Georg Etscheit / 06.08.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 10 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Geheimnisvolle Existenzen

Pfifferlinge zählen mit Recht zu den beliebtesten und – dank ihres pikanten, etwas pfeffrigen Aromas – besten Speisepilzen. Wenn sie wirklich frisch sind, können sie eine Delikatesse sein. Und ihre Zubereitung ist keine Wissenschaft.

Pilze führen eine geheimnisvolle Existenz. Mal gibt es Jahre, in denen sie in Massen auftreten, mal gibt es so gut wie gar keine. Mal meint man, im Wald eine potenziell ertragreiche „Stelle“ ausgemacht zu haben. Doch dann tauchen sie wieder ganz woanders auf. Pilze sind unbeständig. Wie das Wetter und der Klimawandel, auf den auch immer weniger Verlass ist. Am besten, man sucht gar nicht erst nach ihnen, sondern hofft, ihnen zufällig zu begegnen. Umso größer die Freude, wenn man bei einer Wanderung im Wald unverrichteter Dinge einen schönen Fund macht. Und dann natürlich keine Tasche eingesteckt hat, um den Schatz unversehrt nach Hause zu bringen.

Dieses Jahr scheint es ein gutes „Pilzjahr“ zu werden, wie zu lesen ist. Im Frühjahr hat es ausreichend geregnet, was Pilzexperten zufolge entscheidend für das Wachstum der unterirdischen Pilz-Mykorrhiza sein soll. Wenn es jetzt nicht zu kalt wird, könnte man demnächst mit vollen Körben beglückt werden. Doch allzu nass sollte es jetzt auch nicht werden, weil dann Schnecken über die oberirdischen Fruchtkörper herfallen. Nichts ist enttäuschender, als wenn man einen wunderschönen Pilz entdeckt hat, der bei der ersten Berührung in sich zusammenfällt.

Ich hatte als Kind einmal ein riesiges Exemplar eines Steinpilzes gefunden und mit nach Hause genommen. Mein stolzer Vater alarmierte den Reporter der regionalen Tageszeitung, der am anderen Morgen mitsamt einem Fotografen anrückte, um eine hübsche Geschichte schreiben zu können vom kleinen Georg, der einen großen Fund gemacht hat. Leider hatte sich der Riesensteinpilz über Nacht in eine bräunlich-grüne, breiige Masse verwandelt, die nur mit größter Mühe noch für ein schnelles Foto in eine aufrechte Haltung zu bringen war. Essen konnte man den in die Knie gegangenen Giganten natürlich nicht mehr.

Frisch müssen sie sein

Mit Pfifferlingen kann einem das nicht passieren. Dafür sind sie zu klein. Ihre Saison hat schon begonnen, was die gängige Überzeugung widerlegt, dass Pilze nur im Herbst wachsen. Speisemorcheln beispielsweise gibt es nur im Frühjahr und einer besonderen Art des Steinpilzes, dem Sommersteinpilz, kann man mit viel Glück schon ab Ende Mai begegnen. Er ist festfleischig, sehr fein im Geschmack und wächst bevorzugt in Laubwäldern.

Pfifferlinge zählen mit Recht zu den beliebtesten und – dank ihres pikanten, etwas pfeffrigen Aromas – besten Speisepilzen. Sie sind vergleichsweise günstig, weil im Grunde ein Massenartikel – züchten kann man sie (noch) nicht. Meist kommen sie aus Osteuropa bis hinauf ins Baltikum und hinunter nach Slowenien, wo sie in feuchten, naturnahen Wäldern gut gedeihen und wo die Löhne für die Saisonarbeiter, die sie sammeln, niedrig sind. 

Im Prinzip ist es egal, wo die Pilze wachsen. Doch leider gilt: Je länger der Transport, desto schlechter die Qualität. Pfifferlinge mit trockenen Stilen oder glitschigen, braunen Stellen sollte man unbedingt meiden. Besser, man erwischt eine heimische Charge. Auf dem Münchner Viktualienmarkt sollen die großen gelben Berge, zu denen die Pfifferlinge, in Bayern Reherl genannt, von den Pilzhändlern effektvoll aufgehäuft werden, aus dem Bayerischen Wald stammen, zuweilen auch aus den angrenzenden „Böhmischen Wäldern“. Nachprüfen lässt sich das nicht, jedenfalls nicht per Augenschein. Allenfalls Frische ist Indiz für eine nicht allzu lange Reise.

In süddeutschen Restaurants findet man „Reherl“ in der Saison recht häufig auf den Speisekarten, auch in Österreich, wo sie „Eierschwammerl“ heißen, wegen ihrer dottergelben Farbe. Ihre Zubereitung ist keine Wissenschaft. Umso mehr wundere ich mich immer wieder darüber, wie wenig delikat Pfifferlinge im Restaurant schmecken können. Oft werden sie nicht richtig geputzt und schwimmen in einer viel zu dünnen Sauce, in der sie ihren Geschmack nicht entfalten können.

Das A und O bei der Zubereitung: die Pilze einzeln putzen!

Das A und O bei der Zubereitung der Pilze ist eine sorgfältige Vorbehandlung. Dafür müssen sie, was etwas Mühe bereitet, einzeln (!) in die Hand genommen und geputzt werden. Es schadet auch nicht, sie hernach kurz mit kaltem Wasser abzubrausen und auf Küchenpapier abtropfen zu lassen. Dann werden sie bei hoher Temperatur in etwas Butter angebraten und zwar so lange, bis ihr Wasser – Pilze bestehen genau genommen fast ausschließlich aus Wasser – fast restlos verdampft ist. Hernach löscht man sie mit etwas Weißwein ab und gibt süße (!) Sahne hinzu sowie klein gewürfelte Zwiebeln, Speck und Petersilie, die man zuvor separat (!) hat anschwitzen lassen. 

Für den zusätzlichen Umami-Kick empfiehlt es sich, noch etwas Kalbs- oder Rinderfond hinzuzufügen oder ein leider etwas aus der Mode gekommenes Produkt: Fleischextrakt, ein hoch konzentrierter Auszug aus Rindfleisch, der endlos hält. Ursprünglich war die tiefbraune Paste entwickelt worden, um arme Menschen mit einer leicht herzustellenden Fleischbrühe versorgen zu können. Doch erwies sich dies als letztlich zu teuer. Heute ist Fleischextrakt ein Luxuslebensmittel, das in keiner anspruchsvollen Küche fehlen sollte. Glücklicherweise benötigt man immer nur kleine Mengen davon.

Zu einem sahnigen Pfifferlingsragout serviert man am besten Pasta – gerne Spaghetti oder frische Tagliatelle. Wenn es, wie in Bayern üblich, Semmelknödel als Beilage gibt, sollte die Menge der Sauce nicht zu knapp bemessen sein, weil die Knödel die Eigenschaft eines Schwammes aufweisen. Die Sahne lässt sich auch durch einen großzügigen Guss guten Olivenöls ersetzen, was das Gericht mediterran macht, vor allem, wenn man noch geriebenen Parmesankäse darüber streut. Semmelknödel sind dann natürlich fehl am Platz. Dazu vielleicht einen gereiften Grünen Veltliner aus Österreich, dem ebenfalls ein pfeffriges Aroma nachgesagt wird. Dann grämt man sich auch nicht mehr darüber, dass der Sommer eigentlich schon wieder vorbei ist und ein gewisser Herr Lauterbach immer noch in seiner Hitzepanik schwelgt.

 

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Marta Geist / 06.08.2023

Ha !@ Anuschka Bulgakova : habe meinen Pfifferlingen heute Abend intuitiv auch etwas Muskat in die Sahnesoße getan ! :-)  (dazu gute Spätzle und grüne Bohnen)

Gerd Maar / 06.08.2023

Erinnert mich an den alten Cartoon mit der Marktfrau und den zwei Körben. Links: “Pfifferlinge 10 Mark/Kilo” . Rechts: “Pfifferlinge? 5 Mark/Kilo”

gerhard giesemann / 06.08.2023

Leider gibt es immer weniger “Reherl”.

Leo Hohensee / 06.08.2023

Pfifferlinge! Da erinnere ich ich lebhaft an Ferien mit meinen Eltern in Bayern. Ich war 13 vielleicht 14. Was ich unbedingt sagen muss, meine Sehfähigkeit war +++1.  - Helligkeit, Dunkelheit, groß, klein, winzig - alles kein Problem. Rund um Biberach an der Riss - ich hörte zum ersten mal vom Berg Arber - suchten wir in den Tannwäldern nach Pilzen. Was meine Eltern nicht sahen, sah ich schon aus der Entfernung! Da, da, und dort! Trotzdem kauften wir zu - bei einem “Alpöi”. Da sah ich zum ersten mal diese Nasen, die wie Furunkel, wie Pilze wuchern.  - Meine Mutter - halt, - jetzt kommen erst noch Steinpilze. Steinpilze, ich weiß nicht, was ist die Königsdisziplin (?) Steinpilze oder Pfifferlinge? Meine Mutter briet / kochte sie zusammen mit Sahne zu Knödeln (selbstgemachten), Zwiebeln und Grieben.——Die Erinnerung lässt mich hier abbrechen ...

Peter Wachter / 06.08.2023

Die Pfifferlinge sind keine Pfifferlinge wert, der/die/das Dummländer is(s)t der Champignons of the world, jetzt auch im (Trans)-Frauenweltfussballmeisterschaft !?

Sirius Bellt / 06.08.2023

Pfifferlinge finde ich vollkommen geschmacklos. Kein Vergleich zum Steinpilz, Morchel oder anderen Pilzsorten. Selbst braune Champignons haben meiner Meinung nach mehr Geschmack. Pfifferlinge würde ich weder sammeln noch zubereiten. Total überbewertet, dieser Pilz.

Anuschka Bulgakova / 06.08.2023

Bin d`accord, mit Ausnahme der süßen Sahne. Und wenn, dann nur mit Muskat drin

Thomas Szabó / 06.08.2023

In den 1980-er Jahren, als ich noch ein Kind war, gab es die Mode Austernpilze auf speziellen Nährstoff-Rollen im kühlen Keller zu züchten. Das wäre heute sinnvoll. Ich schätze, die Pilze würden auch im dunklen, feuchten Wohnzimmer eines klassischen Altbau gedeihen. Ich habe einen schönen, luftigen, trockenen Keller, sicherlich großzügiger, gesünder, gemütlicher als viele Mietwohnungen. Der Artikel hat mich inspiriert und meine Erinnerung geweckt. Meine Mutter machte oft gebackene Austernpilze, sie waren köstlich, ich erinnere mich erst jetzt in diesem Augenblick nach 40 Jahren.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 21.04.2024 / 12:00 / 23

Cancel Cuisine: Kräuterküche

Naturverbundene Großstädter meinen, ein Leben im Einklang mit der Schöpfung zu führen, wenn sie sich allerlei wildes Grünzeug aneignen, das früher unter Unkraut lief, um…/ mehr

Georg Etscheit / 17.03.2024 / 14:00 / 19

Cancel Cuisine: Kopfsalat

Auf vielen Speisekarten taucht gerade ein „ganz besonderes Gericht“: ein Salatkopf im Ganzen, nur mit etwas Dressing verfeinert. Für mich ist ein roh servierter Salat kein Gericht, allenfalls…/ mehr

Georg Etscheit / 10.03.2024 / 12:00 / 29

Cancel Cuisine: Fleischersatz von Bill Gates

Bill Gates investiert Millionen und Milliarden Dollar in Dinge, die ihm wichtig erscheinen. Zum Beispiel in die Landwirtschaft. Und in Fleisch aus dem Drucker. „Ich denke,…/ mehr

Georg Etscheit / 03.03.2024 / 12:00 / 7

Cancel Cuisine: Spaghetti alle vongole

Ein Abend Italienurlaub lässt sich auch in der heimischen Küche mit Pasta und Venusmuscheln simulieren. Hier steht, wie's geht. Was wäre die Welt ohne Katastrophenszenarien? Klimawandel,…/ mehr

Georg Etscheit / 25.02.2024 / 12:00 / 19

Cancel Cuisine: Über Profigeräte

In Besserverdiener-Haushalten finden sich immer öfter beeindruckende Apparate – von der Kaffeemaschine bis zum Racletteofen. Ich meine, Profigeräte sollten Profis vorbehalten bleiben. „Soll ich dir einen Espresso…/ mehr

Georg Etscheit / 18.02.2024 / 12:00 / 24

Cancel Cuisine: Cem und das Tierwohl

Cem Özdemir plant eine „Tierwohlabgabe“ auf bestimmte tierische Produkte. Eine neue Etappe auf dem Weg ins Veggie-Paradies. Langsam wird es ermüdend, immer wieder auf die…/ mehr

Georg Etscheit / 11.02.2024 / 13:00 / 16

Cancel Cuisine: Saures Lüngerl

Jenseits von Leber und Nierchen sind Innereien in unserer Küche schon lange aus der Mode gekommen. Leider, muss man sagen, denn da entgeht uns was.…/ mehr

Georg Etscheit / 04.02.2024 / 10:00 / 64

Cancel Cuisine: Der Discounter – Schmelztiegel der Nation 

Bisher mied der Autor Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny, doch räumt er nun ein, einen Sinneswandel durchgemacht zu haben. Habe ich mich verhört? Hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com