In früheren Zeiten hätte so mancher Herrscher schon über eine Kriegserklärung nachgedacht. Jetzt drohen türkische Politiker ja immerhin „nur“ mit dem NATO-Austritt. Vor nicht allzu langer Zeit hätte jeder dieses Szenario als absurde Vorstellung abgetan: Türkische Regierungsmitglieder wollen vor Türken im Ausland türkische Innenpolitik machen, egal ob es dem Gastland gefällt oder nicht. Über regierungsoffizielle Ansagen, beispielsweise aus Den Haag, dass sie mit diesem Anliegen unerwünscht seien, setzen sie sich einfach hinweg und sind anschließend über die Gegenwehr empört. Der türkische Außenminister durfte nicht in den Niederlanden landen, weil er dort unerwünschte Propaganda für Erdogans Ermächtigungsgesetz, äh Verzeihung, die türkische Verfassungsänderung, machen wollte. Darüber war der Chef aller türkischen Diplomaten derart empört, dass er gegen „faschistische“ Methoden wetterte.
Die türkische Familienministerin versuchte es anschließend auf dem Landweg, weil sie ohnehin zu einem Wahlkampfauftritt in Deutschland weilte. Dass ihr Konvoi gestoppt und zurück nach Deutschland eskortiert wurde, damit zeigte die niederländische Regierung eine Entschlossenheit, die in den größeren Ländern der EU leider ihresgleichen sucht. Um Stärke zu zeigen, ließen die türkischen Behörden holländische Vertretungen in Ankara und Istanbul sowie die Residenz des Botschafters von der Polizei abriegeln. Sanktionsdrohungen türkischer Minister und Nazi-Vergleiche nun auch für Holländer garnierten diese Eskalation. Dabei haben die Niederlande nur auf unerträgliche Zumutungen und Provokationen klar reagiert und Worten auch Taten folgen lassen.
Den Mut überlässt man Bürgermeistern und Dezernenten
Wäre hier nicht ein klares Wort des deutschen Außenministers angebracht, mit dem sich der große östliche Nachbar deutlich an die Seite der Holländer stellen würde? Am Sonntag zumindest konnte man das noch nicht vernehmen. Aber seit seiner Rückkehr aus Moskau hatte der Minister auch noch nicht genügend Zeit dafür. Schließlich ist er ja auch noch SPD-Vorsitzender und als solcher musste er zunächst dringend nach Schöppenstedt. Die Hauptversammlung des SPD-Ortsvereins erwartete den Spitzengenossen in der Gaststätte „Zum Zoll“, um die 50jährige SPD-Mitgliedschaft von Schöppenstedts Bürgermeister zu feiern.
Was müssen die Holländer auch die mächtige Türkei provozieren? Gabriel hatte seinem türkischen Kollegen erklärt, hierzulande sei die Bundesregierung nicht zuständig für Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder. Machtproben mit der Gefolgschaft der regierenden türkisch-islamistischen Partei AKP und ihrem Führer Erdogan überlässt die politische Elite lieber weiterhin Bürgermeistern, Dezernenten und Landräten. Sehr mutig.
Doch darf man Türken aus der Türkei den Wahlkampf unter Türken in Deutschland verbieten? Wenn sie nicht mit den Privilegien eines Regierungsmitglieds einreisten, sondern so wie jeder normale Bürger ein Visum beantragen und kommen würden, wäre das sicher undenkbar. Aber eigentlich muss man sich diese Frage gar nicht stellen. Denn türkischen Politikern ist der Wahlkampf im Ausland verboten. Nach türkischem Recht dürfen sie zu entsprechenden Auftritten nicht das Land verlassen. Das entsprechende Gesetz gilt seit 2008 und wurde seinerzeit sogar auf Betreiben von Erdogans AKP beschlossen. Dort heißt es in Artikel 94/A: «Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.»
Der Vertreter der Oppositionspartei CHP in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass in dem Gesetz nur nicht geregelt sei, wer dessen Einhaltung kontrolliere und welche Strafen bei Verstößen angewendet würden. «Deshalb besteht es nur als moralische Regel.» Die Vorgabe werde von «allen Parteien» missachtet.
Dann ist es doch eigentlich ein selbstloser Dienst am türkischen Rechtsstaat, wenn nun europäische Regierungen dafür sorgen, dass sich türkische Politiker zumindest in diesem Punkt an ihre eigenen Gesetze halten müssen.
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