Georg Etscheit / 30.07.2023 / 12:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 9 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Matjes nach Hausfrauenart

Die Saison für „jungen“ Matjes dauert rund zwei Monate, also noch bis etwa Mitte August. Hier steht, was man alles mit dem jungen Hering – der nicht roh, sondern eher fermentiert ist – anstellen kann.

Heute geht es wieder einmal um ein Gericht der klassisch-deutschen Küche: Matjes nach Hausfrauenart. Wobei ich mir die bange Frage stelle, ob das Wort „Hausfrau“ nicht auch längst auf dem Index steht. Und was ist mit der Hausmannskost? Männer dürfen zwar diskriminiert werden, vor allem, wenn sie alt und weiß sind, doch umfasst der Terminus Hausmannskost natürlich keine Transmenschen und andere Diversitäten. Schließlich gäbe es noch den Begriff „nach Hausmacherart“, der politisch am wenigsten anstößig erscheint. Brav zu Hause zu bleiben, ist spätestens seit Corona und Klimakrise ja wieder en vogue. 

Die Matjes-Saison hat in diesem Jahr später begonnen als sonst, weil es in den Fanggebieten des Herings in der zentralen Nordsee bis hinauf nach Schottland und in den südlichen Gewässern Norwegens kälter war als gewöhnlich. Soviel zu den Ungerechtigkeiten des Klimawandels. Jedenfalls war der offizielle Start der Saison mit der traditionellen Versteigerung des ersten Fasses mit jungem Matjes auf den 22. Juni verschoben worden, eine gute Woche später als im Vorjahr

Die Saison für „jungen“ Matjes dauert rund zwei Monate, also noch bis etwa Mitte August. Wirklich frischer „junger“ Matjes ist in Deutschland selten zu bekommen. Wenn man ihn bei einem einschlägigen Fischhandel während der aktuellen Fangsaison via Internet bestellt, hält er, zu Hause angekommen, meist nur zwei Tage. Besser also, man ordert die Fischfilets, die als „Doppelmatjes“ von der nicht abgetrennten Schwanzflosse des Fisches zusammengehalten werden, tiefgekühlt oder kauft sie als aufgetaute TK-Ware im Fischgeschäft, wo Matjes das ganze Jahr über angeboten wird. 

Im Holzfass gereift

Die Kältebehandlung tut ihrem Geschmack wenig Abbruch, allenfalls die Konsistenz des Fleisches weist gewisse Unterschiede auf, die allerdings kaum auszumachen sind, wenn die Fischstücke in einer deftigen Sauce nach „Hausfrauenart“ schwimmen. Oder, was man besser vermeiden sollte, in einem Fischbrötchen unter einem Haufen roher Zwiebeln verschwinden. 

Das Wort Matjes leitet sich vom niederländischen Meisje (Mädchen) ab und bedeutet so viel wie Mädchen- oder Jungfernhering. Denn Matjes entsteht aus jungen, nicht geschlechtsreifen Heringen, die einen hohen Fettanteil von etwa 18 bis 20 Prozent haben. Nach dem Fang werden zunächst die Köpfe und Innereien mit Ausnahme der Bauchspeicheldrüse entfernt. Anschließend kommt der Fisch mit Salz, Haut und Gräten eine Woche lang zur Reifung in ein Holzfass. Ein Enzym aus der Bauchspeicheldrüse verwandelt den Fisch zusammen mit dem Salz in einen Matjes und gibt ihm seinen typischen Geschmack. Matjes ist daher im engeren Sinne kein roher, sondern ein fermentierter Fisch und somit, was die aktuelle Fermentations-Mode anbelangt, absolut up to date.

Matjes wird grundsätzlich kalt genossen. „Warme Matjes sind wie warmer Kaviar“, schreibt Wolfram Siebeck in einem seiner Kochbücher und empfiehlt die recht umstandslose Zubereitung eines Matjestartars. Dazu werden die Matjesfilets grob gewürfelt und mit feingehacktem Dill, „allerfeinst“ gehackten Zwiebeln, Salz und Pfeffer vermischt und auf Pumpernickel oder Schwarzbrot serviert. Naturell ohne überflüssiges Beiwerk, wie Austern serviert, komme sein sanfter Geschmack am besten zur Geltung, meint der selige Fresspapst.

Bier und Schnaps gehören dazu

Wer mit dem Aroma von im weiteren Sinne rohen Fisch ein wenig fremdelt, badet ihn in einer würzigen Tunke – nach Hausfrauenart. Ich rühre dazu selbst eine Mayonnaise an und verlängere sie mit saurer Sahne und Joghurt, damit es keine allzu mastige Angelegenheit wird. Jetzt kommen geschnittene Cornichons und Apfelstücke dazu und, wenn es noch edler sein soll, eine Handvoll Nordseekrabben. Abschmecken kann man mit Salz, Pfeffer, Senf, Meerrettich und Zitronensaft. 

Den etwas penetranten Dill finde ich als weitere Zutat ebenso entbehrlich wie rohe Zwiebelstücke. Allenfalls leicht angedünstet würde ich sie tolerieren, dann verlieren sie ihre Schärfe und Aufdringlichkeit, die dem sanften Matjes schlecht ansteht. Dazu gibt’s dunkles Brot oder Bratkartoffeln. Als Getränk bietet sich Bier an und zum Schluss ein klarer Schnaps. Matjes ist eine der wenigen Speisen, zu denen Wein definitiv nicht angesagt ist. 

Man kann einen solchen Salat natürlich auch mit Bismarckhering zubereiten. Für Bismarckhering wird nicht ausschließlich junger Hering verwendet, sondern auch Fische, die bereits gelaicht haben. Der wichtigste Unterschied liegt im Herstellungsprozess: Denn anders als Matjes, der in Salz und den eigenen Enzymen reift, wird Bismarckhering in einem Essigsud mariniert. Ich selbst ziehe das „Mädchen“ dem alten Knacker vor. Dabei geht’s mir wirklich nur um den Geschmack. Isch schwör!

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Kurt Schrader / 30.07.2023

…. Ein echter Hochgenuss….

Gerd Maar / 30.07.2023

Eine der seltenen kulinarischen Errungenschaften der Holländer, und schmeckt auch viel besser als der nach dem ersten deutschen Reichskanzler benannte Rollmops.

Boris Kotchoubey / 30.07.2023

Nichts gegen den großen deutschen Kanzler, aber Essig tut meiner tiefen Überzeugung nach nichts Gutes - weder dem Fisch noch den Gurken. Zwiebel können dagegen gut an Hering bzw. Matjes anpassen, wenn man sie kurz mit kochendem Wasser übergießt.

armin_ulrich / 30.07.2023

Matjes nach Hausmänner/frauen/diverse/art

Gerhard Schmidt / 30.07.2023

Witz zum Thema: Geht ein Blinder am Fischgeschäft vorbei und sagt “Hallo, Mädels, schon auf Schicht”?

Karsten Paulsen / 30.07.2023

Matjes Hausfrauen Art wird in meiner Familie ausschliesslich mit Räuchermatjesfilets von Fokken und Müller zubereitet: 1 Packung Quark 2 Minuten mit dem Mixer sämig schlagen, dazu Jogurt soviel wie benötigt. Da rein kommen die klein geschnitten Rüucherfilets, Apfel- und Zwiebelstücke, schwarzer Pfeffer grob gemahlen und ein Spritzer Limette oder Apfelessig. Mit Salz sehr sparsam umgehen. Als Beilage gibt es Pellkartoffeln aus der Krummhörn mit Butter, sehr viel Salz und Kümmel gekocht. Tipp: Damit der Quark beim schlagen etwas sämiger wird füge ich ewas Olivenöl hinzu.

M. Müller / 30.07.2023

“Hausmacherart” geht auch nicht! Wenn schon, dann “Hausmachendenart” bitteschön…

Bernhard Piosczyk / 30.07.2023

Es geht auch viel einfacher: Matjes aufs Brötchen, bevorzugt mit Zwiebeln.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 21.04.2024 / 12:00 / 23

Cancel Cuisine: Kräuterküche

Naturverbundene Großstädter meinen, ein Leben im Einklang mit der Schöpfung zu führen, wenn sie sich allerlei wildes Grünzeug aneignen, das früher unter Unkraut lief, um…/ mehr

Georg Etscheit / 17.03.2024 / 14:00 / 19

Cancel Cuisine: Kopfsalat

Auf vielen Speisekarten taucht gerade ein „ganz besonderes Gericht“: ein Salatkopf im Ganzen, nur mit etwas Dressing verfeinert. Für mich ist ein roh servierter Salat kein Gericht, allenfalls…/ mehr

Georg Etscheit / 10.03.2024 / 12:00 / 29

Cancel Cuisine: Fleischersatz von Bill Gates

Bill Gates investiert Millionen und Milliarden Dollar in Dinge, die ihm wichtig erscheinen. Zum Beispiel in die Landwirtschaft. Und in Fleisch aus dem Drucker. „Ich denke,…/ mehr

Georg Etscheit / 03.03.2024 / 12:00 / 7

Cancel Cuisine: Spaghetti alle vongole

Ein Abend Italienurlaub lässt sich auch in der heimischen Küche mit Pasta und Venusmuscheln simulieren. Hier steht, wie's geht. Was wäre die Welt ohne Katastrophenszenarien? Klimawandel,…/ mehr

Georg Etscheit / 25.02.2024 / 12:00 / 19

Cancel Cuisine: Über Profigeräte

In Besserverdiener-Haushalten finden sich immer öfter beeindruckende Apparate – von der Kaffeemaschine bis zum Racletteofen. Ich meine, Profigeräte sollten Profis vorbehalten bleiben. „Soll ich dir einen Espresso…/ mehr

Georg Etscheit / 18.02.2024 / 12:00 / 24

Cancel Cuisine: Cem und das Tierwohl

Cem Özdemir plant eine „Tierwohlabgabe“ auf bestimmte tierische Produkte. Eine neue Etappe auf dem Weg ins Veggie-Paradies. Langsam wird es ermüdend, immer wieder auf die…/ mehr

Georg Etscheit / 11.02.2024 / 13:00 / 16

Cancel Cuisine: Saures Lüngerl

Jenseits von Leber und Nierchen sind Innereien in unserer Küche schon lange aus der Mode gekommen. Leider, muss man sagen, denn da entgeht uns was.…/ mehr

Georg Etscheit / 04.02.2024 / 10:00 / 64

Cancel Cuisine: Der Discounter – Schmelztiegel der Nation 

Bisher mied der Autor Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny, doch räumt er nun ein, einen Sinneswandel durchgemacht zu haben. Habe ich mich verhört? Hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com