Gerd Held / 23.07.2019 / 12:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 10 / Seite ausdrucken

Das metropolitane Ego und der Rest der Welt 

In der Auseinandersetzung um die Ökosteuer auf Benzin und Diesel in Frankreich ist ein erstaunliches Maß an Ignoranz gegenüber den Lebens- und Arbeitsformen, die außerhalb der großen Metropolen zu finden sind, zu tage getreten. Bernhard Pudal schrieb in „Le Monde diplomatique“ Nr. 3-2019:

„Es ist das fehlende politische und soziale Gespür für den wichtigen Platz, den das Automobil im Alltagsleben großer Teile der unteren Schichten einnimmt, gegen die sich die Gelbwesten-Bewegung formiert hat. Vervielfachung der Radarkontrollen, Geschwindigkeits-Begrenzung auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer, Preiserhöhungen für Benzin, eine `ökologisch´ genannte Steuer auf Brennstoffe, schärfere und teurere Überprüfungen der technischen Fahrzeug-Sicherheit, Abkehr von der Diesel-Technologie – indem die Mächtigen so die Freiheit der Mobilität einschränkten, haben sie – ohne sich dessen bewusst zu sein – eine ganze Art des Wirtschaftslebens, der Freizeitgestaltung, der Geselligkeit, wie sind insbesondere in ländlichen Gebieten entwickelt worden war, die materielle Grundlage entzogen.“ 

Es geht also nicht nur um eine Gleichgültigkeit gegenüber den Notlagen, die es in der Peripherie gibt, sondern auch um eine Missachtung der spezifischen Koordinationsformen von Arbeit und Alltag, die hier zu finden sind. Also eine Geringschätzung der Lebensformen, die hier entwickelt wurden und immer wieder erneuert werden. Das regierende Frankreich, das einfach mal eben das Automobil als bezahlbares Massenverkehrsmittel infrage stellt, ist das metropolitane Frankreich – hier befindet sich die Hauptabteilung der Macron-Partei und der Macron-Wählerschaft.

Und dieses Frankreich betrachtet sich als den eigentlichen Leistungsträger und die alleinige dynamische Kraft, die den Rest des Landes mitzieht. Und es ist nicht nur ein französisches „juste milieu“, das so tickt, sondern auch ein internationales Milieu. Die Frankreich-Korrespondentin der FAZ Michaela Wiegel stellte in einem Leitartikel (5.12.2018) unter der Überschrift „Frankreich im gelben Fieber“ eine Verbindung her zwischen den „Gelben Westen“ und jener Mehrheit, die 2005 in Frankreich im Referendum zum EU-Verfassungsentwurf mit „Nein“ stimmte. Sie beschreibt die beiden Lager, die sich schon damals gegenüberstanden, folgendermaßen:

„Auf der einen Seite sammelten sich die, die meinten, dass sie die europäischen Herausforderungen annehmen sollten. Die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen stimmten einmütig mit Ja, sahen sie doch in einer offenen Marktwirtschaft, die im internationalen Wettbewerb steht, viele Aufstiegs- und Erfolgschancen. Doch auf der anderen Seite kamen diejenigen zusammen, die Europa und die damit verbundene Globalisierung als Zumutung und Angriff auf ihr Lebensmodell empfinden. Sie lehnten es ab, schutzlos der Konkurrenz ausgesetzt zu sein, und trotzten der Vorstellung, dass es ihnen in der offenen, bunten und grünen Welt der Europa-Befürworter bessergehen würde. Sie wollten sich ihre `Normalität´ bewahren.“

Da steht es: „…die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen“. So sehen sich die globalisierenden Metropolenbewohner der gehobenen Mittelklasse überall auf der Welt gerne. Der Rest der Welt steht unter dem Generalverdacht, auf der Seite der Faulheit und Dummheit zu stehen – man drückt das nur etwas eleganter aus. 

In der Sozialstatistik ist das „periphere Frankreich“ gar nicht so leicht zu finden 

Es ist ein großes Verdienst der „Gelben Westen“, dass solche Vorurteile nicht mehr so laut geäußert werden. Diese Bewegung hat einige Stühle im Land zurechtgerückt. Allerdings ist es eine größere Arbeit, all die Täuschungen und Verzerrungen abzuräumen, die das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherien bestimmen. Das beginnt schon bei der Sozialstatistik. Die offizielle Zählweise der französischen Statistikbehörde INSEE unterscheidet zwischen den Kategorien: „Große städtische Räume“ (große Agglomerationen, die 83 Prozent der Bevölkerung Frankreichs umfassen); „übrige städtische Räume“ (7,5 Prozent der Bevölkerung); „Gemeinden mit mehreren Zentren“ (4,7 Prozent der Bevölkerung); „Ländliche Gemeinden“ (5 Prozent der Bevölkerung). Diese Einteilung hat einen so vagen Begriff von Bevölkerungshäufungen, dass über 90 Prozent der Franzosen „Städter“ sind und 83 Prozent sogar „Großstädter“.

Damit wird die Statistik siedlungsgeographisch vereinseitigt und blind für den großen Bereich von weniger dicht integrierten Siedlungsformen: den regionalen Hauptstädten, den Mittel- und Kleinstädten und den dispersen Siedlungsformen (Ortschaften, Dörfer, Einzelgebäude und Neubaugebiete „im Grünen“). Wenn es nur um ein paar Dörfer und verstreute Häuser ginge, könnte auf dieser Grundlage gegenüber dem „Urbanen“ gar kein zweiter Generalbegriff gebildet werden, der neben der „urban-zentralisierten“ Vergesellschaftung eine andere „territoriale“ Form des gesellschaftlichen Zusammenhalts beinhalten könnte. 

Der Sozialgeograph Christophe Guilluy, der im Zusammenhang mit der Gelbwesten-Bewegung viel zitiert wird, hat eine andere Einteilung vorgenommen. Er zählt nur die 25 größten Agglomerationen zu einer Kategorie „das metropolitane Frankreich“. Alle anderen Siedlungsformen zieht er zu der Kategorie „das periphere Frankreich“ zusammen. So kommt er zu folgenden Zahlen (siehe Christophe Guilluy, La France périphérique. Paris 2015):

Metropolitanes Frankreich: Zahl der Gemeinden 2.640, Bevölkerungsanteil 38,7 Prozent. Peripheres Frankreich: 34.014 Gemeinden, Bevölkerungsanteil 61,3 Prozent

Zweimal Frankreich – was macht den Unterschied aus? 

Das „periphere Frankreich“ ist ein sehr heterogener Sammelkomplex, aber er hat den Vorzug, gegenüber der völligen Dominanz eines „urbanen“ 90 Prozent-Komplexes ein echtes Gegengewicht denkbar und wahrnehmbar zu machen. Und tatsächlich kann man zwei wichtige Unterschiede so besser abbilden: Zum einen kann man davon ausgehen, dass die regionalen Hauptstädte und die Mittel- und Kleinstädte stärker mit den nationalen Wertschöpfungsketten und dem französischen Binnenmarkt verbunden sind, während die wirklich großen Metropolen ihre Sonderstellung den internationalen Beziehungen auf europäischer oder globaler Ebene verdanken.

Zum anderen könnte sich auch der Unterschied zwischen den physischen Tätigkeiten (vor allem der Industrie) und den entsprechenden Infrastrukturen auf der einen Seite und den wissenslastigen Tätigkeiten (Forschung, Entwicklung, Buchführung, Beratung, Bildung, Medien) auf der anderen Seite in Guilluys Einteilung deutlicher abbilden. Es wäre gewissermaßen, um es mit dem Philosophen Descartes zu sagen, der Unterschied zwischen der „res extensa“ und der „res cogitans“, der sich zwischen Peripherie und Metropole sortiert. 

Guilluy wählt, zumindest in dem hier zitierten Buch, eine andere Unterscheidung: Anhand von Sozialindikatoren (dem Anteil der Arbeiter und einfachen Angestellten, dem Durchschnittseinkommen, dem Anteil der Arbeitslosen etc.) bildet er zwei große soziale Sektoren – einen „gehobenen“ Sektor aus Oberschicht und oberer Mittelschicht (den er mit „Integrierte“ überschreibt) und einen „unteren“ Sektor aus Unterschicht und unterer Mittelschicht (den er mit „einfache Leute/fragile Existenzen“ überschreibt). Das Größenverhältnis der beiden Sektoren ist im peripheren Frankreich deutlich anders als im metropolitanen Frankreich:  

Metropolitanes Frankreich: 27,3 Prozent „Populaires/Fragiles“, 65,5 Prozent „Intégrés“. Peripheres Frankreich: 72,7 Prozent „Populaires/Fragiles“/ 34,5 Prozent „Intégrés“-

Auf der einen Seite finden sich also 65,5% des gehobenen Sektors der französischen Gesellschaft im Metropolen-Raum, während im Peripherie-Raum 72,7% des unteren Sektors der französischen Gesellschaft leben. 

Diese soziale Unterscheidung ist mit Vorsicht zu genießen. Sie legt ja zunächst eine (linke) Sichtweise nahe, die von einem Verteilungskampf zwischen „unten und oben“, „arm und reich“ oder „Volk und Elite“ ausgeht und das Verhältnis zwischen Peripherie und Metropole nach diesem Klassenkampf-Szenario deutet. Aber es sind nicht einfach Güter und Versorgungsansprüche, die zwischen Peripherie und Metropole durch Willkür ungleich verteilt sind und durch „Kampf“ ebenso willkürlich umverteilt werden können. Die Unterschiede zwischen dem peripheren Frankreich und dem metropolitanen Frankreich gehen auf Strukturbildungen von Wirtschaft und Staat zurück. Sie gehen also auf die Gesamtheit einer Ordnung zurück. Aber nicht jede Gesamtheit ist schon eine gute Gesamtheit. Die oben beschriebene Verbindung von Führungsansprüchen und Ignoranz, die die Metropolen gegenüber der Peripherie zeigen, und die jetzt zur Bewegung der „Gelben Westen“ geführt hat, ist ein deutliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt mit dem metropolitanen „Hype“.  

Die fragwürdige Wirtschaftsstärke der Metropolen 

Der Sozialgeograph Guilluy übernimmt in dem zitierten Buch das Bild der prosperierenden, wirtschaftsstarken Metropolen, ohne Zweifel anzumelden: Die Wirtschaftszahlen, die die Metropolen als Hauptträger des Bruttoinlandsprodukts ausweisen, werden für bare Münze genommen. Nach diesen Zahlen trägt allein der Metropolraum Paris/Ile de France 30 Prozent zum gesamten Bruttoinlandsprodukt Frankreichs bei, während er nur 18 Prozent seiner Bevölkerung umfasst. Nimmt man die vier größten Metropolräume zusammen, tragen sie zusammen 52,6 Prozent zum BIP bei. Nimmt man die größten 10 Metropolräume, erhält man 80 Prozent des BIP. Das sind erstaunliche, sogar bizarre Zahlen, wenn man die Verteilung der Berufstätigen und der Unternehmen betrachtet, die trotz aller Zentralisierung viel breiter ist, und die daher auf eine beträchtliche realwirtschaftliche Rolle des peripheren Frankreich hinweisen. Diese wird aber offensichtlich durch die BIP-Zahlen nicht vollständig abgebildet.

Zur Begründung wird nun vielfach angeführt, dass sich in den Metropolen die hochqualifizierten Tätigkeiten und Berufstätigen konzentrieren. Mit anderen Worten. Den Leitungsfunktionen, den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (und damit der in Frankreich als „cadres“ bezeichneten Führungsschicht und der akademisch qualifizierten Mittelklasse) wird ein Großteil der Wertschöpfung zugerechnet. 2011 waren im Metropolraum Paris  27,9 Prozent der Erwerbstätigen „cadres“ oder Angehörige von Berufen mit akademischer Qualifikation („professions intellectuelles supérieures“). Auch in den anderen französischen Metropolräumen nimmt der Anteil dieser Berufsgruppen stark zu. 

Aber diese Zurechnung ist sehr fragwürdig, denn es gibt keine sicheren Anhaltspunkte für die Messung der Wertschöpfung. Würde man sie von den Stundensätzen und Einkommenshöhen der akademischen gebildeten, gehobenen Mittelklasse ableiten, so ist die Gefahr eines Zirkelschlusses zwischen Stundensätzen und Einkommenshöhen (und umgekehrt) groß. Die teilweise astronomische Höhe von Beratungsvergütungen ist ein Indiz für eine überhöhte Wertschöpfungs-Rechnung. Ebenso gibt es in den Wertschöpfungsketten schwer nachvollziehbare Terms of trade zwischen Entwicklungsleistungen, Zulieferungsleistungen und Leistungen der Endfertigung.  

Ein zweiter Grund für kritische Nachfragen sollte das starke Wachstum dieser gehobenen Tätigkeiten und Arbeitsplätze sein. Es stimmt: Es gibt eine Ausdehnung der Leitungsfunktionen oder sogenannter „kreativer“ Funktionen. Sie bringt einen ganzen Sektor für „produktive“ Dienstleistungen hervor, und auch eine eigene Baulandschaft – in Form der hochgetürmten, weithin sichtbaren „business districts“. Aber bedeutet das tatsächlich eine im gleichen Maß erhöhte Wertschöpfung? Das kann man mit guten Gründen bezweifeln. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass in vielen Ländern, in denen in den vergangenen Jahrzehnten diese „gehobenen“ Tätigkeiten stark gewachsen sind, keine entsprechenden Zuwächse bei der Durchschnittsproduktivität zu verzeichnen waren. Man spricht von einer „Produktivitätskrise“ – und die Tatsache, dass sie parallel zum Metropolen-Hype stattfindet, ist bisher noch kaum erörtert worden. 

Ein Dreiecks-Tausch auf Kosten der Peripherie

Zur gleichen Zeit ist die Peripherie von einem wirklichen Verlust betroffen – und das gilt in besonderem Maße für Frankreich: vom Verlust vieler Industrie-Standorte. Bis Mitte der 1970er Jahre war die produktive Rolle der Peripherie durch Industrie-Ansiedlungen noch verstärkt worden. Dann begann der Prozess der Deindustrialisierung, der diesen Raum besonders stark betraf. Bei Guilluy findet sich eine lange Liste von Fabrikstillegungen, die in kleineren Kommunen in der Peripherie stattfanden und – wegen der fehlenden Arbeitsplatz-Alternativen – schwerwiegende Folgen hatten. Aber auch hier kann man eine kritische Frage stellen: Ist das schon der Beweis für eine fehlende Produktivität der Peripherie? Denn diese Deindustrialisierung hat eine internationale, globale Dimension: viele Produktionsstandorte wurden ins Ausland verlagert. Das Verhältnis zwischen dem „metropolitanen Frankreich“ und dem „peripheren Frankreich“ ist nicht nur ein innnerfranzösisches Verhältnis, sondern hat eine äußere, globale Seite. Es wird gewissermaßen „über Bande“ gespielt. 

Das Verhältnis zwischen Metropolräumen und peripheren Räumen in Frankreich kann als ein Austausch dargestellt werden, an dem drei Seiten beteiligt sind. Im ersten Schritt werden Industrien aus der französischen Peripherie ins Ausland verlagert, vorzugsweise in Schwellenländer mit niedrigeren Kosten. Dazu kann man auch Länder der europäischen Peripherie rechnen (heute besonders im Osten und Süden). Im Gegenzug fließt ein Teil der Erträge zurück nach Frankreich, und es findet dort eine Ausdehnung hochqualifizierter Produktionsschritte und Dienstleistungen statt (Endfertigung, Forschung und Entwicklung, Produktdesign, Werbung, Finanzierung, juristische Vertretung…).

Und nun kommt der entscheidende Punkt: Diese Rückflüsse kommen ganz überwiegend den Metropolräumen zugute, während die Peripherie, die am Anfang ja etwas gegeben hat, nun mit leeren Händen dasteht. Die französische Peripherie ist der Verlierer in diesem Dreiecks-Handel. Das gilt auch in sozialer Hinsicht: Was die Unterschicht und untere Mittelschicht an einfachen Arbeitsplätzen abgab, landet am Ende bei der gehobenen, akademischen „urbanen“ Mittelschicht. Diese ist deshalb in der Regel ein Anhänger des „offenen“ Frankreich (und bildet sich darauf etwas ein), während die untere Mittelschicht begrenzend „territorial“ denkt und den Binnenmarkt schützen und weiterentwickeln will. 

Von wegen „Offenheit“: Globalisierung bedeutet Metropolenherrschaft

Das „offene“ Frankreich ist also in Wahrheit ein räumlich und zahlenmäßig sehr exklusives Frankreich: Zu ihm gehören, abgesehen von Ausnahmen, nur die Metropolräume. Das „globale“ Frankreich ist das „metropolitane Frankreich“. An dieser Stelle wird deutlich, wie irreführend der Begriff der „Globalisierung“ eigentlich ist. Er täuscht eine große Allgemeinheit vor, denen Erträge und Rechte zugutekommen. In Wirklichkeit müsste man von einer Metropolisierung sprechen, das heißt von einem neuen Unterordnungsverhältnis zwischen Zentren und Peripherien – wobei die ersteren eine aktive Rolle spielen und letztere nur passiv Veränderungen, auf die sie keinen Einfluss haben, hinnehmen müssen. In der neuen „zentrierten“ Ordnung sind sie in eine neue Abhängigkeit geworfen, die so weit gehen kann, dass ihre produktiven Kräfte völlig stillgelegt werden. Auch politisch kann von einer allgemeinen Demokratie nicht die Rede sein, denn wesentliche Entscheidungen fallen im privilegierten Innenraum der europäischen und globalen Metropolen.  

In Deutschland gab es um das Jahr 2005/2006 eine Diskussion über die „Bazarökonomie“, bei der Exporterfolge nicht mit einer wachsenden Produktionstiefe im eigenen Land einhergehen, sondern immer mehr Vorprodukte aus dem Ausland bezogen werden. Das ging besonders auf Kosten der peripheren Standorte im Lande. In Deutschland beruhigte man sich mit der Tatsache, dass der Export so stark wuchs, dass er die Verluste ausglich. Doch die Gewichtsverlagerung zugunsten der Metropolen fand auch hier statt. Und sie nahm in Teilen des „peripheren“ Deutschland – insbesondere im Osten – durchaus Formen der Deindustrialisierung an. Dieser zerstörerische Prozess könnte auf das ganze Land übergreifen, wenn die Ausnahme-Konjunktur und die Ausnahme-Stellung der deutschen Wirtschaft zu Ende gehen. Und dafür gibt es durchaus Anzeichen.                 

An dieser Stelle kann eine Zwischenbilanz gezogen werden: Der politische Kampf, der mit dem Auftreten der „Gelben Westen“ eröffnet wurde, ist eine Auseinandersetzung des „peripheren Frankreich“ mit dem „metropolitanen Frankreich“. Aber es ist mehr als nur ein Umverteilungskampf von links, denn es geht nicht nur um Anteile an einem schon bestehenden großen Kuchen. Es geht um einen Existenzkampf, einen Kampf um die Anerkennung fundamentaler Rechte, Eigenständigkeit, Sicherheit, Anschluss. Damit ist im Grunde die Ordnungsfrage aufgeworfen. Nach welcher Ordnung, nach welchem Entwicklungsmodell soll Frankreich regiert werden? Die Ordnung, die die Vorherrschaft des „metropolitanen Frankreich“ beinhaltet, ist eine hochselektive Ordnung. Die Ordnung, die eine Bewegung des „peripheren Frankreich“ auf ihre Fahnen schreibt, muss auf ein Allgemeines des ganzen Landes zielen.     

Den ersten Teil dieser Beitragsfolge finden Sie hier.

Den dritten Teil dieser Beitragsfolge finden Sie hier.
 

Lesen Sie morgen und in den folgenden Tagen:

III. Das „Territorium“ als Ordnungsidee  

IV. Zwei verschiedene Grundanlagen der heutigen Politik  

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Dieter Kief / 23.07.2019

Der Peripherie schreiben Sie die “physischen Tätigkeiten (vor allem der Industrie)” zu, Gerd Held. Das Handwerk und - - die Landwirtschaft (!) und der Tourismus sind aber auch im Spiel - oft mit der Merhzahl der Arbeitsplätze! Ihr Seitenhieb auf die Deindustrialisierung in Ostdeutschland ist ein Nebenkriegssschauplatz, der die Debatte unnötig verkompliziert. Würde ich weglassen. Anschlussfähig sind - Thilo Sarrazin und Rolf Peter Sieferle, weil beide begriffen haben, dass es um eine dynamische Beziehung zwischen Rationalisierungsgewinnen durch Globalisierung hie, und um Rationalisierungsverluste da durch regionale Niedergänge geht. Die Frage ist demnach eine der Nationalökonomie: Sowohl die nationalen Rationaliseriungsgewinne als auch die regionalen oder kommunalen Rationalisierungskosten soll eine verantwortliche Wirtschaftspolitik im Auge behalten. Die Sache der Internationalisierer ist es aber, nur die Rationalisierungsgewinne im Auge zu haben. Houellebecq, der die Gelbwesten quasi kommen sah (!), hat noch einen Punkt am Wickel: Den Demokratieverlust, der mit der forcierten Globalisierung einhergeht. Christophe Guilluy betont dazu den Niedergang des Sozialstaats, der mit der forcierten Globalisierung und der forcierten Migration einhergeht. Guilluy hat Seine-Saint-Denis im Auge, das legendäre Departement im Norden von Paris: Er sieht die sozialen Schieflagen, die die forcierte Migrationspolitik der Globalisierer dort bereits verursacht hat und beklagt die offen. Er sagt, dass die Demokratie auf dieser Schiene schon so sehr ausgehöhlt sei, dass er seit Jahrzehnten nicht mehr wählt. - Auch das ist ein Grund für Houellebecq, die Schweiz und deren direkte Demokratie so sehr zu loben!

Helmut Driesel / 23.07.2019

  Na ja, wenn es stimmt, dass im Land der Revolution, der Liebe und des Weines rund ein Viertel aller Beschäftigten beim Staat angestellt sind und weitere rund 20% im “Kultursektor” Lohn und Brot finden, dann ist alleine das schon eine Spaltung der Gesellschaft in zwei Interessengruppen. Da ich jetzt nicht weiß, was alles zum Kultursektor zählt, könnt es sein, dass weitere Beschäftigtengruppen von den oben Genannten abhängig sind, so dass man im Zweifel leicht über die 50% käme. Also Demokratie in seiner schlimmsten Form. Normal ist das jedenfalls nicht.

Lars Schweitzer / 23.07.2019

Elitäre Metropolbewohner sind gut ausgebildet und leistungsbereit? Gut ausgebildet sind bei den meisten von denen nur ihre Hybris und die Unfähigkeit, über den Tellerrand ihrer narzisstischen kleinen Welt hinauszublicken. Leistungsbereit? Die Ärmel hochzukrempeln und sich die Hände schmutzig zu machen ist nicht so sehr ihre Sache. Sie leben im Vergleich zu den Menschen in der Peripherie ein sehr stark abstrahiertes, abgehobenes Leben. Aber letztlich leben sie wie Vampire auf Kosten derjenigen, die sie verachten. Nebenbei, alle reden von Klima und Umweltschutz, aber niemand kommt auf die Idee, dass die Globalisierung mit ihren weltweiten Warenströmen und enormen Transportwegen massiv umweltschädlich ist. Und sozial zumindest fragwürdig: Sklaven in anderen Ländern bauen billig in riesigen Massen alles zusammen und zuhause steigt derweil die Arbeitslosigkeit. Wer das nur anreißt, wird aber sofort als Ewiggestriger abgestempelt.

Rolf Menzen / 23.07.2019

Ein großer Teil der metropolitanen Arbeitsplätze sind Dienstleistungs- und Verwaltungsarbeiten, bei denen keine reale Wertschöpfung stattfindet. Wollte man es drastisch ausdrücken, könnte man sagen, sie sind eher parasitär.

J.P.Neumann / 23.07.2019

Offiziell hat Paris nur so 2,5 Mio Einwohner, liegt also zwischen Berlin und Hamburg, alle anderen Einwohner der Île-de-France sind zone urbaine ( vergl. etwa Brandenburg)  Wenn man dann noch bedenkt wie viele Pariser nur Lakaien des Systems sind, also Behörden, Verwaltung, Regierung etc, dann kommt man ganz schnell in DDR Ost-Berliner Dimensionen.  Überraschend fand ich in F auch immer die gewaltige Zahl an Diesel-PKW.  Ich bin kein Kenner der Materie, aber gefühlt waren es sicher 70%.

Norbert Ankenbauer / 23.07.2019

Interessanterweise beschränkt sich die Kritik der Gelbwesten nun aber nicht nur auf die Steuererhöhung bei Kraftstoffen - in ihren Forderungen finden sich dann z. B. auch ein Netto-Mindestlohn von 1.300 EUR, eine Mindestrente von 1.200 EUR, progressiver Steuertarif statt Stufentarif, Bevorzugung von Handel im Stadtinneren und Einschränkung von Großmärkten auf der grünen Wiese u. v. m. Die meisten der Gelbwesten-Forderungen würde in Deutschland wohl eher die Linke als die AFD vetreten, da steckt mehr Wagenknecht als Gauland drin, würde ich sagen. Wobei sich ja links und rechts (z. B. auch Sanders und Trump) bei der Kritik an der Globalisierung und Freihandel ja oft auch erstaunlich einig sind.

Helmut Steinig / 23.07.2019

Sehr geehrter Herr Held, Sie schreiben ” die globalisierenden Metropolenbewohner der gehobenen Mittelklasse überall auf der Welt” sehen sich als die Leistungsbereiten, gut Ausgebildeten im Gegensatz zum Rest, also den Faulen und Dummen an. Hillary Clinton hat diese (vermeintliche) Minderheit der Blödmänner (die aber überall die (Drecks) Arbeit machen) seinerzeit als “Korb der Kläglichen” bezeichnet. Wer dann in diesem Korb der “deplorables” gelandet ist und dann ganz erbärmlich und doof aus der Wäsche geglotzt hat, konnte nach Bekanntgabe des US-Wahlergebnisses vom (amüsierten) Beobachter bestaunt werden. Hoffen wir mal, dem arroganten Macron geht es genauso. Merkel gehört in diesen Kreis mit eingeschlossen. (Wenn man die Bilder ihrer lezten Auftritte großzügig interpretiert, schließt sie wohl ein ähnliches Schicksal für sich nicht aus)

Marc Blenk / 23.07.2019

Lieber Herr Held, wichtig für mich ist der u.a. der Schluß, dass die Globalisierung auf dieser Ebene eine Mogelpackung ist. Sie beschreiben sie zurecht als Metropolisierung. Diese führt verständlicherweise zu einer Monopolisierung,bzw. Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Macht. Und zu Entdemokratisierung und quasi Enteignung der Peripherie. Das Zentrum beutet nun zwei aus: Die Arbeitnehmer anderer Länder und die eigene Peripherie, auf dessen Kosten sie ja auch noch lebt. Nun kommt hinzu, dass immer mehr Leute, die nicht zur Wertschöpfung beitragen und alimentiert werden, in die Zentren Deutschlands ziehen und dort das Image des modernen Zentren immer fragwürdiger wird. In Deutschland muss Bayern, dessen Wertschöpfung durchaus nicht nur in den bayrischen Zentren erbracht wird, Berlin quasi ernähren, da die metropole Weltideolgie, die auf der realen Ebene immer abstruser wird, dort monetär unglaublich ressourcenhungrig ist, ohne dass die Stadt die Recourcen selbst sie auch nur annähernd bereithalten könnte. Hier wäre ein Hebel, die Verhältnisse geradezurücken. Wo ich politisch nicht selbst mitbestimmen kann als Bürger, muss ich auch nicht zahlen, könnte eine Überlegung sein. Bayern gilt ja in den Erzählungen der letzten hundert Jahrne zum Paradebeispiel kultureller Peripherie. Ist aber entwicklungsmäßig der typischsten Metropole Deutschlands, nämlich Berlin, auf fast schon groteske Weise überlegen. In Deutschland hätte insgesamt die Peripherie eine riesen Chance, die Verhältnisse geradezurücken.

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