Sie sind brutale Islamisten und es gibt keine liberaleren Hoffnungsträger, wie sich mancher im Westen vielleicht wünscht. Etliche spannende Konflikte zwischen verschiedenen Fraktionen gibt es dennoch.
Die Taliban sind keineswegs so homogen, wie sie scheinen, berichtet orf.at. Sie kämen aus unterschiedlichen Regionen und aus verschiedenen Stämmen und es gäbe inhaltlich unterschiedliche Fraktionen. Ganz abgesehen davon stünden die Taliban vor demselben Problem wie alle afghanischen Regierungen. Sie müssen einen Vielvölkerstaat mit mächtigen Stämmen und Clans zusammenhalten.
Zunächst gebe es unter den Taliban drei nach Aufgaben geteilte Gruppen: eine politische, eine militärische und eine religiöse, bei denen es aber personelle Überschneidungen gebe. Ein Teil der politischen Führung habe die vergangenen Jahre in Doha in Katar verbracht, um dort Verhandlungen zu führen.
Das Oberhaupt der Taliban, Hibatullah Akhundzada, gelte als ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, obwohl er seit 2016 in der Position sei. Seinen gefürchteten Ruf habe er sich als oberster Richter des Scharia-Gerichts in Afghanistan während des Taliban-Regimes der 1990er Jahre erworben. Akhundzada sei in erster Linie ein religiöser Führer. Welche Autorität Taliban-Chef Akhundzada tatsächlich habe, werde des Öfteren infrage gestellt. Immer wieder hätten Medien in der Vergangenheit berichtet, dass de facto Abdul Ghani Baradar das Sagen habe. Er war der Leiter des Politbüros in Doha und habe die Delegation der Taliban in den Verhandlungen mit den USA geführt.
Abgeschoben in die zweite Reihe
Baradar sei immer wieder als möglicher Präsident Afghanistans gehandelt worden. In der vor Kurzem vorgestellten Übergangsregierung stehe er –ebenso wie Abdul Salam Hanafi aus der Doha-Gruppe – als Vizeregierungschef nur in der zweiten Reihe. Am Montag hätten sich die Taliban sogar dazu genötigt gesehen, Berichte über den Tod von Baradar zu dementieren. In Onlinenetzwerken waren zuvor Spekulationen verbreitet worden, wonach Baradar bei einer Schießerei zwischen rivalisierenden Taliban-Gruppen im Präsidentenpalast in Kabul tödlich verletzt worden sei.
Regierungschef wurde Mohammad Hassan Akhund. Er sei während des ersten Taliban-Regimes stellvertretender Außenminister gewesen und gelte als Hardliner. Neuer Außenminister sei Amir Khan Muttaqi, der eher eine moderate Linie vertrete.
Kritik am Politbüro in Katar habe es aus dem militärischen Flügel der Taliban gegeben, u.a. von Mohammad Yaqoob. Er sei der älteste Sohn von Taliban-Gründer Mohammad Omar und habe trotz seines vergleichsweise jungen Alters in den vergangenen Monaten deutlich an Einfluss gewinnen können. Yaqoob hatte zeitweise die operative Führung inne und sei zum Militärchef der Taliban aufgestiegen. Nun werde er Verteidigungsminister der Übergangsregierung in Kabul.
Die Personalie von Innenminister Haqqani hatte international für die meiste Empörung gesorgt. Das mehrere tausend Kämpfer große Haqqani-Netzwerk halte Verbindungen zu al-Kaida und werde für einige der opferreichsten Terroranschläge verantwortlich gemacht. Sirajuddin Haqqani gelte als Chef des Netzwerks und wenig überraschend als Hardliner.
Abspaltungen von Taliban mit iranischer Unterstützung?
Es habe inzwischen auch Abspaltungen gegeben, heißt es bei orf.at. Weil sie gegen die Verhandlungen mit den USA gewesen seien, hätten bereits im Vorjahr einige aus dem Iran unterstützte Taliban eine eigene Gruppe gegründet. Auch Ex-Militärchef Ibrahim Sadr und der ranghohe Kommandant Abul Qayyum Zakir seien für ihre Verbindungen in den Iran bekannt. In einer ersten Ministerliste von Ende August seien sie noch als neue Innen- bzw. Verteidigungsminister aufgetaucht. In der vor wenigen Tagen präsentierten Regierungsriege waren sie aber nicht mehr vertreten.
Auffällig sei dem Bericht nach auch, dass die Taliban dezidiert von einer Übergangsregierung sprächen, was vermuten lässt, dass mit weiteren personellen Änderungen zu rechnen ist. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid habe das Vorgehen damit begründet, dass so die „notwendigen Regierungsarbeiten“ angegangen werden könnten. Laurel Miller, Afghanistan-Expertin der Denkfabrik International Crisis Group, würde hingegen vermuten, dass die Islamisten damit noch kontroverse Fragen hinsichtlich des Staatssystems verschieben könnten. Eine der schwierigsten Fragen sei dabei, wie man einen Vielvölkerstaat regieren kann, wenn die Führungsriege zumeist aus einer Ethnie stammt. Bis auf drei seien alle Minister Paschtunen – zwei Minister wären Tadschiken, einer sei Usbeke. Im Unterschied dazu seien nur 40 Prozent aller Afghanen Paschtunen.
Doch nicht nur die zahlreichen Ethnien prägten die afghanische Gesellschaft, sondern auch und vor allem die Stammes- und Clanstruktur innerhalb vieler Volksgruppen – allen voran bei den Paschtunen. Die Geschichte Afghanistans hätte schon oft gezeigt, dass Allianzen brüchig werden, wenn es um die Interessen der Regionen, Stämme und Clans geht. Experten sähen deshalb in der insgesamt 33-köpfigen Regierung nicht nur einen Kompromissversuch zwischen Hardlinern und etwas Moderateren, sondern auch jenen, regionale Stammesinteressen zu befriedigen.