Cancel Cuisine: Weihnachtsgans

Zuerst erzähle ich, warum ein weihnachtliches Festessen an einer Niedrigtemperaturgans scheiterte, und dann sage ich, wie man’s richtig macht.

Wenn etwas schief geht, geht es richtig schief. Diese bittere Weisheit, auch bekannt als „Murphys Gesetz“, bestätigte sich vor einigen Jahren anlässlich eines weihnachtlichen Festschmauses im Freundeskreis. Angekündigt war eine Weihnachtsgans nach Johann Lafers Niedrigtemperaturmethode – das Rezept war, soweit ich mich erinnere, zuvor in der Wochenendbeilage der FAZ veröffentlicht worden. Die Gäste fanden sich ein, der Tisch war festlich gedeckt, man stieß an zum Aperitif, plauderte und war gespannt auf das avisierte Küchenwunder.  

Irgendwann wurde man gewahr, dass in der Küche eine merkwürdige Geschäftigkeit einsetzte, Gemurmel, klirrende Geräusche, hektisches Hin- und Herlaufen. Dann kam der Gastgeber ins Esszimmer und verkündete, wie ein Intendant, der in der Oper vor vollem Haus die Absage eines Hauptdarstellers annoncieren muss, ein Malheur. Die Gans sei nämlich noch nicht ganz fertig, obwohl sie schon einige Stunden im Ofen zugebracht habe. Man möge sich noch etwas gedulden und vielleicht übergangsweise dem Weihnachtsgebäck zusprechen. 

Der Ernst der Lage wurde uns erst hinterher offenbart. In Wahrheit nämlich war die Gans zu dem Zeitpunkt, als der Gastgeber die „kleine Verzögerung“ ankündigte, noch mehr oder weniger roh, Klöße und das Blaukraut hingegen schon servierbereit. Und in der Küche herrschte blanke Panik. Es war ein wenig wie auf der Titanic, als die Passagiere noch vergnüglich speisten und tanzten, während auf der Brücke schon die wenigen Stunden kalkuliert wurden, bis das Schiff unwiderruflich in der eiskalten Tiefsee versinken würde. 

Die Haut verbrannt, das Fleisch roh und zäh

Wenn etwas schief geht, geht alles schief: Um zu retten, was nicht mehr zu retten war, wurde unter grober Missachtung der Laferschen Vorgaben der Temperaturregler des Backofens bis zum Anschlag hochgedreht, um den Garprozess zu beschleunigen, mit der fatalen Folge, dass die Haut der Gans nach kurzer Zeit verbrannt, das Fleisch aber immer noch roh und zäh geblieben war. Jedenfalls ungenießbar. 

In einer Blitzaktion bemühte sich nun die Küchencrew, aus dem bereits ausgetretenen Fett und dem Bratensaft so etwas wie eine Soße herzustellen, die leider etwas rauchig schmeckte und dann zu den mittlerweile in Auflösung begriffenen Kartoffelklößen und dem glücklicherweise unverwüstlichen Blaukraut serviert wurde, inklusive wortreicher Erläuterungen und Entschuldigungen. Von einem gelungenen Festessen konnte natürlich keine Rede mehr sein. Doch wurde der Nachmittag doch noch zu einem vergnüglichen Ereignis. Man analysierte gemeinsam, wie es zu der Katastrophe hatte kommen können, und die „Niedrigtemperaturgans“ wurde alsbald in den Rang einer Legende erhoben.

Glücklicherweise sind solche Missgeschicke nicht die Regel, denn im Allgemeinen ist eine schöne, fette Mastgans ein robuster Gesell, sofern man ein paar Grundlagen der Zubereitung beherrscht und sich nicht auf schräge Experimente einlässt. Trotzdem ist das Geflügel immer mehr Menschen suspekt, es gilt als fett und schwer und eigentlich nicht mehr zeitgemäß, was ich für jammerschade halte. Denn es gibt kein aromatischeres, im Idealfall zarteres und zugleich kompakteres Fleisch als das einer perfekt gebratenen Weihnachtsgans. Zudem lassen sich die Fleischreste der Karkasse in weitere schmackhafte Speisen verwandeln, etwa Gänse-Rillettes. Und von dem Schmalz, das man mit Röstzwiebeln anreichern kann, profitiert man wochenlang.

Die Alternative: Gänseconfit

Wenn man sich ein wenig Mühe macht, kann auch die Füllung eine Delikatesse sein. Wie bei dem Rezept einer „L’oie du réveillon“ (réveillon nennt sich in Frankreich das opulente Festmahl zu Weihnachten und Silvester), die sich in Paul Bocuses Bibel der „neuen Küche“ findet. Dort wird die Gans nämlich mit einer Farce aus Schweinefleisch, Kastanien und Champignons gefüllt sowie mit Chipolatas, pikanten Gewürzwürstchen, und getrüffelten (!) Schweinefüßen. Leider wird man, wenn man nicht gerade der französische Präsident ist, so etwas Aufwendiges nie serviert bekommen. Hier das Rezept in der Originalsprache.

Natürlich kann man es sich, wenn man auf eine Weihnachtgans nicht verzichten will, sehr einfach machen und einfach ein Tier in ausreichender Größe in einem Restaurant seines Vertrauens vorbestellen. Oder man greift zu einer Packung Gänseconfit, das sind Fleischstücke, die langsam in ihrem eigenen Fett gegart („confiert“) werden und sich in demselben fast endlos aufbewahren lassen. 

In großen Dosen oder Vakuumpackungen gibt es sie, aus Frankreich oder Spanien importiert, gewissermaßen als Abfallprodukte der Herstellung von Gänsestopfleber. Ein Confit muss man nur so gut es geht vom Fett befreien und in einer Pfanne oder im Ofen anbraten. Es ist wunderbar mürbe und geschmacksintensiv. Nur eine krosse Haut darf man nicht erwarten. Für die Soße bietet sich ein vorfabrizierter Gänse- oder Entenfonds guter Qualität an.

Ein erfreulich einfaches Rezept

Wenn es doch eine frische Gans sein soll, gibt es, was Aufwand und Ertrag anbelangt, Mittelwege der Zubereitung. Im „Goldenen Plachutta“, dem Standardwerk der österreichischen Küche, findet sich ein erfreulich einfaches Rezept für „gebratene Gans“, bei dem die Füllung nur aus Äpfeln besteht, außerdem soll man den Vogel innen mit Majoran einreiben. Das solchermaßen präparierte Tier wird zunächst in einer fingerhoch mit Wasser bedeckten Bratreine 40 Minuten bei 160 Grad gedämpft, hernach weitere etwa drei Stunden bei etwas niedrigerer Temperatur fertiggebraten, wobei man durch Einstiche zwischen Brust und Keulen das Fett abfließen lässt. Während des Bratens wird die Gans ständig mit dem Saft übergossen, der später reduziert als Soße gereicht wird. Die gegarten Äpfel der Füllung werden mitgegessen. Ein allgemeiner Hinweis: Pro Kilogramm Gans rechnet man bei 160 Grad etwa eine Stunde Garzeit. 

Noch einmal zurück zur Laferschen Niedrigtemperaturgans. Das Malheur erklärte sich im Nachhinein mit der feuilletonistischen Aufbereitung des Originalrezeptes durch die FAZ-Redaktion. Für die angegebene Temperatur von gerade mal 80 (!) Grad war die angegebene Bratzeit viel zu kurz und hätte vielleicht bei Gänseküken funktioniert, nicht aber bei einer ausgewachsenen Weihnachtsgans. Hier Lafers Rezept, wobei unklar ist, ob es sich um jenes handelt, das einst so spektakulär scheiterte.

Der Gastgeber beschwerte sich übrigens brieflich bei Lafer, der sogleich persönlich anrief und zum Trost noch eines seiner Kochbücher schickte. So gibt es immerhin eine schöne Erinnerung an eine der größten kulinarischen Katastrophen der Neuzeit.

An Weihnachten erscheint „Cancel Cuisine“ nicht. Ich melde mich wieder zum Jahreswechsel und wünsche Ihnen, liebe Leser, ein gesegnetes Weihnachtsfest.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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E. Variaggio / 17.12.2023

ein Rezept, das ich vor vielen, vielen Jahren zufällig im Radio von der damaligen Chefin des Prager Nobelrestaurants “Goldene Gans” hörte: die ausgenommene Gans innen und außen gut mit Salz einreiben und ohne Füllung oder irgendwelchen anderen Schnickschnack bei 250 Grad in die Röhre. Das Geheimnis: mit Bier übergießen - mehrmals. Früher nahm ich Budweiser, heute eher irisches Bier. Dadurch gibt die Gans ihr gesamtes Fett ab, ohne daß das Fleisch trocken oder zäh wird. Wenn die Haut braun und knusprig ist, die Temperatur entsprechend herunterregeln, aber nicht unter 200 Grad. Gesamte Bratzeit bei einer viereinhalb-Kilo-Gans ca. 3 Stunden, zwischendurch das Fett abgießen, da kommt schon einiges zusammen, und am Ende bekommt man auf diese Art auch noch eine ‘göttliche’ Sauce. Wer das einmal ‘draufhat’, wird sich vor Gästen nicht mehr retten können. Frohe Weihnachten.

Hermine Mut / 17.12.2023

@ Wilfried Cremer : oder : Blaukreuz bleibt Blaukreuz und Kreuzbund bleibt Kreuzbund !  (zum Blaukraut gabs bei uns heute Kartoffelbrei, Braten & eine gute Soße)

Emil.Meins / 17.12.2023

Es braucht kein österreichisches Rezept, das dann mangels weiterer Kenntnisse als “Gebet” betrachtet wird, um eine Gans oder anderes Großgeflügel mit einer köstlichen Füllung zu versehen! Bei uns wurde früher das Weihnachtsgeflügel immer mit einem “Füllsel” gestopft und danach mit Zwirn zugenäht, was meine Spezialität war. Und meist war das bei den Kindern begehrter als das eigentliche Fleisch! Dazu nahm man zunächst die damals den Tieren noch beiliegenden Innereien, Leber, Herz, Magen, und würfelte diese nach entsprechender Vorbereitung (zähe Bindehaut am Magen abziehen, Gefäße entfernen), dazu kamen eingeweichte Brötchen, Ei, frische gehackte Petersilie, kleingeschnittene Zwiebeln, Knoblauch, gewürfelte süßsaure Äpfel (Boskoop, die gab es noch, und nicht nur “Grün” u.“Rot”!), Eßkastanien, und manchmal auch noch ein Glas selbstgesammelte Pilze (violetter Rötelritterling oder “Blaufüßle” (Lepista nuda oder Clitocybe nuda). Gewürzt wurde mit Salz und Pfeffer, etwas Muskat. Um es auf die Spitze zu treiben, kann man auch noch Speckwürfel zufügen, und das war damals simpler deutscher Speck, die ganzen heute so geschätzten italienischen Spezialsorten waren noch unbekannt, und es ging auch ohne diese. Man könnte sich auch noch zur Bedeutung von “reveillon” auslassen, aber das spare ich mir. Mir hat es jedenfalls immer vorzüglich geschmeckt. Und da man sich seinerzeit auch noch nicht den Kopf über “slow cooking” zerbrach, war das Tier auch immer schön kross zur rechten Zeit.

rei svager / 17.12.2023

zuerst das bratgut nicht vom kühlschrank in den ofen.  sondern DURCHGEWÄRMt auf zimmertemperatur bringen. noch besser über nacht in heizkörpernähe platzieren. also statt plus 4° fleischkühlung mit 30 ° raumtemparatur ins rohr. und wenn jemand ofentemparatur 80° schreibt hat die gans eine umgebung von 70° !! also auf 90-100° einstellen. so und jetzt haben sie locker 25% ihrer bratenergie bereits gewonnen.  das thema keime und salmonellen lassen wir bei diesen slow cooking trend generell beiseite. es ist eh alles hygienische eu-industrieware….

Gerd Maar / 17.12.2023

Auf Youtube erklärt Lafer auf seinem Kanal ausführlich seine Niedertemperaturmethode (“Weihnachtsgans à la Johann Lafer”). Allerdings benutzt er einen professsionellen Ofen mit Dampfgarerfunktion (ca. 7000 Euro).

Rainer Kaufmann / 17.12.2023

Ja, kenne ich. Man denkt, der Vogel ist fertig, will tranchieren, schneidet die Keule runter bis zum Gelenk… - und, Schreck, blutiges Fleisch. Nie mehr Niedertemperatur.

Elizabeth Bennett / 17.12.2023

Es wird Zeit, die eigenen Kinder für Koch-, Zuckerbäcker- oder Metzgerlehren zu begeistern, um tradiertes Wissen weiter abschöpfen und erhalten zu helfenund auch um an der Quelle zu sitzen. Meine Familie hat damit die vorletzte deutsche Diktatur überlebt und konnte noch etliche notleidende Nachbarn durchfüttern helfen, und trotzdem gabs Weihnachten Gans oder ähnlich Gutes. Handwerk ist die Zukunft, je schneller das unsere Kinder kapieren, desto besser unser aller Zukunftsaussichten,  von unseren Unis verspreche ich mir jedenfalls nichts mehr, denn wenn Juden schon wieder am Betreten von Hörsälen gehindert werden, dann sind Wissenschaftsfreiheit wie Bildung offensichtlich wieder koventriert in diesem unseren Lande.

Hans-Ulrich Engelbrecht / 17.12.2023

Niedrigtemperaturgans ist das beste was es gibt!!  Die bratfertige Gans am späten Heiligabend bei 80 Grad (!!) in die Röhre, am nächsten Morgen ist die Gans gar. Eine Stunde vor dem Essen nochmal bei 150 Grad aufwärmen, fertig!!!

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