Der Mut und die Nation

Der Ukrainekrieg zeigt nicht nur, wie falsch der Westen in seiner Bewertung von Wladimir Putin lag. Es wird auch deutlich, wie viel Bedeutung die Idee der Nation tatsächlich heute noch hat – obwohl die westliche politische Kultur seit langem versucht, eben diesen nationalen Gedanken aus dem eigenen Selbstverständnis zu tilgen.

Seit einem Jahr wehren sich die Ukrainer gegen die russischen Invasoren. Seit einem Jahr zeigen sie Mut, auch wenn es manchmal der Mut der Verzweiflung ist. Aber eins ist ganz klar: Besser der Mut der Verzweifelten als der Missmut der Zweifler. Was sollten die Ukrainer auch anderes tun, als ihr Land verteidigen? Sie tun dies ja nicht aus einem überbordenden Nationalismus heraus oder weil sie sich den Russen gegenüber als rassisch überlegen fühlen. Wenn aber die russische Führung ihrerseits darüber schwadroniert, die Ukraine samt Menschen und Kultur von der Landkarte zu tilgen, dann ist es nicht rückschrittlich-nationalistisch, wenn man die Ukrainer dabei unterstützt, diesen Angriff abzuwehren.

Der Ukrainekrieg zeigt nicht nur, wie falsch der Westen in seiner Bewertung von Wladimir Putin lag. Es wird auch deutlich, wie viel Bedeutung die Idee der Nation tatsächlich heute noch hat – obwohl die westliche politische Kultur seit langem versucht, eben diesen nationalen Gedanken aus dem eigenen Selbstverständnis zu tilgen. Seit Jahrzehnten predigen uns gerade die europäischen Eliten, dass mit dem angeblichen „Ende der Geschichte“ auch das „Ende des Nationalstaats“ eingeläutet worden sei. An die Stelle der Nation rückte die Idee des vereinigten Europas. Das klang gut, und vor allem friedlich, nach Jahrhunderten von Kriegen auf dem Kontinent.

Und so machten sich die nationalen Eliten Europas und insbesondere ihre linken Vertreter daran, ihr gemeinsames europäisches Haus zu bauen. Oder besser gesagt: ihre Festung Europa – nicht in erster Linie zur Abwehr von Eindringlingen von außen, sondern zur Abwehr und Entmachtung politisch aufmüpfiger Wählerschaften. Die bekamen zwar ein europäisches Parlament nachgeliefert, das aber mit dem, was eine Volksvertretung in einem demokratischen Staat bedeutet, nur noch entfernt verwandt ist. Heute ist die Europäische Union so undemokratisch, dass sie ihre eigenen Beitrittskriterien nicht einmal in Ansätzen erfüllt. Aber dafür soll sie effizient und schlagkräftig sein und die Interessen der Nationen bündeln. Denn, so wurde uns erklärt, den Herausforderungen der Zukunft könne man nicht begegnen, wenn man auf nationalen Grenzen beharrt.

Keine Demokratie ohne Souveränität nach außen

Die ukrainische Bevölkerung spürt heute jeden Tag, was es bedeutet, wenn nationale Grenzen ignoriert werden. Es ist ein fürchterlicher Irrtum, wenn man meint, die Idee der Nation sei unbrauchbar, weil Romantiker und Radikale sie zu etwas scheinbar Religiösem überhöhen könnten. Tatsächlich ist die Nation bis heute sehr relevant, weil sie die einzige Basis ist, auf der Systeme demokratischer Teilhabe und das Prinzip demokratischer Rechenschaftspflicht umgesetzt wurden – keineswegs perfekt, aber doch in einer Art, die es wert ist, sie gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Souveräne Staaten sind häufig alles andere als demokratisch. Aber ohne Souveränität nach außen kann Demokratie im Inneren gar nicht entstehen.

Ja, es ist richtig darauf hinzuweisen, dass die Ukraine vor dem Angriff der russischen Armee eines der korruptesten Länder der Welt war. Doch nur zur Erinnerung: Putins Truppen sind nicht als Antikorruptions-Einheiten einmarschiert. Und ja, es ist auch richtig darauf hinzuweisen, dass die USA und der Westen insgesamt keine glaubhaften Freiheitskämpfer sind, sondern eigenen Interessen folgen, vor allem aber: eigenen Zweifeln und Selbstzweifeln folgen. Egal wohin man schaut: Im Westen regiert die Angst. Und die ist bekanntlich immer ein schlechter Ratgeber. Die einen wollen der Ukraine mehr Waffen liefern – aus Angst vor den Russen; die Anderen wollen das verhindern – auch aus Angst vor den Russen.

Das erklärt die Unschlüssigkeit und offensichtliche Unsicherheit manch politischer Figur. Und das macht gleichzeitig den Blick auf die Ukraine so surreal. Denn dort regiert nicht die Angst, sondern die Entschlossenheit und der feste Glaube daran, die Bedrohung zu überwinden. Die Ukraine hat das Pech, auf wankelmütige Verbündete angewiesen zu sein, die weder an die Kraft der Menschen noch an die Idee der nationalen Souveränität glauben.

Die Ukrainer haben Besseres verdient

Ja, ich traue weder Wolodymyr Selenskyj noch Joe Biden über den Weg. Ich denke, die Ukrainer haben Besseres verdient, einen besseren Präsidenten und bessere Verbündete. Vor allem aber haben sie es verdient, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Und deswegen muss es verhindert werden, dass Putin diesen Krieg gegen die Ukraine gewinnt. Ja, auch mit Waffen. Ich wüsste nicht, wie es sonst gehen soll.

Ich habe mein ganzes politisches Leben lang gegen Chauvinismus und nationalistische Exzesse argumentiert. Ich habe mit nationalistischen Kleingeistern nichts am Hut, ich habe keinerlei emotionalen Bezug zu Nationalsymbolen, ich habe nie das Deutschlandlied gesungen, schon gar nicht anlässlich von Fußballspielen. Ich war nie ein emotionaler „Schland“-Fan oder ein Patriot, sondern habe mich immer dafür engagiert, dass diese Gesellschaft eigenständige und demokratische Entscheidungen treffen und sich so verändern kann. Das ist der Grund, warum nationale Souveränität wichtig ist. Sie ist die Basis dafür, dass sich eine Bevölkerung ihrer eigenen Regierung entledigen und ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen kann.

Die Ukraine lehrt uns nicht nur, dass es hilft, wenn man weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Sie lehrt uns auch, wie fatal es war, die Idee der nationalen Souveränität als veraltet und rückschrittlich zu diffamieren und sie somit Idioten und Flachpfeifen zu überlassen. Der Westen hat seine eigenen Werte der Aufklärung und der Selbstbestimmung verraten und sich so selbst jede Glaubwürdigkeit entzogen. Insofern ist der Kampf um die Freiheit der Ukraine auch ein Kampf um die Freiheit jedes Einzelnen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

Foto: Vladimir Yaitskiy CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Wolfgang Richter / 11.03.2023

@ Marc Greiner - “Selensky und Glücksfall” - Ich empfehle das Begutachten der Rolle dieses Schauspielers und sog. Kabarettisten in seiner vorigen Rolle in der Fernsehserie “Diener des Volkes”. Dann erübrigt sich jedes weitere wort zu dem “Herrn”.

Wolfgang Richter / 11.03.2023

“Seit einem Jahr wehren sich die Ukrainer gegen die russischen Invasoren. Seit einem Jahr zeigen sie Mut, auch wenn es manchmal der Mut der Verzweiflung ist.” Dabei wäre es ein Leichtes für das russische Militär, die Hochhäuser, zB. in Bachmut, von denen aus es beschossen wird, mit einem Schlag “platt” zu machen und das “Problem” zu lösen, so wie das US-Militär vorgeht, gezeigt zB. zuletzt in Mossul, oder wie es im WK 2 übliche Praxis war. Könnte es daran liegen, daß die Russen sich eher auf einen mühsamen und mit mehr Opfern in den eigenen Reihen einlassen, weil sie davon ausgehen, daß in besagten Häusern auch Zivilisten aufhältig sind, auf die “man” Rücksicht nimmt?? Diesen “Mut” des ukr. Militärs mag jeder für sich beurteilen.

Dirk Piller / 11.03.2023

Ät Greiner: ich glaube Dresden, Hamburg und andere Städte haben ein anderes Bild von Churchill mit seinen Tonnen von Sprengstoff und Brandbomben, die er auf Zivilisten Ziele niedergeworfen hat und dann noch Tiefflieger hinterhergeschickt.  Nach Dresden hat er sicherheitshalber alle Dokumente über diese Mini Genozide von den Russen abräumen lassen. Das war Churchills Charakter.

giesemann gerhard / 11.03.2023

Eine Schande sondergleichen, dass wir immer noch Angst haben müssen vor den Russen, ihren Zumutungen. Als ob der Islam nicht genug Zumutung wäre. Der Moslem aber feixt.

STeve Acker / 11.03.2023

ein Land in der Konstellation wie die Ukraine ,mit zahlreichen Minderheiten, und diese zum Teil sehr groß sind, wird nur überleben können, wenn sie ein föderales Prinzip wählen, ähnlcih der Schweiz. Und dabei Minderheiten und andere Sprachgruppen respektieren. Das aber will die Kiever Politik explizit nicht. Sie will das ganze Land zwangsukrainisieren. Auch mit den anderen Minderheiten gehen sie ganz schlecht um, zb der ungarischen. und sowas soll in die eu kommen. Das wird die EU zerreisssen.

Hans-Peter Dollhopf / 11.03.2023

Herr Szabó schreibt: “Eine gesunde Liebe zum Vaterland definiert sich nicht durch den Hass anderen Vaterländern gegenüber. Genauso wenig definiert sich die Liebe zur eigenen Mutter durch einen Hass anderen Müttern gegenüber.” - - - “O Deutschland, bleiche Mutter! Wie haben deine Söhne dich zugerichtet Dass du unter den Völkern sitzest Ein Gespött oder eine Furcht!”

Marc Munich / 11.03.2023

Der Autor sollte unbedingt ein paar Nachhilfestunden in Sachen kalter Geopolitik nehmen, um zu begreifen, dass die Amerika vs. Russland/China-Konfrontation nicht vom Himmel gefallen ist.  Ich empfehle Ganser o. Köppel o. meinetwegen Krone-Schmalz.  Zur Not kann er aber auch mit einer Fülle hochrangiger Geoexperten, Diplomaten o. Militärexperten aus den USA Vorlieb nehmen.  Man setze sich mal mit ein paar Raketen in des Amis Vorgarten (z.B. Mexiko) und dann schau ma mal, was los wäre.  Kämen dann auch wieder die pathetischen Frömmler um die Ecke, die uns erklären, dass (in diesem Fall) BIDEN “diesen Krieg nicht gewinnen” dürfe und - weil die Mexikaner “selbst über ihre Zukunft entscheiden” sollen,  dies “auch mit Waffen”(lieferungen) zu bewerkstelligen sei, weil wir “nicht wissen, wie es sonst gehen soll!”  Hört sich sehr fromm an, läuft aber in Wahrheit auf die VERLÄNGERUNG DES LEIDS hinaus und markiert damit abermals den gesellschaftspolitischen Bankrott des heutigen Wertewestens.  Ein Präsident KENNEDY ließ sich nicht vom Militär zu einem Präventivschlag in der Kuba-Kriese drängen. GOTTSEIDANK! Es wurde eine Seeblockade über Kuba verhängt, um weitere Transporte von Waffen und Ausrüstung zu verhindern. Der Ministerpräsident der UdSSR, CHRUSCHTSCHOW, reagierte zwar mit heftigen Worten, ließ sich aber dennoch auf DIPLOMATISCHE VERHANDLUNGEN ein! Am 28.Oktober erklärte sich die Sowjetunion bereit, die Raketen abzuziehen. Von den USA erhielt Kuba eine Sicherheitsgarantie. Mit diesem Kompromiss war die Krise beendet.  Lieber mehr “von Gott berufende Sünder” und weniger pathetische Frömmler!” Zumindest eines könnte man daher von einem Kennedy mitnehmen: “Man darf nie eine Atommacht in eine Situation bringen, wo es für sie keinen gesichtswahrenden Ausweg mehr gibt!”

Karl-Heinz Boehnke / 11.03.2023

Das Ende des Krieges wird mit dem Ende der Ukraine zusammenfallen, weil diese noch nie eine Nation war und deshalb auch niemals eine sein wird. Die Menschen in diesem Landstrich sollen sich entscheiden können, entweder zu Polen oder zu Rußland zu gehören. Allein gelassen werden sie sich beständig hin zur Armut übervorteilen mit begleitendem Bürgerkrieg und mißbraucht von fremden Mächten. Die Ukrainer im Westen sind genauso Russen wie diejenigen im Osten, haben jedoch nach dem Mongoleneinfall im Spätmittelalter unter polnisch, litauischer und österreichischer, also westlicher Kultur, das Bestreben nach einer Nation entwickelt, die ihnen allerdings erst nach dem Fall des Kommunismus in den Schoß viel, leider mit den Perlen oder dem Ballast, je nach dem wie man es nimmt, des industriell entwickelten Ostens und der militärisch unerreichbaren Krim. Dieser Südosten wird sich niemals von den Oligarchen des Westens länger aussagen lassen.

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