Kurz bevor das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz und bald darauf wohl auch aus der deutschen Sprache gestrichen wird, erlaube ich mir noch schnell ein paar Bemerkungen zu dem künftigen Unwort. Vorab gleich das Fazit: Das Problem ist nicht das Wort, sondern die Haltung, die hinter dem Wort steht. Binsenweisheit? Na klar. Aber heutzutage muss man gelegentlich auf Binsenweisheiten zurückgreifen, um die neue Wortpolizei an eine andere, in Vergessenheit geratene Binsenweisheit zu erinnern: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Mich juckt es nicht weiter, wenn das Wort Rasse aus der Verfassung gestrichen wird. Es ist eine hübsche Geste ähnlich dem Knien gegen den Rassismus und einem „Black-lives-matter“-T-Shirt. Nur ist so eine Streichung eben permanent. Weg ist weg. Der Kniende steht irgendwann wieder auf. Ein T-Shirt kann man wechseln. Zum Beispiel gegen eines mit der Aufschrift „Wer, wenn nicht ich“. Aber was einmal raus aus dem Grundgesetz gestrichen ist, kommt nicht wieder. Deshalb muss man höllisch aufpassen, dass ein wichtiger Schutz nicht wegfällt. Dass die entstehende Lücke also ordentlich gefüllt wird. Der Vorschlag, die Rasse durch ethnische Herkunft zu ersetzen, ist ok. Aber was ändert er an der Realität? Nix. Wahrscheinlich müssen wir in ein paar Jahren mangels verbesserter Wirklichkeit die ethnische Herkunft wieder durch einen anderen Begriff ersetzen.
Außerdem: Es gibt nun mal Rassen, auch wenn die Wissenschaft sagt, der Begriff sei unwissenschaftlich. Ist er sicher auch. Aber Rasse ist eine Realität, nämlich eine politische und gesellschaftliche Realität. Durch ein delete im Computer oder mit einem Radiergummi auf Papier ist sie nicht abzuschaffen. Was bringt es, diese Realität zu leugnen? Was bringt es, die Augen zu verschließen und wie die Kinder zu glauben, dass dann Unsichtbarkeit hergestellt wird? Ich bin mehr dafür, die Augen weit aufzumachen, sich der Realität zu stellen und, wenn möglich, statt Wörter auszuradieren, die Wirklichkeit zu verbessern.
Da Amerika immer noch der größte melting pot ist, lohnt sich ein Blick auf den Rasse-Begriff in Amerika. Dort existiert das Wort race munter weiter, auch wenn wir es bei uns streichen. Und zwar ganz offiziell behördlicherseits. Wer sich in die Hände einer amerikanischen Behörde begibt, wird auf Formularen eingeladen, sich nach Rasse-Zugehörigkeit zu identifizieren. Afroamerikanisch, also schwarz, kaukasisch, also weiß, hispanisch, also indianisch mit mehr oder weniger starker europäischer Beimischung, asiatisch, nordamerikanisch-indigen und ein, zwei mehr. Freiwillig? Naja. Wer mit etwas dunklerem Teint die Rubrik „weiß“ ankreuzt, wird zumindest schief angeguckt.
Nur ein Tropfen afrikanisches Blut
Es tut auch kaum einer, denn in Amerika folgt man oft noch der uralten „One-drop-only“-Tradition. Danach gehört, wer nur „einen Tropfen“ afrikanisches Blut in seinen Adern hat, nicht mehr zu den Weißen. Diese ursprünglich vom weißen Amerika eingeführte Katalogisierung ist weitgehend vom schwarzen Amerika übernommen worden, aus einer Mischung aus Trotz und Stolz. Motto: „Ich bin ganz bewusst schwarz, selbst wenn man es mir kaum ansieht.“
Tatsächlich verschwimmen die Hautfarben in Amerika seit alters her. In der schlechten alten Zeit haben sich weiße Sklavenhalter freizügig „ihrer“ dunkelhäutigen Damen bedient. Black war eben schon beautiful, als es diesen Satz noch gar nicht gab. Später gab es mehr und mehr Ehen und sonstige Liebesbeziehungen zwischen hellhäutigen und dunkelhäutigen Personen. Kurz und gut: Es gibt jede Menge Schattierungen, die Amerikas „Ein-Tropfen“-Ideologie ins Reich des Absurden verweisen.
Das amerikanische Beispiel zeigt, dass der Begriff „Rasse“ einerseits tatsächlich ein grober Unfug ist, andererseits aber im real existierenden Alltag ausgesprochen virulent ist. Und bei uns? Bei uns gibt es nicht die amerikanische Systematik, aber das Prinzip herrscht in unausgesprochener Form auch hierzulande. Rasse als klar abgrenzbaren Begriff gibt es nicht, aber sie ist in vielerlei Hinsicht zu spüren. Ob bei der Wohnungs- und Job-Suche, ob als Opfer blöder Sprüche im Alltag oder ob als Zielscheibe rechtsradikaler Rassisten.
Und das ist nun mal das Entscheidende: Wenn es bei uns demnächst keine „Rasse“ mehr gibt, so gibt es trotzdem noch den Rassismus. Der Ismus lebt munter weiter, auch wenn man ihm verbal die Beine oder sonst was abhackt. Denn der Ismus ist in der Realität zu Hause. Er krabbelt einfach weiter wie eine Eidechse, der man den Schwanz abreißt.
Ach, es ist ja alles so gut gemeint von wirklich ganz lieben Menschen. Ein fast schon süßer Versuch, ein Übel wie den Rassismus mit einem verbalen Zaubertrick verschwinden zu lassen. Er passt perfekt in unsere Zeit des schönen Scheins. Aber ich würde mir von der Schwärzung nicht allzu viel versprechen. Der alte Dreck existiert unter der Tünche weiter. Als trauriges Gegenstück zu dem schönen Strand, den man in optimistischeren Zeiten unter dem Pflaster erahnte.