Darf Erdogan jetzt den Friedensengel spielen?

Möglicherweise gönnt Putin der westlichen Diplomatie nicht einmal dann einen Erfolg, wenn er grundsätzlich bereit ist, vom Schlachtfeld aufs diplomatische Parkett zu wechseln. Diesen Erfolg schanzt der Kreml dann vielleicht schon eher einem Despoten-Kollegen zu. 

Im Ukraine-Krieg hätte so mancher ausländische Regierungschef gern die Rolle als Friedensbringer übernommen. Einen Krieg zu beenden oder die Waffen zum Schweigen zu bringen, das ist so unanfechtbar ein gutes Werk, dass sich jeder Staatsmann gern damit schmücken würde. Im Falle des Ukraine-Krieges haben das verschiedene Politiker des Westens bereits versucht. Der deutsche Bundeskanzler dachte, er könne den Herrscher Russlands noch kurz vor dessen Einmarsch beim Nachbarn in einem Gespräch umstimmen. Manche seiner Anhänger erklärten Scholz nach dem seltsamen Treffen am Riesentisch im Kreml schon zum Friedensretter, der den Krieg verhindert hätte. Legendär wurde der Tweet der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken: 

Putin zieht Truppen teilweise ab und zeigt sich „bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen". Das ist das erste Ergebnis einer beeindruckenden Krisendiplomatie der Ampelregierung und des @Bundeskanzler|s. 

Well done, @OlafScholz“. 

Die begeisterten Genossen wurden kurz darauf durch russische Raketen, Bomben und Panzerketten unsanft aus ihren Tagträumen geweckt. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – auch er einer der letzten Putin-Besucher vor dessen Waffengang – führt seit Kriegsausbruch lange Telefongespräche mit seinem Moskauer Kollegen, damit sich der nun ausgebrochene Krieg nicht ausweite, sondern die Waffen bald schweigen. Er ist damit auch einigermaßen erfolgreich, zwar nicht bei Putin aber beim französischen Wahlvolk, das im April darüber entscheidet, ob es für ihn noch eine zweite Amtszeit gibt. Die Rolle als Staatsmann, dessen Wirken mit über Krieg und Frieden in Europa entscheidet, macht den zeitweise eher unbeliebten Präsidenten plötzlich zu einer mehrheitlich erwünschten Besetzung.

Wem gönnt Putin einen Erfolg?

Bei Putin ist die westliche Diplomatie mit ihren Vorstößen bislang erfolglos geblieben. Möglicherweise, weil Putin der westlichen Diplomatie nicht einmal dann einen Erfolg gönnen will, wenn er grundsätzlich bereit ist, vom Schlachtfeld aufs diplomatische Parkett zu wechseln. Diesen Erfolg schanzt der Kreml dann vielleicht schon eher einem Despoten-Kollegen zu. 

Das zumindest konnte man denken, wenn man die am Montagmittag plötzlich in allen Medien verbreitete Nachricht las:

„Die Außenminister der Ukraine und Russlands wollen sich zu Gesprächen in der Türkei treffen. Beide Seiten hätten zugestimmt und würden am 10. März in Antalya erwartet, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Montag. 

Die Gespräche sollten gemeinsam mit Cavusoglu im Dreier-Format stattfinden. Das russische Außenministerium in Moskau bestätigte Agenturen zufolge, ein Treffen von Ressortchef Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba sei am Rande des Diplomatie-Forums in Antalya geplant.“ 

Erdogans Regierung hatte sich zuvor bereits als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland angeboten. Nicht uneigennützig, denn Ankara pflegt mit beiden Staaten gute wirtschaftliche Beziehungen und würde sich ungern entscheiden müssen. Dadurch kann Erdogans Regierungsmannschaft aber auch von beiden Seiten als Vermittler akzeptiert werden. 

Vielleicht wird auch die Begegnung in Antalya nur einer von vielen erfolglosen Gesprächsversuchen sein, aber das Dreierformat mit der Türkei hätte für Putin durchaus einen gewissen Charme. Verschiedene Berichte aus dem Kriegsgebiet sprechen von unerwartet hohen Verlusten für die russischen Truppen. Das Niederwerfen der Ukraine ist nicht in der Geschwindigkeit gelungen, wie es der Kreml plante. Insofern müsste Moskau ein baldiger Beginn von Verhandlungen nebst Waffenstillstand durchaus gelegen kommen. 

Vermeidung des Eindrucks einer Niederlage

Der Herrscher in Ankara könnte dazu mit hinreichend Ehrerbietung einladen (oder einladen lassen), dass – zumindest in der Inszenierung – der Eindruck einer Niederlage oder eines Nachgebens vermieden wird. Was Putin und Erdogan freuen würde und ukrainischen Unterhändlern zu recht vermutlich völlig egal wäre: Die westlichen Politiker und ihre Spitzendiplomaten hätten sie damit blamiert. Sie hätten den Europäern wieder einmal gezeigt, dass ihnen die Despoten keine bedeutende Rolle mehr in ihren Machtspielen zugestehen wollen. Die Möchtegern-Friedenspolitiker in Brüssel, Paris und Berlin dürften nur noch zuschauen und Wiederaufbauhilfe zahlen.

Wenn das gelänge, würde Erdogan als neuer Friedensengel vom Westen Anerkennung in vielerlei Form verlangen, und vieles davon würde ihm vermutlich gewährt werden. Wer einen Krieg der Anderen beenden kann, dem sieht man die eigenen Kriege um so leichter nach. 

Wer will dann schon noch darüber reden, dass türkische Truppen in Syrien und im Irak stehen oder dass Erdogan tatkräftig half, als Aserbaidschan die Armenier in Berg-Karabach angriff und Putin einen für Armenien verlustreichen Waffenstillstand vermittelte?

Unter Despoten verhandelt es sich wahrscheinlich leichter, und der Ukraine bliebe realpolitisch vermutlich nichts anderes übrig, als einer Lösung zuzustimmen, in der das Land zwar Lugansk und Donezk verliert, aber immerhin als eigenständiger Staat erhalten bleibt und nicht zum Besatzungsgebiet wird.

Die Lektion, dass die Ukraine nicht darauf setzen kann, von der Stärke und Macht des Westens vor der militärischen Übermacht Russlands geschützt zu werden, lernen die Ukrainer derzeit ebenso blutig und bitter wie nachhaltig. 

Für den Westen ist das nicht nur eine Blamage, sondern ein weiteres unübersehbares Zeichen seines Niedergangs. Und die bislang stillen Anhänger westlicher Werte und Freiheit sollten sich und anderen endlich immer wieder laut die Frage stellen, wo und wie diese gegen die immer stärkeren Angriffe von allen Seiten wirksam verteidigt werden können.

Foto: Matthias Laurenz Gräff/ Devils Child.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Detlef Fiedler / 08.03.2022

Na ja, lieber Herr Rietzschel. Ob Erdogan ein Despot ist, spielt für diesen Fall wohl überhaupt keine Rolle. Man sollte nicht ständig derartige westliche Zuschreibungen auch anderen als Motivation unterstellen. Erstens hat die Türkei beim Überflugverbot und bei den Sanktionen nicht mitgemacht, das könnte ein Wink mit dem Zaupfahl sein. Zweitens ist Pütin (Danke @ G.Böhm!) das leicht angespannte Verhältnis vom Nato-Partner Erdolf zum Westen, und umgekehrt, wohlbekannt. Es wird in der jetzigen Situation von Russland offenbar keine Gelegenheit ausgelassen, der europäischen Elite der Guten des Universums den dicken Daumen zu zeigen. Deren Belanglosigkeit zu betonen. Und was den Westen betrifft, der wirksam verteidigt werden soll, gegen die immer stärkeren Angriffe von allen Seiten. Diese “Seiten” sind innerhalb des Westens zu finden, nicht ausserhalb. Der Westen schafft sich gerade selber ab, durch Hygienebehälter auf Männer-Klos, durch schwangerenkompatible Panzerfahrzeuge und durch Nachrichtenleute mit Sprachfehler. Durch Furzgas, Brenngläser und Windmühlen (©Haferburg) Durch Schleifen der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte sowie durch von oben verordnete Verblödung.

Wolfgang Richter / 07.03.2022

@ E. Ekat - “Die Ukraine wird kein Gas mehr stehlen, wofür die EU sorgen wird.” Nicht ganz richtig, die Ukraine bekommt das Gas über Deutschland. Und es steht auf Michels Rechnung. Aus “unseren” Speichern soll ja schon länger Gas nach Polen und in die Ukraine ge- liefert worden sein, angeblich zu höheren Preisen als am Markt. Und den derzeitigen Mangel zahlen “wir” mit noch höheren Preisen. Tolle Organisation. Und auch das hinterfragt keiner der Hofschreiberlinge.

Stefan Bollinger / 07.03.2022

Lieber Autor: “westlicher Werte und Freiheit” wo, bzw WANN leben Sie eigentlich? Der Staat ist drauf und dran uns mit einer “Impfpflicht” legal zu ermorden und mein Kind bekommt seit fast einem Jahr nicht genug Luft wärend des Schulunterrichts wegen einer inszenierten Plandemie die einige unermesslich reich macht und nebenbei als Gehorsamkeitstrainung für die totalitäre Diktatur dient die scheibchenweise eingeführt wird. Der dritte Weltkrieg hat vor zwei Jahren begonnen, die Ukraine ist nur ein weiterer Akt in der geplanten Zerstörung der freiheitlichen Welt.

W. Renner / 07.03.2022

Auf das diplomatische Parkett mit Gas Putin möchten sich seinesgleichen begeben. Da gäbe es fast keinen besseren als Erdogas, also in so fern, konsequent. Die freie Welt möge mit Russland verhandeln, wenn die ihren Dönitz benannt haben.

Elias Schwarz / 07.03.2022

Na ja, wenn unser Kindergarten nichts taugt, vielleicht können türkische und chinesische Kollegen was bringen? Wichtig ist das Ergebnis.

Hans-Peter Dollhopf / 07.03.2022

Herr Grimm, Israels Bennett war jetzt - am heiligen Sabbat! - mit Mossads Privatjet in Moskau und gleich danach beim Rest der Gangleader. Der forsche Erdogan spielt nicht allein. Mir graut ... Reptilien

Henri Brunner / 07.03.2022

Oh nochwas: “Und die bislang stillen Anhänger westlicher Werte und Freiheit” Ja genau, diese Werte und diese Feiheiten haben wir doch gerade die letzten zwei Corona-Jahren so lieben und schätzen gelernt .... Mann, was waren wir frei ..... Also, um mal ganz deutlich zu werden: der Westen mit seinem dämlichen Werte- und Freiheits-Gesülze kann micr gestohlen bleiben - ich habe kennengelernt, was davon zu halten ist.

Henri Brunner / 07.03.2022

“Die Lektion, dass die Ukraine nicht darauf setzen kann, von der Stärke und Macht des Westens vor der militärischen Übermacht Russlands geschützt zu werden, lernen die Ukrainer derzeit ebenso blutig und bitter wie nachhaltig. “ Und warum sollten wir dieses durch und durch korrupte Shithole namens Ukaine überhaupt schützen? Ja ich weiss schon -die Ukraine ist seit dem Maidan das Spielzeugt des Westens, vor allem ja das Spielzeug der Bidens, und Spielzeuge gibt man grundsätzlich nicht her. Aber Europa sollte ja nicht so dumm sein und Bidens Spielzeug retten wollen .... ?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 03.04.2024 / 13:00 / 33

Wer darf Feindsender verbieten?

Wenn Israel das Gleiche tut wie EU und deutsche Bundesregierung zwei Jahre zuvor, dann ist selbige Bundesregierung plötzlich besorgt. Bei Doppelstandards ist Deutschland immer noch…/ mehr

Peter Grimm / 24.03.2024 / 12:00 / 77

Fürchtet Putin Angriffe aus verdrängten Kriegen?

143 Todesopfer hat der Anschlag auf ein Konzert in der Moskauer Region gefordert. Der Islamische Staat hat sich dazu bekannt, doch der Kreml hätte gern andere…/ mehr

Peter Grimm / 16.02.2024 / 16:00 / 52

Erst das Desinteresse, dann der Tod

Russlands bekanntester Regimegegner, Alexej Nawalny, ist tot. Er hoffte, seine Bekanntheit werde ihn schützen. Jetzt starb er in einem Gefangenenlager. Alexej Nawalny ist tot. Er ist…/ mehr

Peter Grimm / 18.10.2023 / 12:00 / 10

Kein deutsches Wärmen an der polnischen Wahl?

Polen hat gewählt und nicht nur die dortigen Liberalen feiern. Für Polen ist das innenpolitisch sicher eine Zäsur. Doch wenn sich die Anhänger deutscher Regierungspolitik…/ mehr

Peter Grimm / 10.07.2023 / 10:00 / 104

Mehr Einwanderer-Konflikte für Deutschland?

Am Wochenende sorgte das Eritrea-Festival in Gießen für gewaltsame Ausschreitungen. Anhänger und Gegner des Regimes in Eritrea tragen offenbar ihre Kämpfe jetzt zum Ärger der…/ mehr

Peter Grimm / 03.07.2023 / 08:54 / 0

Morgenlage: Medien und Millionen

Guten Morgen, heute ist Montag, der 3. Juli 2023, und es ist wieder Zeit für eine Morgenlage zum Wochenauftakt. Zuerst wie immer eine kleine Themenübersicht:…/ mehr

Peter Grimm / 27.06.2023 / 15:30 / 38

Läuft’s jetzt nach dem Prigoschin-Putin-Pakt?

Erst sollten die putschenden „Verräter“ verfolgt werden. Dann hieß es: Ende der Strafverfolgung und Exil für Prigoschin. Am Montag ließen die einschlägigen Dienste in Moskau…/ mehr

Peter Grimm / 26.06.2023 / 13:29 / 42

Hat die Jagd auf Prigoschin offiziell begonnen?

Nach verschiedenen Meldungen aus Russland gilt die vom Kreml versprochene Straffreiheit für Prigoschin gar nicht. Eine absurde Demonstration der Stärke nach der Vorführung der Schwäche?…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com