Spannung im Saal mit Händen zu greifen. Als die Regisseurin die Zwischenruferin auch noch abkanzelte, sie sei wohl in der falschen Veranstaltung und deutlich machte, dass es ihr um darum ging, die Spitzeltätigkeit von Gratzik in den Hintergrund treten zu lassen, hätte das beinahe zu Tumulten geführt.

Ungerührt von der überwiegenden Ablehnung demonstrierte Gratzik, dass Kommunisten wie er nichts aus ihrem Debakel gelernt haben.

Versöhnung mit solchen Leuten ist nicht möglich. Ein kluger Freund hat mir neulich gesagt, die Täter würden sich niemals dafür interessieren, was sie angerichtet haben. Es wären die Opfer, die Fragen stellten und Erklärungen wollten. Der Film über Gratzik hat ein weiteres Mal klar gemacht, dass die Verfolgten nur eine Möglichkeit haben, sich zu befreien: sie müssen ihre Verfolger vergessen.

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