Leon de Winter, Gastautor / 22.01.2021 / 06:00 / Foto: imago / 88 / Seite ausdrucken

Leon de Winter: Der Angriff der Tech-Giganten

Der Senat, der die einzelnen 50 Bundesstaaten vertritt, und das Repräsentantenhaus, das dort im Namen von 435 Wahlkreisen tagt, haben ihre vornehmen Quartiere im Kapitol und seinen Nebengebäuden. Zusammen bilden sie den Kongress. Die meisten Amerikaner verachten den Kongress, der in Umfragen nicht viel beliebter ist als irgendeine Gruppe von Banditen.

Das Gebäude selbst leidet nicht unter Unbeliebtheit. Es symbolisiert das amerikanische System der Regierung von und durch das Volk, obwohl viele von Trumps Anhängern begonnen haben, daran zu zweifeln.

Trotz seiner Position als nationales Heiligtum hat das Kapitol neben den traurigen Ereignissen der letzten Woche (für die Präsident Trump eindeutig eine Mitverantwortung trägt) bereits Vorfälle von rüdem und gewalttätigem Verhalten erlebt.

1954 verletzten puerto-ricanische Nationalisten im Kapitol fünf Kongressabgeordnete. Im Jahr 1983 wurde dort ein schwerer Bombenanschlag auf die Räume der republikanischen Senatoren verübt. Im Jahr 2017 wurde schließlich das Büro eines republikanischen Senators besetzt.

Zum Zeitpunkt der Anhörungen von Richter Kavanaugh im Jahr 2018 waren die Räume von hunderten von Anti-Kavanaugh-Demonstranten besetzt. Im Februar 2020 zerriss die Vorsitzende der Demokraten, Nancy Pelosi, in der Haupthalle des Kapitols hinter dem Rücken von Präsident Trump eine Kopie seiner Rede zur Lage der Nation – womit Pelosi das feierliche Ritual der State of the Union verunglimpfte.

Khamenei darf weiter twittern

Die meisten Medien der freien Welt beschreiben die Ereignisse des 6. Januar als Aufstand oder Staatsstreich. Und da Donald Trump ohnehin den Ruf eines zweiten Adolf Hitler hat, werden diese Vorwürfe begierig aufgegriffen. Das Ergebnis ist: Wenn die sozialen Medien des Faschisten Trump abgeschaltet werden, kommt es kaum noch zu Protesten.

Die sozialen Medien von Ajatollah Khamenei und anderen umstrittenen Politikern bleiben intakt. Unterdrücker und undemokratische Bewegungen aus aller Welt platzieren darauf ungehindert ihre Botschaften.

Dazu ein Beispiel, herausgegriffen aus vielen tausenden: Vor einigen Monaten schickte Reza Aslan, ein bekannter amerikanischer Linksintellektueller, folgenden Tweet über die Nachfolge der Obersten Richterin Ruth Ginsberg: „If they even TRY to replace RBG we burn the entire fucking thing down.“ Mit „the entire thing“ meinte er Washington, D.C. Aslan ist ein angesehener Mann in progressiven Kreisen, doch sein Twitter-Account wurde nicht geschlossen.

Letzte Woche wurde Trumps Onlinepräsenz innerhalb weniger Tage von den Tech-Firmen komplett gelöscht. Wie sieht ihre rechtliche Stellung nach amerikanischen Gesetzen aus?

Facebook und Google sind unabhängige Unternehmen, die unter einer speziellen Gesetzgebung agieren, nämlich Paragraf 230 des Communications Decency Act (CDA) von 1996. Der Kern von Paragraf 230 lautet: „No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.“

Facebook ist eine Art Post

Mit diesem Leitsatz konnten die sozialen Medien wie offene Arenen agieren. Sie waren ja nicht für die Meinung ihrer Nutzer verantwortlich, sie waren auch keine Verleger, die eine Auswahl trafen, sondern nur ein Vermittlungskanal, wie die Post, die nicht sehen und daher auch nicht beurteilen darf, was Briefschreiber untereinander austauschen.

Obwohl Paragraf 230 von Unternehmen, die soziale Medien kontrollieren, verlangt, dass sie sich einer Wertung der auf ihren Seiten geposteten Inhalte enthalten, filtern sie seit geraumer Zeit Nachrichten, die ihnen nicht gefallen und entfernen sie sogar. Mit dem Aus für Trumps soziale Medien haben diese Unternehmen einen historischen Moment von beispielloser Tragweite erzwungen.

Als in der „New York Post“ Beiträge über die mögliche Verstrickung des Sohnes von Joe Biden in Korruption erschienen, beschlossen die Tech-Giganten, diese Berichte zu unterdrücken, die kurz vor den Wahlen publik wurden. Seit geraumer Zeit sind die Videos von Dennis Prager, einem populären konservativen Intellektuellen, von YouTube gesperrt.

Einer der herausragendsten Podcaster in Amerika ist Dan Bongino, ein ehemaliger Agent des Secret Service. Twitter sperrte ihn, als er Trumps letzten Tweet neu positionieren wollte, woraufhin Bongino selbst seinen Twitter-Account aus Protest schloss. Vor ein paar Tagen wurde die Facebook-Seite von Walkaway, einer großen Plattform von mehr als einer halben Million Menschen, die sich von den Linken und den Demokraten abgewandt haben, von Facebook geschlossen.

Niemand da, den man anrufen könnte

Dies sind keine Beispiele für besondere Vorkommnisse. Es schwappt eine Welle von Schließungen konservativer Social-Media-Accounts durch den politisch rechtsgerichteten Teil Amerikas. Widerstand ist unmöglich. Niemanden kann man anrufen. Kontrolle ist gesichtslos, anonym, schwer fassbar.

In den letzten Monaten gab es eine Abwanderung von konservativen und rechten Nutzern sozialer Medien zu Parler, dem konservativen Pendant zu Twitter. Nachdem Apple und Google den Zugriff auf die Parler-App gesperrt hatten, schaltete Amazon die von Parler genutzten Server ab – Amazon ist nicht nur ein Onlinekaufhaus, sondern bietet auch Serverdienste an. Mit anderen Worten: Erst werden die Konservativen aus den sozialen Medien vertrieben, und dann wird ihr Rückzugsort technisch zerstört.

Das, reden wir nicht um den heißen Brei herum, nennt man Zensur. Die sozialen Medien verbannen Stimmen, die nicht in den politisch korrekten Kosmos der Tech-Oligarchen des Silicon Valley passen. Die amerikanischen Oligarchen dominieren jetzt den politischen Diskurs in Amerika und sehr bald auch im Rest der Welt. Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig, sie verwandeln ihre sozialen Medien in Meinungsmonopole.

Das linksliberale Amerika dominiert die Medien, Hollywood, die Universitäten, die obersten Schichten des Großkapitals und jetzt auch die sozialen Medien. Donald Trump wurde von den Stimmlosen des „Middle America“ gewählt, das die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, aber dieser Teil Amerikas hat nun seine Onlinestimmen durch die Intervention der Tech-Unternehmen verloren.

Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten mundtot gemacht werden kann, wenn er mithilfe der Techniken des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit seinen Anhängern kommunizieren kann, dann kann das jedem passieren. Es ist unverständlich, dass progressive Journalisten und Politiker diese Gefahr nicht anprangern. Im Gegenteil, sie scheinen diese Entwicklungen sogar zu unterstützen.

Wenn die Antifa kommt

Falls es einigen Lesern schwerfällt, meine Warnungen zu akzeptieren, hören Sie sich den Podcast von Bret Weinstein und seiner Frau Heather Heying an, Intellektuelle, die 2017 ungewollt durch die Unruhen am Evergreen State College im Bundesstaat Washington bekannt wurden. Es spielte keine Rolle, dass sie beide sehr links eingestellt waren; sie gerieten mit „antifaschistischen“ Studenten aneinander. Ihre Geschichte ist typisch für das, was sich im heutigen Amerika im großen Stil abspielt.

Im März 2017 stieß das Professorenpaar Weinstein und Heying im Evergreen-College mit einer radikalen Meute von Studenten zusammen, die das Paar zu Faschisten erklärten. Auf dem Campus machten hysterische Studenten Jagd auf Weinstein und Heying, die zu Symbolen der „white supremacy“ wurden. Die rückgratlose Universitätsleitung ließ die beiden Professoren fallen. Innerhalb weniger Monate wurden sie zu akademischen Parias. Später wurden die mit Weinstein verbundenen Facebook-Konten geschlossen.

Fazit: Wenn Sie bei den Tech-Oligarchen in Ungnade fallen, verlieren Sie Ihre Onlinepräsenz, ohne ein Recht auf Erklärung, Einspruch oder Protest. Der Podcast von Weinstein und Heying vom vergangenen Samstag trägt den Titel: „Tyranny is fast approaching“ (Die Tyrannei rückt immer näher).

Meinungsfreiheit mit allem, was dazugehört, wie Streit, Fluchen, Lärm, Hysterie, Chaos, Unsinn und fröhlicher oder ernster Blödsinn, ist entscheidend für eine lebendige Gesellschaft. Die Tech-Oligarchen gehen nun zum Angriff hierauf über. Sie träumen von sogenannten Communitys mit einer Vielfalt an Rasse und Geschlecht – aber sie lassen keine Vielfalt in Bezug auf politische, moralische oder wissenschaftliche Positionen zu, wenn diese nicht mit den „Identity“-Ideologien übereinstimmen, die jetzt bei den Oligarchen und den amerikanischen intellektuellen Eliten en vogue sind.

Der niederländisch-jüdische Historiker Jacques Presser bemerkte bereits 1947: „Der Faschismus, sollte er jemals zurückkehren, wird sich zweifellos im Gewand des Antifaschismus präsentieren.“

Wir stecken mittendrin.

Wir danken Leon de Winter und der WELT für die Nachdruckerlaubnis.

Foto: Imago

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Leserpost

netiquette:

Dieter Weiß / 22.01.2021

Vor diesem Hintergrund muss man noch den Drang zur Verschärfung des amerikanischen Wafefnrechtes sehen. Ein vollständiger Sieg kann nur erreicht werden, wenn das Volk entwaffnet wird und keinen physischen Widerstand mehr leisten kann. Der deutsche Michel kann als Waffe höchstens noch seine Filzpantoffeln einsetzen. Soziale Medien hin oder her, in der USA gibt es ein Millionenheer schwer bewaffneter Zivillisten. Ob die sich das auf Dauer gefallen lassen ist die Frage.

Hans-Peter Dollhopf / 22.01.2021

Weiteren Lesern ist offensichtlich der äußerst “sympathische” Herr Dietmar Schubert aufgefallen. Er prahlt damit: “Mein Mitleid hält sich bei Dummheit und Nichtstun in Grenzen.” Als Dumme und Nichtstuer bezeichnet er dabei Konservative sowie Ältere. Herr Schubert ist ein Schwätzer. Dumme Nichtstuer sind hüpfende Schulschwänzer, die sich von einer psychisch gestörten Göre aufhetzen lassen und dazu vor Selbstmitleid triefen, “wir werden alle verbröhnnen”! Was sie sich selbst antun, das können sie nicht begreifen, weil ihnen Reife und Lebenserfahrung fehlen. Und Fantasie. Schuberts junge(?) dynamische Informationsoligarchen haben damit begonnen, die Welt der Dummen vor der “wenig hilfreichen” Stimme der Vernunft nun vollkommen abzuschirmen. Schubert likes this! Wie doof kann man sein.

Ilona Grimm / 22.01.2021

@Beat Schaller: Kennen Sie die original schweizerische Suchmaschine „swisscows.ch“? Die Leute speichern nichts, arbeiten mit eigener Soft- und Hardware und haben ihre Server in den Schweizer Alpen untergebracht. Google braucht kein Mensch! Swisscows brauchen allerdings Spenden, da sie wenig bis keine Werbeeinnahmen haben. Ich spende gern für vernünftige Projekte, die den Big Techs das Wasser abzugraben helfen.

Ilona Grimm / 22.01.2021

@Dr. Robert Lederer: Sie sparen mir eine eigene Stellungnahme zur angeblichen Mitschuld Trumps am “Sturm auf das Kapitol”. Vielen Dank.

Sascha Hill / 22.01.2021

Weitgehend Zustimmung, allerdings wird hier die Macht der sogenannten Medien nicht genug beleuchtet. Die Journaille von heute, hat als wichtigstes Ziel die Durchsetzung ihrer Agenda zum Ziel. Das wäre dann wohl die Links-Grüne Haltungsideologie. Eben diese Journaille waren es auch, die Trump mit Hitler vergleichen. Was nicht nur absurd, sondern auch zutiefst dumm ist. Wenn man nur einmal darüber nachdenkt, wie sehr die Medien (drüben wie hüben) Meinung schaffen wollen, dann erinnert man sich durchaus mehr an dunkle Zeiten. Aber das nur nebenbei. Die Tech-Giganten nutzen nur den Umstand der vermeintlichen Mehrheit. Man schwimmt halt gerne mit dem “Strom”. Das dabei antidemokratisch gehandelt wird, geschenkt. Mittlerweile gehört es ja scheinbar zum guten Ton, die Wahrheit bis auf’s brechen zu verbiegen. Wie berichten die Medien über Trump? Über die AFD? Kurz? Salvini? Wie wird über das omnipräsente Duo des Grauens Habeck & Baerbock berichtet? Über Biden? Pelosi? Harris? Trump wird verteufelt, nein… der Konservatismus wird verteufelt. Links-Grüne Ökofaschisten werden hofiert. Merkel hat gar mit Rückmachung einer Wahl einen ehemaligen SED MP durchgesetzt. Von Borchardt fange ich erst gar nicht an. Oder davon, das Steini lieber Mullahs gratuliert und Terroristen finanziert. Das NGO Thema lasse ich auch einmal aussen vor… Das beste aber ist, einen Welt Artikel quasi als Quelle anzugeben. Was kommt als nächstes, wiki? Mein Vertrauen in die Medien, ist total am Boden! Ich kann nunmehr noch einmal Egon Erwin Kirsch zitieren; “Der Reporter hat keine Tendenz, hat nicht zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern.” Naja, das ist wohl mein Utopia…

Rupert Reiger / 22.01.2021

Wir haben erst die Hälfte erlebt: Mit Kryptowährungen und Blockchain werden die Big Tech die Banken angreifen und zu Finanzierungsgiganten werden. Das wird ihre Macht potenzieren.

Rolf Rüdiger / 22.01.2021

Ich benutze Signal. Das ist laut Snowden die beste Wahl. Der Rest der Stasi Spitzel ... mal.

Michael Klein / 22.01.2021

Das Zitat am Ende des Artikels ist nicht von Jaques Presser, sondern von dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone (1900-1978) der von den Mussolini-Faschisten ins Exil getrieben wurde, und lautet: «Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‹Ich bin der Faschismus›. Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus›.»

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