Mai in Paris 2017. Die Kastanien am Seineufer sind verblüht, ebenso die im Jardin du Luxembourg. Das frische Grün der Blätter leuchtet in der warmen Sonne, und die Gärtner haben ganze Arbeit geleistet. Noch sind die Pflanzungen rings um den See vor dem Palais du Luxembourg frisch und überschaubar, aber schon bald wird ein Blütenmeer den Ort verzaubern.
Der Park ist seit über 400 Jahren ein prägnanter Schauplatz der französischen Geschichte. Hier wurde Politik gemacht und Schicksale entschieden, es gab Duelle und Gefechte ebenso wie romantische, amouröse und poetische Begegnungen und Inspirationen. Hier lässt sich Müßiggang ebenso betreiben wie Aktivitäten sportlicher Natur. So markieren auch heute wieder die massiv bewaffneten Antiterrorwachen ihr Revier und die Jogger auf ihren Nikes und Adidas mehr oder weniger souverän ihre Runden, während ich sinnend sitze und dem Rauch meiner italienischen Toscano nachschaue, die ich diesmal nicht, wie es Brauch ist, in der Mitte halbiert habe. Heute rauche ich mal eine ganze. Denn morgen geht Frankreich unter.
Wohl nicht wegen Marine Le Pen. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl scheint bereits fest zu stehen. Le Pen liegt abgeschlagen hinter Macron, heißt es aus informierten Kreisen. Daran wird auch der nun bekannt gewordene Hackerangriff nichts ändern, von dem man wenig weiß, außer, dass wieder einmal die Russen dahinter stecken sollen, die ja auch bereits im amerikanischen Wahlkampf ihre Strippenanzapfer aktivierten. Möglich ist es schon, aber man weiß wie stets nichts genaues.
So wie man ja überhaupt nicht viel über Macron weiß. Gut möglich, dass der junge Mann noch schneller zum Ikarus wird, als es kritische Beobachter vermuten. Da kann sich die deutsche Presse noch so sehr für ihn ins Zeug werfen. Wie lange kann sich Macron wohl der weiteren Unterstützung einer Wählerschaft sicher sein, die in zu einem wesentlichen Teil nicht um seiner selbst wählt, sondern um Le Pen zu verhindern? Zudem Macron alleine schon durch das Wohlwollen Merkels und der EU-Granden schwer kontaminiert ist. Das wird den Franzosen nicht lange schmecken, da wette ich ein Baguette drauf.
Hier saßen sie alle: Sartre und de Beauvoir, Man Ray...
Womit ich beim genussvolleren Teil der heutigen Kolumne bin. Nur ein kurzer Fußweg ist es vom Jardin du Luxembourg bis zur Brasserie La Coupole am Boulevard Montparnasse. Früher war der dortige Frühstücksbereich ein angenehmer Ort, um einen Tag in Paris zu beginnen, man bestellte schlicht „Un plateau“ und wenige Minuten später brachte der Ober ein geräumiges silbernes Tablett mit allem, was ein ausgedehntes Petit dejeuner ausmacht. Über 90 Jahre gibt es die Brasserie, hier saßen sie alle: Sartre und de Beauvoir, Man Ray, Hemingway und Miller, Samuel Beckett und Eugène Ionesco (der wohnte gleich nebenan, und man erzählt sich, das ewige Warten auf einen freien Tisch im Coupole habe ihn dereinst zu einem Theaterstück inspiriert).
La Coupole, das war legendärer Treffpunkt für Literaten und Lebenskünstler. Ein gutes Drittel der Zeit, die La Coupole Anlaufstelle für Tag- und Nachtschwärmer ist, haben wir miterlebt. Eine Geschichte des Niedergangs. Vor dreißig Jahren hatte die Brasserie bis hin zum kleinsten Teller ein eigenes, verziertes Geschirr, inklusive wunderschönen Aschenbechern in verschiedenen Größen. Selbst die kleinen Konfitüregläser und die Zuckerwürfelverpackung waren mit dem Art Deco Logo des Hauses verziert, ebenso wie die Servietten und Tischdecken. Butter gab es in steinernen Töpfchen, oben drauf lag ein rundes Papier, natürlich auch mit dem Logo veredelt. Das alles verschwand über die Jahre, wurde unpersönlicher, austauschbarer. Inzwischen kommt das Frühstück nicht einmal mehr auf dem silbernen Plateau. Dieses wäre heute auch überdimensioniert, das gereichte Gebäck zum Kaffee wurde nämlich auf gut die Hälfte seiner früheren Ausmaße verkleinert.
Ganz verschwunden ist der frühere Frühstücksbereich mit seinen langen Sitzbänken und den schweren Tischen, deren Nutzfläche man früher durch das Hochklappen seitlicher Platten bequem verdoppeln konnte. Wer heute frühstücken will, findet nun Platz auf der von Glas umschlossenen Terrasse. Hier stehen mit Art Deco Stoffen bezogene Sessel an zu niedrigen Tischen, was zwar ganz hübsch aussieht, aber unbequem ist. Überhaupt ist der ganze, mächtige Innenraum unter der namengebenden Kuppel umgestaltet worden, nicht unbedingt zu seinem Nachteil, denn die architektonischen Besonderheiten der Brasserie – die tragenden Säulen mit ihren Malereien sowie der schöne Mosaikboden - kommen nun durchaus besser zur Geltung als früher. Zugleich erkennt der dem Coupole schon seit Jahren verbundene Gast aber auch, was die eigentliche Veränderung ausmacht: die Zahl der Plätze ist durch die Umgestaltung deutlich reduziert worden. So versucht man offensichtlich zumindest fürs Auge dem in Paris seit Jahren zu beobachtenden Gästeschwund entgegen zu wirken und zu vermeiden, dass allzu viele Plätze unbesetzt bleiben.
Grande Brasserie reduziert die Zahl der Tische
Dieser Schwund ist dramatisch. Irritiert durch die offensichtliche Reduzierung der Tische im La Coupole habe ich mich neulich ein wenig schlau gemacht. Das Ergebnis ist schlimmer, als ich dachte. Bediente man 2008 an einem Wochenende täglich bis zu 1000 Gäste, sind es nun an manchen Tagen kaum 150. Vorbei die Zeiten, in denen man dicht gedrängt vor der Bar Americain des Coupole den einen und anderen Aperitif zu sich nehmen musste, ehe man von einem Ober an einen frei gewordenen Platz geführt wurde.
Ähnliche Probleme haben heute viele weitere Restaurants in der Stadt. Die beiden Gründe dafür liegen auf der Hand: islamischer Terror und wirtschaftlicher Niedergang. Von dem, was man noch vor fünf Jahren im World's Luxury Guide über das La Coupole lesen konnte („schallendes Durcheinander“ „Getöse der Kellner“, „langen Wartezeiten“) ist wenig übrig geblieben, und natürlich machen sich auch die Angestellten der Grande Brasserie beträchtliche Sorgen um ihre Zukunft. Denn selbst wenn La Coupole ein Monument classée ist, also denkmalgeschützt, auf ewig defizitär arbeiten wird man nicht können. Die hinter der Brasserie stehende Betreibergesellschaft Flo, der auch weitere traditionelle Pariser Häuser wie Bofinger, Terminus Nord, le Bœuf sur le toit, Julien, Flo, die Brasserie Balzar und Le Vaudeville gehören, hat alleine im vergangenen Jahr einen Verlust von 14 Mio. € eingefahren.
Ein auf andere Art einmaliges Restaurant ist Le Train Bleu, das „Bahnhofsrestaurant“ im Gare de Lyon. Während das La Coupole ein stilechtes Art Deco Juwel ist, lässt Le Train Bleu die Zeit der Belle Epoque weiterleben. Hier zählten unter anderem Coco Chanel, Brigitte Bardot, Jean Gabin, Colette, Jean Cocteau und Salvador Dalí. Wohl weniger wegen des Essens; das ist okay, aber mehr auch nicht. Das Ambiente allerdings ist einmalig. Gold, Messing, edles Holz, wohin man schaut; überall an der Decke und den Wänden zeigen opulente Wandgemälde Darstellungen von Regionen, zu denen man ab 1901 – da wurde das Restaurant samt Bahnhof drumherum eröffnet – von hier aus reisen konnte. Schaut man heute durch die großen Fenster zu den tiefer liegenden Bahnsteigen, sieht man moderne TGV Züge ein- und ausfahren. Ein wahrlich atemberaubender Kontrast. Vielleicht kennen Sie den Film „Mr. Bean macht Ferien“, darin bringt Rowan Atkinson alias Mr. Bean den von Jean Rochefort gespielten Ober im Train Bleu zur Verzweiflung.
Im Coupole wie im Train Bleu werden wohl Sonntagabend ein paar Champagnerkorken hochgehen, hier dinieren eher diejenigen, denen eine Präsidentin Le Pen ganz und gar nicht passen dürfte. Ich denke, es wird sich sehr bald zeigen, ob man sich mit Macron nicht einen wahrhaft „würdigen“ Nachfolger Hollandes eingehandelt hat. Aus Sicht der durchaus klatschfreudigen Pariser Gesellschaft wird Macron auf jeden Fall eine Nullnummer sein. Demonstrativ glücklich liiert mit seiner Französischlehrerin dürfte er kaum morgens auf einem Moped den lauernden Paparazzis vor die Linse geraten. Und eine so schöne Geschichte wie die von Mme Chirac wird es aus dem Hause Macron wohl auch nicht geben. Deren Jacques wurde eines Nachts wegen dringender Staatsgeschäfte gesucht. Man versuchte, ihn telefonisch zu erreichen, Madame nahm den Hörer ab und bürstete den Sekretär am anderen Ende mit den Worten ab: „Woher bitte soll ausgerechnet ich wissen, wo mein Mann nachts ist?“
Links:
Mr. Bean im Le Train Bleu
Ein privates Youtube Video über den Jardin du Luxembourg