Georg Etscheit / 10.12.2021 / 06:00 / Foto: Imago / 46 / Seite ausdrucken

Corona-Hysterie – Blick zurück ins Aidsjahr 1987

Während der Aids-Hysterie Mitte der 1980er Jahre machte man Schwule als Schuldige aus, besonders rigoros gab sich schon damals Bayern. Doch damals erledigten die Medien noch ihren Job und verhinderten das totalitäre Durchdrehen.

In der Medizin ist von „Vollbild“ die Rede, wenn ein Krankheitsbild alle wesentlichen, dem Lehrbuch entsprechenden Symptome aufweist. Das Wort wurde allgemein gebräuchlich, als in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Geschichte der Aids-Pandemie begann. Menschen, die das „Vollbild Aids“ entwickelt hatten, dazu gehören das Karposi-Sarkom, ein bösartiger Hauttumor, Pilzerkrankungen der Speiseröhre sowie eine besonders bei immungeschwächten Patienten auftretende Form der Lungenentzündung mit dem wissenschaftlichen Namen Pneumocystis carinii. Menschen mit „Vollbild Aids“ waren bis zur Entwicklung spezifischer, antiviraler Medikamente fast immer dem Tode geweiht.

Heute nähert sich der Zustand unseres Landes und anderer Teile der Welt in rasender Geschwindigkeit dem Vollbild des Corona-Totalitarismus. Dies weckt Erinnerungen an jene Zeit, als zunächst bei jungen, eigentlich gesunden Männern in den USA, fast alle aus der Schwulenszene, eine neuartige Krankheit auftrat, die das Immunsystem attackierte und  schnell eine wachsende Zahl von Opfern forderte. Es sollte ein Jahrzehnt dauern, bis mit der Antiretroviralen Kombinationstherapie eine wirksame medikamentöse Behandlung von HIV-Infizierten – einen Impfstoff gegen das Virus gibt es bis heute nicht – möglich war.

Unterdessen leben hunderttausende von Menschen weltweit mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV), das durch regelmäßige Medikamentengaben zwar noch nicht vollständig aus dem Körper entfernt, jedoch zumeist dauerhaft und ohne größere Einbußen an Lebensqualität in Schach gehalten werden kann. Ungeachtet dessen infizierten sich 2019 laut Robert-Koch-Institut (RKI) 2.600 Menschen in Deutschland neu mit HIV, 1.100 davon erhielten ihre Diagnose erst, als sie schon schwer erkrankt waren. 380 Menschen sind 2019 hierzulande an der Krankheit gestorben. 2018 starben weltweit geschätzte 690.000 Menschen an „erworbener Immunschwäche“.

Damals waren die Schwulen schuld, heute die Ungeimpften

Die Aids-Hysterie, die Mitte der achtziger Jahre in Deutschland und der Welt um sich griff, glich in vielem jener, die derzeit große Teile der Menschheit in Atem hält. Wieder wurden und werden gigantische Opferzahlen an die Wand gemalt, wieder werden vermeintlich „Schuldige“ identifiziert, entrechtet und ausgegrenzt, wieder wird die Moralkeule geschwungen. Damals waren es die Schwulen, die infolge ihres Lebenswandels an der Pandemie schuld gewesen sein sollen, heute sind es die Ungeimpften. Warum, fragt man sich, hat eigentlich niemand etwas aus diesem politischen und gesellschaftlichen Desaster gelernt, das erst durch eine zunehmend machtvolle Aids-Aufklärungsbewegung und schließlich durch die Entwicklung wirksamer Medikamente gestoppt werden konnte.  

In Deutschland war einer der Haupttreiber der Aids-Panik der Freistaat Bayern. Hier agierte mit dem damaligen CSU-Innenstaatssekretär Peter Gauweiler ein stets nach medialer Aufmerksamkeit heischender politischer Hardliner, der in Zeiten ausufernder Corona-„Maßnahmen“ vom bürokratischen Furor eines Markus Söder und seiner entfesselten Münchner Ministerriege allerdings noch übertroffen wird.

Unter Gauweilers Ägide wurde im Mai 1987 ein „Maßnahmenkatalog“ in Kraft gesetzt, der beinahe sprichwörtlich geworden ist. „Ansteckungsverdächtige“ sollten zum HIV-Test geladen und bei Nichterscheinen durch die Polizei vorgeführt werden, wobei man gerne auch auf „Hinweise aus der Bevölkerung“ setzte, was augenblicklich Denunzianten ermunterte, angeblich aidsinfizierte Individuen zu melden. 

Als es die ersten HIV-Tests gab, plädierte Gauweiler dafür, man solle „so viele Gruppen wie möglich der Testung zufahren“. Schnell waren auch Zwangstests von „Risikogruppen“ wie Prostituierten und Fixern gesetzlich verankert. Und wer in Bayern Beamter werden oder als Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis beantragen wollte, musste einen negativen Befund vorweisen. Die Zwangstests für neue Beamte wurden erst 1995 wieder gestrichen, die übrigen Maßnahmen blieben bis 2001 in Kraft; die Berliner Polizei erfasste sogar noch 2018 HIV-Infizierte in ihren Datenbanken. Ein böses Omen für den mutmaßlich jahrelangen Fortbestand der heutigen Corona-Maßnahmen einschließlich regelmäßig wiederkehrender Zwangsimpfungen.

Seinerzeit verband sich die Instrumentalisierung der in Teilen durchaus berechtigten Angst vor Ansteckung – das HI-Virus verbreitet sich in erster Linie durch ungeschützten Geschlechtsverkehr und ist unbehandelt fast immer tödlich – auf perfide Weise mit sexuellen Tabus und Vorurteilen gegenüber Homosexuellen, eine Minderheit, die der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) als „Entartung“ klassifizierte, die es „auszudünnen“ gelte. Ein rigoroser Moralismus brach sich Bahn, der heute sein Spiegelbild in der postulierten Sozialschädlichkeit von Impfskeptikern und Impfverweigerern hat.

Den Diskriminierten springt niemand mehr zur Seite

Die Rhetorik der Aids-Bekämpfer von einst hatte es in sich und ähnelt jener, die heute wieder um sich greift: „Wir lassen niemand ungeschoren“, dekretierte Peter Gauweiler und bezeichnete HIV-Infizierte in einem „Stern“-Interview als moderne „Aussätzige“. Allenthalben war von der „Schwulen-Pest“ die Rede und ein CSU-Bundestagsabgeordneter namens Horst Seehofer wurde mit der Forderung zitiert, man solle „Infizierte in speziellen Heimen konzentrieren“. Im Corona-Zeitalter gibt es diese „Heime“ schon in Form von Quarantäne-Hotels und Quarantäne-Zentren, etwa in Australien. Fragt sich, wann Deutschland reif ist für solche Einrichtungen der zwangsweisen Unterbringung von Infizierten und vielleicht auch Impfverweigerern. In Niedersachsen wurde die Einrichtung eines „Seuchenhauses“ jedenfalls schon einmal geprobt.

Was den damaligen Umgang mit der Aids-Bedrohung vom heutigen Umgang mit Corona diametral unterscheidet, ist eine in den achtziger Jahren noch intakte Kontrollfunktion der Medien, die den Bedrängten zur Seite sprang und nicht, wie heute, in den Chor der Hetzer einstimmt oder beständig Öl ins Feuer gießt. Es gab einen schwulen Bundesanwalt namens Manfred Bruns, der sich für die Rechte von HIV-Infizierten und Aidskranken mutig in die Bresche warf.

Außerdem gab es mit der 1983 erstmals in den Bundestag eingezogenen Partei der Grünen eine politische Kraft, die gegen die Diskriminierung bestimmter „Randgruppen“ zu Felde zog, Seit‘ an Seit‘ mit der damaligen CDU-Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth, die mit besonnenen Äußerungen versuchte, Fakten gegen Ängste zu setzen wie die weit verbreitete Annahme, dass man sich schon beim Händeschütteln mit HIV infizieren könne. Damals entschied sich der Staat für eine breite Aufklärungskampagne zur Aidsprävention und gegen weitere Zwangsmaßnahmen auf Bundesebene.

Im März dieses Jahres gab die inzwischen 84-jährige Rita Süssmuth der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Darin sagte sie mit Blick auf die Corona-Krise: „Aufgrund meiner damaligen und heutigen Erfahrungen ist meine Empfehlung an die jetzt Verantwortlichen: Denkt stets daran, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, ihnen Fähigkeiten und Engagement zuzumuten und zuzutrauen. Schürt nicht Angst vor dem Gefährlichen, sondern stärkt das individuelle Selbstvertrauen und die Eigenverantwortung.“ Heute sitzt mit dem Corona-Hardliner Karl Lauterbach ein Mann auf Süssmuths einstigem Ministersessel, der das genaue Gegenteil verkündet.

Foto: Imago

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Claudia Heindl / 10.12.2021

Vielen Dank für diesen Artikel. Mir machte schon seit Wochen die gesamte Rhetorik sehr zu schaffen. Da ich vor Corona das Geschehen der Welt mein Leben lang nur so nebenbei verfolgt habe konnte ich keine Rückschlüsse ziehen ob das normal ist und am besten nicht weiter ernst zu nehmen. Mittlerweile habe ich mich von jeder Berichterstattung, ausser Achgut zurückgezogen. Jetzt lese ich hier das es schon früher sehr unschöne Ideen gab. Speziell in Bayern. Ich hatte damals einen Arbeitskollegen mit Aids. Ich kam gar nicht auf die Idee diesen anders zu behandeln. Es beruhigt mich jedenfalls sehr das all diese Ideen nicht neu sind. Und hoffe das beste. Und ich kehre zu meiner sehr langen früheren Strategie zurück. Lebe das Leben. Und kümmere dich möglichst wenig um den Rest.

Dominik Waldner / 10.12.2021

Netter Artikel, der Vergleich hinkt jedoch! AIDS war und ist weniger eine Pandemie, sondern ein Problem, das sich mit einfachsten Mitteln bekämpfen bzw. lösen lässt. Für einen normalen, heterosexuellen und nicht drogenabhängigen Menschen stellt dieses Virus keine Bedrohung dar, da die Gefahr, sich zu infizieren, verschwindend gering ist. Die Behauptung, die damaligen Schwulen wären die heutigen Ungeimpften, ist daher nicht ganz angebracht.

Volker Kleinophorst / 10.12.2021

Aids 1987 schlug ja nur deswegen nicht durch, weil ja bereits nahezu alle nach Waldsterben, Tschernobyl… tot waren und deshalb die Abstandsregeln eingehalten werden konnten.

Marcel Seiler / 10.12.2021

In der Tat hat damals die Homosexuellen-Lobby eine konsequente Aids-Eindämmungspolitik bekämpft, weil die die Schwulen diskriminiere. Das Unterlassen dieser Eindämmung hat gerade vielen Schwulen das Leben gekostet. Die Homosexuellen-Lobby hat also viele Tote in Kauf genommen, um die Fahne der Antidiskriminierung schwenken zu können. Ich halte das ethisch für äußerst fragwürdig.

Marc Greiner / 10.12.2021

@T. Weidner-”...speziell für eine Frau, zu nahezu 100% ein tödliches Ende”—-Dies stimmt nicht. Man fand bei Prostituirten heraus, dass nur ca. 3% angesteckt wurden. HIV überträgt sich hauptsächlich über Anal-Verkehr und unsaubere Spritzen, also Blutkontakt. Das heisst, dass Vaginalverkehr nahezu gefahrlos ist. AIDS wurde völlig aufgebauscht was die Übertragung anging. Und Corona wird aufgebauscht im Quadrat. Mindestens.

Dirk Bangert / 10.12.2021

Danke für diesen wichtigen Essay! Was mich gerade ein wenig beruhigt ist, wie es nach dieser menschenverachtenden “AIDS-Kampagne” weiterging. Man kann doch wirklich sagen, das Pendel ist zurückgeschwungen. Die “Schwulen” sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und - frei nach Wowi - “das ist auch gut so”. Für michist das jetzt gerade ein Lichtblick der Hoffnung, dass es mit den “Kritischen” und “Ungeimpften” in fünf oder zehn Jahren auch so sein könnte. Dann würde der “mündige Bürger” nämlich wieder hoffähig!

Klaus Keller / 10.12.2021

Heute sitzt mit dem Corona-Hardliner Karl Lauterbach ein Mann auf Süssmuths einstigem Ministersessel, der das genaue Gegenteil verkündet… Der Mann hat wahrscheinlich einen Pschyrembel gelesen und befindet sich seither in einem Zustand chronischer Überforderung. Ich vermute das dies irgendwann in eine Erschöpfungsdepression übergeht. Man müsste ihn Fragen ob er aufgrund der ständigen Anforderungen an ihn selbst, schon Suizidfantasien hat. Der eigene Zorn auf andere kann sich auch drehen und sich gegen den Zornigen selbst richten und ich kann mir gut vorstellen, das er der erste Minister wird, denen man deswegen in eine geeignete Klinik einweisen muss. PS Zu den Journalisten. ggf hatte es mit dem wilden Lebenswandel der Gruppe zu tun und man befürchtete damals Einschränkungen für sich selbst. Heute fühlen sie sich eher durch die Wildheit der Bevölkerung bedroht.

Peter Holschke / 10.12.2021

Na klar. Gerade AIDS ist der Beweis, was von der “Wissenschaft” und staatlichen Prognosen zu halten ist. Und? Sind wir alle ausgestorben? Durch Rummachen? AIDS war auch so ein Märchen, für das viele von der AZT-Klippe gesprungen sind. In der Zwischenzeit ist das Thema so albern geworden, dass nun für Tripper und Syphilis geworben wird.

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