Peter Grimm / 19.01.2023 / 14:00 / Foto: Tommke / 87 / Seite ausdrucken

Der neue Minister und der Krieg

Beginnt mit Verteidigungsminister Boris Pistorius ein neues Kapitel der sogenannten Zeitenwende? Deutsche Politiker sollten endlich konkret über die Kriegsziele in der Ukraine sprechen.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor fast elf Monaten ist die Bundesregierung auf einem merkwürdigen Kurs. Einerseits gibt es viele Bekenntnisse zur Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg und der Steuerzahler hat auch schon mit großen Summen helfen dürfen, doch andererseits versprachen insbesondere die Sozialdemokraten, sie würden darauf achten, dass die Militärhilfe nicht weit genug geht, um als Kriegspartei zu gelten. Damit begründeten deutsche Politiker ihr Zögern bei Waffenlieferungen. Zeitweise wurden Panzer beispielsweise nicht direkt, sondern im Ringtausch geliefert, so als verlaufe an dieser Stelle die Grenze zwischen Kriegspartei und Nicht-Kriegspartei. Dann schien ebendiese Grenze zwischen der Lieferung vom „Marder“ und den von der Ukraine gewünschten „Leopard“-Kampfpanzern zu liegen. Seit Kriegsbeginn gibt es dieses Muster, erst bremst die SPD-geführte Bundesregierung bei jeder Forderung nach Waffen und Ausrüstung, um dann doch zögernd nachzugeben. Beides – das Zögern wie das jeweilige Nachgeben – wurde jeweils von der Versicherung begleitet, mit dieser Politik zu vermeiden, „Kriegspartei“ zu werden.

Das klang immer ein wenig nach „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Wer in größerem Umfang einer Seite Waffen liefert und ihren Verteidigungskampf erklärtermaßen unterstützt, mag nach völkerrechtlichen Bestimmungen de jure keine Kriegspartei sein, ist es aber de facto dennoch. Das wollte die Bundesregierung den Bürgern bislang aber in dieser Klarheit nicht sagen. Vielleicht weil es weitere Fragen aufwirft, auf die die Bundesregierung noch gar keine Antworten hat. Aber dann sollte man über diese Fragen trotzdem sprechen.

Doch zunächst zurück zu Pistorius. Womit hat der neue Verteidigungsminister nun den Eindruck erweckt, in der „Zeitenwende“ des Kanzlers Scholz könnte ein neues Kapitel beginnen? Es war nur ein Halbsatz von Pistorius, als er am Dienstag das erste Mal als künftiger Verteidigungsminister vor die Presse trat. Da sprach er von der großen Herausforderung „in Zeiten in denen man als Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg beteiligt ist, indirekt“. Das klingt nach einer klaren Anerkennung des Fakts, dass Deutschland längst Kriegspartei geworden ist.

Was genau ist das Kriegsziel?

Ein bisschen erinnert das an den März 2010, als der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kein halbes Jahr in diesem Amt war, das er auch von einem zurückgetretenen Vorgänger übernommen hatte. Vor seinem Amtsantritt mochte man im Verteidigungsministerium konsequent vermeiden, dass im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan das Wort „Krieg“ verwendet wird. Deswegen durften Soldaten, die dort bei Gefechten gefallen waren, nie als Gefallene bezeichnet werden. Sie waren irgendwie ums Leben gekommen. Erst Guttenberg begann, die in Afghanistan gefallenen Soldaten auch offiziell als Gefallene zu ehren. Und er sprach von „Krieg“. Auch wenn es völkerrechtlich vielleicht kein Krieg sei, so erlebten die Soldaten dennoch die Realität eines Krieges. Niemand hätte sich seinerzeit vorstellen können, dass der Westen diesen Krieg elf Jahre später verloren geben würde.

Natürlich haben Afghanistan und die Ukraine nichts miteinander zu tun. Ähnlich ist nur das Muster, einen unangenehmen Fakt auch offiziell als solchen zur Kenntnis zu nehmen. Denn wenn Deutschland durch seine Waffenhilfe aktiv „an einem Krieg beteiligt ist“, dann muss die Bundesregierung die Frage beantworten, welches ihr Kriegsziel ist, also bis zu welchem Punkt sie die Unterstützung der Ukraine fortzusetzen bereit ist. Die Aussagen hierzu sind schwammig. Zunächst hieß es, Putin dürfe nicht gewinnen. Dann hieß es auch schon mal, man müsse ihn besiegen, wobei die Nutzer dieser Floskel vielleicht noch nicht genau durchdacht hatten, was das konkret heißen soll.

Zuweilen hörte man auch die Aussage, das könne nur die Ukraine entscheiden. Sicher entscheidet nur die Ukraine, wann sie zu Waffenstillstand oder gar Frieden mit dem gegenwärtigen Aggressor bereit ist. Aber wie lange die westlichen Steuerzahler diesen Krieg finanzieren, sollte eine souveräne Entscheidung dieser Staaten sein. Eigenverantwortlich entscheiden, das mag die Bundesregierung aber nicht. Wie bei allen Waffenlieferungen hört man förmlich schon den Satz, das müsse man eng mit den Verbündeten abstimmen, bis diese Verbündeten es entschieden haben und Deutschland dann folgt. Aber verfolgen unsere Verbündeten alle das gleiche Kriegsziel?

Die Krim: de jure ukrainisch, de facto russisch

Einig sind sich sicher alle Ukraine-Unterstützer von den forschen bis zu den zögernden, dass man die ukrainische Kriegsführung so lange unterstützen sollte, bis der Aggressor zurückgeschlagen ist. Aber hier liegt der Teufel im Detail. Ist er das, wenn die Russen sich hinter die Demarkationslinie vom 23. Februar 2022 zurückgezogen haben? Ist er das, wenn die russischen Truppen auch die Gebiete der früheren sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk geräumt haben? Oder ist er das erst, wenn ukrainische Truppen in Sewastopol einmarschieren und auch die 2014 verlorene Krim wieder in den ukrainischen Staat eingliedern können? Kann Letzteres unser Kriegsziel sein, das wir mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen verfolgen wollen?

Nach dem Völkerrecht ist die Sache klar: Die Krim gehört zur Ukraine, was Russland nach der Auflösung der Sowjetunion auch vertraglich anerkannt hat. Für die Anerkennung der ukrainischen Grenzen hatte Kiew damals schließlich die auf ukrainischem Territorium stationierten Atomwaffen abgegeben und Russland die weitere Stationierung seiner Schwarzmeerflotte in Sewastopol zugestanden. Letztlich funktionierte das aber nur so lange wie auch die russisch-ukrainischen Beziehungen einigermaßen intakt waren.

Bekanntlich hatte der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow die Krim 1954 letztlich in einem Willkürakt von der Russischen Sowjetrepublik getrennt und der Ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Das hat aber nichts grundlegend verändert, denn alles blieb Teil der Sowjetunion. Und so lange es keine offenen Feindseligkeiten zwischen Russland und der Ukraine gab, funktionierte das Leben auf der Krim auf ähnlicher Basis weiter – bis 2014.

Wir brauchen Antworten, dringend

Auf der Krim leben mehrheitlich ethnische Russen. Ob sie alle auch wieder heim ins Russische Reich wollten, weiß niemand. Putin hat bekanntlich erst militärisch interveniert und anschließend ein als Propaganda-Event gestaltetes Referendum veranstaltet – Zustimmungswerte fast wie bei kommunistischen Abstimmungen inklusive. Hätte die westliche Diplomatie noch ein Zeitfenster gehabt, ein international überwachtes richtiges Referendum ohne dominierende russische Militär- und Verwaltungspräsenz als Kompromiss auszuhandeln? Putin hätte auch das vermutlich gewonnen und ob er sich an dabei ausgehandelte Regeln gehalten hätte, ist ebenfalls unklar. Aber im Westen wurde eine solche Lösung offenbar auch gar nicht erwogen.

Die Krim ist seit Jahren annektiert und somit de facto russisch. Die Krim ist nach internationalen Verträgen völkerrechtlich ukrainisch. Aber kann man sich vorstellen, dass die Russen auf der Krim wieder ukrainisch werden möchten? Fürchten sie in einem solchen Fall nicht die Rache der Sieger? Gegenwärtig stößt der Ukraine-Krieg bei den Russen offenbar immer stärker auf Ablehnung, aber bliebe das so, wenn um die Krim gekämpft würde?

Der Status der Krim bleibt ein kaum lösbares Problem. Ist es da sinnvoll, auch deren Eingliederung in die Ukraine zum unbedingten Kriegsziel zu machen? Oder ist es das schon? Über diese Fragen sollte die Bundesregierung und sollte auch der neue Verteidigungsminister dringend reden.

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Dirk Ahlbrecht / 19.01.2023

@ Gerd Maar   Der von mir erwähnte Douglas Macgregor ist in großer Sorge, dass es die Ukraine nach der Winteroffensive der Russen in dieser Form überhaupt noch gibt. Soviel zum Thema vor die Wahl stellen. Mal sehen, wer hier am Ende wem die Punkte diktiert.

Werner Arning / 19.01.2023

Die Frage nach „deutschen Kriegszielen“ kann in Deutschland keine einzige Person beantworten. Da müssen Sie die Amerikaner fragen.

Heiko Engel / 19.01.2023

Wieviel Geschichtsvergessenheit ist dieser Redaktion und dem Forum zu eigen. Höchst riskant. Aufgrund unserer Geschichte haben wir im Osten GARNICHTS mehr zu suchen. Wir liefern nicht einmal einen Helm. WIR SIND MITTLERWEILE KRIEGSPARTEI ! Dank unserer politischen Klasse; und Langley. Wir helfen humanitär. Und das machen wir z. Zt. vollumfänglich. Allen, die für diesen Krieg sind, und offensichtlich werden es in Deutschland, vernehme ich die Stimmen der Untertanen, immer mehr - keine Angst; auch für SIE gibt es passende Stahlhelmgrössen. Und nach der Bereitschaft zum militärischen Kampf wird dann nicht mehr gefragt, schwadroniert oder bundesdeutsch gelabert - das wird verordnet.. Es wird Zeit den gesunden Menschenverstand in Deutschland zu reaktivieren. Angenehmen Abend.

Walter Gustav / 19.01.2023

@Dr. Markus Hahn / 19.01.2023. Perfekte Beschreibung, viel mehr brauchs nicht!!

Dirk Ahlbrecht / 19.01.2023

@Dr. Markus Hahn   Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, der in der ganzen Diskussion sehr häufig völlig unter den Tisch fällt. Denn tatsächlich war ja Herr Selenskyj, und mit Blick auf die damaligen Wahlen, angetreten den Konflikt mit Russland zu beenden. Und dann dieses Ergebnis. Wenn das kein Wahlbetrug ist, was dann?

RMPetersen / 19.01.2023

“Natürlich haben Afghanistan und die Ukraine nichts miteinander zu tun.” Nichts? Immerhin wirken wir zum zweiten Mal an der Erreichung von geostrategischen Zielen der USA mit und die stellen eigenen Interessen hintan. Die damalige ministeriale Behauptung, am Hindukusch werde auch Deutschland verteidigt, war schon damals falsch. Ebenso falsch erscheint mir die heutige Behauptung, daß die ukrainische Regierung und ihre Armee westliche (- demokratische und sonstige gesellschaftliche) Werte verteidigen würden. Die Verbissenheit, mit der zB unsere “Werte” bei der Regierung in Kiew gesehen werden, andererseits jedoch die ungarische und die polnischen Regierungen ideologisch bekämpft werden, ist schon auffällig. (Die Behauptung, daß Russland bei einem Sieg gegen die Ukraine die anderen osteuropäischen Staaten und schliesslich Deutschland bis zum Rhein überrollen würde, scheint mir ebenfalls absurd.)

Dr. Markus Hahn / 19.01.2023

@ Gerd Maar / 19.01.2023 “Man sollte Russland vor die Wahl stellen: entweder vollständiger Rückzug seiner Truppen und Finnlandisierung der Ukraine…” Schlechtes Beispiel. Finnland hat vor kurzem die Aufnahme in die NATO beantragt.

S. Wietzke / 19.01.2023

“Beginnt mit Verteidigungsminister Boris Pistorius ein neues Kapitel der sogenannten Zeitenwende? “ Nach diesem ersten Satz musste ich leider wegen lebensgefährlicher Bauchfellkrämpfe das weitere Studium des Artikels abbrechen.

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