Ralf Schuler / 29.04.2020 / 14:00 / Foto: Bundesarchiv / 48 / Seite ausdrucken

Corona-Zerwürfnisse überall

Pandemie oder Panik, Angst oder Spott – Corona legt auch die Tiefenschichten im Freundes- und Bekanntenkreis frei. Hat man ansonsten selbst bei unbekannten Themen und unerwarteten Ereignissen ein gutes Gespür dafür entwickelt, wer wie reagieren wird, so stellt Corona vieles auf den Kopf.

Hartgesottene polit-philosophische Haudegen, denen sonst kein Tabubruch zu krawallig war, begrüßen einen plötzlich mit dem Spruch: „Die Leute sind einfach zu blöd, da müsste man doch...“ und zeigen Fotos von gut besuchten Parks. Botschaft: Hier geht es um Leben und Virus-Tod, und die halten sich einfach nicht an die Regeln. Der Affekt dahinter: Angst.

Andere wiederum, die man als brave Legalisten kannte, berichten kopfschüttelnd bis spöttisch über Hygiene-Hysteriker und „Abstands-Nazis“, die ein guter Beleg dafür seien, dass auch fackelbeschienener Gleichschritt durchs Brandenburger Tor mit der richtigen Motivation wieder möglich sei. Psycho-Prädikat: Selbstgewisse Überlegenheit wie weiland Charles Bronson in „Spiel mir das Lied vom Virus“...

Reaktionen, die man in letzter Instanz nur mit archaischen Prägungen der individuellen Tiefenpsyche erklären kann, weil am Ende nur der Glaube an den einen oder anderen Virologen zur gefühlsmäßigen Übernahme bleibt. Und da wählt sich jeder seinen Guru wohl nach ganz individueller Seelenlage. Denn auch das ist verrückt in diesen Zeiten: Wissenschaftler, die zu Pop-Stars werden und polarisieren, als könne sich irgendwer außerhalb der Labore tatsächlich ein Urteil darüber erlauben, ob dieser oder jener Prof. die Umtriebe des lustigen Noppenballs mit seinen Oger-Ohr-Stöpseln(siehe auch „Shrek“) präziser wüsste als andere.

Gesucht: Der Wissenschaftler der Herzen

Eine Publizistin warf dem Bonner Virologen Hendrik Streeck gar „Grinsekatzigkeit“ als durchaus innovatives Merkmal der Wissenschaftskritik vor.

Interessant ist dieser Umgang mit den Pandemie-Päpsten vor allem, weil hier so offenkundig die Kausalkette vom falschen Ende her aufgewickelt wird. Man sucht sich den passenden Virologen zum Lebensgefühl, anstatt von der virologischen Erkenntnis seinen Umgang mit dem Virus leiten zu lassen. In vielen politischen Diskursen greifen analoge Muster, nur ist es dort viel weniger offensichtlich:

Analog zur politischen Herdenimmunität, bei der Linke stets schlafwandlerisch den Abbruch von Überliefertem, Kollektivmaßnahmen und ideale Ziele ideologie-kleberig einsammeln, während Konservative Tradition, Freiheit und vorgefundenes Menschenmaß ins Weltbild-Puzzle nehmen, analog dazu also suchen wir uns hier absurderweise sogar den Wissenschaftler der Herzen zur Selbstbestätigung.

Mich persönlich macht beides skeptisch. Zu faul, jetzt noch einmal ein Studium der Virologie draufzusatteln, gebe ich im Streit um Lockdown und Öffnung, Reproduktionszahl und Verdopplungszeit einfach zu: Ich weiß es nicht. Muss auch irgendwie gehen.

Foto: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

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Leserpost

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Jürgen Fischer / 29.04.2020

Ich weiß es auch nicht, aber alle Leute unter Generalverdacht zu stellen und präventiv zu isolieren, egal ob sie was haben oder nicht, das ist für mich der Schwachsinn des Jahrhunderts. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Peer Munk / 29.04.2020

Da wäre noch die Frage: Könnten Sie, selbst wenn Sie es nochmal zum Virologen bringen würden, die Epidemie beurteilen? Müssten Sie da nicht noch Epidemiologe werden? Tja, wer weiss das schon.

Michael Völkel / 29.04.2020

Dieses Virus passt so gut in unsere Zeit und man kann ihm eine geheime Faszination nicht absprechen. Es befällt nämlich auch unsere Gewissheiten. Jeder kann sich mit irgendetwas bestätigt fühlen: vom Hysteriker bis zum Verdränger. Für alles gibt es Zahlen und am Ende lacht uns Corona ins Gesicht. Eines ist für den (post)modernen Menschen schlicht unerträglich: Ungewissheit. Die Natur hat ein Machtwort gesprochen und uns die Deutung überlassen.

Hermann Neuburg / 29.04.2020

“Ich weiß es nicht. Muss auch irgendwie gehen.” Lieber Autor, habe den Mut, dich aus deiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien und dich deines Verstandes zu bedienen. Als mündiger Bürger und Teil des Souveräns Deutschlands hat man die Pflicht mit Hilfe der eigenen Vernunft zu urteilen.

Bernd Gottschalk / 29.04.2020

..diese heimtückische Seuche hat innerhalb von nur 4 Monaten schon jeden 16.000sten Deutschen dahingerafft…das sagt eigentlich alles über die Gefährlichkeit und die unangemessenen Aktionen…

Matthias Braun / 29.04.2020

” Deine schlimmsten Feinde sind keineswegs die Leute, die anderer Ansicht, sondern die der gleichen sind wie du, aber aus verschiedenen Gründen, aus Vorsicht, Rechthaberei, Feigheit, verhindert sind, sich zu dieser Ansicht zu bekennen.” ( Arthur Schnitzler )

B. Dietrich / 29.04.2020

Und was will mir dieser Beitrag sagen? Als einigermaßen gebildeter Mitteleuropäer sollte man durchaus in der Lage sein, verschiedene, frei zugängliche Standpunkte in ihrer Stichhaltigkeit zu hinterfragen. Wenn nach einer gewissen Zeit das (sogar vom RKI) publizierte Datenmaterial belastbare, wissenschaftlich begründbare Rückschlüsse auf die Bedrohlichkeit des Virus zuläßt, kann man auch als Nichtvirologe und -edidemiologe sehr wohl die Nachvollziehbarkeit der argumentativen Kausalketten gegeneinander abwägen. Wenn hierbei die eine Seite kontinuierlich (auch in vergleichbaren, vergangenen Szenarien!) Aussagen trifft, die sich in der Datenlage nicht widerspiegeln, ihre Aussagen ständig variert und offensichtlich politischen Vorgaben anpaßt, traue ich mir durchaus zu, meinem eigenen gesunden Menschenverstand zu folgen und etwas als Quatsch zu benennen, wenn es offenkundig solcher ist!

Manfred Bühring / 29.04.2020

Nur darf es nicht soweit kommen, dass die Regierungspolitiker sich den genehmsten Virologen aussuchen und dann a la Schröder mit “basta” durchregieren. Politiker als UNSERE Vertreter mit geliehenem Mandat sind gehalten, sich bestmöglich zu informieren, also auch Gegenpositionen abzuwägen, und dann Entscheidungen zu treffen, die das Wohl des Ganzen zur Maxime haben. Und Opposition hat in einer Demokratie wie unserer eine Kontrollfunktion, ob denn tatsächlich alles berücksichtigt wurde. Und da hat Opposition in Corona-Zeiten auf der ganzen Linie versagt!

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