Chinas Küchenkulturen sind vielfältig. Sie stehen deshalb in einem heftigen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der 1,4 Milliarden Menschen auf dem Heimatmarkt. Noch schwerer fällt das Wecken von Neugier bei den übrigen Nationen. Die begnügen sich bisher zumeist mit scharfen Knoblauch-Chili-Kreationen à la Szechuan und lieben Saucen aus Pflaumen oder schwarzen Bohnen der Kanton-Richtung. Bereits die über zwei Tage zuzubereitende Pekingente bleibt eine Rarität.
Auch in der Provinz Hunan gibt es leckere Speisen. Sie verbinden kurze Garzeiten mit Würze, Frische, Farbenreichtum und kunstvoll geschnitzten Feldfrüchten. Gemüse-Risotto im Tontopf, auf dem Pfeffer gebratenes Schweinefilet, Rösthuhn mit Szechuan-Sauce und als Nachtisch Warmer Erdbeergenuss werden bei ansprechender Qualität in der Siebenmillionen-Metropole Schangsa angeboten. Da die Stadt trotz zweifacher Berlingröße im Reich der Mitte nur auf Platz 18 landet, verlangt der kulinarische Durchbruch außergewöhnliche Maßnahmen.
Hunans Gerichte sind nämlich arbeitsintensiv und deshalb teuer. Acht bis zehn Leute benötigt die Küche eines Standardrestaurants. Ungelernte aus der Dritten Welt, die in Westeuropas und Nordamerika aushelfen, bekommt man nicht. Die Regierung lässt sie nicht über die Grenze. Peking verfährt mit einem Gesamtbestand von knapp 600 Asylanten (The Economist, 19.November 2016) noch viel strenger als Seoul mit 800 seit 1994. Tokio akzeptiert 2017 die Gesuche von 20 Asylanten. Alle drei fürchten sich in erster Linie voreinander beim Kampf um die technologische Weltspitze. Deshalb müssen sie bei der Cognitive Ability (CA) darauf achten, auch in Zukunft ihren deutlichen Vorsprung gegenüber Europäern und Nordamerikanern weiter auszubauen. Im Jahr 2100 – für generationsübergreifende Prozesse eine unverzichtbar lange Perspektive – soll China bei CA 101 stehen, während für Deutschland CA 93 erwartet wird. Die Zuwanderungen nach 2010 sind dabei noch nicht einmal eingerechnet (H. Rindermann, Cognitive Capitalism, Cambridge University Press, 2018, S. 445)
Vierzig Gerichte à la carte aus dem Automat
Beim Ehrgeiz dürfen Chinas Feinschmecker den übrigen Branchen also nicht nachstehen. Seit Mai 2018 – vier Jahre nach Forschungsbeginn und sechs Monate nach Patentanmeldung – kann man deshalb in Li Zhimings Schangsa-Restaurant vierzig Gerichte à la carte bestellen. Nur zwei Menschen und drei Küchenroboter bereiten alles zu. Dabei geht es nicht um einen überteuerten Einmal-Gag, wie er gelegentlich auf Technik-Messen oder von MIT-Studenten präsentiert wird. Bei Li muss die Roboter-Küche im Tagesgeschäft mithalten. 800 Schüsseln mit Hunan-Leckereien auf Reis kann er täglich servieren.
Für den Bau der komplexen Maschine studierte er die beliebtesten Rezepte von Hunan-Meistern, die nicht nur ihre Zutaten für den Aufbau einer Datenbank zum Beschicken der Zutaten-Container verrieten, sondern auch ihre Zubereitungswege und -prozesse so weit normierten, dass sie programmiert werden konnten. Viele Tonnen an Zutaten wurden experimentell verbraucht, um jeweils den optimalen Geschmack zu erzielen.
Dass China bei Küchenrobotern antritt und sogar eine Spitzenstellung anstrebt, mag bei einem Land überraschen, das sich erst seit 1979 der internationalen Konkurrenz stellt. Bei einem Durchschnittsalter von nur 37 Jahren – gegenüber 47 in Deutschland – hält sich auch der Automatisierungsdruck aufgrund von Vergreisung in Grenzen. Man ist einfach zuversichtlich, dass man siegen wird. Schon 2015 liegt das Land bei installierten Industrierobotern beim Zweieinhalbfachen der USA. 2020 will man das Vierfache erreichen und damit auch bei der Einsatzdichte der Noch-Weltmacht – mit 25 Prozent der chinesischen Bevölkerung – Paroli bieten.
Li Zhimings Plan, alsbald Roboterküchen in Schanghai und Peking einzuführen, hat also nichts Irreales. Dort allerdings gibt es harte Konkurrenz. Sie wird genau hinschauen und die Technologie dann weitertreiben. Schließlich kämpfen fast alle chinesischen Gerichte mit der aufwendigen Zubereitung per Hand. Und wer kapiert, kopiert und macht es dabei besser. Die Giganten mit 34 beziehungsweise 25 Millionen Einwohnern haben jede Menge solcher Leute.
Über die Lieferung von Robotern an Franchiseunternehmer soll Hunans Küche – ein Überholen ohne einzuholen – auch im unvorbereiteten Ausland reüssieren und dabei Standards bei Qualität und Preis setzen. Man wird sehen, ob das gelingt. Schafft Li allerdings die Eroberung der heimischen Metropolen, sollten seine Rinderstreifen im Kreuzkümmel-Wok auch dem globalen Gaumen Genuss bescheren.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung auch in DIE WELt