„Die Risiken, über die jeder redet, sind in der Regel nicht die größten, sondern nur die populärsten“, sagt Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann in der aktuellen Ausgabe der Audiokolumne „Der Wochen-Wahnsinn“ zu seinem Gesprächspartner, dem Antenne-Frankfurt-Moderator Tim Lauth. Die wie Legosteine angemalten oder in Geschenkpapier eingepackten Antiterror-Lkw-Sperren auf den Weihnachtsmärkten sind knapp ein Jahr nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidtplatz Indizien für die Absurdität der Sicherheitsdebatte.
Sie halten weder Lkws in voller Fahrt auf, noch tragen sie zum Sicherheitsempfinden bei. Heitmann weiter: „Solche Pseudo-Schutzmaßnahmen führen dazu, dass es den Leuten immer schwerer fällt, echte Risiken von gefühlten zu unterscheiden. Man sollte versuchen, sich mit seinem Wohlgefühl unabhängig zu machen von angeblich objektiven Sicherheitseinschätzungen. Wahrscheinlich gibt es heute kaum etwas Aufmüpfigeres, als sich der Angstkultur einfach zu verweigern und keine Angst zu haben.“
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Tim Lauth: Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des WochenWahnsinns! Ich gehe wieder auf Zeitgeisterjagd mit dem Mann, der das gleichnamige Hardcoverbuch und E-Book geschrieben hat: Matthias Heitmann. Ja, Matthias, es lässt sich nicht leugnen, aber die Adventszeit beginnt. Die Weihnachtsmärkte sind eröffnet, genauso wie die Diskussionen über die Sicherheit auf öffentlichen Plätzen ein Jahr nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidtplatz. Wie ist denn Dein Sicherheitsgefühl, wenn Du über den Frankfurter Weihnachtsmarkt läufst?
Matthias Heitmann: Mein Sicherheitsgefühl ist bestens, sieht man von dem ständigen Risiko ab, mit klebrigem Glühwein überschüttet zu werden. Aber ich glaube, das hast Du nicht gemeint, oder?
Lauth: Ich wollte eigentlich wissen, ob Du Angst vor neuen Anschlägen hast.
Heitmann: Ich bin direkt am Morgen nach dem Anschlag am Breitscheidtplatz auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt gewesen und habe da mit einigen Leuten gesprochen. Die waren natürlich alle entsetzt, haben aber auch gesagt, sie würden nicht vor islamistischen Terroristen kapitulieren wollen. Und weil sie dies nicht wollten, hätten sie auch keine Angst. Ich denke, das Sicherheitsgefühl ist immer subjektiv und hat mit der realen Sicherheitslage nur am Rande zu tun.
Lauth: „Das Sicherheitsgefühl hat mit der Sicherheitslage nur am Rande zu tun“ – wie meinst Du das?
Heitmann: Die Angstdiskussionen haben nur dann einen Effekt, wenn sie an ein persönliches Gefühl der Bedrohtheit andocken können. Schau doch nur die Debatten in dieser Woche an, zum Beispiel über Glyphosat. Dieses Unkrautvernichtungsmittel wird seit 40 Jahren eingesetzt, ohne dass bei korrekter Verwendung jemals schädliche Nebenwirkungen nachgewiesen wurden. Sagt wohlgemerkt das Bundesinstitut für Risikofolgenabschätzung. Um gesundheitlich bedenkliche Mengen von Glyphosat aufzunehmen, müsste man rund 1000 Liter Bier pro Tag trinken. Vor diesem Hintergrund sind Weihnachtsmärkte dann vielleicht doch wieder gefährlicher, als man denkt…
Lauth: Ja ok. Aber nochmal zurück zu den Anschlägen: Die Weihnachtsmärkte werden ja jetzt mit Lkw-Sperren geschützt. Fühlst Du Dich dadurch nicht sicherer?
Heitmann: Diese Betonsperren zeigen doch, wie surreal mittlerweile die gesamte Sicherheitsdebatte ist. Die Weihnachtsmärkte werden eingemauert, aber Herbst-, Oster-, Mittelalter- oder normale Wochenmärkte nicht. Das ist doch reinste Symbol-Politik. Zudem haben Tests gezeigt, dass die mobilen Antiterrorsperren einen Lkw in voller Fahrt eben nicht wirklich bremsen. Doch die Teile scheinen auch nichts zum emotionalen Sicherheitsempfinden beizutragen – sonst würde man sie nicht in Geschenkpapier verpacken oder bunt anmalen wie Lego-Steine. Wenn man meint, dass Polizeipräsenz zum Sicherheitsgefühl beiträgt, dann verkleidet man Polizisten auch nicht als Weihnachtsmänner! Solche Pseudo-Schutzmaßnahmen führen dazu, dass es den Leuten immer schwerer fällt, echte Risiken von gefühlten zu unterscheiden.
Lauth: Ja, das stimmt wohl. Die Menschen fürchten sich ja auch vor unnatürlichen Lebensmitteln, kaufen dann aber vegane Leberwurst. Da ist die Risikowahrnehmung wirklich ein wenig verzerrt. Aber was kann man tun, damit das Sicherheitsempfinden wieder realitätsnäher wird
Heitmann: Man sollte versuchen, sich mit seinem Wohlgefühl unabhängig zu machen von angeblich objektiven Sicherheitseinschätzungen. Man kann sich weigern, Angst zu haben, vor allen Dingen in solchen Situationen. Man sollte sich immer daran erinnern: Die Risiken, über die jeder redet, sind in der Regel nicht die größten, sondern nur die populärsten.
Lauth: Letzte Frage: Siehst Du Risiken bei unserer Eintracht?
Heitmann: Auch hier kommt es auf die eigene Einstellung an. Wenn man meint, die Eintracht müsse im nächsten Jahr Euro-League spielen, dann gibt es Grund zur Sorge. Ich bin da aber sehr entspannt und freue mich eher auf das Heimspiel gegen die Bayern.
Lauth: Stimmt, das steht ja auch noch an. Ob wir auch vor diesem Spiel noch hinreichend gute Gründe für Optimismus finden können, das werde ich in der nächsten Ausgabe des WochenWahnsinns diskutieren, wieder mit Matthias Heitmann.
Bis dahin, machen Sie es gut, und besser!
Nach den ausverkauften Vorstellungen im Oktober und November stehen die nächsten Termine für das Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ von Matthias Heitmann und Tim Lauth bereits fest. Am 21. Januar und am 11. März 2018 laden die beiden in das Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“ und liefern, was man heute kaum noch gewohnt ist: gute Gründe für Optimismus. Karten für diese Vorstellungen gibt es bereits jetzt – und die sind ein tolles Weihnachtsgeschenk! Mehr Infos unter: zeitgeisterstunde.de.
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