Rainer Bonhorst / 08.05.2017 / 08:00 / Foto: Michael Meinecke / 14 / Seite ausdrucken

Das große Aufatmen – ein grober Irrtum

Heftiges Aufatmen in der politischen Klasse Europas. Ein Freund der EU hat in Frankreich gewonnen, einer Nationalistin ist eine Abfuhr erteilt worden. Die Welt ist wieder in Ordnung. Tja, so schön kann man sich in die Tasche lügen, wenn man sich weigert, den Tatsachen ins Auge zu schauen.

Marine Le Pen soll eine Abfuhr erhalten haben? Mit 34,5 Prozent? Das ist eine Abfuhr, die Martin Schulz und seine SPD in Deutschland als einen traumhaften Sieg feiern würden. Sicher, man kann sagen: Das war der zweite Wahldurchgang, bei dem nur zwei Kandidaten gegeneinander antraten. Das verschiebt die Prozente. Bitte sehr. Nehmen wir den ersten Durchgang. Da holte Marine Le Pen über 21 Prozent, was zwar etwas weniger als ein SPD-Traumergebnis ist, aber nicht viel weniger.

Also, ein gutes Fünftel bis ein Drittel der französischen Wähler haben für die Anführerin des Front National gestimmt. Marine Le Pen hat allen Grund, das als einen großen Sieg zu feiern. Man stelle sich 21 bis 34 Prozent für die AfD in Deutschland vor. Wir sähen den Untergang des Abendlandes nahen.

Und Emmanuel Macron, der 65,5-Prozent-Sieger? Ein Mann der Mitte, freut man sich. Das stimmt auch irgendwie. Er kommt von halblinks, ist eher linksliberal, aber mit kräftigen konservativen und grünen Beigaben. Also eigentlich ein Mann von überall. Oder besser: ein Mann jenseits des klassischen politischen Spektrums. Einer, dem das Links-Rechts-Getue schnuppe ist.

Macron wie Trump ein Herausforderer des  Establishments

An wen erinnert das? Na klar, an Donald Trump. Der Amerikaner ist zwar mehr rechtsgelagert, aber auch er sprengt das übliche Schema. Vor allem aber ist Macron wie Trump ein Herausforderer des politischen Establishments. Er hat ein bisschen mehr parteipolitische Erfahrung als Trump, er war ja schon mal kurz Minister. Aber er hat keine politische Partei. Donald Trump auch nicht. Der hat auf Zeit und trotz heftiger Gegenwehr die Republikaner gekapert. Macron hat eine eigene Bewegung in Marsch gesetzt, die mit klassischen Parteistrukturen so viel gemeinsam hat wie RB Leipzig mit dem Traditionsverein Schalke 04. Und dies noch erfolgreicher als die bei Puristen ungeliebten Leipziger. Die sind ja nur zweiter.

Anders als Trump hat Macron keine Partei gekapert, dafür aber die Vertreter der Klassiker, also der Gaullisten und der Sozialisten, in die Sphäre der Zombies vertrieben. Ob ihren Traditions-Parteien bei den Parlamentswahlen wieder etwas mehr Leben eingehaucht wird, wird man sehen. Wahrscheinlich schon, aber dann als Dienerinnen eines neuen Herrn.

Also, ein ganz klarer Fall: Emmanuel hat seinen Triumph als Schrecken des Establishments erzielt. Er verkörpert die Unzufriedenheit der Wähler mit der üblichen Politik und den üblichen Politikern. Wenn es in diesem Zweikampf überhaupt eine schon länger etablierte Figur gibt, dann ist es nicht er, sondern Marine Le Pen, so schockierend das in manchen Ohren klingen mag.

Wenn also die Etablierten Europas und der EU erleichtert aufatmen, dann kann es sich nur um eine biologische Fehlstellung handeln. Der Triumph des Emmanuel Macron und der als Abfuhr missverstandene Erfolg der Marine Le Pen sind für die Damen und Herren des alt eingesessenes Establishments kein Grund zum Aufatmen, sondern ein doppeltes Alarmsignal. Ein Signal, dass der Wählerfrust sich in vielerlei Gestalt äußern kann, mal schrecklich, mal smart. Aber der Frust lebt, während Frankreichs Etablierte in einem politischen Koma gefangen sind.

Und wir? Wir haben Mutti. Und die wird’s schon richten.

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Leserpost

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Richard Loewe / 08.05.2017

ich teile die vorsichtige Begeisterung des Autors für Macron ganz und gar nicht. Das ist der brutalste Establishment-Kandidat und Weiter-So-Laberer, den Wahlen bisher vorhergebracht haben: der ehemalige Wirtschaftsminister des schlechtesten Präsidenten aller Zeiten wird als unparteiischer Wirtschaftsretter angepriesen! Ich höre die Sozialisten lachen und ich vermute, Fillons Leute werden Macron heftig bekämpfen. Ergebnis: Stillstand. Also genau das, was die Staatisten und EUler wollen. Die nächste Präsidentenwahl geht anders aus, das ist sicher. Und die Wahl steht im Juni an und ich vermute, bis dahin hat der leere Anzug Macron schon genügend offensichtlich dummes Zeus geredet, dass der FN der Gewinner und die Sozialisten die Verlierer sein werden. Italien in Frankreich also. Ist eh alles egal: Italien geht den Bach runter, Deutschland übernimmt Target II für alle und dann wird ein allgemeiner Reset in Europe durchgeführt. Ein harter, ohne Back-up.

Robert Orosz / 08.05.2017

So, so. Macron, ein Herausforderer des Establishments. Ich denke eher ein smart-liberal lackierter Sozialist. Der wird vom “Establishment” schneller gekapert, als er gucken kann.

Jürgen Dannenberg / 08.05.2017

Recht haben sie Herr Bonhorst, aber wer stecht hinter Macron. Oder hat er die ganze Maschinerie aus der Portokasse bezahlt? Die Hintermänner, bzw Geldgeber, wollen natürlich das ihr Investment Macron sich bezahlt macht. Ich weiß bis dato nicht wer die ganze Sache finanziert hat.

Wolfgang Richter / 08.05.2017

Das Ergebnis der französischen Präsidentenwahl ist ein Aufschub, mehr nicht. sollte Herr Macron (mangels politischem Unterbau) samt der EU-Granden nicht zu Reformen fähig sein, die die EU u. Frankreich (vor allem der dortige Arbeitsmarkt) dringend nötig haben, könnte das Erwachen am Ende um so schlimmer werden. Ob die Beklatschter des aktuellen Wahlergebnisses vom Schlage Murksel, Juncker u. co das sehen wollen, oder können?

Roland Müller / 08.05.2017

Der Herr Macron steht wie seine letzten zwei Vorgänger für alles und für nichts. Man muss kein Hellseher sein, um rote Mützen, Randale und brennende Autoreifen vorher zu sagen.

Rainer Segen / 08.05.2017

Allein die Tatsache, dass es Marine Le Pen überhaupt in die Stichwahl schaffte, ist aus meiner Sicht schon eine Abmahnung an die ‘Etablierten’. Die Gründe mögen vielfältig sein, doch wenn die ‘Etablierten’ in ihrer etablierten Arroganz meinen, sich nicht dafür interessieren zu müssen, weil ja 2/3 gegen Le Pen stimmten, dann könnte es bei künftigen (Stich-)Wahlen auch knapper ausgehen, wie das Beispiel Österreichs zeigt.

Helmut Driesel / 08.05.2017

Der clevere Herr Macron erinnert mich nicht an Trump, eher an Terence Hill. Ein Mann der Kniffe und Tricks. Die wird er auch brauchen, wenn er demnächst vor einem Parlament steht, das überwiegend nicht seiner Meinung ist. Das wird ihn möglicherweise schneller verschleißen als seine beiden Vorgänger. Frankreich ist politisch tief gespalten und da geht es viel weniger um Austrittsgedanken aus EU und Euro als um deren Metamorphose. Der Euro wird seit Jahren dem Franc immer ähnlicher. Und eine EU, die von den Problemen Griechenlands, Spaniens, Portugals, Frankreichs und Italiens dominiert wird, muss sich nur noch halbherzig um die Integration der Interessen Deutschlands und einiger Satelliten bemühen. Da genügt es zuweilen schon, guten Willen zu zeigen. Jeder kann sich darauf verlassen, dass die Deutschen auf Harmonie aus sind und dafür bisher jeden Preis zu zahlen bereit waren. Und es sieht nichts danach aus, als würde sich das in den nächsten 2-3 Jahren durch Wahlen ändern.

Dietrich Herrmann / 08.05.2017

Und ich glaube ja, dass Macron von der Hochfinanz in das Amt lanciert worden ist. Da werden wir uns wohl noch wundern…

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